
„Nonetheless“

Santa zu Besuch bei der Ästhetik des Widerstands
4. Dezember 2025
von Tom Levold
Keine Kommentare


Santa zu Besuch bei der Ästhetik des Widerstands
3. Dezember 2025
von Tom Levold
Keine Kommentare

Ich bin ja nun mit meinen 79 schon eine längere Wegstrecke unterwegs und prinzipiell im Ruhestand. Doch halte ich mich zu Themen, die mich interessieren, auf dem Laufenden. Hauptinteresse immer noch: Der Mensch in seiner Entwicklung. Doch sind das heute weniger meine alten Fachthemen. Es ist sogar verblüffend, wie schnell man an vielem das Interesse verlieren kann, wenn man erstmal im Ruhestand ist. Es sei denn, es tut sich etwas Neues. Da fällt mir allerdings zu diesem Jahr wenig ein.
Doch blieben es zwei Worte, die mir in den letzten Wochen zugeflogen sind. Und alle habe etwas mit Dialog und Perspektiven zu tun. Die Worte sind Imagogie und Geschwisterlichkeit.

Ich glaube es war Richard David Precht, der von Imagogie gesprochen hat. Das Wort kannte ich nicht und es löste in mir die Phantasie aus, dass es auf etwas Wichtiges verweist. Als ich recherchierte, kam es in Begleitung von Demagogie daher. Demagogie: Vereinfachend, auf Emotionen zielend wie z.B. Angst und Empörung, um über Zustimmung Macht zu erlangen. Ja, davon hatten wir reichlich dieses Jahr.
Imagogie dagegen: auf Berührung zielend, um über Inspirationen z.B. durch Bilder und Metaphern Vorstellungen zu wecken. Wie z.B. könnten Zukünfte sein, die zumindest ein tolerantes und friedfertiges Nebeneinander ermöglichen? Für Zukunfts- und Dialogfähigkeit auch in dystopischen und polarisierten Gefilden braucht es gemeinsame Wirklichkeitsbilder. Diese sollten einerseits anerkennen, wo wir stehen und dass es nicht wie gehabt weitergehen kann, aber andererseits Hoffnung wecken, dass es sinnvolle Zukünfte gibt, für die es lohnt, sich zu engagieren, notfalls Opfer zu bringen. Der Klassiker also: „Wie können und wollen wir leben?“! Und welchen Preis sind wir bereit dafür zu zahlen? Auch darum zu streiten lohnt, doch auch die Streitkultur liegt im Argen. Leider kommen wir mit positiven gemeinsamen Narrativen nicht so recht voran, obwohl sich viele ernsthaft bemühen, sich nicht mit irrelevanten oder ideologischen Scharmützeln auf der Titanic zu begnügen.
Konstruktiv Streiten will ja auch gelernt sein. Auf Kontroverses und Unwägbares hauptsächlich mit Brandmauern und roten Linien zu reagieren, reicht nicht, obwohl verständlich ist, wenn der Intoleranz keine Toleranz entgegengebracht werden soll. Wo aber liegen die Grenzbereiche zwischen Beschwichtigung und Dialogbereitschaft?
Der Stress ist groß und dementsprechend geht es immer gleich auch ums Selbstverständnis. Doch durch Befestigung von Identitätsinseln und Moralismus ist das Problem nicht zu lösen. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet. Ich beneide niemanden, der da besondere Verantwortung trägt. Leider habe auch ich keine Antworten und kann höchstens etwas zur Deeskalation und zur Haltungsbildung beitragen.
Und hier kommt die Geschwisterlichkeit ins Spiel. Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit, Schlagworte aus der französischen Revolution, die sich in der Blüte des deutschen Idealismus und der Weimarer Romantik „nebenan“ ereignete. Alle drei Begriffe und deren Zusammenhang beschäftigen mich immer wieder. Hier nur ein paar Sätze zur Geschwisterlichkeit, wie man Brüderlichkeit heute nennen müsste.
