systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

13. September 2015
von Tom Levold
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2014: Jugendämter führten rund 124 000 Gefährdungseinschätzungen für Kinder durch

Die Jugendämter in Deutschland führten im Jahr 2014 rund 124 000 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls durch. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, bedeutet dies einen Anstieg um 7,4 % gegenüber dem Vorjahr. Von allen Verfahren bewerteten die Jugendämter 18 600 eindeutig als Kindeswohlgefährdungen („akute Kindeswohlgefährdung“). Dies ist gegenüber 2013 ein Anstieg um 8,2 %. Bei 22 400 Verfahren (+ 4,7 %) konnte eine Gefährdung des Kindes nicht ausgeschlossen werden („latente Kindeswohlgefährdung“). Der stärkste Anstieg (+ 9,8 %) betrifft 41 500 Fälle, in denen die Fachkräfte des Jugendamtes zu dem Ergebnis kamen, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein weiterer Hilfe- oder Unterstützungsbedarf vorlag. In fast ebenso vielen Fällen (41 600) wurde weder eine Kindeswohlgefährdung noch weiterer Hilfebedarf festgestellt, allerdings mit einem geringeren Anstieg gegenüber 2013 von 6,1 %.
63,6 % der Kinder, bei denen eine akute oder latente Kindeswohlgefährdung vorlag, wiesen Anzeichen von Vernachlässigung auf. In 27,2 % der Fälle wurden Anzeichen für psychische Misshandlung festgestellt. Etwas weniger häufig (23,6 %) wiesen die Kinder Anzeichen für körperliche Misshandlung auf. Anzeichen für sexuelle Gewalt wurden in 4,6 % der Fälle von Kindeswohlgefährdung festgestellt. Mehrfachnennungen waren möglich.
Die Gefährdungseinschätzungen wurden in etwa gleich häufig für Jungen und Mädchen durchgeführt. Kleinkinder waren bei den Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls besonders betroffen. Beinahe jedes vierte Kind (24,2 %), für das ein Verfahren durchgeführt wurde, hatte das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet. Drei- bis fünfjährige Kinder waren von einem Fünftel (20,0 %) der Verfahren betroffen. Kinder im Grundschulalter (6 bis 9 Jahre) waren mit 22,2 % beteiligt. Mit zunehmendem Alter nehmen die Gefährdungseinschätzungen ab: Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren hatten einen Anteil von 18,3 % an den Verfahren, Jugendliche (14 bis 17 Jahre) nur noch von 15,3 %.
Am häufigsten, nämlich bei 20,4 % der Verfahren, machten Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft das Jugendamt auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung aufmerksam. Bei 13,1 % der Verfahren gingen Jugendämter Hinweisen durch Bekannte oder Nachbarn nach, bei 12,5 % der Verfahren kamen die Hinweise von Schulen oder Kindertageseinrichtungen. Gut jeden zehnten Hinweis (11,5 %) erhielten die Jugendämter anonym.
Hinweise
Eine Gefährdungseinschätzung gemäß Paragraf 8a Absatz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) wird vorgenommen, wenn dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines/einer Minderjährigen bekannt werden und es sich daraufhin zur Bewertung der Gefährdungslage einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind beziehungsweise Jugendlichen sowie seiner Lebenssituation macht. Diese Abschätzung des Gefährdungsrisikos erfolgt in den Jugendämtern in Zusammenwirkung mehrerer Fachkräfte. Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes/Jugendlichen bereits eingetreten ist oder mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist und diese Situation von den Sorgeberechtigten nicht abgewendet wird oder werden kann.

Quelle: Pressemitteilungen – 2014: Jugendämter führten rund 124 000 Gefährdungseinschätzungen für Kinder durch – Statistisches Bundesamt (Destatis)

11. September 2015
von Tom Levold
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Die Wunderfrage

Steve de Shazer

Steve de Shazer

Heute vor 10 Jahren ist Steve de Shazer überraschend bei einem Besuch in Wien gestorben.  Im systemischen Feld haben er und sein Milwaukee-Team mit der Begründung des lösungsorientierten Ansatzes einen festen Platz eingenommen. Neben seinen theoretischen Arbeiten haben auch einige Interventionen einen Stammplatz in der systemischen Praxis bekommen, unter anderem die Wunderfrage. Die Vorgehensweise bei der Wunderfrage ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Auf der schweizer website froschkoenige.ch findet sich eine sehr ausführliche Beschreibung des Vorgehens bei der Wunderfrage im Kontext eines Coachings, die aber auch auf andere Beratungskontexte übertragen werden kann. In Erinnerung an Steve de Shazer sei hier auf diesen Text verwiesen, der hier online gelesen werden kann…

