Franz Friczewski, Hannover:
„Die Muskeln des Beobachters“ – so überschreibt Arno Widmann einen Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 6.12.2014. Eingefleischte Systemtheoretiker mag diese Wortwahl irritieren – ich lese sie als Hinweis auf das, was mir im systemtheoretischen Diskurs fehlt: das Muster, das die Perspektive Maturanas und die Luhmanns verbindet.
Beide Autoren gelten als die Väter der Systemtheorie, beobachten Systeme aber von unterschiedlichen, sich gegenseitig scheinbar ausschließenden Positionen aus: der eine (als Biologe) vom Individuum, der andere (als Soziologe) von der Gesellschaft her. Sie stehen spiegelbildlich zueinander; jeder verortet sich im blinden Fleck des jeweils Anderen. Die Kontroverse wurde bis heute nie wirklich ausgetragen; vielleicht ist jetzt aber die Zeit dafür gekommen. Aus meiner Sicht ist sie keineswegs „nur theoretisch“, sie könnte den Systemtheorie-Diskurs in vieler Hinsicht voranbringen. Am Ende könnte sich eine systemische Begrifflichkeit herausschälen, die dem gewöhnlichen Denken weniger sperrig gegenübersteht als noch im Moment, obwohl sie ihm (wie in dem berühmten Bild von Magritte) weiterhin einen ungewöhnlichen Spiegel vorhält.
Ich arbeite seit längerem an den Grundlagen einer solchen Begrifflichkeit (siehe hier). Im Folgenden möchte ich ein paar Gedanken dazu vorstellen. Über Feedback würde ich mich natürlich freuen.
Um eines vorwegzunehmen: das verbindende Muster lässt sich nicht fest-stellend beobachten. Wir müssen es uns eher wie einen Tanz ineinandergreifender Teile vorstellen, wie G. Bateson sagte; entscheidend sind dabei nicht die Teile, sondern ihr „Tanz“, das Wie ihres Sich-Verbindens.
Als Schlüssel dafür sehe ich die Frage, wie wir uns das Prozess-Muster vorstellen können, mit dem sich biologische, psychische und soziale Systeme gegenseitig hervorbringen; d. h. wie ihre Ko-Produktion denkbar und möglich ist. Meine These: wir müssen das Muster im Sprach-Handeln suchen. Weiterlesen →
Ein kecker Kollege sprach mich letztens an und meinte: „Ihr Systemiker, ihr glaubt doch wirklich, ihr könnt alles gleich gut.“ Abgesehen von den Untertönen, die ich hier beiseite lassen möchte, habe ich mir doch darüber Gedanken gemacht. Umso mehr trifft es sich gut, dass Tom Levold heuer danach fragt, was dem systemischen Ansatz fehle.
Kann systemisch Alter? Oder vielleicht etwas klarer formuliert, widmen sich systemische Beraterinnen/Berater und Therapeutinnen/Therapeuten älteren Menschen und den damit zusammenhängenden Fragen und Ängsten?
Die Frage „was fehlt?“ ist in vielen Hinsichten ambivalent. Ich frage mich beispielsweise, ob klare Begriffe wirklich fehlen, wenn diese bestimmte Problemlösungen oder Therapieerfolge nur stören würden. Ich will nicht von notwendig falschem Bewusstsein sprechen, sondern nur fragen, inwiefern ein je bestimmtes kontingentes Bewusstsein fehlt oder einfach nur – fast zum Glück für die Sache – nicht vorhanden ist. Ich habe also keine Ahnung, ob ein allenfalls fehlender Systembegriff einer systemischen Therapie fehlen würde. Ich bin kein Therapeut und schon gar kein systemischer und kann die Frage, was der systemischen Therapie fehle, deshalb nur in einer – systemtheoretischen – Aussensicht angehen.
Die Frage ist verführerisch, gewiß. Zumindest für mich, der sich im systemischen Mainstream nicht mehr so ganz beheimatet fühlt. Ich könnte sie also als willkommene Einladung nützen, vieles zu kritisieren, zu bemängeln. Doch das wäre nicht fair. Verdanke ich doch der systemischen Therapie so vieles in meiner persönlichen und professionellen Entwicklung.
