Dörte Foertsch, Berlin: Hereinspaziert …
Das Thema des diesjährigen Adventskalenders regt mich an über offene und geschlossene Türen nachzudenken. Türen können in verschiedenen kulturellen Kontexten sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Sie sind Abgrenzungen von Räumen, in denen wir uns jeweils anders verhalten und anders begegnen.
Die Tür zum Bad ist eine andere als die zur Küche. Die Tür einer Synagoge oder einer Moschee, eines Tempels oder einer kleinen Hütte zu durchschreiten bedeutet einzutreten in Wirklichkeiten, die schon durch die Tür markiert werden. Vor einer Tür zu stehen, sei sie offen oder geschlossen, löst eine Erwartung aus, was wohl hinter ihr sein könnte. Entsprechend verändert sich die innere Haltung vor dem Hineingehen hinsichtlich des dahinter erwarteten Raumes und was in ihm geschehen könnte.
Eine Tür wird zu einem Vor-Urteil, mit dem ich einen Raum betrete.
Es gibt Türschilder oder Türen, die schon für sich sprechen.
Manche schützen das Drinnen vor dem Draußen, manche das Draußen vor dem Drinnen, sie regulieren Temperaturen und Eindringlinge, verhindern, das etwas Gefährliches eintreten oder das etwas Intimes oder Geheimnisvolles nach draußen dringen kann.
Manchmal gibt es auch eine Türstehermacht: wer schließt auf und wer schließt zu?
Im Bereich der Beratung und Therapie ist das Öffnen und Schließen einer wichtigen Tür zum richtigen Zeitpunkt eine sehr zentrale Frage.
Eigentlich arbeiten Therapeuten überwiegend hinter verschlossenen Türen, Supervision und Beratung mit KollegInnen findet auch meist hinter verschlossenen Türen statt. Ich frage mich, ob das eigentlich immer so sein muss?

Dörte Foertsch
Seit einiger Zeit versuche ich die Supervisionstüren zu öffnen und die Klienten, über die gesprochen wird, einzuladen, an der Supervision teil zu nehmen.
Anfangs war es für KollegInnen unvorstellbar, ihre Klienten mit zur Supervision zu bringen.
Erst kürzlich gelang dies aber einmal wieder in einer Kleinstadt in Brandenburg.
In einer Supervisionssitzung, in der ich dann mehr die Rolle einer Moderatorin einnahm, waren die Klienten, zwei Familienhelferinnen, ihr Team, zwei Sozialarbeiter des Jugendamtes und ich beteiligt. Es ging um die Frage einer Rückführung der zehnjährigen Tochter aus der stationären Unterbringung zurück zur ihrer Mutter und großen Schwester.
Die Zeichen standen schlecht laut aller beteiligten Helfer. Während des gemeinsamen Gesprächs stellte sich heraus, dass die Mutter im Unklaren über die Bedingungen war, die an eine Rückführung geknüpft waren. Sie hatte teilweise die Fachsprache nicht verstanden und die Einschätzungen der an sie zu stellenden Anforderungen waren zwischen Jugendamt und Familienhelferinnen diffus und kontrovers geblieben.
In einem anderen Fall ging es um eine dreiköpfige Familie, in der der zwölfjährige Sohn gewalttätig gegen seine Mutter war. Der Vater war berufsbedingt zeitweise viel abwesend und konnte die Ausmaße des Problems erst in einem gemeinsamen Gespräch mit den Familienhelfern und einem Sozialarbeiter des Jugendamtes und mit Hilfe meiner Moderation erfassen. Bis dahin hatten weder die Mutter noch die Helfer sich getraut, die Brisanz der Thematik deutlich zu machen. Es stellte sich heraus, dass der Vater eine fehlende Ressource sein könnte. Nach seiner ersten Erschütterung machte er sehr viele konstruktive Vorschläge. Die beiwohnenden Teams wurden jeweils zum reflecting team.
In einer psychiatrischen Station kam eine Patientin mit zur Supervision. Sie war mir als stumm und verschlossen angekündigt worden und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sprechen würde, wurde vom Pflegepersonal gleich null eingeschätzt. Als ich ihr sagte, wir wollten auch von ihr lernen, wie es weitergehen könnte, war sie verbal kaum noch zu bremsen.
Ich hoffe es gibt noch viele solcher Beispiele bei den LeserInnen und ein Staunen darüber, welch Wunder es wirken kann, wenn wir Professionellen weitere Türen öffnen. Die Beteiligung der in vielen Fallsupervisionen vorgestellten Klienten kann Therapeuten und Beraterinnen Türen für weitere Gespräche öffnen. Die Bedeutung der Mitwirkung der Klienten geht weit über die Ebene der unmittelbaren Therapie und Beratung hinaus.
Wenn jemand eine mongolische Jurte betritt, bringt es Unglück, auf die Schwelle zu treten. Die Erklärung dafür: Auf die Schwelle zu treten ist ein Zeichen von Zögern und Unentschlossenheit. Eine klar ausgesprochene Einladung einzutreten macht es leichter, entschlossen hindurch zu gehen, dann gelingt es auch.