systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

13. Juli 2022
von Tom Levold
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Familienbilder

Eine bunte Mischung verschiedenster Texte macht die aktuelle Ausgabe der Familiendynamik aus, die von den Herausgebern unter das Leitmotiv „Familienbilder“ gestellt werden. „Welche Bilder von Familie haben wir im Kopf? Welche Dynamiken können durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Familienkonzepte ausgelöst werden? Und wie bilden sich Familiendynamiken zeichnerisch ab? Das Thema Familienbilder hat viele Facetten, einige von ihnen sollen in diesem Heft näher beleuchtet werden“, heißt es im Editorial. Darüber hinaus ist noch ein Artikel über die methodische Entwicklung des Therapie-Prozessbogens (TPB) von der Schiepek-Gruppe zu finden sowie ein (zum derzeitigen Schuljahresabschluss passender) Text von Stefan Jooß, der einen Blick auf die Not mit den Noten in der Schule wirft.

Alle bibliografischen Angaben und abstracts finden Sie hier…

9. Juli 2022
von Tom Levold
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Narrative Beratung – Organisationsgeschichten

Unter diesem Motto steht das aktuelle Heft der OSC, betreut von Arist von Schlippe und Christoph Schmidt-Lellek. In ihrem Editorial stellen sie die themenbezogenen Beiträge folgendermaßen vor: „[Wir haben versucht, den] Facettenreichtum des Umgangs mit Erzählungen einzufangen. Der Fokus liegt dabei auf der Bedeutung von Narrationen und Narrativen in Organisationen und Unternehmen. Welche Möglichkeiten und Formen des Umgangs damit gibt es in der Organisationsberatung und im Coaching?
Im ersten Beitrag von Doris Gruber werden Ansätze aus Erzähltheorie, Text- und Diskursanalyse in einen Zusammenhang mit Beratungsprozessen gebracht. Mit der Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenebenen in Texten und in Erzählungen oder mit der Vorstellung eines Mainstream-Diskurses, der seine Ränder unterdrückt, können z. B. verborgene Machtstrukturen erfasst werden, durch die die Kultur einer Organisation geprägt ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine Erzählung vom jeweiligen Berater bzw. Coach gehört und verarbeitet wird: Christine Erlach und Michael Müller präsentieren die Grundlagen ihres Ansatzes zum „Storylistening“ und beschreiben wichtige Storylistening-Methoden für Change, Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch in der Organisationsentwicklung. Anschließend behandelt Ulrich Gehmann die weltanschaulichen Grundlagen des Managements, die „mythische Natur“ der Machbarkeit, die vielen Managementansätzen unterliegt. „Management“ ist kein nur rationaler, auf Funktionalität hin orientierter Vorgang, vielmehr beruht er auf Mythen, die eben dadurch wirksam sind, dass man an sie glaubt. In einem Praxisbericht stellt Mirko Zwack anhand eines Fallbeispiels narratives Arbeiten im Einzelsetting mit der Zeitlinie vor. Insbesondere die Rolle emotionaler Aktivierung zur Veränderung des handlungsleitenden Narrativs und die Möglichkeit, diese beim Wandern durch die imaginierte Zeit im Raum zu fördern, werden so deutlich. Auch die Filmanalyse von Bernd Klose lässt sich unserem Themenschwerpunkt zuordnen: Anhand des Films „Rosen für den Staatsanwalt“ von 1959 wird die transgenerationale Weitergabe von machtvollen Narrativen, in diesem Fall die Naziideologie, verdeutlicht; diese blieb im Alltagsleben untergründig wirksam, obwohl – oder gerade weil – sie weitgehend verleugnet worden ist. Mit Überlegungen zur Weitergabe von unbewältigten Introjekten zeigt sich die Aktualität dieses 63 Jahre alten Films.“

Desweiteren gibt es noch Beiträge zum Stellenwert von Selbstführung und Selbstfürsorge im Coaching, ein Artikel zum Weinen im Coaching, der auch als Open Access Text frei verfügbar ist, sowie eine Untersuchung über Kreativdirektoren in Werbeagenturen als Coaching-Zielgruppe. Zwei Rezensionen runden das Heft ab, dessen bibliografischen Informationen nebst abstracts Sie hier finden können.

