systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

1. Dezember 2017
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Schuld und systemisch?

Liebe Leserinnen und Leser des systemagazin,

der November war ein beruflich und familiär so voller Monat für mich, dass ich außer der Einladung zum diesjährigen Adventskalender nicht dazu gekommen bin, neue Dinge ins systemagazin zu posten. Umso mehr freue ich mich, dass es heute mit dem Kalender losgeht, auch wenn unglücklicherweise durch technische Probleme das erste Türchen jetzt erst am Vormittag geöffnet werden kann. Beiträge sind nach wie vor erwünscht, ich freue mich auf Ihre Zusendungen. Den Anfang macht Bernd Schmid aus Wiesloch mit einer Reflexion zum Stellenwert von Schuld und Verantwortung. Ich wünsche Ihnen und uns allen eine hoffentlich gute und friedliche Vorweihnachtszeit – Ihr Tom Levold

Bernd Schmid, Wiesloch

Wie gehen Systemiker mit Schuld um? Und kennt systemische Beratung überhaupt einen Schuldbegriff? Inwieweit unterscheidet der sich von strafrechtlicher Schuldzuweisung? 

In den 1970er und 1980er Jahren flüchteten sich nicht wenige Systemiker in Neutralität, was sie mit der Relativität von Wirklichkeit begründeten. Oder war es vielleicht eher umgekehrt? Flüchteten sich Werte- oder Bindungsunsichere, Rebellische und/oder Belastete in eine Neutralitätszone, für die sie systemische Rechtfertigungen nutzten? Immerhin stellte Virginia Satir „Neutralität“ durch abwechselnde Parteinahme im Sinne von Verstehen-Wollen und Einfühlung her.

Dann kam das Postulat: Handle so, dass sich die Anzahl der Optionen vergrößert! – eine Art Freiheitsmythologie, die allerdings mehr Freiheit von als Freiheit für betonte. Sicher gut, was Verengungen jeder Art betrifft. Aber unzureichend für die Orientierung in unserer Multioptionsgesellschaft. Schließlich merkte man, dass die Inflation der Deutungsmöglichkeiten und möglicher Zusammenhänge zur Desorientierung beitrug. Das Herstellen von intelligenter Übersichtlichkeit und Handlungsfähigkeit wurde als Herausforderung wieder deutlich. Damit kehrte die Frage der wertgeleiteten Auswahl der Prämissen mit Implikationen und Konsequenzen zurück. Jede gewählte Wirklichkeit wird an der ausgesonderten Wirklichkeit schuldig. Dass es die Wahrheit nicht gibt, ist in unseren Sphären mittlerweile trivial. Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, persönlich überzeugt zu sein, ohne in Weltanschauungs-Imperialismus zu verfallen. Reichen persönliche Gewissheiten nicht? Müssen es objektive Wahrheiten sein?

Bernd Schmid

Im systemischen Feld entstand nach und nach ein Bewusstsein dafür, dass, wenn Wirklichkeit menschengemacht ist, Menschen eben auch eine besondere Verantwortung dafür haben, welche Wirklichkeit sie machen. Dies schließt Mitmachen, Dulden, Profitieren, Unterlassen und Wegsehen ein. Wir benutzen den Begriff Schuld eher zu der Frage, was wir uns und anderen schuldig bleiben könnten und wie damit konstruktiv und verantwortlich umgegangen werden kann. Dazu kommen aus der systemischen Ecke nur Meta-Beiträge.

Orientierung müssen wir uns aus anderen Lebenswelten holen. Dafür brauchen wir Menschen mit Überzeugungen und reflektierte Überzeugungs-Gemeinschaften. Lange glaubte ich, eine Gesellschaft könne über das Wertemanagement der Individuen gesteuert werden. Heute meine ich wie unser Alt-Bundespräsident Köhler, dass wir aus vielen Selbstverständlichkeiten des Anstands immer wieder herausdriften und aktiv etwas tun sollten, zu einem „So etwas tut man nicht!“ zurückzukehren oder voranzuschreiten. Werteregeln und Selbstverständlichkeiten, die durch Bestätigung und Ächtung stabilisiert werden, helfen unserer gelegentlich Wertevergessenen Gesellschaft. Ansonsten greifen wir auf Bewährtes zurück, z.B. auf den Kantschen Imperativ, den Norbert Corpray so erweitert hat: „Handle so, wie Du vom anderen behandelt werden möchtest, wenn Du auf ihn angewiesen bist.“

