systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

24. Januar 2017
von Tom Levold
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Supershrinks: What is the secret of their success?

Mit Shrinks bezeichnet man in den USA die Zunft der Psychotherapeuten. Ein Zweig der Psychotherapieforschung beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Frage, was besonders gute PsychotherapeutInnen von schlechten oder eher durchschnittlichen TherapeutInnen unterscheidet. Schaut man auf die Ergebnisse ihrer Arbeit, so ist eindrucksvoll, dass die Spitzengruppe von 25 % sehr gute Ergebnisse aufweisen kann, während das untere Viertel nicht nur wesentlich weniger Verbesserungen im Empfinden ihrer Klientel zu verzeichnen hat, sondern es in ihren Therapien auch häufig zu deutlichen Verschlechterungen kommt. Schon 2014 habe ich auf ein Interview des Psychotherapieforschung Scott Miller hingewiesen, in dem er sich mit der Frage auseinandersetzt, wie Therapeutinnen ihre Fähigkeiten verbessern können. In einem Artikel, den er gemeinsam mit Mark Hubble und Barry Duncan für die Zeitschrift Psychotherapy in Australia bereits 2008 verfasst hat, beschäftigt er sich ebenfalls mit der Frage, was hinter dem Erfolg der sogenannten Supershrinks stehen könnte.

Im abstract heißt es: „Clients of the best therapists improve at a rate at least 50 per cent higher and drop out at a rate at least 50 per cent lower than those of average clinicians. What is the key to superior performance? Are ‘supershrinks’ made or born? Is it a matter of temperament or training? Have they discovered a secret unknown to other clinicians or are their superior results simply a  uke, more measurement error than reality? We know that who provides the therapy is a much more important determinant of success than what treatme nt approach is provided. The age, gender, and diagnosis of the client has no impact on the treatment success rate, nor does the experience, training, and theoretical orientation of the therapist. In attempting to answer these questions, MILLER, HUBBLE and DUNCAN, have found that the best of the best simply work harder at improving their performance than others and attentiveness to feedback is crucial. When a measure of the alliance is used with a standardized outcome scale, available evidence shows clients are less likely to deteriorate, more likely to stay longer, and twice as likely to achieve a change of clinical significance.“

Den vollständigen Text kann man hier lesen…

23. Januar 2017
von Tom Levold
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Praxisfelder ohne System oder Funktionssysteme ohne Praxis?

Grab von Pierre Bourdieu. Foto: Wikipedia, © Copyright, NYTECH Corp, 2004

Heute vor 15 Jahren, am 23.1.2002, starb der französische Soziologe Pierre Bourdieu in Paris. Neben Niklas Luhmann, Anthony Giddens und einigen anderen gehörte er zu den großen europäischen Soziologen der Nachkriegszeit. Das theoretische Spannungsfeld zwischen Luhmann und Bourdieu ist immer wieder Gegenstand von vergleichenden Analysen geworden, so auch in diesem Text von Frank Hillebrandt, Professor für Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie an der FernUniversität in Hagen, der 2006 in den Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2. (Frankfurt am Main : Campus Verl.) erschienen ist. Einleitend schreibt er: „Meine These ist: Dieser Unterschied in der Charakterisierung der Gegenwarts- gesellschaft ist nicht nur unterschiedlichen thematischen Vorlieben (Luhmann: funktionale Differenzierung; Bourdieu: soziale Ungleichheit) geschuldet, sondern vielmehr einer grundlegenden erkenntnistheoretischen Differenz zwischen der kultursoziologischen Ungleichheitsforschung Bourdieus, die den Praxisbegriff als Ausgangspunkt führt, und der Gesellschaftstheorie Luhmannscher Provenienz, die vom Kommunikationsbegriff ausgeht.1 Diese These möchte ich plausibilisieren, indem ich in zwei Schritten den Ausgangspunkt der Systemtheorie (I) mit dem Ausgangspunkt der Praxistheorie (II) vergleiche. Auf dieser Basis werde ich im dritten Schritt zeigen, warum die Praxistheorie Prozesse funktionaler Differenzie- rung nicht adäquat in den Blick nehmen kann und aus welchen Gründen der sys- temtheoretische Äquivalenzfunktionalismus keinen der Gegenwartsgesellschaft angemessenen Begriff sozialer Ungleichheit ermöglicht (III). Am Schluss steht ein kurzes Resümee (IV).“ Der Text ist auch online zu lesen, und zwar hier…