In meiner Herkunftsfamilie war man sich nicht besonders nahe. Die positive Folge: Es gab auch wenig Verwicklung und Drama, nicht mal bei den Erbteilungen, die viele Familien aus dem Ruder laufen lassen. Ich hatte immer eher das Bild von einer Stallgemeinschaft verschiedener Tierarten statt von einer homogenen Gemeinschaft. Mir war es recht. Jeder konnte außerhalb finden, womit er verbunden sein wollte. Das als Hintergrund für mein Verständnis von Geschwisterlichkeit.
Die Basis-Variante der Geschwisterlichkeit ist die Koexistenz. Man kann und will „unfallfrei“ nebeneinander leben und aneinander vorbeikommen. Das ist schon viel. Minimumanforderung hierfür ist Toleranz. die gerade dort gefordert ist, wo die Lebensarten anderer schwer zu ertragen sind. Darüber hinaus gibt es die Premium-Variante Komplementarität: Man macht es den anderen möglichst leicht, z.B. nimmt man sich möglichst wenig heraus, beeinträchtigt andere nicht ohne Not und faire Auseinandersetzung. Das ist im Angesicht endloser Ausbeutung und der Hortung von Privilegien schon eine gehobene Form von Geschwisterlichkeit. Organisieren wir uns so, dass andere, auch solche, mit denen wir nichts weiter zu tun haben wollen, sich damit verträglich auch gut organisieren können? Dann gibt es die Luxus-Variante der Geschwisterlichkeit, die Kooperation in Gemeinschaften mit solchen, mit denen wir zusammenleben und -wirken wollen. Gelingt eher selten und auf weite Strecken wirklich gut, beglückt dafür umso mehr.
Die mir zugeflogenen Gedanken -miteinander verbunden- könnten anregen, über Beziehungen zu anderen im Kleinen wie im Großen zu sinnieren und Bilder zu entwickeln, was wir tun können und wollen, um ein paar Schritte Richtung Upgrade in Sachen Geschwisterlichkeit zu gehen.
Eine frohe Weihnachtszeit
wünscht Bernd Schmid
2. Dezember 2025
von Tom Levold
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„Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!”
Richtig – so lautet die berühmte und mich stets verstörende Schlusszeile des wohl bekanntesten Gedichts eines Generationen prägenden Dichterfürsten namens Hermann Hesse (1877-1962). Wer sagt mir, dass mein Herz wirklich gesundet, wenn ich Abschied nehme? Wahrscheinlich ist meine Irritation aber vor allem in meiner Abneigung gegen imperative Ratschläge mit Ausrufezeichen begründet.
Warum fällt mir nun aber gerade das „Jahrhundert-Gedicht” Stufen bei dem diesjährigen Aufruf von Tom Levold ein?
Das hat mit einem meiner „Lieblingslehrer““” seit nun fast 50 Jahren zu tun: Friedemann Schulz von Thun – ja, genau, der mit den Vier Seiten einer Nachricht – hat sich unlängst getraut, ein Buch mit dem verlockenden Titel „Erfülltes Leben – Ein kleines Modell für eine große Idee“ zu veröffentlichen.
Und in diesem Buch, das ich für diesen Text aus dem Regal nehme, findet sich folgende Passage: „Sehnst du dich nach Mobilität, Wandel, Aufbruch und Abenteuer? Es gibt ein berühmtes Gedicht von Hermann Hesse, eine kraftvolle und bezaubernde Hymne auf diese Sehnsucht. Je mehr ich dieses Gedicht an mich habe herankommen lassen, umso mehr regte sich eine innere Gegenrede in mir. Da wollte die Gegenschwester zu Wort komme, deren Sehnsucht in der Verwurzelung liegt. Unter ihrem Einfluss habe ich – mutig – ein Gegengedicht im selben Stil verfasst.“ (S. 30 ff.)
Er betitelt es mit Stammsitz und würdigt damit die andere Seite der von Hesse gehypten Wandel-Medaille: Nur durch Beständigkeit und kluges Walten / kannst du Bewährtes lang erhalten.
Ich empfehle das Nachlesen im Original ausdrücklich.
