Ulrich Clement hat mit seinen Arbeiten zur systemischen Sexualtherapie den sexualtherapeutischen Diskurs nachhaltig geprägt. Die Wiener Sexualtherapeutin Claudia Bernt 2017 hat in einem schön geschriebenen Text für die „Systemischen Notizen“ unter dem Titel „,Let’s Talk about Sex’. Systemische Sexualtherapie mit Paaren und Einzelpersonen“ wichtige Aspekte seiner Arbeit zusammengefasst und anhand von eigenen Fallbeispielen erläutert. In der Einleitung schreibt sie: „Wie wird man eigentlich Sexualtherapeut*in? Diese Frage stellen mir viele Menschen, wenn Sie mich nach meinem Beruf fragen oder nach meinen Spezialgebieten in der Praxis. Ganz ehrlich? Das Thema hat mich gefunden. Wenn wir mit Paaren, aber auch Einzelpersonen arbeiten, kommt es ganz von allein in den Therapieraum. So sah ich mich immer wieder damit konfrontiert, dass Paare oder auch Einzelpersonen über unbefriedigende sexuelle Erlebnisse sprachen. In ihren Beschreibungen ging es um Lustlosigkeit, Erektionsprobleme, Schwierigkeiten zum Orgasmus zu gelangen, Unsicherheiten in der Geschlechtsidentität oder um sexuelle Vorlieben, die von ihnen selbst als „nicht normal“ gewertet wurden. Manchmal liegt es aber auch an uns Psychotherapeut*innen, das Thema „Sexualität“ explizit anzusprechen, wenn Klient*innen es nur vage andeuten – auch hier ist es wichtig zu konkretisieren und zu kontexualisieren (was ist schon normal …?). Und dennoch scheuen wir uns manchmal davor, denn wie sollen wir in der Therapie über Sexualität sprechen und vor allem, ohne dabei zu sexualisieren? Vielleicht drängen sich auch noch andere Fragen auf: Welche Ideen und Vorstellungen habe ich selbst über gelungene, befriedigende Sexualität? Wie kann ich mich neutral und ohne Sexualmoral positionieren? Der Artikel soll Ideen und Anregungen geben, wie wir über sexuelles Erleben reden können, wenn dieses von unseren Klient*innen als „gestört“ oder nicht zufriedenstellend beschrieben wird. Wie können Psychotherapeut*innen – auch ohne Zusatzausbildung – mit diesen Problembeschreibungen umgehen, ein systemisches Verstehen entwickeln und darauf aufbauend therapeutische Interventionen setzen?
Zu Beginn lohnt es sich, einen kurzen Ausflug in die Entstehungsgeschichte der „klassischen“ Sexualtherapie von Masters und Johnson und weiterführend zur kritischen Auseinandersetzung dieses Ansatzes aus systemischer Sicht zu machen, um darauf aufbauend die Gundprämissen und -haltungen von systemischer Sexualtherapie zu skizzieren. Diese wurde maßgeblich von Ulrich Clement geprägt und ist in aller Ausführlichkeit in seinen Publikationen „Systemische Sexualtherapie“ (2004), „Wenn Liebe fremd geht“ (2009) oder „Dynamik des Begehrens“ (2016) nachzulesen. Anhand von zwei Fallbeispielen aus meiner psychotherapeutischen Praxis sollen Fallverständnis und Interventionsmöglichkeiten von systemischer Sexualtherapie verdeutlicht werden.“