
Vom Double-Bind zur Doppelmoral: Bateson und die DGSF im Zeitalter der Anti-Ambivalenz
Ambivalenz ist überall. Fast keine Frage führt nicht ins Zwiespältige. Man muss bloß lang genug über sie nachdenken. Doch gerade darin liegt ihre Tücke: Ambivalenz wird schnell selbst ambivalent. Sie erschwert Entscheidungen, irritiert unseren Handlungssinn und sät Zweifel, wo Entschlossenheit hilfreicher wäre. Manche Formen von Widersprüchlichkeit gelten sogar als pathologisch. Man denke nur an die berühmte double-bind theory, der zufolge bestimmte kommunikative Uneindeutigkeiten angeblich direkt in die Schizophrenie führen. Oder lag es doch mehr an der mangelhaften Ambiguitätsentschlüsselungskompetenz der in dieser Weise psychotisch Gefährdeten? Gregory Bateson, auf den diese Theorie wesentlich zurückgeht, war ansonsten immerhin ein Freund der Ambivalenz. „The problem is to learn to perceive ambiguity, to accept paradox, and to refrain from premature closure“, schrieb er etwa in seinen „Steps to an Ecology of Mind“ (1972). Am Raufverhalten von Affen untersuchte er jene Signale der Tiere, die ihrem Gegenüber in solch doppelbödigen Situationen verdeutlichten, es mit einem Spiel zu tun zu haben und nicht mit „blutigem Ernst“.
Heute, mehr als 50 Jahre später, geht man in Teilen der systemischen Szene aus Angst vor Ambivalenz den umgekehrten Weg. In der DGSF etwa hält man „Systemik“ neuerdings für politisch. Dort kennt man – allem Konstruktivismus zum Trotz – nicht nur die eindeutig richtigen politischen Positionen. Man möchte sie auch, weitgehend ohne Bewusstsein für die potenzielle Schädlichkeit der damit verbundenen funktionalen Ent-Differenzierung, in das therapeutische Feld importieren. Wohlklingende Stichworte, „Anti-Rassismus“ etwa oder „Anti-Diskriminierung“, gegen die zunächst kein vernünftiger Mensch Einwände erheben würde, werden zur Rechtfertigung in Anspruch genommen. Doch bei näherem Hinsehen entdeckt man die nächsten Ambivalenzkiller: Hinter den intuitiv plausiblen Etiketten verbergen sich umstrittene und höchst unterkomplexe Weltbilder – etwa politisierte Ableger der „Critical Race Theory“, die in den USA bereits das linke Lager gespalten und ungewollt politische Reaktanz bis hin zu Trumps Wiederaufstieg befeuert haben. Solche Ideologien teilen die Welt in klare Lager: Schwarze und Weiße, Opfer und Täter, Progressive und Rechtsradikale. Universalistische Standards gelten ihnen als rassistisch; gleichzeitig werden – im Namen des „Antirassismus“ – identitätsbasierte Sonderrechte eingefordert. Die Etablierung einer gruppenbezogenen Doppelmoral ist dabei kein Betriebsunfall, sondern konstitutiv für diese Weltsicht. Einer ihrer prominentesten Vertreter, der Aktivist Ibram X. Kendi, formuliert dies unverblümt: „The only remedy to racist discrimination is antiracist discrimination.“ Ob derartige konfliktnahen und polarisierenden Konzepte – die schon im politischen Raum vor allem Zwietracht und Abwehr erzeugen – nun ausgerechnet in die Praxis therapeutischer Professionen überführt werden sollten, darf man wohl bezweifeln.
Gegenüber der Logik des double-bind unterscheiden sie sich insofern, als hier für schädlich gehaltene Ambivalenzen gerade unterdrückt werden – zugunsten von starken Voreingenommenheiten und so schlichten wie pauschalen Schuldzuschreibungen; nicht zuletzt in einer eigentümlichen Mischung aus Revanchismus und moralischem Fundamentalformalismus. „Identitäten“ werden in einem essentialistischen Sinn verstanden; Widersprüche und interne Differenzen werden ausgeblendet, um auf dieser Basis Eindeutigkeit in den vorgebrachten Diskriminierungsbelangen zu simulieren. Gerade in den pathologischen Folgen eines solchen Ambivalenzunterdrückungsmanagements nähern sich double bind und identitätspolitische Doppelmoral wieder einander an. Und im Verbot der Meta-Kommunikation: So wie sich der Schrecken des double bind erst aus der Unmöglichkeit speiste, widersprüchliche Botschaften zu thematisieren, wird Kritik an simplifizierenden identitätspolitischen Konzepten häufig mit moralischer Abwehr beantwortet. Diskurs wird verweigert oder moralisiert; skeptische Stimmen werden beschimpft – und zuverlässig findet sich jemand, der sich aufs Tiefste gekränkt zeigt.
Doch weder rigide Diskursregeln noch implizite Sprechverbote, keine political correctness, keine paradoxen Doppelstandards und kein virtue signaling machen die Welt wirklich besser. Mit „systemischen“ Perspektiven – und erst recht mit einem therapeutisch sinnvollen Rahmen – hat all dies denkbar wenig zu tun. Dass ein Zuviel an Ambivalenz emotional überfordern kann, hat uns einst die double-bind-These vor Augen geführt. An der intellektuellen Unterforderung durch identitätspolitische Anti-Ambivalenz beteiligt sich heute das systemische Feld selbst. Ein Übermaß an Ambivalenz kann Menschen verstören – doch in der Ödnis künstlich erzeugter und moralisch aufgeladener Eindeutigkeiten verendet jeder produktive Diskurs.














