Im Herbst 2014 ist der Gesprächsband „Kommunikation als Lebenskunst“ im Carl-Auer-Verlag erschienen, in dem sich Bernhard Pörksen mit Friedemann Schulz von Thun über dessen professionellen Werdegang und sein Kommunikationsmodell unterhält, und der schon jetzt eine außerordentliche Resonanz in der Öffentlichkeit und den großen Leitmedien erhalten hat. Am 26. September ist im systemagazin bereits eine Rezension von Jürgen Hargens erschienen. Heute kommt eine zweite von Manfred Prior hinzu, der an dem Buch nicht viel „zu meckern“ hat – außer dass es ihm zu kurz ist. Besonders freut ihn, dass der Leser „in einen Sog lebendiger Diskussionen [hineingezogen wird], die von zwei sehr klugen Leuten mit großem Ernst, viel Engagement und Humor geführt werden. Sie lassen den Leser teilhaben an dem Glück, das es bedeutet, mit aller Entschiedenheit das für einen selbst Richtige zu artikulieren und für dessen Annahme zu werben und es zu schätzen, wenn der andere, der Gegenpart, auch ebendiesen Raum dafür bekommt.“
Manfred Prior, Kriftel:
Schulz von Thun begibt sich auf das Glatteis der Lebenskunst, der Lehre vom guten, vom richtigen Leben? Er, der immer anschaulich gemacht hat, warum es die wohlfeilen Rezepte dafür nicht geben, man sie auch nicht aus seinen Modellen heraus oder in sie hineinlesen kann? Kann das gut gehen?
2007 war das letzte Buch von ihm erschienen. In „Miteinander Reden: Fragen und Antworten“ hat er Fragen beantwortet, die immer wieder an ihn herangetragen wurden oder die er sich selbst gestellt hat.
In dem vorliegenden Gesprächsbuch über „Kommunikation als Lebenskunst“, das er zusammen mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen verfasst hat, wird das dialogische Prinzip weitergetrieben, für das Schulz von Thun mit seiner Kommunikationspsychologie steht. Schulz von Thun fragt nicht mehr sich selbst, sondern lässt sich von Pörksen befragen. Pörksens Fragen zielen auf Kernthemen dessen, was Schulz von Thun in seiner Kommunikationspsychologie entwickelt und womit er die Kommunikationskultur in vielen Bereichen geprägt hat. Die klug gestellten Fragen geben Schulz von Thun die Möglichkeit, die Grundzüge seiner Kommunikationspsychologie anschaulich auf den Punkt zu bringen. Dies gelingt ihm mit bildhafter Schärfe, Präzision und Konzentration auf das Wesentliche. Wer das „Vierseitenmodell“, das „innere Team“, Schulz von Thuns Beiträge zur Kommunikationspsychologie für Führungskräfte oder Pädagogen und die anderen Arbeiten Schulz von Thuns kennt, wird vielleicht vermuten, dass da hauptsächlich alter Wein in neue Schläuche gefüllt werde. Der geschilderte Wein kommt einem in der Tat bekannt vor. Aber er ist weiter gereift und – in der vorliegenden Form dargeboten, ist er einfach ein Genuss. Die Art und Weise, wie z. B. das „Wertequadrat“ bildhaft vorgestellt und anschließend immer wieder zur Klärung, als Anleitung zum dialektischen Denken und für die Argumentation genutzt wird, macht aus dem schon sehr guten alten Wein ein Champagnerdinner erster Güte.
Immer wieder kommt auch Neues dazu: Beispielsweise wird das Trainingskonzept aus dem Buch „Verständlichkeit“ um die Dimensionen „Kognitive Empathie“ und „Visualisierung“ zu einem anschaulichen „Haus der Verständlichkeit“ erweitert.
Rein formal ist es zwar so, dass Pörksen den Interviewer gibt und die einzelnen Kapitel mit seinen Fragen beginnen. Aber Pörksens wohlwollend-kritische Fragen sind meist auch pointierte Statements, die aus seiner profunden Kenntnis der Materie heraus und von einem konstruktivistischen Hintergrund ausgehend formuliert sind. Sie bringen Schulz von Thun zunächst dazu, seine eigenen Positionen noch besser zu veranschaulichen. Anschließend fragt er gerne zurück und stellt dabei manche von Pörksen formulierte Thesen, vornehmlich einzelne Paradigmen des Konstruktivismus auf den Prüfstand konkreter Lebenserfahrung. Wenn Pörksen z.B. dagegen plädiert, „die Wirklichkeit erster Ordnung und die Wirklichkeit zweiter Ordnung so scheinbar klar und eindeutig voneinander zu unterscheiden“, so argumentiert Schulz von Thun sehr anschaulich: „Auf der Ebene der Wirklichkeit erster Ordnung lautet die Frage zum Beispiel: ,War der Verdächtige zur fraglichen Zeit am Tatort oder im Ausland?’ Das kann man nicht so oder so sehen, das muss man ermitteln! Auf der Ebene der Wirklichkeit zweiter Ordnung kann jemand konstatieren: ,Ich empfinde mich nicht wirklich als der Vater dieses Kindes.’ Da kann man nur sagen: ,Das klären wir durch einen Vaterschaftstest.’ Und das Faktum biologischer Vaterschaft sollten wir, unabhängig von dem subjektiven Empfinden eines Menschen, nicht vernebeln“ (S. 190).