22. Januar 2017
von Tom Levold
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Systemische Streifzüge durch die Psychiatrie …

 

… unternimmt das erste Heft der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung im 35. Jahrgang bei 1017.  Es wird eröffnet von einem schönen Text von Andreas Manteufel über das Leben in der Psychiatrie und ihre „subjektive Seite“. Er schreibt dazu: „Dieser Artikel beleuchtet von verschiedenen Seiten die Bedeutung der Subjektivität für das Arbeitsfeld Psychiatrie. Dabei geht es um die alte konstruktivistische Debatte über das Fehlen objektiver Wahrheiten, um die Bedeutung der Sichtweisen von Angehörigen, um die wertungsfreie, trialogische Gesprächskultur, aber auch um die Pflege der eigenen, subjektiven Seite als Mitarbeiter im System Psychiatrie. Wir sprechen also, wenn wir so wollen, über das Überleben systemischer Basics in unserer Profession und Institution. Aber eigentlich sprechen wir nicht über Schulen oder Theorien, schon gar nicht über deren Wettbewerb untereinander, sondern über professionelle und menschliche Grundtugenden in einem besonders herausfordernden beruflichen Kontext.“ Das kann ein schönes Motto auch für die anderen Beiträge des Heftes sein. Elisabeth Nicolai zieht eine Bilanz des SYMPA-Projektes, Ingo Spitczok von Brisinski erörtert systemische Erklärungsmodelle für ADHS, eine Hamburger Autorengruppe bringt ein Positionspapier zum systemischen Umgang mit Störungen ein. Alle bibliografischen Angaben und Zusammenfassungen finden sich wie immer im systemagazin, und zwar hier….

20. Januar 2017
von Tom Levold
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Brauchen wir die Liebe noch?

Die Liebe ist ein heißes Eisen. In der Entwicklungsgeschichte der Ehe- und Paartherapie hat sie wechselnde Konjunkturen. In langen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts wurde der Schwerpunkt eher auf die partnerschaftliche Dimension von Zweierbeziehungen gelegt, d. h. es wurde eher auf die Dynamik von Geben und Nehmen, auf das Verhandeln  und auf gleichberechtigte Arbeitsteilung fokussiert als auf emotionale Liebes- und Glückserwartungen.  In den letzten Jahrzehnten hat sich das geändert und die Bedeutung der Liebe wurde zunehmend in der Praxis der Paartherapie beachtet und zum Thema gemacht. Immerhin waren die Glückserwartungen an Paarbeziehungen niemals so hoch wie heute. Frank Natho  hat sich in seinem 2014 erschienenen Buch „Brauchen wir die Liebe noch? wieder bemüht, dieses Beziehungsideal zu „entzaubern“. Hierzu holt er u.a. weit aus mit einer kleinen Kulturgeschichte der Liebe und stellt neuzeitliche Konstruktion der Liebe auf den Prüfstand. Weiterlesen →

17. Januar 2017
von Tom Levold
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„Wir dürfen ‚Sinn‘ nicht medikalisieren“

