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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Wolfgang Loth: Wurzeldinge

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Das sagt sich so leicht: Vierteljahrhundert. Doch ist es so. So lange ist es her, dass ich mit dem Schreiben begonnen habe. Natürlich nicht: mit dem Schreiben. Es ist das Schreiben mit der Absicht zu publizieren. Ich entsinne mich nicht mehr, was genau der Anfang war. Jedenfalls gab es irgendwann einige Zettel, vollgeschrieben mit Ideen, Querverbindungen zu anderen Ideen und noch unausgegorenen Skizzen, wie die Dinge zusammenhingen. Die Dinge, von denen mir schien, dass sie den Kern unserer Profession ausmachen. Das war schon so, es sollte „das Ganze“ sein. Vision eben. Der Blick also nach oben, nach unten: nix in der Hand. Es fehlte mir eine Schreibmaschine. Schreib-what?! Ja, so hießen diese Geräte, mit denen man schrieb, wenn man nicht mit der Hand Schrift produzierte. An meiner Arbeitsstelle gab es eine, elektrisch. Die lieh ich mir dann über das Wochenende aus, nahm sie mit nach Hause, wenn ich genügend Gedanken gesammelt, durchgespielt, sortiert, auf Zettel verteilt und diese in Ordnung gebracht hatte. Ein Wochenende, drei Durchschläge per Kohlepapier und einiges mehr an zerknüllten Seiten. Wenn mitten im Text eine Passage nicht stimmte, musste die Seite neu eingespannt und von neuem begonnen werden. Am Montag stand die Maschine wieder in unserem Sekretariat. Schreiben und Schlepperei gehörten zusammen. Ebenso wie Warten. Ich entsinne mich, dass ich fast ein dreiviertel Jahr auf eine Antwort der „Familiendynamik“ wartete, nachdem ich der Redaktion eine Besprechung zu Bill O’Hanlons Taproots geschickt hatte. An Heiligabend  1987 kam dann die Bestätigung und der Ausblick auf den Abdruck im April des kommenden Jahres. Es wurde dann April des Jahres danach. Grausamkeiten müssten am Anfang geschehen, wird Macchiavelli gerne zitiert, und so hat mir das sicher geholfen dabei, Wartezeiten zu überstehen in den folgenden Jahren. Wartezeiten sind Durststrecken für mich. Und ich lernte für mich, wie ich es als Redakteur anders machen wollte. Dazu verhalf mir als erster Arist von Schlippe, den ich in der Zwischenzeit für die neugegründete „Systhema“ mit Texten wohl überschüttet hatte. Da zog er es vor, mich dann auch gleich an der Redakteursarbeit zu beteiligen und so wurde ich Mitglied der Redaktion. Arist ist einer von Zweien, an deren redaktionelle Betreuung von AutorInnen ich immer mit Respekt und Freude denke. Der andere ist Jürgen Hargens, der 1983 die „Zeitschrift für Systemische Therapie“ auf den Weg gebracht hatte – das für mich einschneidende und wegweisende Ereignis in systemischer Literatur hierzulande. Das erste Jahrzehnt dieser Zeitschrift ist mir immer noch eine Quelle der Inspiration. Beide, Arist und Jürgen, haben stets sehr bald reagiert, ausführlich, wohlwollend, nachvollziehbar sowohl in Zustimmung wie im Vorschlag von Veränderungen. Ich habe bei ihnen Grundlegendes gelernt über kritische Solidarität zwischen AutorInnen und RedakteurIn. Daran habe ich mich in den mittlerweile vielen Jahren als Redakteur und auch als Beiratsmitglied verschiedener Zeitschriften immer orientiert. 
Ich frage mich, was solche Erinnerungen heutzutage bedeuten mögen. Was das Ringen mit den Begrenzungen, aber auch das Getragensein auf den Fundamenten einer analogen Welt heute für einen Eindruck zu machen vermöchte. Was soll’s heute? Einerseits kommt mir die Schnelligkeit der neuen Medien und elektronischen Kommunikationsformen entgegen. Warten muss ich jetzt weniger (und Schleppen auch nicht). Und wenn, dann bin ich zum Zeitpunkt der (aus meiner Sicht) verspäteten Antwort schon wieder weiter, habe neue Quellen angezapft, neues Material rundgeschickt, hier etwas beigesteuert, da etwas zum Rückmelden erhalten. Das geht schnell heute, und manchmal ist es auch hilfreich. Aber manchmal – und das ist die andere Seite –  frage ich mich schon, ob im Gewusel der Fülle, auch der publizierten Fülle, nicht manchmal die Substanz fehlt, das Durchgearbeitete, die bewältigte Notwendigkeit mit Durststrecken umzugehen. Es ist schon in Ordnung, der fehlenden Zeit der LeserInnen entgegenzukommen, auf Flüssigkeit und Eingängigkeit zu achten, notfalls Häppchen anzubieten, den Lesestoff zu magazinieren. Doch wenn es nur noch darauf ankäme, einen schnellen Eindruck im Vorübereilen zu ermöglichen, und wenn dabei die ZuMUTung gänzlich aufgegeben würde, auch die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen und Bedrängnissen erkennbar zu machen, und dazu anzuregen, dann fehlte mir doch etwas. Dann wäre der eingebaute Lese-Scanner in Brille oder Brilli effizienter. Nur die Frage: Wozu?, diese Frage würde dann überflüssig, so scheint mir. Literatur, die anregt, ist immer auch unberechenbar, in ihrer Wirkung offen, insofern ein Risiko – ein blühendes allerdings. Literatur, die nur noch als Medium zum Briefing gilt, kann dafür nicht mehr offen sein. Sie soll etwas her-stellen, nicht mehr handeln. Ach ja, Hannah Arendt, Vita activa, nun gut.
Wie gesagt, sagt sich so leicht: Vierteljahrhundert. 
Immerhin: von meinem iMer gesendet.

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