Letztlich bleibt jedem Einzelnen und der Gesellschaft die Herausforderung, zwischen Dogmatismus und Beliebigkeit, zwischen Herrschaftsmoral und Verwahrlosung, zwischen anything goes und verbindlicher Werteordnung einen Weg zu finden und verantwortlich Dialog zu halten. Da es bei Werten als extra Thema leicht zu sonntäglicher Ergriffenheit unter der Kanzel kommt, von der am Montag wenig bleibt, leisten Professionelle ihren Beitrag am besten dadurch, dass sie sich diesen Dimensionen im Rahmen konkreter beruflicher Fragestellungen widmen.

3. November 2017
von Tom Levold
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Systemisches Engagement?!

Liebe Leserinnen und Leser des systemagazin,

auch in diesem Jahr möchte ich wieder – in mittlerweile guter Tradition – einen Adventskalender aufsetzen, der von der Autoren- und Leserschaft des Online-Journals gestaltet wird. In diesem Jahr hat mich angesichts der sich beschleunigenden Krisen und Wirren in der Welt immer wieder die Frage bewegt, ob der systemische Ansatz oder „wir Systemiker“ einen Beitrag leisten können, um in der Welt, die ökologisch, politisch und kulturell immer mehr ins Trudeln kommt, Dinge in eine konstruktive, friedliche und nachhaltige Richtung zu bewegen. Die diesjährige DGSF-Tagung hatte sich das Thema „Einmischen“ als Leitmotiv gewählt. Als übergreifendes Thema für den diesjährigen Kalender habe ich in diesem Zusammenhang „Systemisches Engagement“ gewählt, verbunden mit folgenden Fragen: Bietet der systemische Ansatz überhaupt Anhaltspunkte für ein „gutes Leben“ und die Möglichkeiten seiner Verwirklichung? Gibt es so etwas wie „systemische Werte“ und wie zeigt sich das im individuellen und sozialen Engagement? Welche Beispiele für ein solches Engagement haben Sie in diesem Jahr oder in der letzten Zeit besonders beeindruckt? Wofür haben Sie sich selbst engagiert oder nicht – und wenn, warum – oder warum nicht? Welche Geschichten von gelungenem, aber auch misslungenem Engagement fallen Ihnen ein? Welche inspirieren Sie, welche lassen Sie resignieren? In welchen Feldern vermissen Sie das Engagement von Systemikern, wo sollten wir uns mehr präsent zeigen?
Für diese und viele andere Fragen – und hoffentlich viele damit verbundene Geschichten, Ideen und Antworten – stehen im Dezember wieder 24 Adventstürchen zum nachdenken und diskutieren zur Verfügung.
Wie immer funktioniert der Kalender nur, wenn ausreichend Beiträge von Ihnen als Leserinnen und Lesern des systemagazin eintrudeln – und wunderbarerweise hat das immer (manchmal auf den letzten Drücker) geklappt.
Ich freue mich also schon jetzt auf Ihre Geschichten, Erinnerungen, Beispiele, Vorschläge und Gedanken an levold@systemagazin.com.

Mit herzlichen Grüßen
Tom Levold
Herausgeber systemagazin

31. Oktober 2017
von Tom Levold
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Kommunikative Kompetenz. Das Rollenspiel in der systemischen Psychotherapie

