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systemagazin Adventskalender: Gedankensplitter zur Zukunft von DGSF und SG

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Wilhelm Rotthaus, Bergheim: Gedankensplitter zur Zukunftvon DGSF und  SG

Die Entscheidung des GBA und die anstehende Aufnahme der Systemischen Therapie für Erwachsene – und hoffentlich nicht unendlicher Ferne die der Systemischen Therapie für Kinder und Jugendliche – wird zu einer Veränderung der Verbände-Landschaft im systemischen Feld führen. Diese Veränderung kann, wenn sie denn gelingt, in den verschiedenen Arbeitsfeldern wichtige Entwicklungsimpulse anstoßen, wenn „die Systemiker“ in der nächsten Zeit diskutieren und klären, was ihnen für die Zukunft wichtig ist und welche Erfordernisse für eine positive Entwicklung erfüllt sein müssen.

Die folgenden Themen drängen sich auf:

  • Je erfolgreicher sich systemisches Arbeiten in den unterschiedlichen Praxisfeldern verbreitet, umso größer wird die Gefahr der Banalisierung der grundlegenden systemischen Ideen. Dies ist bereits jetzt zu beobachten und findet seinen Ausdruck in der derzeit häufig – teils mit anderen Worten und Bildern – formulierten Frage: „Ist eigentlich immer systemisch drin, wo systemisch draufsteht?“ Diese Gefahr nimmt selbstverständlich zu, wenn in den nächsten zehn Jahren allmählich die Zahl systemisch ausgebildeter Psychotherapeutinnen steigt. Das ist kein originär systemisches Problem. Aber wenn uns die grundlegenden und in allen Arbeitsfeldern immer noch revolutionären Ideen systemisch orientierten Arbeitens am Herzen liegen, werden wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir dieser Gefahr der Banalisierung entgegentreten wollen.
  • Die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie wird es notwendig machen, dass Personen, die über ein entsprechendes Mandat der mit systemischem Schwerpunkt ausgebildeten Psychotherapeuten verfügen, die berufspolitischen Interessen dieser Gruppe vertreten. Da ist es – um nur Beispiele zu nennen – nicht nur um die Interessenvertretung der „Systemiker“ in den immer wiederkehrenden Verhandlungen um die Gebührenordnung und alle damit zusammenhängenden Probleme, sondern beispielsweise auch um die Durchsetzung der Aufnahme der ST in die ärztlichen Weiterbildungsordnungen. In den anderen Verfahren sind dazu eigene Berufsverbände gegründet worden. Es wird zu klären sein, ob wir eine solche Entwicklung begrüßen oder zumindest in Ordnung finden oder ob wir andere organisatorische Entwicklungen anstreben wollen.
  • Gute Berufspolitik beinhaltet nicht nur, sich für die (vor allem finanziellen) Interessen der vertretenen Mitglieder einzusetzen, sondern auch immer wieder über Standards der eigenen Arbeit in Austausch zu gehen und diese gemeinsam fortzuentwickeln. Dafür ist es wichtig, nicht nur um sich selbst zu kreisen, sondern auch den Blick von außen, d.h. von Personen aus anderen Arbeitsfeldern zu suchen.
  • Die Besonderheit der bisherigen systemischen Verbände DGSF und SG liegt darin, dass sie vor allem von Personen und Instituten getragen werden, die ihren Interessenschwerpunkt keineswegs in systemischer Psychotherapie innerhalb des Gesundheitswesens sehen. Sollen die bisherigen Verbände nicht aus dem Gleichgewicht geraten (was zu Recht auch bisher schon immer wieder als ein Problem angesprochen wird), sind Überlegungen zu strukturellen verbandspolitischen Änderungen erforderlich, die bei guter Planung in vielen Arbeitsfeldern zu fruchtbaren Entwicklungsimpulsen führen können.
  • Eine weitere Besonderheit der bisherigen systemischen Verbände DGSF und SG liegt darin, dass sie keine Berufsverbände sind. Entsprechende Anfragen sind – so erinnere ich mich – zu meiner Vorstandszeit durchaus an die DGSF herangetragen worden. Wir haben dann aber mangels entsprechender Kompetenz und fehlender women-/men-power beispielsweise auf die Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verweisen müssen. Ich denke aber, dass wir angesichts der großen Mitgliederzahl der beiden Verbände im Hinblick auf die weitere Entwicklung klären müssen, ob die Zeit gekommen ist, dass systemische Beraterinnen und Berater, systemische Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, systemische Supervisorinnen und Supervisoren, systemische Organisationsberaterinnen und Organisationsberater und so weiter durch Kolleginnen und Kollegen auch berufspolitisch vertreten werden, denen sie eine entsprechendes Mandat übertragen. Das geschieht ansatzweise bereits in den Fachgruppen der DGSF. Es stellt sich aber die Frage, wieweit dieser Ansatz strukturell untermauert und ausgebaut werden soll und muss.

Ich sehe derzeit folgende „Lösungen“:
Ein Dachverband mit mehreren (im erweiterten Sinne) berufspolitisch tätigen Unterorganisationen, die – wie die Instituteversammlung in der DGSF – Organstatus haben, eigene Mitgliedsbeiträge erheben und über eine hohe Selbstständigkeit verfügen, um die konkreten berufspolitischen und fachlichen Interessen der jeweiligen Mitglieder mit ausreichender Legitimation vertreten zu können und für eine kontinuierliche Diskussion der Standards der eigenen Arbeit Sorge zu tragen.

