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Die neue Netzfeindlichkeit

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Bernhard Pörksen, 43, ist Medienprofessor in Tübingen und in der systemischen Szene als Publizist gut bekannt, vor allem durch seine im Carl-Auer-Verlag erschienenen Gesprächsbücher mit Humberto Maturana und Heinz von Foerster. Dieser Tage ist ein gemeinsam mit  Hanne Detel verfasstes Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ im Herbert von Halem Verlag Köln erschienen. In einem Gastbeitrag für systemagazin setzt sich Pörksen mit der Frage auseinander, welcher Dynamik Skandale im Kontext des Netzes unterliegen und ob die weithin zu beobachtende„Verteufelung des Internet“ einen Beitrag zur„Zivilisierung der öffentlichen Kommunikation“ zu leisten in der Lage ist:

Die neue Netzfeindlichkeit

Cybermob, Shitstorm, anonyme Aggression – die aktuelle Debatten regiert eine neue Netzfeindlichkeit, die eine entscheidende Frage verdeckt: Wie kann es gelingen, öffentliche Kommunikation zu zivilisieren?

Nach Jahren der Euphorie hat das Internet dieser Tage eine ziemlich schlechte Presse. Es gilt nun als das Medium der künstlichen Daueraufregung  und als Instrument der Menschenjagd. Das Netz erzeuge eine oberflächliche, dümmliche Aggression, so heißt es. Es brutalisiere Menschen, die nicht mal in der Lage seien, im Mini-Format einer Twitterbotschaft orthographisch korrekt zu formulieren, so bekommt man zu lesen. Man solle den Zugang für Jugendliche sperren, forderte ein erregter Bürger in einer kürzlich ausgestrahlten Radiodiskussion. Ein anderer: Der Mensch befinde sich „in der Knechtschaft der Maschine.“ Wieder ein anderer: Am Sinnvollsten sei es vermutlich, das Internet „einfach ganz abzuschalten“, zumindest für ein paar Tage.
Die Anlässe der neuen Netzfeindlichkeit sind datierbar. In Emden verdächtigte im März die Polizei zu Unrecht einen 17-jährigen Schüler, ein Mädchen vergewaltigt und umgebracht zu haben. Blitzschnell formierte sich, kaum war der Verdacht in Umlauf, ein Cybermob und forderte seinerseits den Kopf des jungen Mannes. Der zweite Anlass ist mit einer Rache-Aktion der Hochspringerin Ariane Friedrich verknüpft. Sie machte dieser Tage eine sexuelle Belästigung in Form eines eines Fotos und einer Mail öffentlich; sie nannte den Namen und die Adresse des mutmaßlichen Absenders auf ihrer Facebook-Präsenz. Ihr Ziel war es, durch Prangermethoden Vergeltung zu üben, Selbstjustiz zu praktizieren – subjektiv verständlich, aber doch falsch.
Interessanter Weise zeigen überdies gerade die genannten Fälle, dass die aktuelle Aufgeregtheit an einer folgenschweren Verwechslung krankt. Denn letztlich verwechseln die schockierten Fundamental-Kritiker der Netzwelt das Medium mit den Menschen, die dieses einsetzen. Sie suchen einen Schuldigen – und greifen sich die Technologie, das Instrument zur Verbreitung der bösen Botschaft. Niemand muss jedoch in einem Forum zum Mord an einem Verdächtigen aufrufen. Und was immer man von Facebook hält – kein Programmierer hat die Selbstjustiz und die Abschaffung der Unschuldsvermutung zur Standardeinstellung der Kommunikation gemacht. Es war Ariane Friedrich, die durch den Akt der wütenden Ad-hoc-Publikation den Rollenwechsel vollzogen hat und so selbst zur Täterin wurde. Natürlich, es ist schon richtig: Das Netz erlaubt die Blamage auf einer weltweit einsehbaren Bühne. Es lässt sich benützen, um Dokumente der Demontage in Hochgeschwindigkeit zu verbreiten, die sich kaum noch zensieren lassen. Und es macht den Skandal allgegenwärtig und den Reputationsverlust zum unkalkulierbaren Dauerrisiko. Aber es stimmt eben auch: Man kann die neuen Kommunikationstechnologien verwenden, um mit ihrer Hilfe Kriegs- und Schandbilder bekannt zu machen, für Aufklärung und Transparenz zu sorgen und dabei mitzuhelfen, Folterer zu entlarven, Diktatoren einzuschüchtern, sie im Extremfall zu stürzen.
Wer nun das Medium selbst schuldig spricht, der glaubt nicht an die Menschen, die in der Lage sind, dieses auf eine sehr unterschiedliche Weise zu benützen. Er will sie bevormunden, durch Verbote kontrollieren, denn sie sind ihm unheimlich. Und er lässt bei all dem, dies wiegt am Schwersten, die entscheidende Herausforderung aus dem Blick geraten: Wie kann es gelingen, gleichsam von Kindesbeinen an, ein Gespür für Medieneffekte zu entwickeln? Wie sieht ein neues, der Gegenwart gewachsenes Konzept der Medienpädogik aus, das eine Mentalität des empathischen Abwägens befördert? Was heißt Medienkompetenz im digitalen Zeitalter? Man muss es so hart sagen: Die Verteufelung des Internet ist selbst gefährlich. Sie blockiert die dringend gebotene Suche nach Rezepten und Ideen, um öffentliche Kommunikation zu zivilisieren. Und sie ist denen, die bis auf Weiteres an die Mündigkeit des Menschen glauben, nicht würdig. 

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