Wie kann man systemische Therapie lehren? Nun, man kann Theorien und Methoden durch Lektüre, Präsentationen und Demonstrationen vermitteln. Die Aneignung therapeutischer kommunikativer Kompetenz kann sich dagegen nur durch eigene Praxis und durch Üben vollziehen. Im Kontext von Aus- und Weiterbildung ist das der Teil, der in Rollenspielen bearbeitet werden soll. Wir alle aber kennen das: Rollenspiele werden von den meisten als notwendiges Übel akzeptiert, Begeisterung taucht da aber nicht auf. Als erste werden die Beobachterpositionen besetzt, dann erklärt man sich bereit, auch Klienten zu spielen (die sich dann oft als schwieriger erweisen als es in der „Realität“ zu erwarten wäre), die Therapeuten- oder Beraterrolle ist dagegen weniger beliebt. Kein Wunder, exponiert man sich dann womöglich als jemand, dem die Umsetzung des zuvor Besprochenen womöglich nicht gelingt – Rollenspiele sind eine zentrale Schamquelle in Aus- und Weiterbildung. Corina Ahlers aus Wien, erfahrene Lehrtherapeutin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie und Systemische Studien und Dozentin an der Sigmund-Freud-Universität Wien, hat sich dieses Themas in ihrer 2017 erschienenen Habilitationsschrift angenommen – ein in dieser Form und Reichweite bislang einmaliges Vorhaben, dessen Durchführung beeindruckend ist. Wolfgang Loth hat es gelesen und resümiert: „Der folgende Satz findet sich gegen Ende des Buches und scheint mir als Fazit geeignet: ,Die Qualität des Lernens am Rollenspiel hängt von der Bereitschaft ab, sich affektiv darauf einzulassen und von der Geduld, es anschließend extensiv nachzubesprechen’ (S.188). Corina Ahlers hat mit ihrer Arbeit Grundlegendes dazu geleistet, dass dies auf eine transparente, professionelle und menschlich förderliche Weise so sein kann in der Ausbildung zukünftiger PsychotherapeutInnen. Ein Buch, dass ich allen AusbilderInnen und Lehrenden im Bereich der Psychotherapie, nicht nur der systemischen Therapie, sehr zur Lektüre empfehle – und denen, die den Weinberg unserer Profession immer wieder neu zu erkunden und umzugraben bereit sind, sowieso.“ Lesen Sie hier seine Rezension:

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23. Oktober 2017
von Tom Levold
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Das Inzest-Tagebuch

Im Klett-Cotta-Verlag ist dieses Jahr das Tagebuch einer – anonym bleiben wollenden – Amerikanerin über ihre eigenen Inzest-Erfahrungen im Belletristik-Programm erschienen. Das Buch ist in den USA ebenfalls in einem renommierten Literaturverlag erschienen und hat auch dort Aufsehen erregt, die New York Times hat ihm eine große Rezension gewidmet. Die Reaktionen sind kontrovers und heftig, weil die Beschreibung des sexuellen Missbrauches durch den eigenen Vater vom frühen Kindesalter an bis zum 21. Lebensjahr auch die Erfahrung des eigenen Begehrens und der Lust sehr offen und in einer sehr drastischen Sprache thematisiert – übrigens der Grund für die Entscheidung des Klett-Cotta-Verlages, dieses Buch in das Verlagsprogramm aufzunehmen, aber keine Werbung dafür zu treiben, die zwangsläufig in ein inhaltliches Dilemma geriete. Ilke Crone hat das Buch für systemagazin gelesen und empfiehlt es Professionellen, die mit Opfer andauernder, sexueller Gewalt therapeutisch arbeiten, zur Lektüre: Weiterlesen →

17. Oktober 2017
von Tom Levold
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Erkunden, erinnern, erzählen

 

Frisch aus der Druckerpresse: Unser Interview-Band mit allen Interviews, die seit 1979 im Kontext, der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie, erschienen sind. Enthalten sind sowohl Interviews aus der Frühzeit mit Mara Selvini-Palazzoli, Ivan Boszormenyi-Nagy, Paul Watzlawick, Virginia Satir als auch die Gespräche, die seit 2006 regelmäßig geführt wurden, u.a. mit Helm Stierlin, Josef Duss-von Werth, Kurt Ludewig, Wilhelm Rotthaus und vielen anderen. Aus dem systemagazin sind noch Interviews mit Rosmarie Welter-Enderlin und Eve Lipchik dazu gekommen. Wer sich mit der systemischen Geschichte und ihren vielfältigen und sehr unterschiedlichen Wurzeln beschäftigen will, wird hier einen reichen Fundus an Erinnerungen und Geschichten finden. Das Einleitungskapitel „Geschichte und Geschichten: Systemische Therapie wird historisch“ von Tom Levold und Wolf Ritscher gibt es auch als Leseprobe online zu lesen, und zwar hier…

4. Oktober 2017
von Tom Levold
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Anstieg der Verfahren zur Kindeswohlgefährdung um 5,7 %

WIESBADEN – Die Jugendämter in Deutschland führten im Jahr 2016 rund 136 900 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls durch. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, bedeutet dies einen Anstieg um 5,7 % gegenüber dem Vorjahr.