8. Juli 2022
von Tom Levold
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Seit Einführung der “Ehe für alle” wurden 65 600 gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen

WIESBADEN – Seit Einführung der „Ehe für alle” im Jahr 2017 wurden 65 600 Ehen zwischen Menschen gleichen Geschlechts geschlossen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, gab es bis Ende 2021 gut 32 300 Eheschließungen zwischen zwei Männern und knapp 33 300 Ehen zwischen zwei Frauen. Vor fünf Jahren, am 30. Juni 2017, stimmte der Deutsche Bundestag einem Gesetzentwurf zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts zu. Das Gesetz trat dann am 1. Oktober 2017 in Kraft. Zuvor hatten gleichgeschlechtlichen Paare die Möglichkeit zur Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Ein Teil dieser eingetragenen Lebenspartnerschaften wurde seitdem in Ehen umgewandelt. Ohne Umwandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften waren es bis Ende 2021 insgesamt 36 800 gleichgeschlechtliche Eheschließungen.

Zahl der gleichgeschlechtlichen Eheschließungen geht zurück 

Allein im Jahr 2021 wurden in ganz Deutschland 8 700 Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts geschlossen – 12,4 % weniger als 2020, als es gut 9 900 gleichgeschlechtliche Eheschließungen gab. Ohne Umwandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften in Ehen waren es knapp 7 800 gleichgeschlechtliche Eheschließungen im Jahr 2021, das waren 7,3 % weniger als 2020 (8 400). Der Rückgang fiel damit stärker aus als bei Eheschließungen zwischen Männern und Frauen: Deren Zahl ging um 3,9 % zurück von 363 400 im Jahr 2020 auf 349 100 im vergangenen Jahr. 

Gleichgeschlechtliche Ehen werden häufiger von Frauen geschlossen 

2021 wurden knapp 4 100 Ehen zwischen Männern geschlossen, 4 600 Ehen zwischen Frauen. Der Frauenanteil hat über die Jahre zugenommen: 2017 wurden 45 % der gleichgeschlechtlichen Ehen zwischen Frauen geschlossen, 2021 waren es 53 %. 

(Quelle: destatis.de)

7. Juli 2022
von Tom Levold
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Resonanz auf das Virus. Die Corona-Pandemie als die Pandemie einer kommunikationsbasierten Weltgesellschaft