Im Deutschen Ärzteblatt ist in Heft 1/2017  ein Interview mit mir zum Thema Diagnosen und Diagnostik erschienen, das auch online gelesen werden kann. Ein findiger Lektor oder Redakteur hat dabei in den Satz „dass wir als Therapeuten nicht nicht diagnostizieren können“ ein doppeltes „nicht“ gefunden und leider sinnentstellend entfernt. Es geht im weitesten Sinne um die Thematik des bevorstehenden Kongresses  „Was ist der Fall? Und was steckt dahinter? Diagnosen in systemischer Theorie und Praxis“, der vom 25. bis 27. Mai 2017 in der Heidelberger Stadthall stattfinden wird. Mittlerweile steht der größte Teil des Programms fest. Die Website der Tagung ist mittlerweile auch fertiggestellt, alle Informationen über den Kongress und den Programmablauf  sind hier im Überblick zu erhalten.  Im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht erscheint übriges im April rechtzeitig vor dem Kongress ein Gesprächsband mit dem Titel „Für welche Probleme sind Diagnosen eigentlich eine Lösung?“, in dem Hans Lieb und ich mit Uwe Britten über das Thema Diagnostik diskutieren. In der Verlagsankündigung heißt es: „Bei inzwischen mehreren Hundert Diagnosen für psychische Störungen sind die internationalen Klassifikationssysteme DSM und ICD mittlerweile angekommen – ist das noch durch irgendetwas gerechtfertigt? Und: Wofür sind Diagnosen bei psychischen Beeinträchtigungen überhaupt sinnvoll? Tom Levold und Hans Lieb suchen im Gespräch nach Antworten. Gerade zu Beginn einer Psychotherapie kann eine standardisierte Diagnostik mit dem Erkennen von Symptomen und der Nennung einer Diagnose hilfreich sein, insbesondere für die Psychotherapeuten selbst. Das gibt ihnen Sicherheit. Doch mit dem Fortschreiten der Therapie ist es ratsam, sich von den allzu einengenden Schablonen heutiger Diagnosen zu distanzieren und den Blick zu weiten, um den Klienten in seiner menschlichen Tiefe besser zu verstehen. Tom Levold und Hans Lieb stehen der gängigen standardisierten Diagnostik mit Vorbehalten gegenüber, zumal so getan werde, als existierten psychische Erkrankungen »für sich« irgendwo. Das tun sie aber nicht, denn die Problemlagen der Klienten sind viel komplexer, als die Diagnosen es suggerieren, sodass die Vergabe einer Diagnose nichts anderes als eine Fremdbeobachtung ist, die oft wenig mit dem Erleben der Klienten zu tun hat. Zwar stehen Diagnosen stets im Raum, wenn es um psychische Erkrankungen geht, doch sie sollten mit kritischer Distanz reflektiert werden. »Wir können nicht nicht diagnostizieren«, meint Hans Lieb. »Ja«, ergänzt Tom Levold, »aber wir dürfen menschlichen ›Sinn‹ nicht medizinisieren«.“

10. Januar 2017
von Tom Levold
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Das Ende der MEGA-Maschine

Im Wiener Promedia Verlag ist 2015 das Buch „Das Ende der MEGA-Maschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ von Fabian Scheidler erschienen. Scheidler, der Geschichte, Philosophie und Theaterregie studiert hat, arbeitet als freier Autor für unterschiedliche Medien. Sein Buch wurde von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in die „TOP 10 der Zukunftsliteratur 2015“ gewählt. Jochen Schweitzer hat es gelesen und empfiehlt die Lektüre nachdrücklich. Lesen Sie selbst:

Jochen Schweitzer, Heidelberg:

Dies ist ein Buch, das mich ungewöhnlich stark begeistert hat und das ich daher vielen Menschen empfehlen möchte. Es hat mich begeistert, weil es

  • in knappestmöglicher Form eine Geschichte der Macht- und Ausbeutungsverhältnisse von circa 1350 bis heute schreibt,
  • Satz für Satz voll dichter Informationen und zugleich sehr verständlich geschrieben ist,
  • die Geschichte des Finanzkapitals, der Klassenkämpfe, der politisch-militärischen Repression und der Ideologieproduktion in einer systemischen, zirkulären Denkweise beschreibt und  deshalb als eine hervorragende kurze Lektüre auch für gesellschaftspolitisch interessierte SystemikerInnen dienen kann.

Viele Besucher der Frankfurter DGSF-Jahrestagung 2016 mögen den sympathischen Autor bei seinem dortigen gleichnamigen Vortrag gehört haben. Scheidlers Kernthese ist, dass in der Menschheitsgeschichte vier Tyranneien ständig eng zusammengearbeitet haben bei der Unterdrückung von Menschen durch Menschen: die physische Macht, besonders durch Waffengewalt; die strukturelle Gewalt als systematisch ungleiche Verteilung von Rechten, Besitz, Einkommen und Prestige; die ideologische Macht durch Priester, Journalisten und Experten, die die beiden anderen Formen der Macht legitimieren oder unsichtbar machen halfen; schließlich die Tyrannei des linearen Denkens als Versuch, durch Kommandos, Befehle und Kontrollpraktiken die Menschen wie die unbelebte Natur sich einseitig untertan zu machen. Keine dieser Tyranneien funktioniert ohne die andere: Waffengewalt braucht ideologische Begründung und den Glauben an die Möglichkeit der Kontrolle der Welt durch Waffen; starke Ungleichheit ist dauerhaft nicht durchsetzbar ohne ideologische Begründung oder (wenn diese nicht ausreicht) ohne Waffengewalt. Weiterlesen →