Von allen Verfahren bewerteten die Jugendämter 21 600 eindeutig als Kindeswohl­gefährdungen („akute Kindeswohlgefährdung“). Hier gab es gegenüber 2015 einen Anstieg um 3,7 %. Bei 24 200 Verfahren (+ 0,1 %) konnte eine Gefährdung des Kindes nicht ausgeschlossen werden („latente Kindeswohlgefährdung“). In rund 46 600 Fällen (+ 8,0 %) kamen die Fachkräfte des Jugendamtes zu dem Ergebnis, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein weiterer Hilfe- oder Unterstützungsbedarf vorlag. In fast ebenso vielen Fällen (44 500) wurde weder eine Kindeswohlgefährdung noch weiterer Hilfebedarf festgestellt (+ 7,8 %).

Die meisten der rund 45 800 Kinder, bei denen eine akute oder latente Kindeswohlgefährdung vorlag, wiesen Anzeichen von Vernachlässigung auf (61,1 %). In 28,4 % der Fälle wurden Anzeichen für psychische Misshandlung festgestellt. Etwas seltener (25,7 %) wiesen die Kinder Anzeichen für körperliche Misshandlung auf. Anzeichen für sexuelle Gewalt wurden in 4,4 % der Fälle von Kindeswohlgefährdung festgestellt. Mehrfachnennungen waren möglich.

Die Gefährdungseinschätzungen wurden in etwa gleich häufig für Jungen und Mädchen durchgeführt. Kleinkinder waren bei den Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls besonders betroffen. Beinahe jedes vierte Kind (23,2 %), für das ein Verfahren durchgeführt wurde, hatte das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet. Drei- bis fünfjährige Kinder waren wie im Vorjahr von einem Fünftel (19,4 %) der Verfahren betroffen. Kinder im Grundschulalter (6 bis 9 Jahre) waren mit 22,7 % beteiligt. Mit zunehmendem Alter nehmen die Gefährdungseinschätzungen ab: Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren hatten einen Anteil von 18,7 % an den Verfahren, Jugendliche (14 bis 17 Jahre) nur noch von 16,0 %.

Am häufigsten machten Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft das Jugendamt auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufmerksam, und zwar bei 22,1 % der Verfahren. Bei 12,9 % kamen die Hinweise von Schulen oder Kindertageseinrichtungen, bei 11,6 % waren es Bekannte oder Nachbarn. Gut jeden zehnten Hinweis (10,4 %) erhielten die Jugendämter anonym.

Quelle: Pressemitteilungen – 2016: Anstieg der Verfahren zur Kindeswohlgefährdung um 5,7 % – Statistisches Bundesamt (Destatis)

30. September 2017
von Tom Levold
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Jürgen Kriz erhält Egnér-Preis 2019

Der Psychologe Prof. em. Dr. Jürgen Kriz von der Universität Osnabrück erhält den Egnér-Preis 2019. Bei der Auszeichnung handelt es sich um einen der höchst dotierten Wissenschaftspreise in der Schweiz; vergeben wird er vom Stiftungsrat der „Dr. Margrit Egnér-Stiftung“. Der Preis wird verliehen an Personen, die sich durch ihr Lebenswerk „auf dem Gebiet der anthropologischen und humanistischen Psychologie unter Einschluss der entsprechenden Richtungen der Philosophie und Medizin“ besondere Verdienste im Sinne des Stiftungsgedankens erworben haben. Zusammen mit Prof. Kriz wird der Egnér-Preis 2019 an die beiden Mediziner Prof. Dr. med. et phil. Gerhard Danzer (Charité Berlin) und Prof. Dr. med. Horst Haltenhof (MHH Hannover/Klinikum Plauen) verliehen. Die öffentliche Preisverleihung findet Ende 2019 in der Aula der Universität Zürich statt.

Mit vielfältigen wissenschaftlichen Forschungsgebieten konnte Kriz sich international einen Namen machen. So hat der Wissenschaftler Bücher über die verschiedenen Psychotherapierichtungen veröffentlicht, aber auch über Statistik, Forschungsmethoden, Datenverarbeitung oder Wissenschaftstheorie. Mit seinem Ansatz, der „Personzentrierten Systemtheorie“, hat er als wissenschaftlicher Autor, Herausgeber, Referent und Organisator von Konferenzen einen großen Beitrag geleistet. Damit trug er vor allem in den Anwendungsbereichen der Klinischen Psychologie und der Psychotherapie zum Antrieb wissenschaftlicher Prozesse bei.

