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Als ich einmal fremd war und auf den Hund kam

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Heute öffnet Dörte Foertsch das Adventskalendertürchen und macht darauf aufmerksam, dass interkulturelle Verständnis nicht nur zwischen Europa und Papua-Neuguinea vonnöten sein kann, sondern auch, wenn mal als Berlinerin in die Uckermack zieht:

Das Thema interkultureller Begegnung und Erfahrung taucht oft in einem Zusammenhang auf, wenn Menschen verschiedener Nationalität und Sprache zusammen leben. In diesem Sinne über Kultur und Interkulturalität zu reden berücksichtigt manchmal wenig, daß es diverse Kulturen und Sprachen verschiedenster Art auch im eigenen Land geben kann. Menschen sprechen die gleiche Sprache und verstehen sich dennoch nicht, bleiben sich fremd oder erleben sich als feindselig und bedrohlich. Der Mensch aus Papua Neu-Guinea lädt manchmal mehr dazu ein, neugierig auf seine Kultur zu werden und ihn über seine Geschichte auszufragen als mein Nachbar in der Uckermark. Jetzt erreiche ich mit dem Wort Uckermark hoffentlich einiges Erstaunen, Fragen danach, wo das wohl sein könnte oder auch ein wohliges„das habe ich schon mal gehört” oder gar„da war ich auch schon einmal“.
Die Uckermark ist eine Landschaft nördlich von Berlin in Brandenburg mit dem Naturschutzreservat Schorfheide. Es ist dort hügelig, es gibt Wälder und viele Seen, Landwirtschaft und wenig Arbeitsplätze.
Seit 1990 hat unsere Familie dort ein Haus in einem kleinen Dorf mit insgesamt 70 Häusern, einer alten Feldsteinkirche aus dem 12. Jahrhundert, einem Gutshaus, das bis Ende der achtziger Jahre als Kinderheim betrieben wurde. Es gibt dort keine Kneipe und kein Lebensmittelgeschäft, nur einen Briefkasten und Zigarettenautomaten.
Die Häuser dort sind als Siedlerhäuser nach 1945 aus den alten Gutsgebäuden von Flüchtlingen, heute würde man von Migranten sprechen, aus dem Osten erbaut worden. Die Grundstücke sind alle gleich groß, die Menschen hatten ein wenig zum Bewirtschaften und Tiere, unser Haus hatte eine kleine Wohnung mit Küche und zwei Schlafräumen, einen Stall nach hinten raus und im Dach einen Heuboden. Es gab ein Plumpsklo hinterm Haus und lediglich kaltes Wasser. Mit der Bodenreform in der ehemaligen DDR fingen viele Menschen dort an, in den LPGs zu arbeiten, nach der Wende wurden die meisten arbeitslos.
Der frühere Besitzer hatte keine Familie und verkaufte das Haus aus Altersgründen.
Eine unserer ersten baulichen Maßnahmen bestand darin, den aus Blech gestanzten Zaun abzureißen ohne schon zu wissen, wie und ob wir einen Ersatz finden wollten. Das Grundstück war also offen geworden.
Die erste Begegnung mit dem dortigen Pachtförster war sehr feindselig, ruppig und rauh. Wir hatten eine Retrieverhündin, die wir ohne Leine liefen ließen. An einem der ersten Tage dort raste wutentbrannt der Pachtförster mit seinem Jeep auf unser Grundstück. Sein Jagdgewehr hing über seine Schulter und er baute sich klein und schmächtig vor uns mit den Worten auf: „Wenn dieser Hund noch einmal ohne Leine auf dem Grundstück herumläuft, erschieße ich den.“
Da fühlten wir uns wie Feinde aus dem fernen Berlin, die alles wegnehmen wollen. Wir hatten gegen viele „Regeln“ verstoßen, ein Hund ist dort ein Wachhund, der laut bellend an der Leine liegt um Einbrecher zu beängstigen. Der Zaun ist dazu da, das wenige Eigentum zu begrenzen, welches mühsam erhalten werden muß. Der frei umherlaufende Mensch und Hund zerstört die Natur, wenn man ihn und sie nicht kennt.
Heute haben wir eine herzliche und freundschaftliche Beziehung zueinander.
Die fing an, als im nächsten Frühjahr die Störche auf der Wiese hinterm Haus nach Würmern suchten und unser Hund ein Jagdverbot bekam. Dann trafen wir uns, als die alte kopfsteingepflasterte Straße im Dorf  abgerissen wurde um eine überdimensionierte Teerstraße zu bauen und wir protestierten dagegen. Wir trafen uns, um gemeinsam gegen die Wiedereinrichtung einer großen Schweinemastanlage und den Bau einer riesigen Biogasanlage zu protestieren. Der Protest gegen und für brachte uns zusammen.
Dieser Förster ist ein naturverbundener Mensch, kennt die heimischen Tiere und Pflanzen und die wiederkehrenden Störche. Das ist unsere gemeinsame Sprache geworden. Die Uckermark ist eine Gegend, in der die Menschen alle Fremde geblieben sind. Dort gibt es kaum alte Menschen, die dort geboren sind und kaum junge Menschen, die dort bleiben wollen. Es sind überwiegend entwurzelte Menschen, die froh zu sein scheinen, wenn nichts passiert. Manchmal habe ich den Eindruck, unter diesen Voraussetzungen kann nur schwer und sehr langsam etwas wie eine eigene Kultur entstehen. Wenn dann „die Berliner“ kommen wirkt das bedrohlich. Störche haben es gut, sie kommen im Frühjahr und fliegen im Herbst wieder in den Süden, wie die anderen Zugvögel auch.

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