Diesen Impuls von Schulz von Thun, die gute Hesse-Idee mit einem „Ausgleich-Gedicht“ zu ergänzen und damit zu komplettieren, fand ich nicht nur mutig und schelmisch sowie originell umgesetzt, sondern auch weise und für diesen Text geeignet.
Was heute zunehmend abhanden zu kommen scheint, ist der „Ausgleich der Weltsichten“, das Vermittelnde der Grundwerte und Haltungen. Vielleicht hat es mit der zunehmenden existenziellen Verunsicherung zu tun. Und die wiederum mit den drei große K: Klima, Kriege, Clowns als Staatschefs. Viele sagen vielleicht: Ich fühle mich überfordert, wenn ich nun auch immer noch „die andere Seite“ mitdenken soll. Da halte ich mich lieber an „mein Denk-Lager“, so spare ich meine Kraft fürs Überleben und „Vorankommen“.
Neulich las ich einen schönen Begriff für dieses Phänomen des unnachgiebig erlebten „Wandelzwangs“: Veränderungserschöpfung. Der Soziologe Steffen Mau hat ihn wohl zuerst verwandt: Die Welt dreht sich zu schnell, da komm ich nicht mehr mit, mir wird das alles zu viel. Ich wünsche mir, dass es wieder „überschaubar“, einfacher wird. Deshalb halte ich mich lieber an die, die mir einfache Lösungen anbieten. Hör mir auf mit „komplex“!
Da ist etwas ins Rutschen gekommen und das Ende ist nicht absehbar. Wir, die wir uns als „Systemikerinnen und Systemiker“ verstehen, haben und behalten heute den Job, für das „komplexe Denken“ zu werben. Wir können es beispielhaft und somit als attraktiv nachvollziehbar vorleben. Wir können immer wieder die Haltung des Sowohl als auch als hilfreiche Lebenshaltung erläutern und vermitteln. Ohne Würdigung der jeweiligen Werte-Gegenschwester droht das Abrutschen in die negative und polarisiernde Übertreibung.
Für mich ist mein alter Professor Schulz von Thun der Meister des Sowohl als auch.
Neulich hörte ich, „der sei ja gar kein echter Systemiker“. Ich entgegnete spontan: „Wenn nicht das Denken und Praktizieren des Sowohl als auch eine systemische Grundhaltung ist, dann weiß ich auch nicht.““”
Ich versuche weiterhin, sie zu bewahren und weiterzutragen. Ich denke: Mehr kann ich wohl nicht tun.

1. Dezember 2025
von Tom Levold
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POLIKLINIK PRAG
Da ist alles umsonst. Kostet nichts mehr.
Nur die krank sind. Kein Reichenhaus, kein Armenhaus,
nur ein Krankenhaus für die Kranken, kostet nichts,
alles umsonst, kein Vortritt und keine Privilegien,
da sind alle krank und klopfen an wie ans Paradies
und taumeln wie vorm Paradies und atmen kaum.
(Ingeborg Bachmann, 1965)
Die späte Ingeborg Bachmann, kündet wie eine Kassandra der Moderne. Die große Zerrissene in einer zerrissenen Welt, keine bessere Prophetin hätte ich mir im Hier und Jetzt wünschen können, kein besseres Vermächtnis als dieses Gedicht als Abgesang auf eine womöglich zerfallende Welt. Von Alkoholismus und Tablettensucht gezeichnet stirbt sie, zerreißt ihr auf Spannung gehaltener Lebensfaden, zerfällt auch sie einsam und still, schweigend, schreibend indes, in ihrer Wohnung in Rom. Niemand ahnt damals, wer dort bald der Welt abhanden gekommen sein wird.
Beobachten wir heute die Welt, scheint Ingeborg Bachmann mit der ihren nicht danebengelegen zu haben. Kriege, gefährdete Demokratien, widerwärtige rechte Umtriebe, Antisemitismus und das sich wandelnde Klima unseres Planeten scheinen der großen Dichterin recht zu geben.
Und doch drang offenbar Hoffnung in ihre brüchigen Knochen und zerfressenen Eingeweide, auf den letzten Metern, während sie – die eingefleischte Kettenraucherin – womöglich gar nicht ahnte, wie recht sie einmal haben würde mit ihrer schonungslosen Zeitansage und eben auch ihrer Hoffnung.