Schon im Mai 2021 hat der Soziologe und Systemtheoretiker Rudolf Stichweh im Rahmen einer digitalen Ringvorlesung der Kieler Universität zum Thema der Coronavirus-Pandemie und ihren Folgen einen Vortrag gehalten, in dem er die Auswirkungen der Pandemie auf die Weltgesellschaft als Kommunikationszusammenhang und ihren Funktionssystemen untersuchte. Die Schriftfassung, die auf diesen Vortrag folgte, ist auch auf academia.edu bzw. bei researchgate.net zu finden. In seiner Einleitung schreibt er: „Zum Titel: ,Resonanz auf das Virus’ ist der erste Teil des Titels. (…) er gefällt mir gut, weil er das trifft, was ich sagen möchte: Resonanz ist eine Beziehung zwischen zwei Systemen. Die Schwingungen des einen Systems lösen Schwingungen im anderen System aus. Wichtig ist beim ersten System die Diskontinuität dieser Schwingungen. Diese sind periodisch oder verändern sich mit der Zeit. Ich will hier nicht versuchen, zu exakt zu sein, weil es mir eher um eine Metapher als um eine exakte Analogie geht. Die sich in der Zeit verändernden Schwingungen des einen Systems lösen die Schwingungen des anderen Systems aus. Die Schwingungen des ersten Systems können durchaus problematisch, womöglich katastrophal, für das andere System sein. Sie können eine ernsthafte Disturbance (Störung) bedeuten. Genau damit haben wir hier offensichtlich zu tun. Das eine System ist das, was mit dem Virus und der viralen Evolution zu tun hat, und das andere System ist das der Gesellschaft. Und von Resonanz kann hier nicht physikalisch exakt, aber in einer vielleicht instruktiven Metapher die Rede sein. Deswegen passt der Titel gut. Der Untertitel ist eine Erläuterung des Titels und eine Hypothese, für die ich im Folgenden argumentieren möchte. Die These lautet ganz einfach: Die Corona-Pandemie ist die Pandemie einer kommunikationsbasierten Weltgesellschaft. Sie ist wohl zum ersten Mal eine Pandemie, die sich in ihren Strukturen sehr genau an die Strukturen einer kommunikationsbasierten Weltgesellschaft anpasst, diese wiederholt und auch dadurch ihre Brisanz und ihre Wirkungsstärke hat. Für diese These werde ich im Folgenden ein paar Argumente zusammentragen.“

6. Juli 2022
von Tom Levold
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Die Zeitlinie – eine Möglichkeit zur erlebnisintensiven systemischen Therapie mit Einzelklientinnen

Hans Schindler (Foto: B. Schmidt-Keller)

Heute würde Hans Schindler 70 Jahre alt. Am 8. Oktober 2019 starb er ganz plötzlich in seinem Haus in Italien. Arist von Schlippe und Rudolf Klein mit Barbara Schmidt-Keller haben hier im systemagazin von ihm Abschied genommen. In systhema schrieb Wolfgang Loth: „Wer die Entwicklung der Systemischen Therapie in Deutschland verfolgt hat, wird ermessen können, wie heftig die Erschütterung ist, die diese Nachricht auslöst. Hans Schindler hat die Entwicklung der Systemischen Therapie und der systemischen Perspektiven in Deutschland von Beginn an ungemein wirkungsvoll mitgestaltet. Er war einer der politischen Köpfe dieser Bewegung, hat über 15 Jahre in Vorstandsfunktionen Verantwortung getragen (von 1992 bis 1998 im Mitgliederverein des Instituts für Familientherapie e.V. Weinheim und von 1999 bis 2007 in der Systemischen Gesellschaft). Seit Sommer diesen Jahres war er der erste Systemiker, der als Präsident den Vorsitz einer deutschen Psychotherapeutenkammer (Bremen) innehatte. Er war ein unerschrockener, zielstrebiger und zäher politisch denkender Mensch. Er hatte das Gespür für mögliche Entwicklungen. Doch das allein war es nicht. Was dieses Gespür für mich zu etwas Besonderem machte, waren seine zutiefst humanistisch-politisch fundierte Weltsicht und seine großzügige und menschliche Art, im Kontakt zu sein.”

Hans Schindler hat immer wieder auch Texte veröffentlich, die diese Verantwortung reflektiert haben – zu gesellschaftlichen Themen wie Arbeitslosigkeit, Vergangenheitsbewältigung wie auch therapiepolitische Themen. Er war primär ein „Macher“, der Dinge auf den Weg und Menschen zusammen brachte, organisierte und neben der Arbeit den Genuss verstand. Aber auch zu therapeutischen Fragestellungen hat er sich hier und da geäußert. 1995 erschien in der Zeitschrift systhema, zu deren Redaktion er lange gehörte, ein Artikel über die Technik der Zeitlinie (Time-Line), mit der er gerne arbeitete. Er ist hier zu lesen…

5. Juli 2022
von Tom Levold
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Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch (5.7.1942-19.11.2000)

