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systemagazin Adventskalender 2024 – 18. Haja Molter

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Zeitenwende – in meinem Kopf schwirren widersprüchliche und verstörende Gedanken, mein Herz quälen manchmal unangenehm stechende Gefühle und mein Bauch reagiert mit Grummeln und Unwohlsein. Dann wieder scheint die Welt in Ordnung zu sein, ich lebe meinen Alltag, treffe Freunde, gehe ins Kino, Theater und Oper, besuche Jazzkonzerte, verreise, mache Urlaub, kurz gesagt, ich lasse es mir und uns gut gehen.

Der Kopf sagt, jeder Krieg ist irgendwann zu Ende. Schau in die Geschichte, das war schon immer so. Das tröstet Herz und Bauch keineswegs. Denn wie gehe ich mit den Emotionen um, die immer da sind und laut Luc Ciompis Affektlogik die eigentlichen Antriebe des Denkens und Handelns sind. (1)

Im systemischen Feld verwirft man lineare Schuldzuweisungen, der, die oder die sind schuld: ist ein No Go. Doch wie verhält es sich mit mit denen, die einen Krieg beginnen? Ehemalige Kriegsdienstverweigerer unterstützen heute Waffenlieferungen und Angriffskrieg als Antwort, andere fordern Dialogbereitschaft, es wäre zu hoffen, dass Dialoge, schon mehr Trialoge und mehr, möglich werden,

Alles ist hoch komplex. 

Ständig umgeben von diesen Stimmungen und Gedanken möchte ich  – diese Komplexität reduzierend – von einer Erfahrung berichten, die mich über die Jahre in vielen Paartherapien ratlos gemacht hat. Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts beobachten wir einen Psychoboom. (2) Man könnte Bibliotheken füllen mit Fach- und Populärliteratur zu allen gesellschaftlichen und Alltagsproblemen. Die Psychologisierung schreitet fort. Die psychotherapeutischen Praxen quellen über vor Anfragen. 

Auch die neuerdings approbierten systemischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten werden gut versorgt von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen sowie Privatzahlern. Systemische Beratung, Coaching und Organisatinsberatung florieren.

Eine wohlmeindende Hypothese könnte sein, dass die Basisbedingungen einer gelingenden Kommunikation trotz Luhmanns Warnung vor der Wahrscheinlichkeit des Misslingens von Kommunikation bekannt und vertraut sind. (3) Denkste!

In Paartherapien, wo es um Trennung und das weitere Schicksal der Kinder geht, stand ich oft ratlos vor der Tatsache, dass Frau und Mann, die sich ja irgendwann mal geliebt und sich das commitment gegeben haben, liebevolle und verantwortungsvolle Eltern für ihre Kinder zu sein, sich unversöhnlich darin zeigten, eine angemessene Lösung für ihre Kinder nach der Trennung zu vereinbaren. Gegenseitig schleuderten sie sich Ereignisse aus dem Museum der Verletzungen hervor. Es ging nicht mehr um die Kinder, sondern nur darum, wer im Recht ist. Leider mussten in solchen Fällen die Familiengerichte entscheiden, wem die Kinder zugesprochen werden und wie das Umgangsrecht geregelt wird. Da stand ich da mit meinen Emotionen. Es galt zu akzeptieren, dass nach dem spöttelnden Albert Einstein „der Horizont vieler Menschen ein Kreis mit dem Radius null ist.“ Oft hätte ich mir gewünscht, die Paare solange in einen großen Sack zu stecken, bis sie sich geeinigt haben.

Als tröstlich erlebte ich, dass viele Paare mit unserer Unterstützung – ich hatte den Luxus, Paartherapien mit meinr Freundin und Kollegin Karin Nöcker durchzuführen – kreative und die Kinder einbeziehende Lösungen erarbeitet haben.

1 Levold, T., Schlippe, A. v.( 2024) „Krieg anzetteln ist leicht. Frieden zu machen ist unendlich schwierig.“ Tom Levold und Arist von Schlippe im Gespräch mit Luc Ciompi. DOI 10.21796/ fd 49-332-338

2 Bach, G, Molter, H. (1976). Psychoboom. Wege und Abwege moderner Psychotherapie. Köln, Düsseldorf: Eugen Diederichs Verlag

3 Luhmann, N. (1988). In: Simon, F. B. (Hrsg.). Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der systemischen Therapie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Molter, H., Nöcker, K.  Luhmann für mich und dich. In: systhema 1/2012 – 26. Jahrgang, S. 19-29

Haja Molter, Düsseldorf

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