Denn: Kommt! Ein neuer Ort der Heilung wird eröffnen, früher oder später, es ist noch nicht alles fertig, aber der Rohbau wird was werden. Für Reiche und Arme, für Kranke und meinetwegen auch noch für Gesunde. Nicht einmal billig wird es dort sein, sondern kostenlos. Ja, sie haben richtig gehört, kostenlos. Unser Los hat seine Kosten, wir werden es ohne Kosten nicht los, die Kosten sind los wie anderswo der Teufel. Und alles für alle nicht nur billig, sondern umsonst, ohne dereinst umsonst gewesen zu sein.
Es kommt was auf uns zu, Advent, ihr werdet schon sehen. Es wird so anders sein, so ganz anders, kostenlos und für Arme und Reiche, Kranke und Gesunde zugleich, dass es nicht einmal ein Wort dafür gibt außer vielleicht „Gott“, was nichts bedeuten muß, aber alles bedeuten kann, oder „Poliklinik“ – aber wir „taumeln“ schon einmal „wie vorm Paradies“.
Während Ingeborg Bachmann starb in Rom hatte sie mehr als nur eine Ahnung davon, dass es Hoffnung gibt, dass da was auf uns zukommt, und wir trauen uns lauschend und wartend kaum zu atmen.
30. November 2025
von Tom Levold
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24 Jahre lang wurde die Zeitschrift systeme gemeinsam von der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie und systemische Studien (ÖAS) und der Systemischen Gesellschaft (SG) herausgegeben, nachdem sie zuvor schon seit 1987 die Mitgliederzeitschrift der ÖAS war. Diese gemeinsame Herausgeberschaft ist nun beendet worden.
Weiterlesen →18. November 2025
von Tom Levold
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Die Systemische Gesellschaft (SG) und die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) vergeben wie auch in den vergangenen Jahren wieder gemeinsam einen wissenschaftlichen Forschungspreis.
Mit ihrem wissenschaftlichen Forschungspreis verfolgen die systemischen Verbände das Ziel, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, die Weiterentwicklung der Forschungs- und Praxismethoden im Kontext des systemischen Denkens anzuregen und die Bedeutung des systemischen Ansatzes für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen.
Der Preis ist als Förderpreis konzipiert. Angenommen werden Masterarbeiten, Dissertationen, Habilitationen oder Forschungsarbeiten aus einem Projekt, das in oder auch außerhalb der Hochschule durchgeführt wurde. Erwünscht sind aktuelle Forschungsarbeiten, die nicht oder bei Einreichung nicht länger als ein Jahr veröffentlicht sind.
Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert.
Mit dem Preis soll eine Arbeit ausgezeichnet werden, die einen innovativen Beitrag zur Weiterentwicklung systemischer Forschung leistet. Dies ist möglich durch
Die Forschungsarbeiten können sich auf alle Felder systemischen Arbeitens beziehen und Fragen zu Therapie, Beratung, Supervision, Mediation, Coaching oder Organisationsberatung, aber auch weitere systemisch relevante Themenstellungen bearbeiten.
Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft unter Ausschluss des Rechtsweges ein Gremium, in dem Gutachterinnen und Gutachter mehrerer Disziplinen vertreten sind.
Die Preisvergabe erfolgt auf der SG-Mitgliederversammlung am 24.04.2026.
Die Arbeit soll zusammen mit einem Deckblatt und einem beruflichen Lebenslauf bis zum 15. Februar 2026 in dreifacher Ausführung und digital eingereicht werden bei:
Systemische Gesellschaft e.V.
„Wissenschaftlicher Forschungspreis“
Damaschkestr. 4
10711 Berlin
info@systemische-gesellschaft.de
16. November 2025
von Tom Levold
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Heute feiert Ulrike Borst ihren 70. Geburtstag – und systemagazin gratuliert von Herzen!