9. September 2015
von Tom Levold
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Feldkräfte im Hier und Jetzt. Kurt Lewin zum 125. Geburtstag

Klaus Antons & Monika Stützle-Hebel (2015): Feldkräfte im Hier und Jetzt

Klaus Antons & Monika Stützle-Hebel (2015): Feldkräfte im Hier und Jetzt

Heute vor 125 Jahren wurde Kurt Lewin geboren. Er war einer der wichtigsten und einflussreichsten deutschsprachigen Psychologen des 20. Jahrhunderts, der 1947 im Alter von nur 56 Jahren viel zu jung gestorben ist. In den zwanziger Jahren war er gemeinsam mit Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Kurt Koffka ein wichtiger Pionier der Gestaltpsychologie. Als jüdischer Hochschullehrer erfasste er früh die Gefahr durch den Nationalsozialismus und knüpfte rechtzeitig Kontakte in die USA. 1932 erhielt er eine halbjährige Gastprofessur an der Stanford University in Kalifornien und emigrierte dann 1933 endgültig in die Vereinigten Staaten. Dort knüpfte er schnell Kontakte und war unter anderem mit Margaret Mead und Gregory Bateson befreundet, mit denen er gemeinsam auch an der Auftaktveranstaltung der legendären Macy-Konferenzen in New York 1946 teilnahm, die eine wichtige Weichenstellungsfunktion für die sich entwickelnde kybernetische Bewegung innehatte. Heute ist er in erster Linie als ein Wegbereiter der der Gruppendynamik und Pionier der Human-Relations-Bewegung in Erinnerung, eine etwas einseitige Perspektive, die der Breite des vielfältigen Theorie- und Forschungsspektrums Lewins nicht gerecht wird.

Zum 125jährigen Geburtstag ist nun im Carl-Auer-Verlag ein von Klaus Antons und Monika Stützle-Hebel herausgegebener Sammelband zu Ehren Lewins erschienen. Beide arbeiten als Trainer und Dozenten für Gruppen- und Organisationsdynamik und haben eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen versammelt, die sich dem feldtheoretischen Ansatz von Kurt Lewin verpflichtet fühlen. In seinem Geleitwort zum Buch unterstreicht Heiner Keupp die Vielseitigkeit Lewins: „Wenn wir einen aktuellen Psychologieprofessor und sein Fachprofil mit dem von Kurt Lewin vergleichen, dann fällt zuerst auf, was für einen breiten Bildungshintergrund Kurt Lewin hatte: neben unterschiedlichsten Teilbereichen der Psychologie war er auch in der Philosophie, der Medizin, in der Physik oder der Biologie verankert und hat dieses Wissen auch in unterschiedlichsten Kontexten eingesetzt. Heute sind akademische Hochschullehrerkarrieren offensichtlich nur noch in einem engen Fachkorridor möglich, gefördert wird Expertenschaft in einem hochspezialisierten Teilbereich und nicht selten entsteht daraus auch ein fachlicher Tunnelblick. Es dürfte wenige Psychologen geben, die in so unterschiedlichen Bereichen wie der Wahrnehmungspsychologie, der Gestaltpsychologie, der Methodologie, der Jugendforschung, der Gruppendynamik, der Motivationspsychologie, der ökologischen Psychologie oder der Führungsforschung weltweit beachtete Impulse gegeben haben“ (S. 6). Dem kann man nur zustimmen. Insofern ist es sehr erfreulich, dass der dezidiert systemische Carl-Auer-Verlag das Jubiläum zum Anlass nimmt, an Kurt Lewin zu erinnern. Weiterlesen →