Ähnlich engagiert, anschaulich und humorvoll relativiert Schulz von Thun die konstruktivistische Thesen vom Verschwinden von Schuld, der Auflösung der Unterscheidung von Täter und Opfer oder die Prämisse, dass die Bedeutung der Botschaft einzig und allein der Empfänger bestimme. Immer wieder wird Schulz von Thun zu demjenigen, der (zurück-)fragt, widerspricht und die Klärung vorantreibt.
So wird der Leser hineingezogen in einen Sog lebendiger Diskussionen, die von zwei sehr klugen Leuten mit großem Ernst, viel Engagement und Humor geführt werden. Sie lassen den Leser teilhaben an dem Glück, das es bedeutet, mit aller Entschiedenheit das für einen selbst Richtige zu artikulieren und für dessen Annahme zu werben und es zu schätzen, wenn der andere, der Gegenpart, auch ebendiesen Raum dafür bekommt. Die Basis für diesen Dialog ist das von Schulz von Thun zitierte dialogische Credo Nietzsches: „Die Wahrheit beginnt zu zweit“. Auf dieser Grundlage wird hier gelingende Kommunikation gleichzeitig praktiziert und gelehrt.
Die Faszination dieses Gesprächs geht auch davon aus, dass vor allem Friedemann Schulz von Thun seine außerordentlich breite Palette kommunikativer Möglichkeiten nutzt. Seine Sprache ist klar und direkt, seine konzentrierten theoretischen Erläuterungen sind unmittelbar verständlich und einleuchtend, seine Argumentation ist mit Alltagserfahrungen und Beispielen aus der „freien Wildbahn des Lebens“ (Schulz von Thun) belegt und gewürzt, meist mit anschaulichen Sprachbildern und Metaphern illustriert. Manche Konzepte sind auch mit grafisch zu Papier gebrachten Bildern visualisiert. Vereinzelt werden Fachbegriffe wie das „Riemann-Thomann-Modell“ in eigenen Rubriken erläutert. Nicht zuletzt macht Schulz von Thuns außerordentliche Fähigkeit, die Dinge drastisch und konzentriert auf den Punkt zu bringen, die Lektüre immer wieder zu einem mitunter geradezu atemberaubenden Abenteuer. Wohl dosiert greift Schulz von Thun auch zu poetischen Mitteln, veranschaulicht mit Gedichten, Aphorismen, eingängigen Reimen, Zitaten und Lebensweisheiten. Hier eine kleine Auswahl:
- „Ohne deine Außenseiter kommst du garantiert nicht weiter.“
- „Was ich an mir nicht leiden kann, häng ich einem andern an.“
- „Sage mir, was du anderen predigst – und ich sage dir, womit du dich schwertust im Leben.“
- „Wer sich gehört und verstanden fühlt, muss sich nicht mehr unerhört benehmen.“
- „A + K = E, sprich Akzeptanz und Konfrontation fördert Entwicklung.“
- „Ich bin der einzige Mensch von dem ich mich nicht trennen kann, zeitlebens.“ (Hannah Arendt)
- „Es ist nicht meine Aufgabe, das objektiv Beste zu geben, sondern das Meinige so rein und aufrichtig wie möglich“ (H. Hesse)
Der Leser profitiert davon, dass die Autoren in einem gemeinsamen Verdichtungsprozess das Buch von über 600 Seiten Dialogprotokoll auf 200 Seiten konzentriert und Quintessenzen herausgearbeitet haben. Auf dem Hintergrund der ausufernden pädagogischen Diskussion um Regeln und Autorität in der Kindererziehung haben die drei sehr schlagenden Argumente etwas sehr erfrischendes, mit denen Schulz von Thun im Gespräch mit Pörksen plädiert für die „Verbindung von Autorität und Partnerschaftlichkeit, die je nach Alter des Kindes eine sich wandelnde Gestalt annehmen muss.“
Aber wie halten es Schulz von Thun und Pörksen nun mit den „letzten Fragen“, die in diesem Buch am Ende auch gestellt werden, den Fragen zum Lebensglück oder dem Ende der Kommunikation durch Krankheit, Gebrechen und Tod? Ich verrate nur so viel: es ist außerordentlich spannend und inspirierend, an dem sich dazu zwischen den beiden Autoren entwickelnden Diskurs teilhaben zu dürfen. Er ist gleichzeitig sehr ernst und sehr heiter und erinnert daran, wie Milton H. Erickson gerne reagiert hat, wenn er gefragt wurde, was er über den Tod dächte und ob es „ein Leben danach“ gäbe. Er pflegte dann zunächst zu sagen: „Ach weißt Du, sterben ist wirklich das letzte, was ich machen werde… “
Was es zu meckern gibt? Dass das Buch nach nur ca. 200 Seiten zu Ende ist.
