Ewald Johannes Brunner, Jena
Was mich als Systemiker ein wenig bekümmert, ist, dass bisher so wenig davon im öffentlichen Bewusstsein und Diskurs angekommen ist, was systemisches Denken und Handeln ausmacht und leisten kann. Dabei könnten Politik und Gesellschaft sich ja durch sie für anstehende Probleme zu konstruktiven und kreativen Lösungsvorschlägen inspirieren lassen.
Nehmen wir mal als Beispiel den Dauerbrenner „Inklusion“. Das „System Sonderpädagogik“ ist bekanntlich so stark zementiert, dass ich schon froh bin, wenn ein Journalist (Thomas Hahn in einer November-Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung) folgenden – schon richtig systemisch klingenden – Satz für die Probleme bei der Umsetzung der Inklusion formuliert: „Einzelne Bundesländer stecken schon mittendrin mit allen Schwierigkeiten und Dysbalancen, die in der Natur eines solch komplexen Übergangs liegen“.
Damit will ich nicht von den Schwierigkeiten und Hürden ablenken, mit denen SystemikerInnen konfrontiert sind, wenn sie ihr professionelles Handeln in der Öffentlichkeit erläutern sollen. In Stuttgart kann man heuer ein Praxisschild mit folgendem Inhalt bestaunen:
Ressourcen Manufaktur
System Familie (Kind, Paar … )
Coaching & Kommunikation
Change Management & EAP
Therap. Beratung & Biographiearbeit
Psychologische Testverfahren (IQ, Persönlichkeit …)

Ewald Johannes Brunner
Na ja, wir haben vor 40 Jahren, als die „Familientherapie“ sich anschickte, in Deutschland Verbreitung zu finden, auch nicht so recht gewusst, wie wir diesen sperrigen Begriff unter die Leute bringen sollen.
In diesem Sinne die besten Wünsche für das
System Levold (Advent, Weihnachten …)
und herzliche Grüße, auch an alle SystemikerInnen, ob in der Therap. Beratung und/oder in der Forschung tätig
Der österreichische Psychiater und Familientherapeut Ludwig Reiter hat vor mehreren Jahrzehnten (1) einmal geäußert, dass so wie die Psychoanalytiker aus dem Bildungsbürgertum und die Verhaltenstherapeuten aus den jungen Technokraten sich die damaligen Familientherapeuten ihre Werte vorwiegend aus der Hippiebewegung speisen würden. Diese Einschätzung war sehr umstritten. Aber in meinem Erleben definierten sich die meisten Familientherapeuten um 1980 herum (sie waren nach meiner Erinnerung damals mehrheitlich im Alter zwischen 25 und 45, und sie lebten in einer Phase ca. 10 Jahre nach der Studentenbewegung, kurz nach dem Höhepunkt der K-Gruppen, erlebten den Beginn von Ökologie-, Friedens- und Alternativbewegung“) in einem diffusen Sinne als „undogmatische Linke“. Noch 1991 haben wir (Arist von Schlippe und ich, mit Zustimmung der anderen Tagungsverantwortlichen) auf dem großen Kongress „Das Ende der großen Entwürfe und das Blühen systemischer Praxis“ in Heidelberg eine Art Teach-In gegen die damalige US-Invasion im Irak veranstaltet. Auch ein Panel über „Ökologische Politik als Interaktionsprozess“ mit Kommunal-, Umwelt- und Gesundheitspolitikern fand damals im Plenum statt.