6. September 2015
von Tom Levold
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Als die Psychiatrie laufen lernte

Meine ersten Erfahrungen mit der Psychiatrie machte ich Mitte der Siebziger Jahre. Eine Freundin absolvierte ihre Ausbildung als Krankenschwester in der rheinischen Landesklinik Langenfeld. Dort holte ich sie öfter von der Arbeit ab. Auf dem Gelände bot sich dem Besucher das klassische Bild der alten Psychiatrie: schwer sedierte Menschen schlurften auf den Wegen an einem vorbei, oft in unwürdigen Outfit. Man hatte das Gefühl, auf einem anderen Stern zu sein, der nach völlig unterschiedlichen Gesetzen funktionierte.
Meine Freundin arbeitete im Rahmen ihrer Ausbildung eine Zeit lang in der gerontopsychiatrischen Abteilung. Ich erinnere mich an einen großen, gekachelten Saal, in dem eine Gruppe von alten, inkontinenten Frauen ohne jede Bekleidung auf blanken Pritschen angeschnallt lagen und gelegentlich von einem Pfleger mit einem Wasserschlauch abgespritzt wurden, um sie „sauber zu machen“. Eines Tages erdreistete sich meine Freundin, die Frauen aus den Gurten zu befreien, ihnen etwas anzuziehen und mit ihnen einen Spaziergang auf dem Gelände zu machen. Wegen dieser Eigenmächtigkeit wurde sie von ihrer Vorgesetzten übel zusammengestaucht.
An diese Geschichte musste ich denken, als ich das Interview mit Rainer Kukla und Arndt Schwendy las, das in der neuen Ausgabe der Psychosozialen Umschau erschienen ist, und in dem die Beiden von von der Umsetzung der Psychiatrie-Enquete im Bereich des Landschaftsverbandes Rheinland erzählen. Im September 2015 – also diesen Monat – wird die Psychiatrie-Enquete 40 Jahre alt. Rainer Kukla war als Soziologe enger Mitarbeiter des Vorsitzenden dieser Enquete, Caspar Kulenkampff (wo gibt es heute schon noch Soziologen in der Psychiatrie? Als ich mein Studium 1978 beendet hatte, hatte jedes Landeskrankenhaus des LVR eine Soziologenstelle!), Arnd Schwendy leitete das Presseamt des Landschaftsverbandes Rheinland. Bei der Umsetzung der Enquete ging es um nichts weniger als um die Überführung der Psychiatrie aus der Tradition der Ausgrenzung und Menschenverachtung, die sich aus der nationalsozialistischen Zeit nahtlos in die Bundesrepublik fortgesetzt hatte, in eine humanere und professionelle Gestaltung der Beziehungen mit Menschen in psychischen Notlagen. Weiterlesen →

3. September 2015
von Tom Levold
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Instant Hamlet — A family tragedy in one act

Ziemlich genau vor 30 Jahren, im Mai 1985, fand in Heidelberg eine denkwürdige Veranstaltung statt. Das Heidelberger Institut für psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie an der Universität Heidelberg unter der Leitung von Helm Stierlin, einer der zentralen Ausgangspunkte der Entwicklung der Systemischen Therapie in Deutschland, feierte sein 10. Jubiläum mit einer Tagung „Familiäre Wirklichkeiten“ mit über 2000 Teilnehmern, an der viele Pioniere der Familientherapie und Systemischen Therapie teilnahmen, von denen leider die meisten nicht mehr leben. Höhepunkt der Tagung war das Fest im Heidelberger Schloss, an das ich mich noch gut erinnern kann. Helm Stierlin hatte ein Theaterstück „in elisabethanischem Englisch“ verfasst, das die familientherapeutische Prominenz zum Vergnügen der Teilnehmer auf die Bühne brachte – ohne vorher Gelegenheit zu einer Probe zu finden. Gottseidank ist dieser Teil des Festes (sowohl auf als auch hinter der Bühne) auf Video aufgezeichnet worden und der Carl-Auer-Verlag hat dieses Video auf seiner youtube-Seite veröffentlicht. Zu sehen sind u.a. neben Helm Stierlin: Carl Withaker, Paul Watzlawick, Lyman Wynne, Ivan Boszormeny-Nagy, Gianfranco Cecchin, Jürg Willi, Mara Selvini Palazzoli, Luigi Boscolo, Rosmarie Welter-Enderlin und Josef Duss von-Werth – aus dem Off ist auch Gunther Schmidt klar zu vernehmen. Man versteht nicht alles, aber alleine die Protagonisten bei ihrem Tun zu sehen, macht schon Spaß genug!

2. September 2015
von Tom Levold
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Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen

Haim Omer

Haim Omer

„Im Gegensatz zu der herrschenden Meinung, wonach Kinder mit Zwangsstörungen nicht gewalttätig sind, stellte sich heraus, dass 20 % der von Eltern als gewalttätig bezeichneten Kinder unter solchen Störungen litten. Diese kindliche Tyrannei zeigte sich in zwei Erscheinungsformen: Kinder, die versuchten, jeden Aspekt des Familienlebens zu diktieren, und Kinder, die sich in ihr Zimmer einmauerten und allen den Eintritt oder jegliche Änderung ihres Territoriums verboten. Versuchen seitens der Eltern diese Bestimmungen herauszufordern wurde mit endlosem Schreien, absichtlicher Schlafverweigerung, Zerstörung von Familieneigentum, körperlichen Angriffen und Suiziddrohungen begegnet. Ein Programm von gewaltfreiem Widerstand wurde entwickelt, um mit der Aggression ohne Eskalation umzugehen.“ Über dieses Programm berichtet Haim Omer (Foto: Vandenhoeck & Ruprecht), der das Konzept des gewaltfreien Widerstandes für Eltern entwickelt hat, in einem Beitrag für systhema aus dem Jahre 2003. Den vollständigen Text kann man hier lesen…

