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Nachdem bereits 2016 im Carl-Auer-Verlag ein Gesprächsband unter dem Titel „Kommunikation als Lebenskunst“ erschienen ist, in dem Friedemann Schulz von Thun und Bernhard Pörksen die zentralen Modelle der Kommunikationspsychologie miteinander diskutieren, ist dieser Tage im Hanser-Verlag ein neuer Band der beiden Autoren erschienen, in dem sie sich – ebenfalls in Gesprächsform – Gedanken über Lösungen problematischer Kommunikationsformen im Kontext eines überreizten und überhitzten gesellschaftlichen Kommunikationsklimas machen, dem wir derzeit in den öffentlichen und sozialen Medien ausgesetzt sind.
Jürgen Nielsen-Sikora, Professor am Hans Jonas-Institut bei der Fakultät Bildung – Architektur – Künste an der Universität Siegen, hat das Buch für systemagazin gelesen:
Jürgen Nielsen-Sikora, Siegen:
Die Todesliste des Bären
Wenn es um das Thema Kommunikation geht, wird eine Geschichte immer wieder gern zitiert. Sie trägt den Titel „Die Todesliste des Bären“. In dieser Geschichte herrscht helle Aufregung im Wald, weil die Tiere sich erzählen, der Bär führe eine Todesliste. Doch niemand weiß so recht, wer eigentlich auf dieser Liste steht. Eines Tages fasst sich der Hirsch ein Herz und fragt den Bären, ob er auf seiner Liste stehe. Der Bär bejaht, woraufhin der Hirsch das Weite sucht. Nach ein paar Tagen finden die anderen Tiere ihn tot auf. Nun bricht noch größere Unruhe im Wald aus, bis auch das Wildschwein auf den Bären zugeht und fragt, ob es auf der Liste stehe. Abermals bejaht der Bär die Frage. Das Wildschwein flieht wie zuvor der Hirsch und wird nach zwei Tagen ebenfalls tot aufgefunden. Panik macht sich im Wald breit. Da geht der Hase zum Bären und fragt ihn, ob er auf der Liste stehe. „Ja“, sagt der Bär, „auch Du stehst auf meiner Liste“. Der Hase jedoch gibt sich mit der Antwort nicht zufrieden und will vom Bären wissen, ob dieser ihn von seiner Liste streichen könne. Zum Erstaunen aller erwidert der Bär: „Ja sicher, kein Problem!“
In dieser Geschichte zeigt sich mindestens ein Aspekt der Kunst des Miteinander-Redens. Was war passiert? Zunächst waren Gerüchte im Umlauf. Doch niemand wagte es, einmal nachzufragen, ob die Gerüchte auch wirklich wahr sind. Auch jene, die nachfragten, sahen nur das Problem, ohne nach einer Lösung zu suchen. Sie brachen die Kommunikation ab und blieben somit im Problem gefangen. Anders der Hase, der für das Problem, das er sich erst bestätigen lässt, nach einer Lösung sucht. Er findet sie, weil er der Kommunikation mit dem Bären eine andere Stoßrichtung gibt – weg vom Problem, hin zur Lösung des Problems.
Die Moral der Geschichte: Wenn die Gerüchteküche brodelt und die Erregung groß ist, so wie heute vor allem im dichten Wald sozialer Medien, ist gute Kommunikation wichtiger denn je.
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