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Online-Journal für systemische Entwicklungen

systemagazin Adventskalender 2022 – 06. Wolfgang Loth

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Aussichten und Zuversicht –

Im November 1944 heirateten meine Eltern, Kriegshochzeit, ihre Aussichten waren unsicher, ihre Zuversicht alleine getragen von einem Glauben. Ihr Hochzeitsbild hängt über meinem Schreibtisch. Ich frage mich, was systemische Zuversicht sein soll. Zuversicht meint ja wohl ein Vertrauen darauf, dass etwas eintreffen wird, was man sich wünscht, erhofft, herbeisehnt. Ein Ausschnitt aus dem vielen Möglichen wäre das, worauf sich Zuversicht richtet. Und was wäre dann mit systemischen Perspektiven, die letztlich bedeuten, es könne immer auch anders sein? Er gehe davon aus, dass eher eines von dem Vielen eintreten werde als eins von dem Wenigen, lässt Gregory Bateson den Vater zu seiner Tochter sagen in seinem Metalog darüber, warum Sachen durcheinander kommen. Das Durcheinanderkommen als Ausdruck davon, dass das Erwünschte, Erhoffte, Ersehnte nicht so wahrscheinlich ist, wie das andere, das Befürchtete, das über einen Hereinbrechende, oder auch das langweilig und alltagsgrau vor sich Hinschlappende. Und so nähere ich mich der „systemischen Zuversicht“ eher über eine Vorstellung, systemisch habe es eher mit „tapfer“ zu tun als mit „mutig“, eher mit „Rücksicht“ als mit „Volldampf“, eher mit der Erkenntnis, dass im dynamischen Wirbel des Lebendigen die Ruhe die Ausnahme ist. Und dass es wenig nützt, mit Gewalt anzugehen gegen diese Wirbel, aber auch wenig nützt, sich darin aufzugeben. Dass es also helfen kann, sich im Wirbel zu finden und wenn es gut geht, sich miteinander zu finden, miteinander die Farbe im Grauen zu sehen, und so dem eher Wenigen aus dem Vielen, dem Erhofften beizustehen und zu helfen, es wirklich werden zu lassen. Glück wäre dann die gelegentliche Erkenntnis, dass das sinnvoll war. Zuversicht wäre dann eine Patin für dieses, eine Begleiterin, ein Lichtschein, der im Grauen die Farbe leuchten lässt. Und „systemisch“? Ja, auch, wieso nicht.

Wolfgang Loth (Niederzissen)

4 Kommentare

  1. Rudolf Klein sagt:

    Großartiger Text!

  2. Jürgen Wernicke sagt:

    Tolles Foto, toller Text, danke!

  3. Martin Rufer sagt:

    Lieber Wolfgang
    …und wenn aus Zugefallenem Bindungen sich entwickeln, wachsen Zuversicht und Vertrauen, dass aus dem Vielen zwar nur das Wenige, dafür aber das Essenzielle gedeiht und bleibt..
    in freundschaftlicher Verbundenheit
    Martin

  4. Matthias Ohler sagt:

    Danke.

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