Ulrike Borst (Foto: Tom Levold; Systemische Forschungstagung 2014) gehört zu den Menschen in unserem Feld, die sich auf besondere Weise um den Dialog zwischen Psychiatrie und systemischer Praxis verdient gemacht haben. Nach ihrem Psychologiestudium in Zürich, Konstanz und Düsseldorf und ihrer Promotion arbeitete sie von 1989 bis 2007 in den Psychiatrischen Diensten Thurgau (Schweiz), zunächst als Stationspsychologin, später in Oberarztfunktion und schließlich als Leiterin der Unternehmensentwicklung – dort entwickelte sie wegweisende Konzepte für die Integration systemischer Ansätze in psychiatrische Settings.
Nach langjähriger Tätigkeit als Dozentin und Supervisorin am traditionsreichen Meilener Institut bei Zürich übernahm sie 2006 von der Institutsgründerin Rosmarie Welter-Enderlin die Leitung des Instituts, die sie bis 2019 innehatte. Unter ihrer Ägide blieb das Meilener Institut ein Ort, an dem neben bewährten systemischen Ansätzen auch neuere Entwicklungen ihren Platz fanden. Dort hat sie Generationen von Therapeutinnen und Therapeuten ausgebildet.
Von 2008 bis 2021 prägte Ulrike Borst als Mitherausgeberin gemeinsam mit Arist von Schlippe und Hans Rudi Fischer die renommierte Zeitschrift „Familiendynamik“ und trug in dieser Funktion viel zum wissenschaftlichen und praxisorientierten Diskurs der systemischen Bewegung bei. Darüber hinaus hat sie immer wichtige Akzente durch ihre eigenen zahlreichen Veröffentlichungen gesetzt.
2013 wurde Ulrike Borst zur ersten Vorsitzende der Systemischen Gesellschaft gewählt, in ihre Amtszeit bis 2021 fiel 2018 die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie als Kassenverfahren für Erwachsene, zu der ihr beharrliches Engagement viel beigetragen hat.
Neben ihren organisationsbezogenen, wissenschaftlichen und lehrenden Tätigkeiten war ihr immer auch ihre eigene klinische Arbeit wichtig. So führte sie seit 2003 eine eigene Praxis für Einzel-, Paar- und Familientherapie in Zürich, seit 2013 zusätzlich in Konstanz. Sie ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin in der Schweiz und approbierte Psychotherapeutin für Systemische Therapie in Deutschland. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in systemischer Einzel-, Paar- und Familientherapie, in Supervision sowie in Team- und Organisationsentwicklung – insbesondere in psychiatrischen Kontexten.
Was Ulrike Borst auszeichnet, ist ihre Fähigkeit, verschiedene Welten zu verbinden: Psychiatrie und systemische Therapie, Wissenschaft und Praxis, institutionelle Zwänge und therapeutische Freiheit. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch konzeptionelle Klarheit, praktische Relevanz und eine Sprache aus, die komplexe Zusammenhänge verständlich macht. Neugierig zu bleiben, Fehler machen zu dürfen und daraus zu lernen – das sind die Prinzipien, die ihr gesamtes berufliches Wirken durchziehen und ihre immer freundliche und verbindliche Art geprägt haben.
Liebe Ulrike, zum Geburtstag alles Gute, vor allem Gesundheit und weiterhin Freude an den vielfältigen Aspekten deiner Arbeit – einer Arbeit, die das systemische Feld geprägt hat und hoffentlich noch lange weiter wirken wird.
13. November 2025
von Tom Levold
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Liebe Leserinnen und Leser des systemagazin,
in vergangenen Frühjahr ist das systemagazin 20 Jahre alt geworden – und auch wenn ich das nicht an die große Glocke gehängt habe, bin ich doch ein bisschen stolz auf dieses Projekt. Ein wichtiger und gern gelesener Teil war immer auch der Adventskalender, der von Ihnen mit eigenen Beiträgen bestückt wurde.
