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Planet der Slums

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So heißt ein Buch des amerikanischen Sozialhistorikers Mike Davis, das im Februar im Verlag Assoziation A erschienen ist und eine„Kopernikanische Wende” der menschlichen Siedlungsgeschichte konstatiert.„Denn nie zuvor überstieg der Anteil der Stadtbevölkerung den Anteil der auf dem Land Wohnenden und nie zuvor sah sich eine ungeheure Anzahl von über einer Milliarde Menschen gezwungen, ihr Überleben in Armut, im Schmutz der Müllhalden, ohne (sauberes) Wasser, ohne Toiletten, ohne irgendeine Art der Gesundheits- oder Sozialversorgung zu organisieren. Die Megaslums des ‘Südens’ sind Ausdruck einer im höchsten Maße ungleichen und instabilen urbanen Welt. Hier treffen die sozialen Fronten der Globalisierung in radikaler Weise aufeinander“
Telepolis bringt ein aufschlussreiches und ausführliches Interview mit dem Autor:„Es ist schon erstaunlich, dass die klassische Gesellschaftstheorie, ob nun Marx, Weber oder gar die Modernisierungstheorie des Kalten Krieges, nicht antizipiert hat, was mit der Stadt in den letzten 30 oder 40 Jahren passiert ist. Niemand hat die Entstehung einer riesigen Klasse vorhergesehen, die hauptsächlich aus jungen Menschen besteht, die in Städten leben, keine formelle Verbindung zur Weltwirtschaft haben und auch chancenlos sind, jemals eine zu bekommen. Diese informelle Arbeiterklasse ist nicht das Marxsche Lumpenproletariat, und sie ist nicht der„Slum der Hoffnung”, wie man ihn sich vor 20 oder 30 Jahren vorgestellt hat – voller Menschen, die schließlich in die formelle Ökonomie aufsteigen werden. Diese an die Ränder der Städte verbannte, informelle globale Arbeiterklasse hat normalerweise wenig Zugang zur traditionellen Kultur der Städte, und sie stellt eine beispiellose Entwicklung dar, die in der Theorie nicht vorhergesehen wurde. … Nach der konservativen Rechnung des Berichtes leben gegenwärtig eine Milliarde Menschen in Slums und mehr als eine Milliarde kämpfen als informelle Arbeiter um ihr Überleben. Diese mögen Straßenhändler, Tagelöhner, Kindermädchen, Prostituierte oder gar Menschen sein, die ihre Organe für Transplantationen verkaufen. Die Zahlen sind erschreckend, zumal erst unsere Kinder und Enkel die größte Bevölkerungszahl der Menschheit erleben werden. (…) 95 Prozent dieses Wachstums wird in den Städten des Südens stattfinden. … Die klassische Urbanisierung nach dem Muster von Manchester, Chicago, Berlin oder Petersburg findet man heute noch in China und an einigen wenigen anderen Orten. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die städtische industrielle Revolution in China ähnliche Entwicklungen andernorts ausschließt, denn sie saugt alle Produktionskapazitäten für Konsumgüter – und zunehmend alles andere – auf. Aber in China und ein paar angrenzenden Ökonomien ist noch städtisches Wachstum zu beobachten, das von einem Prozess der Industrialisierung angetrieben wird. Überall sonst wachsen Städte weitgehend ohne Industrialisierung, oftmals sogar, was noch erschreckender ist, ohne jegliche Entwicklung. Überdies haben Städte wie Johannesburg, Sao Paulo, Mumbai, Belo Horizonte oder Buenos Aires, vormals die großen Industriestädte des Südens, in den letzten 20 Jahren eine massive Deindustrialisierung erlitten“
Zum vollständigen Interview…

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