Kriz, 1944 in Ehrhorn/Soltau geboren, studierte Psychologie, Pädagogik und Philosophie sowie Astronomie und Astrophysik in Hamburg und Wien. In seiner 1969 erschienenen Dissertation befasste er sich mit der Entscheidungstheorie. In den folgenden Jahren war Kriz unter anderem in Wien, Hamburg und Bielefeld tätig, wo er 1972 mit nur 27 Jahren eine Professur für Statistik an der Fakultät für Soziologie erhielt. Bereits 1974 folgte er dem Ruf auf einen Lehrstuhl für »Empirische Sozialforschung, Statistik und Wissenschaftstheorie« an die Universität Osnabrück. 1980 wechselte er in den seinerzeit neugegründeten Fachbereich Psychologie, und lehrte seit diesem Zeitpunkt Psychotherapie und Klinische Psychologie bis zu seiner Emeritierung 2010. Darüber hinaus war der international renommierte Wissenschaftler auch als Psychologischer Psychotherapeut tätig. In dieser Eigenschaft war er von 2000 bis 2010 zudem Delegierter in der Niedersächsischen Psychotherapeutenkammer. Zwischen 2005 bis 2009 gehörte er dem »Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie« an – einem Gremium aus sechs psychologischen und sechs ärztlichen Professoren, das in Berlin die Weichen für die Psychotherapie in der Bundesrepublik stellt. Gastprofessuren hatte Kriz in Berlin, Wien, Zürich, Riga, Moskau und den USA inne.

Neben zahlreichen Ehrenmitgliedschaften psychotherapeutischer Fachverbände erhielt Kriz bereits einige weitere Auszeichnungen, unter anderem 2004 den Viktor-Frankl-Preis der Stadt Wien für das Lebenswerk in Humanistischer Psychotherapie, 2014 den AGHPT-Award der „Arbeitsgemeinschaft humanistische Psychotherapie“ , die 11 Verbände mit rund 10.000 Mitgliedern vertritt, sowie den 2016 Ehrenpreis der „Gesellschaft für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung“. (Pressemitteilung der Universität Osnabrück v. 19.9.2017, Foto: Universität Osnabrück)

28. September 2017
von Tom Levold
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Kurt Buchinger (27.11.1943-23.9.2017)

Am vergangenen Samstag ist Kurt Buchinger in Wien gestorben. Nach einem Studium der Philosophie und Psychologie an der Universität Wien und einer psychoanalytischen Ausbildung war er von 1973 bis 1993 Mitarbeiter an der Klinik für Tiefenpsychologie und Psychotherapie der Universität Wien, wo er ab 1989 eine Professur hatte. Schon früh interessierte er sich für das Thema Organisation, seine Habilitation 1982 hatte den Titel „Von der Psychotherapie zur Organisationsberatung“, die Hinwendung zum systemischen Ansatz lag nahe. Schon früh hat er sich im Bereich der systemischen Supervision und Organisationsberatung einen Namen gemacht. Von 1994 bis 2004 hatte er eine Professur für Theorie und Methodik der Supervision an der Universität Kassel inne. Neben seiner Lehr- und Beratungstätigkeit publizierte er wichtige Texte und Monografien zum Thema Supervision, Organisation, Management und Führung, eines seiner letzten Werke war „Das Odysseusprinzip – Teamleadership“, das er gemeinsam mit Herbert Schober verfasste. Nachdem ich ihn 1988 als Gastherausgeber eines Themenheftes der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung für einen Beitrag gewinnen konnte, habe ich ihn immer wieder auf Tagungen und in anderen professionellen Kontexten erlebt und als eine Person mit einer großen Ausstrahlung, Charme und natürlicher Autorität. 2005 erkrankte Buchinger an einem Prostatakarzinom, das zunächst als geheilt galt, aber eigentlich den Auftakt zu einer langwierigen und sowohl schmerzhaften als auch teilweise glückserfüllten Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und Tod darstellte, an der er nicht nur seine Familie und Freunde, sondern auch eine größere Öffentlichkeit teilhaben ließ. Seine Texte, die auch im systemagazin erschienen sind, zeigen uns auf eindringliche Weise, dass Freude, Lernen und Glück nicht mit den Zeiten körperlichen Leidens beendet sind. Einige seiner Texte können Sie hier finden. Ich bin für die Begegnung mit Kurt Buchinger gerade auch über diese persönlichen Erfahrungen sehr dankbar und traurig, dass er von uns gegangen ist. Die Erinnerung an eine besondere Persönlichkeit wird überdauern.

