Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung wie keine andere Zeitschrift aus dem systemischen Feld mit dem Thema Kultur und Migration, zu dem Herausgeberin Cornelia Tsirigotis mitterweile das fünfte (!) Themenheft in vier Jahren herausgibt – dieses Mal mit einer Widmung für Cornelia Oestereich, die in diesem Jahr 65 Jahre alt geworden ist und sich als Ärztin und Klinikchefin seit langer Zeit in besonderer Weise mit diesem Thema beschäftigt. In ihrem Editorial schreibt Tsirigotis dazu: „Jedesmal, wenn das Editorial für das jährliche ZSTB-Themenheft, ,Kultur und Migration’ ansteht, scheint mir die Welt im Vergleich zum Vorjahr noch mehr aus den Fugen geraten zu sein. Die öffentlichen Debatten verschärft, die sozialen Lagen angespannter, die Herausforderungen größer – im Feld der psychosozialen Hilfen wird mehr gespart und mehr gekämpft, vom Überleben bis zu sinnvollen Angeboten für die, die nichts (mehr) oder nur noch wenig haben. Manche werden wieder kämpferischer, manche brauchen angesichts der Herausforderungen des beruflichen Alltags all ihre Kraft, um ihre Resilienz als psychosoziale Helferinnen zusammenzukratzen. ,Als BürgerInnen sollten wir uns daran erinnern, dass entscheidende Veränderungen unseres kulturellen und gesellschaftspolitischen Wertegefüges nicht durch Positionen der Neutralität und der Allparteilichkeit und nicht in leisen, freundlichen gesellschaftlichen Debatten erreicht wurden“ (Oestereich 2017, S. 67). In diesem Zusammenhang erinnere ich an den Beitrag von Cornelia Oestereich im letzten Heft, das ja ein Diskussionsheft zu der Frage war, zu welchen Werten wir als SystemikerInnen einstehen wollen. Der Inhalt des Beitrags hätte auch in dieses Heft gepasst. Cornelia Oestereich ruft ,dazu auf, eine Haltung der Neugier und des Respekts offensiv zu pflegen. Uns sollte interessieren, auf welchen sozialen Konstruktionen die ,Inneren Landkarten‘ der Werte und Bedeutungen, zu denen auch Weltanschauungen und Religionen gehören, basieren, nach denen Menschen und Gemeinschaften durch ihr Leben reisen und Gemeinwesen bilden. Dies gilt für MitbürgerInnen, deren politische Einstellung und Bewertungen wir nicht teilen ebenso wie für Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, ebenso wie für BürgerInnen anderer Staaten und Kulturen, denen wir bei der Arbeit oder auf Reisen begegnen“ (S. 70). Ihre Einschätzung erscheint mir eine zukunftsweisende Aufgabenbeschreibung: „Als SystemikerInnen nutzen wir den Blick aus der Metaperspektive auf gesellschaftliche ebenso wie politische wie sozio-ökonomische Entwicklungen, um eine Haltung der empathischen, engagierten Neutralität ein nehmen zu können. Als Bürgerin und als Individuum halte ich Bewertungen auf der Grundlage der oben beschriebenen Grundsätze gleichwohl für notwendig. Es geht auch um Wertschätzung von Meinungsvielfalt, Diskursfreiheit und Meinungsfreiheit sowie um deren Erhalt.“ (S. 71). Dass Cornelia Oestereich, während dieses Editorial geschrieben wurde, ihren 65. Geburtstag gefeiert hat, ist für mich ein wunderbarer Anlass, ihr zu gratulieren und ihr für ihre vielfältige Vorreiterinnenarbeit für Patientinnen und Klientinnen mit Migrationsbiografien dieses Heft zu widmen.“
Im Heft selbst erwarten Sie Beiträge von Kübra Adigüzel-Gautam, Johanna Katharina Reichel & Ingo Spitczok von Brisinski über Herausforderungen und Fallstricke in der Arbeit mit Kindern und vor allem Jugendlichen mit Fluchtbiografien in der Kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik, von Cornelia Tsirigotis über die Frage, ob Migration und Behinderung doppelte Belastungen für Familien darstellen, von Andrea Hendrich über Kinder mit traumatischen Erfahrungen im Kindergarten sowie von Agnes Justen-Horsten über die Beratung von Deutschen, die in unterschiedlichen Kontexten im Ausland arbeiten. Darüberhinaus wie immer: Rezensionen, Berichte und eine Würdigung. Alle bibliografischen Angaben sowie abstracts wie immer hier…