8. Januar 2017
von Tom Levold
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Diagnostik in der Sozialen Arbeit

Martin und Sabine Riesenhuber sowie Cornelia Schwaiger aus Österreich haben zum Thema „Diagnostik in der Sozialen Arbeit. Die Legende einer Debatte ohne Ende“ einen guten Überblick über den Stand der Diskussion gegeben, der 2009 in Social Paper. Online-Zeitschrift des Arbeitsbereichs Sozialpädagogik, Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz erschienen ist. Im abstract heißt es: „Der vorliegende Beitrag entstand aus einer eingehenden Auseinandersetzung mit Sozialer Diagnose und der damit verbundenen Debatte. Dies führte uns zu einem gewissen Erstaunen darüber, wie lange und intensiv diese Diskussion bereits geführt wird, wie viele unterschiedlichste Diagnoseverfahren bereits entwickelt wurden, und wie wenig die Soziale Diagnose vergleichsweise dazu bisher den bewussten Eingang in die Praxis der Sozialen Arbeit gefunden hat. Wir diskutierten darüber, bildeten Hypothesen dazu und stellten uns Fragen, welche uns in diesem Zusammenhang naheliegend erschienen. Wir verglichen die unterschiedlichen Diagnosebegriffe, -modelle und -ansätze und brachten sie in einen Zusammenhang mit den Argumenten, welche sich in der Diagnosedebatte als Pros und Contras wiederfinden. Letztlich führte uns die Auseinandersetzung immer wieder in den Bereich grundlegender sozialpädagogischer Fragen, welche ethische und professionelle Haltungen betreffen. In diesem Umstand spiegelt sich genau der Verlauf der Debatte um Soziale Diagnose wider, welcher die DiskutantInnen ebenso immer wieder auf diese grundsätzlichen Fragen von Professionalität und der Beziehung zwischen den im Sozialen Feld Tätigen und deren Klientel zurückverweist. An dieser unserer Auseinandersetzung und unserer Perspektive auf dieses Thema teilhaben zu lassen und Anregung zu geben, um die Debatte hinter der Debatte weiterzuführen, ist Anliegen des Beitrages.“

Der Artikel kann auch online gelesen werden, und zwar hier…

6. Januar 2017
von Tom Levold
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Therapie mit Menschen mit Fluchterfahrungen

Das erste Heft der Familiendynamik im Jahrgang 2017 beschäftigt sich mit dem Thema der Flüchtlinge. Im Editorial schreiben Leonie Teigler, Elise Bittenbinder und Arist von Schlippe: „Wir sind gegenwärtig mit zahlreichen »man made disasters« konfrontiert, bei denen massive Gewalt von einzelnen Personen oder ganzen Gesellschaften ausgeht. Daraus resultieren andauernde oder sich wiederholende traumatische Erfahrungen. Sie führen meist nicht nur zur Symptombildung nach PTBS-Kriterien, sondern zerstören auch die sozialen Gefüge der Betroffenen. Menschen mit solchen Gewalterfahrungen erleben in Deutschland oft weiter soziale Isolation. Umso wichtiger ist daher der Kontakt zu solidarischen Personen, die Stabilität ermöglichen, nicht zuletzt im Rahmen von psychosozialer Arbeit.

Gleichzeitig sehen sich Fachkräfte angesichts der Lebensumstände von Geflüchteten oft überfordert. Die Konfrontation mit ungewohntem Leid, ständiger Unsicherheit, dem komplizierten und häufig gnadenlos wirkenden Rechtssystem, mit »fremder« Kultur und mit Dolmetschenden kann Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen und letztlich zu Abwehr führen. Vielleicht erklärt diese Dynamik die zu beobachtende Tendenz, Trauma aus dem gesellschaftlichen Kontext zu lösen und sich in der Behandlung von Geflüchteten ganz auf die medizinisch-biologische Ebene zu konzentrieren.

