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Die Therapie des Inneren Kindes

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Die Metapher des „Inneren Kindes“ ist in den vergangenen Jahren nicht nur in psychotherapeutischen Fachkreisen populär geworden. Die Vorstellung, dass unser Selbst bzw. unsere Persönlichkeit als Zusammenspiel unterschiedlicher Anteile verstanden werden kann, die als personalisierte Akteure miteinander in Interaktion treten (auch z.B. als „Inneres Team“ oder „Inneres Parlament“, kann bei der Bearbeitung von traumatischen Erfahrungen, inneren Konflikten etc. ausgesprochen hilfreich sein, vor allem in Hinblick auf belastende Erfahrungen aus der Kindheit und ihrer Langzeitauswirkungen auf die Beziehung zu sich selbst und Anderen im Erwachsenenalter. In seinem neuesten Buch, das im vergangenen Jahr bei Klett-Cotta erschienen ist, behandelt Roland Kachler die klinischen und praxeologischen Aspekte der therapeutischen Arbeit mit dem „Inneren Kind“. Volkmar Abt, Gründer und Leiter des Systemischen Instituts in Augsburg, hat das Buch für systemagazin rezensiert:

Volkmar Abt, Augsburg:

Der Autor Roland Kachler ist im Feld der hypnosystemischen Konzepte kein Unbekannter. Als langjährig erfahrener approbierter Psychologischer Psychotherapeut und evangelischer Theologe, Paar-, Sexual- und Familientherapeut arbeitet er in freier Praxis in Remseck bei Stuttgart und hat vor allem in der hypnosystemischen Trauerbegleitung seit 2005 einen völlig neuen Ansatz geschaffen und seither viele Fachbücher veröffentlich. Nun legt er mit seinem neuen Buch „Die Therapie des Inneren Kindes – Konzepte und Methoden für Beratung und Psychotherapie“ ein Werk vor, das nicht weniger als ein „Umfassendes Kompendium der Inneren-Kind-Arbeit“ verspricht.

Der Klett-Cotta Verlag charakterisiert das Werk wie folgt:

„Das Handbuch für erfahrene Praktiker und Einsteiger; erster vollständiger Überblick über die verschiedenen Ansätze der Inneren-Kind-Arbeit; führt systematisch und schrittweise in die Methoden der Inneren-Kind-Arbeit ein; mit vielen Fall- und Gesprächsbeispielen und rasch umsetzbaren Interventionen“. 

Nach Durchsicht dieses Werks kommt der Rezensent zum Ergebnis, dass der Verlag gewiss nicht zu viel versprochen hat. Dies liegt vor allem am klugen Aufbau des Buches und der Festlegung auf viele kleine Texteinheiten innerhalb jedes Kapitels sowie der Markierung besonderer Merkfelder mit sehr nützlichen Praxishinweisen.

Roland Kachler gelingt es hervorragend die fundierten Inhalte mit dem Anspruch einer integrativen Zusammenzuführung verschiedener Ansätze zur Inneren-Kind-Arbeit durchgängig leicht verständlich, aussagekräftig und systematisiert für die konkrete praktische Anwendung darzustellen. Er spannt den Bogen von den Anfängen der Ego-State-Arbeit, ausgehend von Federn und Weiss, Carl-Gustav Jung, Eric Berne, Watkins und Watkins bis hin zu den wichtigsten Vertretern und Lehrern der Gegenwart in Deutschland: Woltemade Hartman, Kai Fritzsche und Jochen Peichl. Varianten des Inneren-Kind-Themas durch Gunther Schmid („Inneres Parlament“) und Friedemann Schultz von Thun („Inneres Team“) werden ebenso erwähnt wie auch die Schematherapie Jeffrey Youngs, der anstelle des Inneren-Kind-Begriff von „Beziehungsmodi“ spricht. Hoffnungsvoll verweist Roland Kachler auf den Einzug der Ego-State-Arbeit in die universitäre Lehre mit der Aussicht, dass durch wissenschaftliche Nachweise künftig die Wirksamkeit zu belegen ist.