Eine weitere Rezension in der Zeit von Tina Groll
Und hier noch eine von Karl-Heinz List für mwonline.de
Und noch eine von Marcus Mockler für die Berliner Morgenpost
Hier gibt es das Nachwort von Friedemann Schulz von Thun als Leseprobe: Auf der Suche nach Stimmigkeit in Kommunikation und Leben
Auf der Verlagsseite gibt es dazu auch noch zwei Videos von Gesprächen der Autoren
Bernhard Pörksen & Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens
Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2014
217 Seiten, 25 Abb., Gb/SU
Preis: 24,95 €
ISBN 978-3-8497-0049-2
Verlagsinformation:
Warum funktionieren Kommunikationsrezepte nie? Was bedeutet Schweigen? Mit wie vielen Ohren hören wir zu? Warum sind Missverständnisse normal? Wie übt man Kritik, ohne den anderen zu verletzen? Ist das Miteinander-Reden eine Lebenskunst?
Dies ist ein Buch über die großen und kleinen Fragen der Kommunikation, ein Dialog zwischen dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun und dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.
Gleichermaßen humorvoll und ernst, mit Lust an der Debatte und der erhellenden Zuspitzung entfalten die Autoren die zentralen Modelle der Kommunikationspsychologie (das Kommunikations- und Wertequadrat, die Metapher vom Teufelskreis und das Bild vom inneren Team, das Situationsmodell und das Ideal der Stimmigkeit) und zeigen, wie sich humanistische Psychologie und systemisches Denken, die Betrachtung innerer und äußerer Kräfte felder produktiv verbinden lassen. Überdies wird deutlich, wie sich die verschiedenen Modelle und Perspektiven in der Praxis (Coaching, Pädagogik, interkulturelle Kommunikation) bewähren.
Den Schluss des Buches bildet ein Gespräch über das Glück und den Tod und die Frage, was Kommunikation im Angesicht der eigenen Endlichkeit zu leisten vermag. Offenbar wird so das Panorama eines Denkens, das keine Fertig-Rezepte der besseren Lebensführung bietet, wohl aber Reflexionswerkzeuge und gedankliche Geländer für individuell stimmige Lösungen.
Über die Autoren:
Bernhard Pörksen, Prof. Dr., ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er analysiert die Inszenierungsstile in Politik und Medien und beschäftigt sich – forschend, lehrend, beratend – mit der Macht digitaler Öffentlichkeit und der Zukunft der Reputation. Er veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zum konstruktivistischen und systemischen Denken, u. a. die Bücher „Vom Sein zum Tun“ (3. Aufl. 2014, zus. mit Humberto Maturana) und „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ (zus. mit Heinz von Foerster, 10. Aufl. 2013), die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Im Jahre 2008 wurde Bernhard Pörksen zum „Professor des Jahres“ gewählt und für seine Lehrtätigkeit ausgezeichnet. Zu seiner website
Friedemann Schulz von Thun, Prof. Dr. Dr. h. c., war von 1975 bis 2009 Professor für Psychologie an der Universität Hamburg (Schwerpunkt: Kommunikation, Beratung und Training). Bekannt wurde er durch die Trilogie „Miteinander reden“, das Standardwerk in Schule und Beruf. Seit 2007 leitet er das Schulz von Thun-Institut für Kommunikation (Weiterbildungen und Coaching). Er ist Ehrendoktor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität St. Gallen und als Berater und Trainer sowie Herausgeber der Reihe „Miteinander reden – Praxis“ tätig. Seine Bücher sind Bestseller und gehören zu den meistgelesenen Werken der Psychologie. zu seiner website