Heute wäre Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch 80 Jahre alt geworden. Sie hat schon in den 1970er Jahren in der familientherapeutischen Szene der Bundesrepublik mitgewirkt, zunächst als Mitarbeiterin von Horst-Eberhard Richter, dann als Gründungsmitglied der Heidelberger Gruppe um Helm Stierlin. Bekannt geworden ist sie durch ihre Co-Autorenschaft des Buches Das erste Familiengespräch bei Klett-Cotta (1976) und später durch ihre gemeinsam mit Andrea Ebbecke-Nohlen herausgegebenes Buch Balanceakte (Carl-Auer-Verlag 1992), in dem erstmals hierzulande die Bedeutung von Geschlechtsrollen in der Familientherapie thematisiert wurde.

Als Therapeutin hat sie 1998 in einem Artikel für den Kontext 1998 zum Thema Qualitätsstandards und therapeutischer Kunst einen schönen Abschnitt geschrieben, den ich hier zu ihrem Andenken gerne wiedergeben möchte:

„In neuerer Zeit ökonomischer Engpässe und gesundheitspolitischen Umdenkens gilt in psychosozialen Kreisen nur derjenige, dessen Verfahren den Qualitätsstandards besonders der Geldgeber (z.B. Krankenkassen, KV) genügen. Der Kampf um die auch hier immer geringer werdenden Ressourcen ist längst eingeläutet und führt zu höchst widersprüchlichen Aussagen. (…) Deutlich wird, daß bei jeder Form der Qualitätssicherung ein Maß an Qualität vom Untersucher definiert werden muß. Was als Erfolg der Therapie gilt, hängt also nicht nur vom individuellen Wohlbefinden der Partner ab. Auch eine Scheidung mit der dazu gehörenden Trennungs- und Trauerarbeit kann für den/die Einzelne/n als Erfolg gelten, wird aber in den seltensten Fällen als Kriterium mit einbezogen. Noch weniger geht aus den statistischen Untersuchungen hervor, inwieweit die Wirksamkeit der Paartherapie von der ,Kunst’ des/der Therapeut/in mitbestimmt ist.
Wodurch zeichnet sich diese therapeutische ,Kunst’ aus? Daß dem Kunstbegriff ein hohes Maß an Können, an spezifischen Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten innewohnt, ist für alle Bereiche der darstellenden und bildenden Kunst unbestritten. Dies gilt auch für die Paartherapie. Hier sind in den je unterschiedlichen Konzeptionen (psychoanalytischen, verhaltenstherapeutischen, systemischen) in den letzten Jahren sehr spezifische Verhaltenskataloge entwickelt worden, so daß diese Verfahren lern- und lehrbar sind. Bestimmte Frage-, Aufgaben- und Interventionsformen, aber auch Hilfstechniken wie etwa Fragebogen, Rollenspiele, Skulpturarbeit, Familienbrett, Trauminterpretationen, Genogrammarbeit oder Familienaufstellungen sind bereits hinlänglich entwickelt und beschrieben worden (…). Aber gutes Können macht noch nicht Kunst aus. Es muß eingebettet und geprägt sein von einer wohlwollend-zugeneigten therapeutischen Haltung. Begriffe wie Allparteilichkeit (BOSZORMENYI-NAGY), Neutralität (REITER-THEIL), Neugier (CECCHIN), Respekt (HARGENS) und interessiertes, selbstreferentielles Beobachten (LUDEWIG) sind zwar notwendige Zutaten, fassen aber meines Erachtens immer noch zu kurz. Dazu kommt eine persönliche Ausstrahlung, geprägt von eigener Lebenserfahrung und Reife, die ein intuitives Maß an Mitschwingen und ,affektiver Bezogenheit’ (WELTER-ENDERLN) ermöglichen. Dieses Schwingen wird gerne mit der Musik verglichen, etwa mit ,dem blinden Tanz zur lautlosen Musik’ (GUNTERN), ,als gemeinsames Improvisieren von Solisten, die durch immer neue Variationen und Modulationen (schließlich) gemeinsam zu einer verbindlichen Melodie (finden)’ (LUDEWIG). Das intuitive, aber auch reflektierte Zusammenwirken der Geschichten des Paares mit der therapeutischen Wahrnehmung dieses ,Paartanzes’ und der Verknüpfung mit dem eigenen Standpunkt kann dann zu einem ebenso wirkungsvollen wie kunst- und ästhetisch genußvollen Ganzen führen, so daß die Worte des alten Römers Falvius auch für die Paartherapie gelten mögen: ,Die gemeinsamen Schritte durchs Leben sind nicht leicht, jeder hört die Musik anders. Aber der gemeinsame Tanz ist wunderbar.’“
(aus: Rücker-Embden-Jonasch, Ingeborg (1998): Am Anfang war das Paar – und dann? Zum Stand der Kunst in der Paartherapie. In: Kontext, 29 (2), S. 129–136).