Für diejenigen BeraterInnen und TherapeutInnen, die zum ersten mal mit dem Begriff des Inneren-Kind-Ansatzes in Berührung kommen sei hier kurz erwähnt, dass in diesem Ansatz davon ausgegangen wird, dass sich die Persönlichkeit biographisch aus unterschiedlichen Subsystemen (Ego-States) zusammensetzt und jeder Ego-State über ein eigenes neurobiologisches Netzwerk verfügt, welches jeweils kontextabhängig ein komplexes System von Kognitionen, Erleben und Gefühlen bildet.

Das gelungene Übersichtswerk verfügt auf insgesamt 274 Seiten über einen klaren und stimmigen Aufbau in 13 Kapiteln zzgl. Vorwort, Schlusswort und Literaturverzeichnis. 

Nach einer Erläuterung, was unter dem Inneren Kind im Sinne der Ego-State-Therapie zu verstehen ist schildert Roland Kachler, wie das Innere Kind allgemein betrachtet entsteht – oder besser gesagt: Wie die vielen Inneren Kinder die Personen in sich tragen (Kapitel 1 und 2) je nach Kontext entstehen. Er differenziert wie sich bindungsgestörte, neurotisierte, traumatisierte oder auch dissoziierte Innere Kinder entwickeln und verfestigen (Kapitel 3 bis 5). Ein großer Abschnitt behandelt den Zusammenhang zwischen der Entstehung von internalisierter Ego-States und Täter-Introjekten, wenn das Innere Kind in der Vergangenheit belastet, abgewertet, verletzt oder traumatisiert wurde (Kapitel 6).

Dann gilt Kachlers Augenmerk der Gegenwart indem er klärt, wie das gestörte Innere Kind sich im Hier und Jetzt zeigt und wie internalisierte Kind-Ego-States aktuell Probleme erzeugen und welche Rolle die behutsame Versorgung und Nährung des Inneren Kindes in Form von Beelterungsarbeit als Arbeitsbasis (Kapitel 7 und 8) spielt. In den darauffolgenden Kapiteln 9 bis 11 spürt Kachler den Fragen nach, was das bindungsgestörte Innere Kind hält und trägt, und wer es bedingungslos liebt und zu retten vermag. Kapitel 12 und 13 runden das Buch ab, indem Kachler eindrücklich darstellt, wie Nachholende Familientherapie am Herkunftssystem  und am inneren Glaubenssystem des Inneren Kindes ausgerichtet werden kann um das Innere Kind zu erlösen und zu heilen.

Alle Kapitel folgen im Aufbau einem durchgängigen Muster, welches für eine schnelle Orientierung sorgt. Nach einer kurzen Einführung in das jeweilige Thema des Kapitels werden 10 Grundinformationen, sogenannte „zentrale Basics“, dargestellt. Daran anschließend beschreibt Kachler 10 grundlegende Interventionen, welche durch weitere Verfeinerungsabschnitte („Vertiefungen und Weiterführung I-III“) augefächert werden. Der Verweis auf neurobiologische Hintergründe zur Fundierung der Interventionen rundet jedes Kapitel ab. Fallbespiele und Gesprächsausschnitte vermitteln in jedem Kapitel ergänzend einen transparenten Blick in die praktische Umsetzung und die Grundlagen einer achtsamen Anwendung. Besonders hervorzuheben sind die in jedem Kapitel besonders markierten „Bitte beachten“- Felder. Diese bieten mit wenigen, jedoch sehr klaren Empfehlungssätzen gerade für Einsteiger in die Innere-Kind-Arbeit hilfreiche Anhaltspunkte, um verantwortlich in diese sensible Arbeit mit KlientInnen oder Patientinnen einzusteigen. Dem geübten Praktiker verschaffen sie die Möglichkeit einen Abgleich zum eigenen Tun herzustellen und die eigene Praxis reflektierend und quasi selbstsupervisorisch-kritisch zu betrachten.