Auch in diesem Jahr möchte ich Sie alle wieder einladen, etwas zum Gelingen des Adventskalenders beizusteuern und den Raum für Vielfalt, Nachdenken und Austausch aus systemischer Perspektive zu füllen. Wir leben in Zeiten zunehmender ideologischer Verengung und Polarisierung, die auch gelegentlich in unserem professionellen Feld wahrnehmbar werden. Dagegen möchte ich mit dem diesjährigen Kalender ein Plädoyer für Differenzierung, Vielschichtigkeit, Ambivalenz, Multiperspektivität und das Anerkennen und Aushalten von Widersprüchlichem setzen. Wie kann es gelingen, Ambivalenzen aushaltbar zu machen? Welche Chancen eröffnen sich im Ausbalancieren scheinbarer Gegensätze? Wie können systemische Ideen Wege aus Schwarz-Weiß-Denken aufzeigen?
Welche Erfahrungen und Erlebnisse verbinden Sie mit diesen Themen und Fragestellungen? Was hat Sie berührt und beschäftigt, was haben Sie dazu von wem erfahren und lernen können? Was hat Sie überrascht, ermutigt, beeindruckt? Lassen Sie andere daran teilhaben!
Ich freue mich sehr auf Ihre Impulse, Reflexionen, Geschichten, auf persönliche und berufliche Erfahrungen, fotografische oder andere Bilder, die Ihre Perspektive auf das Thema zum Ausdruck bringen. Wie immer gibt es keine festen Formvorgaben, was Länge oder Formate betrifft, der Bezug zum Thema sollte aber erkennbar sein – und die Urheberrechte für Ihre Beiträge bei Ihnen selbst liegen.
Vielleicht finden Sie ja in den kommenden Novembertagen und -wochen einen Moment der Ruhe für einen Beitrag. Ich freue mich schon jetzt auf Ihre Einsendungen an levold@systemagazin.com und bin gespannt auf das Ergebnis. Wie immer werde ich nach Möglichkeit alle eingegangenen Beiträge veröffentlichen.
Mit herzlichen Grüßen
Tom Levold
Herausgeber systemagazin
1. November 2025
von Tom Levold
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„Das Karussell der Empörung” von Arist von Schlippe beschäftigt sich mit der Dynamik der Konflikteskalation und beschreibt, wie Empörung als Eintrittskarte und Motor eines Konfliktkarussells fungiert, das sich immer schneller dreht. Es behandelt die psychologischen Mechanismen, die zu eskalierenden Konflikten führen, darunter verletztes Gerechtigkeitsempfinden, negative Erwartungsstrukturen und Wahrnehmungsverzerrungen. Dabei wird erläutert, wie Konflikte zunehmend personifiziert werden, mit Schuldzuweisungen und Unterstellungen, was eine Spirale der Empörung befeuert.
Günter Reich, Psychoanalytiker und Familientherapeut aus Göttingen, hat das Buch gelesen und für systemagazin einen Rezensionsessay geschrieben:
Massive polarisierende gesellschaftliche Auseinandersetzungen scheinen im Zeitalter der sogenannten Sozialen Medien neue Eskalationsstufen erreicht zu haben. In den öffentlichen, z. B. medialen Auseinandersetzungen fehlt häufig der nüchterne Blick auf historische Entwicklungen, Fakten und eine selbstkritische Haltung zu eigenen Positionen. Hypermoralismus und Verteufelung jeweils Andersdenkender forcieren und vertiefen regressive gesellschaftliche Spaltungsprozesse. Die „leise Stimme der Vernunft“ (Freud im Briefwechsel Einstein/ Freud „Warum Krieg?“, 1933) scheint wenig hörbar zu sein.
Wie wohltuend ist in diesem Kontext die Arbeit von Arist von Schlippe, der die Entwicklung destruktiver Konflikteskalation in zwischenmenschlichen Beziehungen aus unterschiedlichen Perspektiven verstehbarer und somit potenziell handhabbarer macht. Seit 25 Jahren widmet sich der Autor der Frage, oft in Co-Autorenschaft mit Haim Omer, wie die Spirale von Ohnmacht und Gewalt und interpersonellen Kontexten (Familie, Schule, Gemeinde) durch neue Formen der Autorität, z. B „Elterliche Präsenz“, durchbrochen werden kann (z.B. Omer & v. Schlippe 2010, 2016).