Die Beiträge im Fokus dieses Heftes möchten alternative Wege aufzeigen. Sie geben Einblicke in die beraterische/therapeutische Arbeit mit Überlebenden von Krieg, Verfolgung und Folter – und plädieren dafür, sich auf die Komplexität eines Feldes an der Schnittstelle zur Menschenrechtsarbeit einzulassen.“

Alle bibiografischen Angaben und abstracts gibt es hier zu lesen…

 

 

4. Januar 2017
von Tom Levold
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Familientherapie statt Knast für Kinder

Schon 13 Jahre alte Kinder können wegen schwerer Verbrechen im Staat New York wie Erwachsene angeklagt und verurteilt werden. Dass ein Gefängnisaufenthalt Minderjährigen nicht auf den richtigen Weg verhilft, sondern vielmehr eine Schule der Kriminalisierung darstellt, dürfte klar sein. Im Magazin The Atlantic ist eine interessante Reportage über ein Projekt der New York Foundling, einer privaten Kinderschutz-Organisation, zu lesen, die eine Alternative zum Strafvollzug für delinquente Kinder, Familions Rising, entwickelt hat. Familientherapie ersetzt hier eine Verurteilung und den Eintrag in das Strafregister, wenn das Programm erfolgreich abgeschlossen wird. Das Programm kostet auch deutlich weniger als ein vergleichbarer Aufenthalt für einen Insassen in New Yorks City Rikers Island-Gefängnis: 8.400 $ statt 167.731 $. Der Erfolg lässt sich sehen: Von den teilnehmenden Delinquenten und ihren Familien haben 97 % das Programm absolviert und konnten so einen Eintrag ins Strafregister vermeiden; 92 Prozent vervollständigten das Programm und mussten nicht ins Gefängnis. Die ganze Reportage gibt es hier zu lesen…

2. Januar 2017
von Tom Levold
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Achtsamkeit und Spiritualität

Das letzte Heft des Kontext-Jahrgangs 2016 ist kurz vor Weihnachten erschienen und dem Thema Achtsamkeit und Spiritualität gewidmet. Im Editorial heißt es: „Das Thema Achtsamkeit boomt. Schlägt man dieser Tage eine beliebige Wirtschafts- oder Managementzeitschrift auf, braucht man nicht lange zu blättern, bis man auf einen Artikel stößt, der die Achtsamkeits- und Meditationspraxis als hilfreich für die Bewältigung der Herausforderungen preist, mit denen Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen zu kämpfen haben. Wurde dieses Thema in den vergangenen Jahrzehnten eher dem Bereich spiritueller Selbstvergewisserung oder gar dem zweifelhaften Milieu esoterischer Lebensentwürfe zugeordnet, haben Achtsamkeit und Meditation Einzug in eine Welt gehalten, die weithin eher mit rationalistischen Optimierungsstrategien in Verbindung gebracht wird als mit der Frage nach Transzendenz und Sinnsuche.

Natürlich ist das Thema keineswegs neu. Seit Jahrtausenden werden spirituelle und meditative Praktiken mehr oder weniger systematisch betrieben. Es dürfte aber kein Zufall sein, dass sie gerade in einer sich zunehmend beschleunigenden Welt, in der die digitale Echtzeitkommunikation zu einer permanenten Reizüberflutung wird, immer mehr an Attraktivität gewinnen. Am einen Ende des Spektrums geht es um unsere Sehnsucht nach Innehalten, Verlangsamung, Fokussierung und Präsenz, am anderen Ende um Transzendenz und Begegnung mit etwas, was unsere Alltagserfahrung nicht umfasst. Für Niklas Luhmann beginnt Transzendenz dort, wo Sprache versagt und unser Sinnhorizont überschritten wird. Inwendigkeit (als Konzentration auf nicht verwörterbare Erfahrung von Körperlichkeit) und Spiritualität (als Überschreitung sinnlicher Erfahrung und Sinnvorstellungen) markieren den Rahmen, in dem sich das gegenwärtige Interesse für Achtsamkeit, Meditation und Spiritualität bewegt.