18. September 2017
von Tom Levold
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Standpunkte zu „Aus- und Weiterbildung in Beratung“

Frisch aus der Druckerpresse kommt das dritte Heft des Kontext-Jahrgangs, diesmal von Gastherausgeber Dirk Rohr gestaltet, der als Akademischer Direktor Leiter des Arbeitsbereiches Beratungsforschung, des Zentrums für Hochschuldidaktik (ZHD) sowie Fakultätsgeschäftsführer der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln arbeitet. Darüber hinaus ist er seit 2016 im wissenschaftlichen Beirat der »Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB)«, im Geschäftsführenden Vorstand der DGfB und als Sprecher der Fachgruppe Beratung in der DGSF tätig. Da liegt es nahe, ein Themenheft zum Thema „Aus- und Weiterbildung in Beratung“ zu gestalten, und Dirk Rohr hat hierzu eine illustre Gruppe von AutorInnen gewinnen können, zu denen Renate Zwicker-Pelzer, Jürgen Kriz, Rolf Arnold, Bernd Schmid und Marc Weinhardt gehören. Im Editorial schreibt Rohr: „

Ich habe es als meine Aufgabe verstanden, »eine Bühne zu bereiten« und durch die Auswahl der Autorinnen und Autoren eine möglichst spannende, aber auch möglichst breite Auseinandersetzung mit der Thematik zusammenzutragen. Mein Anspruch war es, für alle Praktiker/innen – also auch alle Therapeut/innen, Coaches, Supervisor/innen etc. – eine KONTEXT zu erzeugen, die neugierig macht, die Fragen aufwirft und zur (Selbst-)Reflexion einlädt. Wie habe ich gelernt zu beraten? Was hat gegebenenfalls gefehlt? Was macht mich neugierig? Wie bilde ich mich weiter? Wie sollten zukünftige Berater/innen ausgebildet sein beziehungsweise werden? Was kann ich zu einer Weiterentwicklung von Beratung beitragen? Wo ist in  der Weiterbildung – aber auch in der Praxis – der Unterschied zwischen Therapie, Coaching, Supervision und Beratung beziehungsweise wo ist oder wäre ein Unterschied wichtig? Denn: Gibt es in den vielfältigen Kontexten Systemischer Praxis z. B. einen Unterschied zwischen Beratung und Therapie, dann müsste sich dieser in Aus- und Weiterbildung widerspiegeln. Selbst »die« Systemische Therapie unterteilt sich ganz aktuell in Ausbildungen, die zur Approbation führen (neu) und den »herkömmlichen«; … mit offenem Ausgang, wie sich dies mittelfristig in Anmeldezahlen und (damit) langfristig in der Praxis niederschlägt.“ Neugierig geworden? Alle bibliografischen Angaben sowie abstracts des aktuellen Heftes finden Sie hier…

13. September 2017
von Tom Levold
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OSC 2017

Mit dem zweiten Heft des Jahrganges 2017 hat Heidi Möller die Herausgeberschaft für die Zeitschrift Organisationsberatung Supervision Coaching von Astrid Schreyögg übernommen, die die OSC seit 1994 (!) ununterbrochen herausgegeben hat. In ihrem Editorial von Heft 2 gibt Heidi Möller neben einer Würdigung von Schreyöggs enormer publizistischer Leistung einen Ausblick auf die zukünftige Ausrichtung der Zeitschrift: „Die OSC soll nun weiterhin vor allem die Brücke zwischen Grundlagenwissenschaft und angewandter Wissenschaft hin zu einer professionellen Praxis schlagen. Neben einem Schwerpunktthema bietet der offene Teil eines Heftes Raum für konzeptionelle Überlegungen, innovative Praxisberichte, neue Beratungsmethoden und feldspezifische Interventionen. Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen sind gleichermaßen eingeladen, Forschungsergebnisse, Case Studies und Erfahrungsberichte per E-Mail an die Redaktion zu schicken. Auf diese Weise wird der qualitativ hochwertige Diskurs in der Beratungswissenschaft weiter gefördert und kann die prominente Rolle, die den unterschiedlichen Beratungsformaten als Antworten auf die Herausforderungen moderner Arbeitswelten zukommt, sichtbarer werden.“ Ausdrücklich ist es auch Wunsch der Herausgeberin, die systemische Perspektive in der Zeitschrift zu stärken, eine Einladung, die ich hier sehr gerne an die Leserschaft des systemagazin weiterleite.