4. Juli 2022
von Tom Levold
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Systemischer Forschungspreis 2022 von SG und DGSF für Sontje Nordholt

(Berlin/Köln, Juni 2022) Der gemeinsame Forschungspreis 2022 von Systemischer Gesellschaft (SG) und Deutscher Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) wird an Sontje Nordholt verliehen. Sie erhält die Auszeichnung für ihre Forschung über das subjektive Erleben von Selbstorganisationsprozessen bei Patienten mit Depression. Die Systemische Gesellschaft (SG) und die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) haben gemeinsam den Forschungspreis 2022 an Sontje Nordholt vergeben. Der Titel ihrer Masterarbeit lautet „Idiografische Nachzeichnung von Selbstorganisationsprozessen im Therapieverlauf bei Patienten mit Depression“. Sontje Nordholt hat durch die systematische Verknüpfung von quantitativen und qualitativen Therapieprozessdaten Prozesse der Selbstorganisation im Therapieverlauf identifiziert und auf subjektiver Erlebensebene mit Bedeutung angereichert. Die Datengrundlage der Arbeit stellen dabei Selbsteinschätzungen von Patienten mit Depression dar, die in Form von Zeitreihen und Tagebucheinträgen mit dem synergetischen Navigationssystem erhoben worden sind. Mit einem innovativen Mixed-Methods-Design ist es der Autorin gelungen, inhaltsunabhängige Transformationsphasen aus dem Tagebuchmaterial zu extrahieren und mit Phasen der Stabilität und Instabilität in den Zeitreihendaten in Beziehung zu setzen.

Psychotherapieprozessforschung auf Basis komplexer Systeme gewinnt auch über den systemischen Diskurs hinaus an Popularität, da sie eine theoriebasierte, individuenzentrierte Anwendungsforschung ermöglicht. Sontje Nordholt ist es gelungen, dabei die qualitative Perspektive mit einzubeziehen. So konnte sie in ihrer Arbeit einen toten Winkel der quantitativen Betrachtung beleuchten, indem sie den Effekt von Selbstorganisationsprozessen auf der subjektiven Erlebensebene abgebildet hat. Durch den systematischen Einbezug der persönlichen Perspektive von Patient*innen hat Nordholt einen wichtigen Beitrag geleistet, um das Paradigma der Selbstorganisation für den psychotherapeutischen Praxiskontext nutzbar zu machen.
Mit ihrem wissenschaftlichen Forschungspreis verfolgen die systemischen Verbände das Ziel, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, die Weiterentwicklung der Forschungs- und Praxismethoden im Kontext des systemischen Denkens anzuregen und die Bedeutung des systemischen Ansatzes für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen. Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert.
Sontje Nordholt, Psychologin (M.Sc.) und Kognitionswissenschaftlerin (B.Sc.), befindet sich in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin (Sytemische Therapie, IFW) und arbeitet zurzeit in einer psychosomatischen Klinik in Eckenhagen.
(Quelle: u.a. idw.online)

