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Wie schon berichtet, ist Helm Stierlin am 9. September dieses Jahres gestorben. Seine langjährigen Mitarbeiter und Freunde Fritz B. Simon und Gunthard Weber haben auf der website des Carl-Auer-Verlags Nachrufe auf ihn veröffentlicht, die hier verlinkt sind. Wolf Ritscher, der sehr früh zu Helm Stierlins Studenten gehörte und über die Jahrzehnte immer in Kontakt mit ihm war, hat für systemagazin einen ausführlichen Nachruf verfasst, der heute hier neben einigen anderen Würdigungen zu lesen ist.
Wolf Ritscher, Unterreichenbach: Helm Stierlin (1926 – 2021): Ein Blick zurück
Am Donnerstag den 9. September hat Helm Stierlin im Alter von 95 Jahren unsere Welt verlassen. Er betrat sie am 12.3.1926, als ältester von drei Brüdern und diese Geschwisterkonstellation war ein ihn prägendes Muster. Wie er von 1974 bis 1991 das Team im Institut für Familientherapie in der Heidelberger Mönchhofstraße geleitet hat, war sicherlich auch ein in seiner Herkunftsfamilie gelebtes Muster: der ältere Bruder, der die Verantwortung für die jüngeren übernimmt, sie dabei unterstützt, ihren eigenen Weg zu finden und dabei selbst in der eigenen Entwicklung vorankommt. Hier zeigt sich schon das Konzept der familiären Koevolution, das Helm Stierlin immer so wichtig war. Schwestern hatte er keine, und da die Mutter ihm in der Jugendzeit innerlich fern blieb, waren es die Brüder und der oft abwesende Vater, mit denen er in einer inneren Verbindung stand. Später konnte Helm Stierlin auch die Ressourcen und positiven Seiten seiner Mutter würdigen: sie wollte Ärztin werden, und durfte es nicht, weil sie ein Mädchen war. So wurde sie Künstlerin und ging als eine Verfechterin weiblicher Selbstständigkeit in einer immer noch patriarchalisch geprägten Welt ihre eigenen Wege. Und sie hielt die Familie nach dem Tod des Vaters und eines der Brüder zusammen, bis alle wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
Helm Stierlin musste früh selbstständig und selbstverantwortlich werden und in dem Desaster des (glücklicherweise) untergegangenen „Dritten Reiches“ und der Zeit danach seinen Platz im Leben finden. Das war nicht einfach, denn der für ihn emotional wichtige Vater tötete sich in den letzten Kriegstagen selbst. Dass es eine Selbsttötung war, enthüllte ihm die Mutter erst 35 Jahre später. Wir sehen schon an diesen familiendynamischen Stichworten, dass Stierlins Wahl, zunächst für die Psychoanalyse, dann während seiner Jahre in den USA (1955 bis 1974) für die Familiendynamik und Familientherapie, auch mit seiner eigenen Herkunftsfamilie verbunden war. Diese Verknüpfung von Herkunftsfamilie und professioneller Biographie hat seine Frau Satuila in ihrem Buch „Ich brannte vor Neugier“ an Hand vieler PionierInnen der Familientherapie beschrieben.
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