Auch unser aktuelles Heft reflektiert die verschiedenen Dimensionen dieses thematischen Panoramas. Stefan Schmidt, Psychologe und Forscher an der Psychosomatischen Universitätsklinik Freiburg (Sektion Komplementärmedizinische Evaluationsforschung), beschreibt Achtsamkeit in seinem Artikel als eine von Gegenwartsorientierung und Akzeptanz geprägte Grundhaltung gegenüber dem eigenen Erleben, die mit einem starken Erfahrungsbezug gekoppelt ist. Diese Orientierung erweist sich für ihn als eine ideale Ausgangsbasis für systemisches Arbeiten. Im Sinne der Kybernetik zweiter Ordnung lässt sich Achtsamkeit als praktizierte Beobachtung der eigenen Geistestätigkeit verstehen und insofern als selbstreferentielle Erkenntnispraxis, die die Ähnlichkeiten von konstruktivistischer und buddhistischer Theorie deutlich werden lässt.

Zur Verwandtschaft von Systemtheorie und Buddhismus hat Werner Vogd, Soziologie-Professor an der Universität Witten/Herdecke vor einiger Zeit ein Buch veröffentlicht, auf das sich auch Stefan Schmidt bezieht. Wir haben Werner Vogd gebeten, seine Thesen auch im Kontext zur Diskussion zu stellen. Günter Emlein, Theologe und Luhmannianer, hat hierzu einen kritischen Kommentar verfasst, zum dem auch Vogd noch einmal Stellung bezogen hat: eine philosophische Diskussion auf höchstem Niveau.

Eine „Erkundung“ des Verhältnisses von Systemischer Praxis und Spiritualität nimmt die Philosophin Ursula Baatz aus Wien, die dort eine philosophische Praxis betreibt, in ihrem Beitrag vor. Sie plädiert für Spiritualität als selbstreflexive Lebensweise, die dem Prozess der Selbst-Transformation eine Richtung geben kann, freilich ohne dass Berater oder Therapeuten die Funktion von spirituellen Lehrern übernehmen sollten. Dennoch kann ein systemischer Zugang für Baatz Spiritualität als „Set von Diskurspraktiken“ wertschätzen, die Weltwahrnehmung und Motivation formen. Um Prozesse der Selbstreflexion aus spiritueller Motivation mit systemischen Mitteln unterstützen zu können, ist allerdings immer die Auftragsklärung zu beachten – worum geht es der Klientin, dem Klienten?

Die Frage der Auftragsklärung ist in einem Text über den Einsatz von Achtsamkeitspraktiken in den Unternehmensalltag bereits geregelt: immer mehr Unternehmen interessieren sich dafür, Mediation und Achtsamkeit in den Arbeitsalltag von Führungskräften und Arbeitsteams zu integrieren. „Aus der Praxis“ berichten Liane Stephan und Chris Tamdjidi, die als Geschäftsführer der Kölner Kalapa Leadership Academy seit langem Achtsamkeitsprogramme in Wirtschaftsunternehmen implementieren. Mittlerweile haben daran mehr als 700 MitarbeiterInnen aus über 20 Firmen, von Konzernen wie Bosch bis zu Mittelständlern, daran teilgenommen. In ihrem Artikel beschreiben sie ihr Konzept, dessen Umsetzung und die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleitung vor, die demnächst auch veröffentlicht werden wird. Abgerundet wird das Themenheft mit einem Stich-Wort von Dörte Foertsch zum Thema: Achtsamkeit.“

Alle bibliografischen Angaben und abstracts des vergangenen Kontext-Jahrgangs finden Sie hier…

2. Januar 2017
von Tom Levold
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Ein friedliches neues Jahr!

Liebe Leserinnen und Leser,

krankheitsbedingt erst am zweiten Tag des neuen Jahres wünsche ich Ihnen allen ein gutes, erfolgreiches, gesundes, glückliches und vor allem friedliches Neues Jahr. Hoffen wir, dass es ein besseres Jahr als das letzte sein wird – auch wenn die Aussichten nicht besonders gut sind.

Herzliche Grüße

Tom Levold
Herausgeber systemagazin