Für die systemischen Psychotherapeutinnen gibt es für eine solche Unterorganisation ein Modell in den Berufsorganisationen der anderen psychotherapeutischen Verfahren. Ich denke aber auch, dass andere Gruppen im Verband – wie oben kurz skizziert beispielsweise die systemische Beraterinnen und Berater, systemische Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, systemische Supervisorinnen und Supervisoren, systemische Mediatorinnen und Mediatoren, systemische Organisationsberaterinnen und Organisationsberater – sich als berufspolitische Unterorganisationen organisieren sollten. Zwar sind die Grenzen in manchen Bereichen schwer zu ziehen: So müsste diskutiert werden, ob die Unterorganisation der systemischen Beraterinnen auch die in der Familienhilfe tätigen Kolleginnen vertreten kann und sollte usw. Die bisherige Organisation der Fachgruppen in der DGSF könnte da als Diskussionsvorlage dienen. Ich fände es aber in jedem Fall wichtig, dass auch diese systemisch tätigen Kolleginnen eine berufspolitische Vertretung haben. Ich bin überzeugt, dass das in den unterschiedlichen Bereichen einen wichtigen Entwicklungsschub auslösen könnte.

Der bisherige Vorstand wäre dann für die innerorganisatorische Entwicklungen und Änderungen des Gesamtverbandes entsprechend den sich ändernden Bedarfen zuständig. Vor allem wäre es aber seine Aufgabe, die „systemische Welt“ zusammenzuhalten und für eine lebendige Diskussion der Grundlagen der systemischen Theorie und ihrer Umsetzung in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern zu sorgen. Das könnte heißen, dass er beispielsweise die verschiedensten Formate entwickelt, in denen berufsübergreifend diskutiert wird, für einen regelmäßigen Austausch zwischen den einzelnen Unterorganisationen Sorge trägt, die Zuständigkeit für die Veranstaltung der Wissenschaftlichen Tagungen, von Fachtagen etc. übernimmt und sie inhaltlich unter dieser ihm gestellten die Aufgabe orientiert, d.h. dafür Sorge trägt, dass systemische Standards gewahrt werden und die verschiedenen Berufsgruppen und Arbeitskontexte nicht zuletzt auch durch den kritischen Blick von der anderen Seite profitieren. Wie diese Gesamtaufgabe im Einzelnen gut zu lösen sein wird, dürfte eine große Herausforderung darstellen.

Das würde bedeuten, dass der Verband weiter im Hinblick auf die Zahl der Einzelmitglieder und die der Mitgliedsinstitute wächst und sich mit allen Unterorganisationen, weiterbestehenden Fachgruppen und Regionalgruppen zu einer sehr großen, hoch differenzierten Organisation entwickelt. Damit würde die Frage aufgeworfen, ob die Aufgaben mit einem „Vorstandsverband“ mit ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern noch zu bewältigen sind oder ob das nur noch ein „Geschäftsführerverband“ mit einem hauptamtlichen Geschäftsführer und den in der Geschäftsstelle tätigen Mitarbeiterinnen zu stemmen ist (denen allerdings ganz andere, vornehmlich inhaltlich orientierte Aufgaben zukommen würden als heute).

Bisher hatte ich persönlich dieses Modell für die einzige Möglichkeit angesehen, die garantieren kann, dass das systemische Feld sich in unterschiedliche Interessengruppen spaltet und sich keine Organisation dafür zuständig fühlt, die Grundlagen systemischen Arbeitens und ihre systemtheoretische Fundierung offensiv zu vertreten.

Inzwischen scheint mir eine denkbare Alternative zu sein, die Gründung mehrerer Berufsverbände (zum Beispiel der Psychotherapeutinnen, der Beraterinnen, der Familienhelferinnen in der Jugendhilfe, der Supervisorinnen, der Mediatorinnen, der Organisationsberaterinnen) nicht zu verteufeln, sondern durchaus zu begrüßen und zu unterstützen. Die bisherigen Verbände würden dann zu einem wissenschaftlich orientierten Dachverband, der für die Weiterentwicklung der Grundlagen der systemischen Theorie und ihre Umsetzung in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern zuständig ist – ähnlich wie es oben kurz skizziert ist. Zu überlegen wäre bei einer solchen Lösung, in welcher Weise die Verbundenheit der einzelnen Berufsverbände zu dem Dachverband institutionalisiert wird. Das könnte unter anderem dadurch geschehen, dass Vorstandsmitglieder des Dachverbandes per jeweiliger Satzungen (kooperierte) Mitglieder der Vorstände der Berufsverbände sind.

Ich habe bewusst in dem Vorangegangenen von einem Dachverband gesprochen. Denn ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, SG und DGSF zu einem Verband zu verbinden. Falls das nicht geschieht, halte ich die Gefahr für relativ hoch, dass durchaus berechtigte Einzelinteressen zur Gründung von Interessenvertretungen führen und der Zusammenhalt im systemischen Feld verloren geht, der bis zum heutigen Zeitpunkt durch die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Verbänden gewahrt wurde und der meines Erachtens eine wichtige Basis dafür war, dass die GBA-Entscheidung erkämpft werden konnte. Diesen Zusammenhalt im systemischen Feld sehe ich in Gefahr, wenn es kein geeignetes Organisationskonzept entwickelt wird, dass entweder die Gründung eigenständiger Berufsverbände überflüssig macht oder diese Berufsverbände organisatorisch eng mit einen gemeinsamen Dachverband verbindet.

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