2. Juli 2022
von Tom Levold
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Jochen Schweitzer im Gespräch

Schon am 31.5. hat der Carl-Auer-Verlag ein von Rüdiger Retzlaff geführtes Interview mit Jochen Schweitzer veröffentlicht, das als Audiofassung in der SoundCloud zu hören, aber auf der Verlags-Website auch als Transkript zu lesen ist. In der Einleitung heißt es: „Jochen Schweitzer gehört zu den maßgeblichen Persönlichkeiten in der Entwicklung systemischer Therapie und Beratung der letzten Jahrzehnte, unter anderem als Autor und Herausgeber einflussreicher Bücher und weiterer Publikationen, Organisator der Heidelberger Tagungen zu systemischer Forschung, langjähriger 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Organisator von eigenen Forschungsprojekten, Mitgründer des Helm-Stierlin-Instituts, Professor und Leiter der Abteilung Medizinische Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Im April 2022 trat Jochen Schweitzer in den Ruhestand. Rüdiger Retzlaff lädt Jochen Schweitzer zu einem spannenden Gespräch über erste Erfahrungen mit Familientherapie in Baltimore (USA), seine Zeit am Institut für psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie der Universität Heidelberg, zu einem kritischen Blick auf Konzepte und Praxis– wie die paradoxe Intervention der Mailänder Schule – die Neuausrichtung der Weiterbildungsorganisation am Helm-Stierlin-Institut und die Einschätzung anstehender Entwicklungen im systemischen Feld“.

Das Interview ist hier zu hören und zu lesen…

29. Juni 2022
von Tom Levold
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Gregory Bateson über den Atomkrieg, die Wettrüstung und die Idee der Abschreckung

Vor kurzem habe ich in alten Exemplaren der Zeitschrift für systemische Therapie geblättert und bin auf das Heft 3/1986 gestoßen, in dem es schwerpunktmäßig um das Thema Frieden ging. In den 1980er Jahren erfolgte der NATO-Doppelbeschluss, es war auch das Jahrzehnt der Friedensbewegung. Jürgen Hargens veröffentlichte in dieser Ausgabe drei Briefe von Gregory Bateson, die er an die Verwaltung der kalifornischen Universität schrieb. Als Mitglied des Verwaltungsrates der Universität und eines Sonderforschungsausschusses wendet er sich gegen die Rüstungsforschung, die an der Universität betrieben wurde und begründet in diesen Briefen seinen Austritt aus dem Ausschuss. Die Briefe wurden erstmals im Sommer 1980 im Lomi School Bulletin veröffentlicht und richten sich an den Verwaltungsrat (I), an das VR-Mitglied Vilma S. Martinez (II) und an das VR-Mitglied und Vorsitzender des Sonderforschungsausschusses William A. Wilson (III).

Ich finde die Briefe vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Krieges Russlands gegen die Ukraine und des Konfliktes zwischen der NATO und Russland, der auf dem Boden der Ukraine ausgetragen wird, nachdenkenswert und möchte hier einige Zitate aus den Briefen wiedergeben. Sie betreffen nicht die beteiligten Personen, sondern sind eher allgemeine Überlegungen zur Rüstungsspirale und ihren Folgen.

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28. Juni 2022
von Tom Levold
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Klinische Ethik systemisch betrachtet

Katharina Woellert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Vorstandsbeauftragte für Klinische Ethik am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf. In der Zeitschrift Ethik in der Medizin ist ein aktueller Artikel von ihr mit dem Titel Klinische Ethik systemisch betrachtet – Vom Einfluss systemischer Grundannahmen und Methoden auf die Gestaltung einer effektiven Ethikberatung erschienen, in dem sie die Vorteile, aber auch Probleme einer systemischen Perspektive auf ethische Dilemmata im klinischen Kontext anhand von zwei Fallbeispielen diskutiert und für eine systemische Vorgehensweise plädiert.