Weiterlesen →22. Oktober 2025
von Tom Levold
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Heute feiert Gunthard Weber seinen 85. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen! An dieser Stelle sind zu seinen runden Geburtstagen bereits vielfach würdigende Texte erschienen – zum 65., 70., 75. und zum 80. Geburtstag. Über sein außergewöhnliches Wirken als Psychiater, Psychotherapeut, Mitbegründer der Heidelberger Gruppe, als wegweisender Pionier der systemischen Therapie und Organisationsaufstellung, als geschäftsführender Gesellschafter des Carl-Auer-Verlags und als Gründer zahlreicher Institutionen ist vieles gesagt und geschrieben worden.
Anstelle weiterer Wiederholungen möchte ich heute noch einmal den Blick auf ein Projekt lenken, das Gunthard seit vielen Jahren ganz besonders am Herzen liegt – mit seinem Engagement für die Häuser der Hoffnung (Jigiya Bon) in Mali.
20. Oktober 2025
von Tom Levold
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Heute feiert Anni Michelmann ihren 80. Geburtstag – und systemagazin gratuliert von Herzen, wie schon zum 70. und 75. Geburtstag.
Heute soll es vor allem um die Würdigung ihrer Verdienste um den systemischen Ansatz gehen. Dazu, dass sich die systemische Therapie in Deutschland als anerkanntes Psychotherapieverfahren durchsetzen konnte, hat sie ganz wesentlich beigetragen. Die Ablehnung des Antrages auf Anerkennung als wissenschaftlich fundiertes Verfahren durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie Ende der 1990er Jahre zeigte, dass es hier weniger um die konzeptuellen und methodischen Grundlagen des systemischen Ansatzes ging als um die Verteidigung der Pfründe der tiefenpsychologischen und verhaltenstherapeutischen Vertreter in diesem Gremium. Umso mehr kam es in der Folge auf die politische Vertretung des systemischen Ansatzes im Verbändedschungel an.
In diesem Bereich war Anni Michelmanns schon früh aktiv. 1987 war sie maßgeblich an der Gründung des Dachverbandes für Familientherapie und Systemisches Arbeiten (DFS) beteiligt, bei den Fusionsverhandlungen zwischen DFS und der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF) im Jahr 2000, die zur Gründung der DGSF (Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie) führten, spielte sie mit ihrem diplomatischen Geschick und ihre Beharrlichkeit eine wichtige Rolle.
Über 13 Jahre lang war Anni Michelmann berufspolitische Referentin sowohl der DGSF als auch der Systemischen Gesellschaft (SG) – eine beispiellose Doppelfunktion, die ihre wichtige Stellung in der systemischen Landschaft widerspiegelt. Ihre berufspolitische Arbeit war geprägt von kontinuierlichen Kontakten zu Ministerien, Parteien, Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Psychotherapeutenkammern sowie dem Gemeinsamen Bundesausschuss. Dabei musste sie sich in einem äußerst komplexen politischen Kontext bewegen, in dem rund 30 psychotherapeutische und pädagogische Berufs- und Fachverbände im “Gesprächskreis II” (GKII) und in der “Arbeitsgemeinschaft Zugang und Qualitätssicherung der Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie” (AZA-KJP) zusammengeschlossen waren.
2008 konnte dann endlich die Ernte dieser Lobbyarbeit mit der Anerkennung der Systemischen Therapie durch den Wissenschaftlichen Beirat eingefahren werden.
2012 gründete sie dann zusammen mit anderen eine Steuerungsgruppe zwischen SG und DGSF, die sich ausschließlich dem Ziel widmete, die Systemische Therapie als Kassenverfahren zu etablieren, was schließlich 2018 gelang.
Ihre Arbeit in diesem Bereich war legendär: Die meisten ihrer E-Mails trafen nach Mitternacht ein, oft erst gegen 3 oder 4 Uhr morgens – ein Zeugnis ihrer unerschöpflichen Energie und ihres Einsatzes für die Sache.
Auch in der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen war sie aktiv und wurde mehrfach als Mitglied der Kammerversammlung gewählt. 2001 wurde sie zur Vizepräsidentin der neu gegründeten Psychotherapeutenkammer NRW gewählt – ein Amt, das ihre Anerkennung weit über die systemische Szene hinaus dokumentiert.