Als „Umfassendes Kompendium der Inneren-Kind-Arbeit“ ist dieses Werk eine echte Pionierleistung, welches mit fundiertem Wissen, einem großen praktischen Erfahrungsschatz  und einem reichhaltigen Spektrum von Varianten der Inneren-Kind-Arbeit aufwartet und vom geübten Praktiker auch mühelos quergelesen werden kann. Dabei wecken die kurzgefassten Texteinheiten mit ihren griffigen Überschriften sofort Lust und Neugierde zum Weiterlesen. 

Das Werk kann als Inspirationsquelle für die nächste Beratungs- oder Therapiestunde dienen und macht einfach Lust zum Ausbau des eigenen Repertoires, z. B. in Form von Time-Line-Arbeit und Bodenankern, der Würdigung von Wunden und Verletzungen durch Symbolisierungen, der Ausgestaltung eines heilsamen Ortes, der Arbeit mit dem Lebensskript, des Genogramms oder des Familienbretts mit einer inneren Familienaufstellung. Auch im Rahmen von Aus- und Weiterbildung von BeraterInnen und TherapeutInnen kann der Innere Kind-Ansatz wunderbar für Familienrekonstruktionen und verantwortlich geführter Aufstellungsarbeit für eine Neukonstruktion des Lebens genutzt werden.

Fazit:

PraktikerInnen werden im neuen Werk von Roland Kachler für die beraterische oder therapeutische Arbeit unabhängig von der präferierten therapeutischen Schule jede Mengee Anregungen und neue Ideen für die „Heilung“  vieler Inneren Kinder finden. Sehr empfehlenswert.

Roland Kachler (2020): Die Therapie des Inneren Kindes. Konzepte und Methoden für Beratung und Psychotherapie. Stuttgart (Klett-Cotta)

275 S., broschiert
ISBN: 978-3-608-96432-5
Preis: 35,- €

Verlagsinformation:

Das umfassende Kompendium der Inneren-Kind-Arbeit: unentbehrlich für die Praxis: – Das Handbuch für erfahrene Praktiker und Einsteiger; – Erster vollständiger Überblick über die verschiedenen Ansätze der Inneren-Kind-Arbeit; – Führt systematisch und schrittweise in die Methoden der Inneren-Kind-Arbeit ein; – Mit vielen Fall- und Gesprächsbeispielen und rasch umsetzbaren Interventionen. Die Innere-Kind-Arbeit integriert eine Vielzahl von Ansätzen und lässt sich in ganz verschiedenen Beratungs- und Therapiesituationen anwenden. Mit ihr können viele Probleme und Störungen, von Lebenskrisen über Bindungsstörungen bis hin zu Traumafolgestörungen, gelöst werden. In diesem Buch werden die verschiedenen wissenschaftlichen, neurobiologischen und therapeutischen Konzepte des Inneren Kindes systematisiert und in ihrer praktischen Anwendung vorgestellt. Der Autor zeigt auf, wie sich die belasteten und traumatisierten Kind-Ego-States durch die Innere-Kind-Arbeit schützen und versorgen, aber auch bergen, befreien und heilen lassen. Die PatientInnen lernen, wieder Zugang zu ihrem Inneren Kind zu finden und liebevoll mit sich und anderen umzugehen. Die therapeutische Arbeit mit dem Inneren Kind kann sofort und unmittelbar in der alltäglichen Beratungs- und Therapiepraxis angewandt werden.

Über den Autor:

Roland Kachler, Diplom-Psychologe, approbierter Psychologischer Psychotherapeut und evangelischer Theologe. 1990 bis 2003 Leitung der Psychologischen Beratungsstelle Esslingen, zudem Arbeit in der Trauerbegleitung und als Paartherapeut in eigener Praxis.

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