Im Abstract heißt es: „Krankenhäuser müssen sich an der ethischen Qualität ihrer Versorgung messen lassen. Es geht dabei um einen Zustand, in dem allgemein anerkannte moralische Normen in der Patient:innenversorgung konsequent berücksichtigt werden. Damit sind zwei Ebenen angesprochen: die der ethisch-normativen Deutung und die der Gestaltung intra- und interpersonaler Prozesse. Die Klinische Ethik ist die Disziplin, die in der Verbindung beider ihre zentrale Aufgabe sieht. Um sie zu erfüllen, muss Ethikarbeit auf der Basis komplexer Kompetenzen erfolgen. Neben fundiertem Ethikwissen ist das Beherrschen von geeigneten Methoden für die Steuerung solcher Prozesse eine unabdingbare Voraussetzung. Dazu aber ist die Studienlage vergleichsweise dünn. Die vorliegende Arbeit greift dieses Desiderat auf und geht dabei von der Hypothese aus, dass die Systemik einen wichtigen Beitrag zu einer im obigen Sinne effektiven Ethikarbeit leisten kann. Die Darstellung gibt einen Einblick in das systemische Denken und diskutiert die Möglichkeiten, die systemisches Handwerkszeug für die Herausforderungen der Klinischen Ethik bereithält. Die Ausführungen laden dazu ein, über den Einfluss systemischer Grundannahmen und Methoden auf die Gestaltung einer effektiven Ethikarbeit nachzudenken. Darüber hinaus ruft dieser Beitrag dazu auf, die Beratungsmethodik als solche mehr in den Fokus zu rücken.“

Der Text ist unter diesem Link im Open Access frei verfügbar.

27. Juni 2022
von Tom Levold
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Fritz B. Simon und Friedrich Glasl über den Ukrainekonflikt

Am 24. Juni 2022 sprachen Friedrich Glasl und Fritz B. Simon in einer Zoom-Sitzung moderiert von Andreas Winheller (Verhandlungsperformance Consulting) und Gesine Otto (Sozialagentur kommstruktiv.de) über ihre Perspektive auf den Konflikt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Vorschläge für eine Konfliktlösung. Während Fritz Simon dafür plädiert, die Ukraine mit allen erforderlichen schweren Waffen zu beliefern, damit den Russen die Idee des Sieges auszutreiben, wendet sich Friedrich Glasl gegen die weitere Eskalation in der Affektlogik, die mit jeder Waffenlieferung verbunden ist und plädiert für deeskalierende Maßnahmen.

Eine spannende Diskussion, die über zwei Stunden dauert, aber – wie Fritz Simon in Abgrenzung zu den Drei-Satz-Statements in den üblichen Talkshows anmerkt – Zeit bietet, um Argumentationen zu entfalten. Das Ansehen lohnt sich also.

23. Juni 2022
von Tom Levold
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Emotionale Sicherheit

Am 6.6. habe ich an dieser Stelle das Buch von Don R. Catherall über Emotionale Sicherheit. Affektive Kommunikation in Paarbeziehung und Paartherapie vorgestellt. Gestern ist auf der Website des Carl-Auer-Verlages ein Interview erschienen, das Matthias Ohler mit mir über dieses Buch geführt hat. Dabei geht es um die Bedeutung der Affekttheorie für das Verständnis von Kommunikation in Beziehungen und sozialen Systemen, um den Unterschied von Affekten, Gefühlen und Emotioen, und vor allem um den häufig übersehenen Affekt der Scham und die Schamemotion, die eine große Rolle bei (nicht nur) Paarkonflikten spielen und auch die professionelle Kommunikation im therapeutischen und beraterischen Setting vielfach beeinflussen.

Zum Podcast, der auch als Transkript gelesen werden kann, geht es hier…