2013 erhielt Anni Michelmann die Ehrenmitgliedschaft der DGSF – eine Auszeichnung, die ihre jahrzehntelangen Verdienste würdigt. Ihre Verdienste um die systemischen Verbände und die Anerkennung der Systemischen Therapie werden einen festen Platz in der Geschichte unseres Faches behalten.
Liebe Anni, herzlichen Dank für dein großes Lebenswerk und alles Gute zum 80. Geburtstag und für die kommende Zeit! Let life be good to you!
19. Oktober 2025
von Tom Levold
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Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Familiendynamik ist der Vielfalt familiärer Lebensformen und den damit verbundenen beratungsrelevanten Themen gewidmet. Im Editorial von Mathias Berg und Ulrike Lux heißt es: „In den letzten Jahrzehnten haben sich die Struktur und Vielfalt familiärer Lebensformen in Deutschland deutlich gewandelt. Die konstant hohen Trennungs- und Scheidungsraten sowie möglicherweise daraus folgende neue Partnerschaften, Wiederverheiratungen und weitere vielfältige Lebensformen haben dazu beigetragen, dass das traditionelle Familienmodell an Bedeutung verloren hat. Auch in der deutschsprachigen Literatur ist eine Reihe von Begriffen zu finden, die die zunehmende Vielfalt familiärer Lebensformen beschreiben sollen, jedoch oft Unschärfen haben oder negativ konnotiert sind. So ist der Begriff »Stieffamilie« im alltäglichen Sprachgebrauch verbreitet, aber im Vergleich zum Ideal der »Kernfamilie« oft noch mit negativen Assoziationen verbunden. Ebenfalls nicht ganz überzeugend sind die Begriffe »(Nach-)Trennungsfamilie« oder »Fortsetzungsfamilie«. Denn, so könnte man fragen, was wird eigentlich fortgesetzt und was nicht? Würde es nicht naheliegen, ganz einfach von Familie, in all ihrer Unterschiedlichkeit, zu sprechen? Wie man es auch nimmt, in der Praxis von Beratung und (Familien-)Therapie sind das Thema Trennung und Scheidung und die damit verbundenen Probleme ein echter Dauerbrenner. Paare entscheiden, ihre Partnerschaft zu beenden, Eltern fühlen sich oder sind von ihren Kindern getrennt. Neue Familienkonstellationen entstehen und in den Wirren der Übergänge und Neuordnungen tauchen (neue) Fragen und (manchmal wohlbekannte) Konflikte auf. Anfang des Jahres hat der Zehnte Familienbericht der Bundesregierung einen detaillierten Blick auf die Situation allein- und getrennterziehender Eltern und ihrer Kinder geworfen und in der Folge Diskussionen neu entfacht. Das vorliegende Heft schließt an einige der für die Beratung relevanten Fragestellungen an und bringt diese ins systemische Feld“.
Alle bibliografischen Angaben und abstracts finden Sie hier…
11. Oktober 2025
von Tom Levold
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Im Rahmen des Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) vom 17.–18. September 2026 in Lugano wird erneut der SOPSY Luc Ciompi Preis verliehen. Mit dieser Auszeichnung werden herausragende Forschungsarbeiten gewürdigt, die die humanistische und wissenschaftliche Vision von Luc Ciompi weiterführen.
Die prämierten Beiträge befassen sich insbesondere mit
Besonderer Wert wird auf Arbeiten gelegt, bei denen Expert:innen aus Erfahrung / Peers in allen Phasen – von der Konzeption bis zur Publikation – aktiv eingebunden sind.
Eingabefrist:
Relevante Arbeiten können bis zum 15. Januar 2026 an die Geschäftsstelle der SGPP (sgpp@psychiatrie.ch) eingereicht werden.
Die Einreichung umfasst:
Das Preisreglement sowie detaillierte Informationen finden Sie unter: www.psychiatrie.ch | www.ciompi.com | www.so-psy.ch | www.sozialpsychiatrie.ch