Das aktuelle Heft hat übrigens den Themenschwerpunkt positive Psychologie und ihre Bedeutung in der Beratung. Im Zeitschriftenarchiv des systemagazin finden Sie nun die vollständigen bibliografischen Angaben aller Artikel und Rezensionen der Zeitschrift von 2003 bis 2017, zum aktuellen Jahrgang kommen Sie hier…

1. September 2017
von Tom Levold
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Wenn die Liebe nicht mehr jung ist

Mit der Frage, warum viele langjährige Partnerschaften zerbrechen und andere nicht, beschäftigt sich die schweizerische Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello in ihrem neuen Buch „Wenn die Liebe nicht mehr jung ist“. Jochen Leucht, Leiter des Freiburger Tandem-Institutes hat das Buch für systemagazin gelesen. Am 22.1. wird im Tandem-Institut übrigens ein DGSF-Fachtag mit Pasqualina Perrig-Chiello stattfinden, nähere Informationen gibt es hier.

Jochen Leucht, Freiburg:

Die Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello hat über einen Zeitraum von sechs Jahren 2000 Personen in der Schweiz zu ihrer Partnerschaft befragt: 1000 spät geschiedene und 1000 verheiratete Paare. Die Ergebnisse ihrer Studie über Beziehungen im Allgemeinen und Ehen im Besonderen sind im Juni 2017 in dem Buch „Wenn die Liebe nicht mehr jung ist: Warum viele langjährige Partnerschaften zerbrechen und andere nicht“ erschienen. Lesen sollten das Buch vor allem Männer – sie werden in langjährigen Ehen vorzugsweise von ihren Frauen verlassen. Und Obacht: Scheidungen sind ansteckend!

Die Schweizer Sonntagzeitung schreibt zu dem Buch: „Es ist ein grossartiges, erfrischendes, verblüffendes Buch über Beziehungen, das sich trotz seiner Wissenschaftlichkeit so süffig und leicht liest wie selten ein Sachbuch“.

Pasqualina Perrig-Chiello betritt mit ihrer Studie Neuland. Im Buch finden sich zwar Themen, über welche schon oft und viel geschrieben und geforscht wurde: über Liebesglück und Liebesschmerz; darüber, was partnerschaftlichen Stress ausmacht und wie man ihn überwindet. Auch über die Auswirkungen einer Scheidung auf die Betroffenen wissen wir einiges. Jedoch widmen sich all die wissenschaftlichen Abhandlungen und Ratgeber einer alterslosen Zielgruppe. Der demografische Wandel und der Umstand, dass die Menschen in unseren Breitengraden immer älter werden, führen dazu, dass Partnerschaften heutzutage sechs oder sieben Jahrzehnte andauern können. Die zunehmende Scheidungsrate der lang miteinander verheirateten Paare gibt Hinweise darauf, dass für diese Gruppe die Herausforderungen einfach zu groß werden. Wie kommt es, dass immer mehr Paare nach 20, 30 Jahren Ehe auseinandergehen? Wie überwinden sie den Trennungsschmerz? Gibt es unterschiedliche Muster bei Frauen und Männern? Gibt es ein Rezept für die andauernde Ehe, auch nach 30 Ehejahren? Frau Perrig-Chiello hat sich genau mit diesen Fragen auseinandergesetzt.

 


Im ersten Teil des Buches wird anschaulich beschrieben, wie sich die Ehe als gesellschaftlich normierte Institution im Laufe der Zeit zu einer individuell gestaltbaren Privatangelegenheit verändert hat. Trotz alledem wird der Ehe gestern wie heute eine existenzielle Wichtigkeit zugeschrieben. Gedanken über Ideal und Realität der Liebesehe münden in die Frage: Was ist die Liebe eigentlich? Und hier folgen anregende und spannende Passagen über die Liebe an sich und wie diese zu verstehen und zu fassen ist – oder eben auch nicht. Liebe ist nicht generalisier- und objektivierbar und trotz aller theoretischen Modelle und Forschungsergebnisse rund um das Thema partnerschaftliche Liebe bleibt ein Teil von Unerklärlichem. Das vorliegende Wissen allerdings hilft zu verstehen, wie sich Liebe im Verlauf einer langjährigen Ehe wandelt und neue Formen annehmen kann, wie sie langsam stirbt oder sich gar in Hass zu verwandeln mag.

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