Als Vertreterin eines aus meiner Sicht vom Systemischen Ansatz noch vernachlässigten Anwendungsgebiets, spüre ich die Unzulänglichkeiten der dort noch vorherrschenden linear-kausalen Denkansätze in meiner täglichen Arbeit.
In der Mongolei gibt es ein Sprichwort dass heißt: Ein ehrlicher Mensch braucht ein schnelles Pferd.
Das Thema des Adventskalenders hat mich in diesem Jahr sofort angesprochen, gibt es doch eine Zugangsmöglichkeit zu Kindern (und Familien), die mir in der systemischen Therapie seit langem schon zu kurz kommt: das Spiel.
Einer der bekanntesten Vertreter des systemischen Ansatzes und des systematischen Querdenkens ist sicherlich Heiz von Foerster. Durch ihn hat die Physik eine gewisse Prominenz in der Welt der Systemiker erfahren, ohne dort wirklich präsent zu sein. Woher kommt dieser Zugang, habe ich mich gefragt, denn bin selbst über die Denkwelt Physik zu Management, Organisation gekommen und schließlich in der Welt des systemischen Beratungsansatzes gelandet. Sicherlich hat es mit dem Abstraktionsvermögen, dem Denken in Strukturen und Wechselwirkungen zu tun, so ist zumindest meine (erste) Hypothese.
Als Beitrag zur Frage „systemisch – was fehlt?“ möchte ich auf eine Lücke hinweisen, mit der ich selbst mich schon seit vielen Jahren herumschlage: Was genau ist der Stellenwert von Gefühlen in der systemischen Theorie und Praxis? Oder, etwas spezifischer gefragt: Wie lässt sich mein Ansatz der Affektlogik (die Lehre vom obligaten Zusammenwirken von Emotion und Kognition) mit der klassischen Systemtheorie vereinen?
„Systemisch – was fehlt?“ ist eine scheinbar simpel daherkommende Frage. Sie impliziert Wünsche und dies scheint durchaus in einen Adventskalender zu passen. An Weihnachten darf man schließlich wünschen. Als Kind war das einfach. Mir fehlte immer etwas: Rollschuhe, Tretroller, Fußbälle, Schienbeinschoner. Aber klappt das Wünschen bei diesem Thema auch?
Was mich als Systemiker ein wenig bekümmert, ist, dass bisher so wenig davon im öffentlichen Bewusstsein und Diskurs angekommen ist, was systemisches Denken und Handeln ausmacht und leisten kann. Dabei könnten Politik und Gesellschaft sich ja durch sie für anstehende Probleme zu konstruktiven und kreativen Lösungsvorschlägen inspirieren lassen.
Der österreichische Psychiater und Familientherapeut Ludwig Reiter hat vor mehreren Jahrzehnten (1) einmal geäußert, dass so wie die Psychoanalytiker aus dem Bildungsbürgertum und die Verhaltenstherapeuten aus den jungen Technokraten sich die damaligen Familientherapeuten ihre Werte vorwiegend aus der Hippiebewegung speisen würden. Diese Einschätzung war sehr umstritten. Aber in meinem Erleben definierten sich die meisten Familientherapeuten um 1980 herum (sie waren nach meiner Erinnerung damals mehrheitlich im Alter zwischen 25 und 45, und sie lebten in einer Phase ca. 10 Jahre nach der Studentenbewegung, kurz nach dem Höhepunkt der K-Gruppen, erlebten den Beginn von Ökologie-, Friedens- und Alternativbewegung“) in einem diffusen Sinne als „undogmatische Linke“. Noch 1991 haben wir (Arist von Schlippe und ich, mit Zustimmung der anderen Tagungsverantwortlichen) auf dem großen Kongress „Das Ende der großen Entwürfe und das Blühen systemischer Praxis“ in Heidelberg eine Art Teach-In gegen die damalige US-Invasion im Irak veranstaltet. Auch ein Panel über „Ökologische Politik als Interaktionsprozess“ mit Kommunal-, Umwelt- und Gesundheitspolitikern fand damals im Plenum statt.