Bernd Schmid, Wiesloch: zoon politicon und die Sprachverwirrung
Als Berater arbeitete ich seit 1987 auch an Projekten in der Sowjetunion. Welche Bedeutung neben guten Beratern gute Dolmetscher hatten, wurde uns erst im Rahmen dieser Projekte klar. Zuerst hatten wir zum Glück einen ehemaligen österreichischen Regierungsdolmetscher, der offenbar für unsere oft unbedachten Äußerungen die richtigen Worte fand. Dann gab es aber auch schwierigere Szenen. Auch aus Kostengründen griffen wir auf Werksangehörige unserer russischen Partner zurück. Sie hatten im Geschäft
mit der DDR Deutsch gelernt. Im Rahmen eines Referats, das ich in Orsk im Südural hielt, erwähnte ich den von Aristoteles geprägten Begriff zoon politicon. Da fiel der Dolmetscher aus seiner Rolle und weigerte sich schlichtweg zu übersetzen. Stattdessen stellte er mich aufgebracht zur Rede, warum ich von russischen Menschen als Tiere sprechen wollte. Meine Versuche, ihm zu erklären, wie der Begriff gemeint war, blieben fruchtlos. Schließlich blieb mir nichts Anderes übrig, als ihm eine klare Anweisung zu geben, dass er das bitte einfach übersetzen sollte. Das wirkte sofort und ich konnte fortfahren. Allerdings ging mir noch nach, dass ich auf solche Gehorsam-Reflexe zurückgreifen musste.
Ein andermal beriet ich den Generaldirektor in einem Vier-Augen-Gespräch, das wegen der dolmetschenden Mitarbeiterin eben unter sechs Augen stattfand. Es ließ sich ganz gut an, doch bemerkte ich zunehmende Zurückhaltung bei meinem Gegenüber, die ich mir zunächst nicht erklären konnte. Doch fiel mir auch auf, dass die Übersetzungen immer länger dauerten und die Stimme der Dolmetscherin immer dringlicher wirkte. Irgendwann wurde mir klar, was lief und ich stellte sie zur Rede. Sie gab zu, dass sie toll gefunden hat, dass man mit dem Generaldirektor mal ein offenes Wort sprechen konnte, und ihm daher kräftig ihr eigenes Feedback an ihn in die Übersetzungen eingebaut hatte. Zum Glück hatten ich bereits ein Vertrauensverhältnis mit dem Direktor, so dass wir mit einem anderen Dolmetscher noch einmal ansetzen konnten.
Da ich eh grad beim Schreiben „im systemagazin“ bin, kann ich eine passende Erfahrung beisteuern:
Wohl der erste Kongress zur Systemischen Therapie nach dem Fall des „eisernen Vorhangs“ fand in Prag statt. Mein Vortrag dort wurde intermittierend übersetzt – und mir fiel auch ohne Kenntnisse des Tschechischen auf, dass jedes Mal, wenn ich „Selbstorganisation“ sagte, so etwas wie „Autopoiese“ zu hören war. Nach dem dritten Mal unterbrach ich den Übersetzer und frage ihn, warum er „Selbstorganisation“ mit „Autopoiese“ übersetze. „Ja, ist das nicht dasselbe?“ war seine öffentlich geäußerte Antwort.
Zumindest eine gute Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass es in ziemlich vielen Wissenschaftsdisziplinen in zig-tausenden von Arbeiten um „Selbstorgnisation“ ginge, was aber von einer vergleichsweise sehr kleinen Gruppe völlig ignoriert würde, weil sie in praktisch-operationaler Abgeschlossenheit von den interdisziplinären Diskursen nur auf sich selbst und ihre autopoietische Sicht von Selbstorganisation verweisen.
Eine interessante Erfahrung,..