1. September 2015
von Tom Levold
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Armin Nassehi in der FAZ über Hass auf „Wirtschaftsflüchtlinge“ in Deutschland 

Es ist gar nichts gegen Engagement zu sagen – und alles, was sich von den Pöbelnden distanziert, ist zu begrüßen. Aber die Kategorien, mit denen da gearbeitet wird, sind oftmals untauglich. Überall sprießen Initiativen, die ausloten, wie man „gemeinsam“ leben kann und die Leute dann zum Reden bringt. Es wird dann eine gemeinsame Sprache entwickelt, also doch wieder ein Container, in dem wir drin sein sollen, obwohl die faktische Lebensform – gerade von Flüchtlingen – anders aussieht. Die engagierten Milieus sind geübt darin, große Sätze zu sprechen und andere zum Sprechen zu bringen. Was freilich nottut, sind unaufgeregte Formen der Inklusion, arbeitsrechtliche und -praktische Arrangements, schulische Initiativen, Sprachförderung vor allem für Kinder. Ich frage mich manchmal, wie es aus der Perspektive von Flüchtlingen wohl aussieht, einerseits vor einem schwierigen Gewirr von Ämtern und Instanzen um Inklusionsmöglichkeiten zu kämpfen, andererseits als kulturelle Form herhalten zu müssen, das ganz andere sein zu sollen. Am besten, das wissen wir aus klassischen Einwanderungsländern, geht es Migranten (welcher Art auch immer), wenn sie möglichst wenig erzählen müssen. Erst dann entstehen ganz neue Geschichten.

Quelle: Hass auf „Wirtschaftsflüchtlinge“ in Deutschland

31. August 2015
von Tom Levold
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Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft oder: von der Wissenschaft zur Kunst

In einem gerade erschienenen Beitrag für das Online-Journal Psychotherapie Wissenschaft stellt Serge Sulz aus der Schweiz, Honorarprofessor für Grundlagen der Verhaltensmedizin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, noch einmal eine Übersicht über die Argumente vor, dass es sich bei der Psychotherapie nicht um eine Wissenschaft und auch nicht um angewandte Wissenschaft handelt, sondern immer um einen professionellen Prozess einer jeweils individuell einzigartigen Begegnung, der zwar durch wissenschaftliche Erkenntnisse grundiert und angeregt werden kann, aber nicht von diesen determiniert werden kann. Im abstract heißt es: „In Deutschland wird Psychotherapieausbildung in die Hände von Wissenschaftlern gegeben und die praktische Ausbildung hintangestellt. Dies führt zur Frage, inwiefern und in welchem Ausmaß Psychotherapie Wissenschaft ist. Beginnend mit einer Diskussion von Psychologie als Wissenschaft und ihren Fehlentwicklungen und Stagnationen wird zur Frage übergegangen, ob Psychotherapie Wissenschaft ist, die von den Wissenschaftlern bejaht wird. Die praktizierenden Psychotherapeuten dagegen sagen, dass sie eine Kunst ist, die auf Wissenschaft aufbaut, aber mehr ist als diese. Sie leiten daraus ab, dass diese Kunst nicht von Wissenschaftlern gelehrt werden kann. Aber auch unter den Wissenschaftlern herrscht keine Einigkeit. Die einen forschen unter experimentellen, laborähnlichen Bedingungen, während ihre Ergebnisse von den anderen als ungültig für die reale Welt außerhalb des Labors betrachtet werden. Schließlich wird der Frage nachgegangen, wo und wie die Kunst der Psychotherapie gelernt werden kann.“

Zum Online-Text geht es hier…

28. August 2015
von Tom Levold
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Geschichten im Sand

Wiltrud Brächter

Wiltrud Brächter

Wiltrud Brächter hat sich in den vergangenen Jahren mit ihrem Konzept einer systemischen Spieltherapie einen Namen gemacht. Ihre Arbeit zeichnet sich nicht nur durch eine gründliche theoretische Fundierung, sondern auch durch eine außerordentliche Phantasie und ihre phänomenale Fähigkeit aus, sich voll und ganz – eben spielerisch – auf die Welt der Kinder einzulassen, deren ,Geschichten im Sand’ sie behutsam zur Entfaltung verhilft. Im Carl-Auer-Verlag hat sie darüber ein wunderbares Buch verfasst.