Advent und das Fehlende gehören zusammen. Obwohl, genauer natürlich das noch Fehlende. Das noch Fehlende, dessen Kommen erwartet wird. Und dessen Kommen das tragende Motiv eines hoffnungsvollen Narrativs ist. Das gäbe jetzt zwar einen schönen Anfang, doch gerät der ins Wanken, wenn das Fehlende mit Systemischer Therapie zu tun haben soll. Wie das? Mir scheint, Systemische Therapie hat nichts mit Advent zu tun, kann es nicht, jedenfalls dann nicht, wenn sich ihre gedanklichen Begleiterscheinungen systemtheoretisch ableiten und sich auf diese Weise ihrer Funktionalität versichern. Da geht es nicht um Advent, sondern um Adjunkt, sozusagen, Erfolg als Fortsetzungsgeschichte. Was ist, ist auch schon wieder vorbei und nur sinnträchtig als Sprungbrett für Nachfolgendes. Sein als imaginärer Zustand und praktisch ein Reigen laufender Ereignisse. Systemtheorie als Fruchtbarkeitstheorie, um es einmal so zu sagen. Allgemein, als Theorie an sich – oder für sich? Im erlebten Leben ist die Dichotomie nicht so leidenschaftslos: schließt sich an/schließt sich nicht an. Noch ist Erleben keine Frage von 0 oder 1 und Lebenserzählungen noch keine Ausgeburt binärer Codes. Fehlt mir das? Nein, das fehlt mir nicht, was hat das hier zu suchen? Im Ernst, fehlt mir was in der Systemischen Therapie? Und wenn ja, wäre das jetzt ein systemtheoretischer Witz zu fragen: woran mache ich das fest? Was soll als umrissen gelten bei etwas, was permanent ausreißt? Systoria nicht zu vergessen, dass eingeschlafene Projekt, die Entwicklungen systemischen Denkens für psychosoziales Helfen gesammelt festzuhalten. Etwas, was fehlt… Ich nähere mich dem Thema, fürchte ich. Dabei hatte ich vor, diesmal nichts zu schreiben zum Adventskalender, die Frage nach dem Fehlenden in der Systemischen Therapie führte mich zu sehr in Widersprüche, in Unerledigtes und das Fehlen an sich wurde groß. Und doch schien mir, dass mir in Systemischer Therapie wirklich etwas fehlen würde, wenn ich dem nicht nachginge.
K.O., ein erfahrener Psychiater, systemischer Therapeut und langjähriger Kollege, der für die psychiatrische Triage in einem grösseren medizinischen Zentrum zuständig ist, fragt mich tel. an für die Fortsetzung einer Therapie bei Frau B., 32j., Mutter von zwei Kleinkindern. Ihr Ehemann sei vor kurzem vor ihren Augen auf einem Fussgängerstreifen zu Tode gefahren worden. „Hier braucht es wohl mehr „Traumatherapie“ als die zwei, drei Sitzungen, die ich ihr anbieten/durchführen konnte“, in der Hoffnung, dass ich diesen „nicht ganz alltäglichen“ Fall übernehmen/weiterführen und Frau B. bei mir auch Anschluss finden kann.
Ich muss eingangs betonen, dass mir die spezifische Haltung und erkenntnistheoretische Position, die in unseren systemischen Kreisen in den letzten Jahrzehnten oft unter dem Kürzel „Kybernetik II“ zusammengefasst wurde, im Therapie- und Ausbildungsgeschehen nach wie vor sehr wichtig ist. Dennoch betreibe ich (mit dem Philosophen F. Reithmayr) eine kritische Reflexion meiner eigenen erkenntnistheoretischen Position und davon ausgehenden Haltung ( 
Jürgen
Corina 
Heiko
Der Essay, den ich mir hier gönne, startet mit einer Kapriole, mit einem riskanten (zugleich amüsanten) Sprung, mit einem ‚Hakenschlagen‘, das sich in dem Satz findet: Dieser Text ist ein Essay und handelt auch von Essays, aber, wenn man so will, von in der Welt streuend-streunenden Essays, die Systeme genannt werden und demzufolge als systemisch gelten müssen. Sonderbar an dieser Formulierung ist, dass der Ausdruck ‚System‘ ursprünglich ‚Gestocktes, Erhärtetes, gar: Erbrochenes‘ meint, jedenfalls irgendwie durable Zusammenhänge, die sich wiedererkennen lassen, eine Wortbedeutung, die Verdinglichungen anspielt und so gar nicht passt zur Metaphorik des Streuens und Streunens, einer Vagabondage, in der der Geist (hier: das System und der Sinn) weht, wo er will.
„Kommt drauf an, was man darunter versteht“, werden Sie zu recht einwenden, denn (genauso wie „analytisch“) ist „systemisch“ erstmal nichts mehr als das Adjektiv zum Subjektiv und wird von der Mathematik über die Politik bis hinein in die Alltagsprache verwendet. Dahinter mag zwar je nach Kontext ein (system-)theoretisches Modell stehen und im Bereich Therapie hat die Tradition der Familientherapie den Diskurs wesentlich mitgeprägt. Ein klares, identifizierbares und damit auch abgrenzbares Therapiemethodenprofil lässt sich allein daraus aber nicht ableiten. „Am wenigsten verstehe ich, was ihr Systemiker macht.“ So vor kurzem ein Professor in Klinischer Psychologie und Psychotherapie anlässlich eines Informationsanlasses für Studierende, die sich für eine postgraduale Weiterbildung in Psychotherapie interessieren.
Liebe Leserinnen und Leser,