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systemagazin Adventskalender 2024 – 20. Andreas Wahlster

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Anerkennen, was war 

Ich bin Jahrgang 1954, meine Eltern haben beide den 2. Weltkrieg als Jugendliche bzw. junge Erwachsene durchlebt.

Zusammen mit meiner Frau nahm ich Anfang November in unserem Wohnort an einer Veranstaltung anlässlich der Verlegung von fünf Stolpersteinen statt. Wir durften eine Überlebende der Deportation im Oktober 1940 und ihre Familie kennenlernen, die alte Dame war so würdevoll und dem Leben zugewandt, keinen Groll gegen uns hegend. Zwei Wochen später fuhren wir nach Krakau und Lodz. Wir konnten in Krakau an einer eindrucksvollen wie auch erschütternden Stadtführung durch das jüdische Viertel und das Getto teilnehmen und geradezu leibhaftig spüren, wie brutal und gnadenlos penibel die Ermordung von mindestens 15.000 Jüdinnen und Juden durch Wehrmacht, SS und SA vollstreckt wurde. Dachte ich bis dahin, ich hätte mich intensiv mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, wurde mir spätestens hier bewusst, dass dem mitnichten so ist. 

Am nächsten Tag Besuch im Schindlermuseum in Krakau. Mit Worten beschreiben zu wollen, was ich gefühlt, gedacht habe, kann nur unzulänglich gelingen. Ein Gehen durch das Grauen, der Impuls, sich distanzieren zu wollen, meldete sich permanent. Ich brauchte Pausen, um mit allen Sinnen präsent bleiben zu können. 

Auf der Rückfahrt stundenlange Gespräche über unsere Familien, jetzt jedoch anders. Als wäre ich dichter dran an deren Erleben damals. Mein Vater, der als Zwanzigjähriger eine Kompanie führte und nach tagelangen Kämpfen an der Front auf der Krim informiert wurde, dass Soldaten seiner Kompanie sich soeben an russischen Rebellen gerächt und diese am nächsten Baum erhängt haben. Erst im hohen Alter konnte er darüber sprechen mit erstarrtem Gesicht voller Schuld, diese Gräueltaten nicht verhindert zu haben.

Ein Großvater kaufte zu Beginn des Krieges eine Konservenfabrik aus ehemals jüdischem Besitz, mit seiner Familie zog er in das Haus der Unternehmer-Familie. Mein Vater zeigte meinem Bruder und mir das Haus bei einem Besuch dort vor ca. 15 Jahren. Wir haben damals über Vieles gesprochen, nur nicht darüber. 

Vom anderen Großvater wissen wir durch Erzählungen seiner Kinder, dass er Offizier in beiden Weltkriegen war und in den letzten Kriegstagen in Schwerin Soldaten davor bewahrte, nochmal an die Front zu müssen, indem er sie im Lazarett durch seine beiden ältesten Töchter (eine davon meine Mutter) mit Mullbinden einwickeln ließ, so dass sie so aussahen, als seien sie nicht einsatzfähig. 

Beide Geschichten gehören zu meiner Familie und damit auch zu mir. Ich wünsche mir von mir, dass es mir hinlänglich gelingen möge, friedvoll und ggf. kämpferisch für Menschlichkeit und Respekt einzutreten. Das habe ich in meiner Familie auch gelernt.

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