Im DGSF-Wissensportal findet sich ein Text von ihr, der 2009 im Kontext erschienen ist. Im abstract dazu heißt es: „Vorgestellt wird das Konzept einer narrativen Kindertherapie, die sich auf die Geschichten von Kindern bezieht, hier in Kombination mit der Methode des Sandspiels. Sandspieltherapie ermöglicht Kindern, ihr Problemerleben in die Therapie einzubringen. Unter narrativer Perspektive werden Sandbilder zum Ausgangspunkt für Geschichten, die sich in die Zukunft öffnen. Parallel zur selbsttätigen Arbeit an ihren Geschichten gelingt es Kindern häufig, Blockaden aufzulösen und in ihrer Entwicklung wieder voran zu kommen. Sandspieltherapie kann auch einen Zugang zu Themen ermöglichen, die nur im Rahmen von Familientherapie zu lösen sind. Sandbildskulpturen lassen sich hier gut verwenden, um zirkuläre Muster zu erkennen, Probleme zu externalisieren und Metaphern zu erfinden, mit denen Lösungsideen im Alltag verankert werden können. Abschließend wird erörtert, welche Möglichkeiten eine narrativ orientierte Spieltherapie im Rahmen systemischer Therapie eröffnen kann.“

Den vollständigen Artikel gibt es hier…

27. August 2015
von Tom Levold
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Diagnose: Besonderheit

S. Klar & L. Trinkl (Hrsg.) (2015): Diagnose Besonderheit

S. Klar & L. Trinkl (Hrsg.) (2015):
Diagnose Besonderheit

Unter dem Titel „Diagnose: Besonderheit. Systemische Psychotherapie an den Rändern der Norm“ versammeln die Wiener Systemischen Therapeutinnen Sabine Klar und Lika Trinkl Beiträge zur therapeutischen Arbeit mit Klientensystemen, die gewissermaßen aus dem Rahmen psychotherapeutischer Standardversorgung herausfallen, weil sie aus dieser Perspektive nicht oder nur begrenzt therapierbar erscheinen, den Rahmen einer Normalpraxis nicht aus-, ein- oder durchhalten können, deren Therapie von den Kassen als aussichtslos oder nicht angebracht abgelehnt wird, deren Ressourcenlage bescheiden ist, die als Randgruppen ohnehin wenig sozialen Status haben etc. Das Buch ist gerade bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen. Andrea Brandl-Nebehay hat es für systemagazin gelesen und empfiehlt die Lektüre… Weiterlesen →

24. August 2015
von Tom Levold
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Schlaflos mit Kleopatra

Selajdin Gashi: Schlaflos mit Kleopatra. Paranus 2015

Selajdin Gashi: Schlaflos mit Kleopatra. Paranus 2015

Schlaflos mit Kleopatra? Wieder einmal ein Erfahrungsbericht eines psychiatrieerfahrenen Menschen? Das waren auch Gedanken, die Sibylle Prins bei ihrer Lektüre dieses Buches aus dem Paranus-Verlages durch den Kopf gingen: „,Oh nein‘, dachte ich beim allerersten Anlesen dieses Buches, ,nicht schon wieder ein Erfahrungsbericht eines Psychotikers, der fünftausenddreihundertachtundvierzigste, den ich (gefühlt) lese – ich kann das nicht mehr, das kenne ich schon in allen Varianten, muss das sein?‘ Doch schon bald merkte ich, dass ich im Irrtum war. Diese Kapitel und Beschreibungen eines ersten psychotischen Schubes eines jungen Mannes, der mit veränderter Wahrnehmung und veränderten Gedanken in einem gemeinsamen Urlaub mit der Freundin beginnt, sind mitnichten einfach nur ,aufgeschrieben‘. Das ist alles fein säuberlich durchkomponiert, die Reflexionen, die in einer sehr lesbaren, klaren und einfach erscheinenden Sprache daherkommen, sind gründlich durchgearbeitet. Es ist zwar geschrieben aus der Perspektive des sehr jungen Mannes, aber dahinter steckt doch ein schon gereifterer Mensch.“ Das sieht auch Andreas Manteufel so, dessen Rezension dieses Buches hier zu lesen ist. Der Mann, von dem die Rede ist, heißt Selajdin Gashi, ist 1962 in Nikushtak, Mazedonien, geboren worden und aufgewachsen in Dardanien (heutiges Kosovo). 1984 kam er nach Köln und studierte dort Germanistik, Philosophie und Anglistik. 1989 machte er erste Psychose- und Psychiatrieerfahrungen. Heute ist er als Übersetzer und Dolmetscher – auch für Gerichte und andere Institutionen – tätig. Weiterlesen →