systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

18. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Zweisam im Farbenrausch

18adventKatrin Richter, Heikendorf:

Als Systemikerin bin ich oft mit dem konfrontiert, was Paare sich ersehnen – ewig währende Liebe, das, was unmöglich scheint. Ich möchte Sie hinter meinem Türchen zu einer Sicht auf die Liebe einladen, zu der mich der Philosoph Willhelm Schmid in Arbon an einem schönen Abend eines doppelten 50. Geburtstages inspiriert hat und die in seinem Büchlein: „Liebe – warum sie so schwierig ist und wie sie dennoch gelingt“ festgehalten ist.

Weihnachten ist das Fest der Liebe und die Sicht darüber ließe sich auf alle Menschen, Dinge und Wesenhaftes übertragen.

Zweisam im Farbenrausch

Liebe besteht aus vielen Farben, im Regenbogen hab ich sie geseh‘n
blaue Stunden für Reden sind weiblich, die lindgrünen Stunden sind schön
Zufrieden lächeln sie in die Runde, lassen eifersuchtgelbe zieh‘n
Alltag verströmt sich in grauem Verweilen,  die bunten Stunden verwöhnen

Vergessen werden oft rote Stunden für starke Gefühle zu Allem
Goldene Stunden im Strom  der Gewohnheit, gehen leicht von der Hand und gefallen
Erotik in Rosa verfliegt oft schnell, im langsamen lustvollen Fließen
Purpur lässt dich völlig vergessen, was in Schwarzen wollte zum Monde schießen

Hab sie alle – die Farben der Liebe – zusammengefügt in den Zeiten
Es gibt wohl noch mehr für diesen und jenen, um die Fülle der Herzen zu weiten
Ich kann es empfehlen dies Fühlen zu leben – im Advent und grad dann, wenn es friert
Unterm Tannenbaum, in der Wüste und jetzt! Nimm alles, wenn dir danach giert

 

17. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Hereinspaziert …

17adventDörte Foertsch, Berlin: Hereinspaziert …

Das Thema des diesjährigen Adventskalenders regt mich an über offene und geschlossene Türen nachzudenken. Türen können in verschiedenen kulturellen Kontexten sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Sie sind Abgrenzungen von Räumen, in denen wir uns jeweils anders verhalten und anders begegnen.

Die Tür zum Bad ist eine andere als die zur Küche. Die Tür einer Synagoge oder einer Moschee, eines Tempels oder einer kleinen Hütte zu durchschreiten bedeutet einzutreten in Wirklichkeiten, die schon durch die Tür markiert werden. Vor einer Tür zu stehen, sei sie offen oder geschlossen, löst eine Erwartung aus, was wohl hinter ihr sein könnte. Entsprechend verändert sich die innere Haltung vor dem Hineingehen hinsichtlich des dahinter erwarteten Raumes und was in ihm geschehen könnte.

Eine Tür wird zu einem Vor-Urteil, mit dem ich einen Raum betrete.

Es gibt Türschilder oder Türen, die schon für sich sprechen.

Manche schützen das Drinnen vor dem Draußen, manche das Draußen vor dem Drinnen, sie regulieren Temperaturen und Eindringlinge, verhindern, das etwas Gefährliches eintreten oder das etwas Intimes oder Geheimnisvolles nach draußen dringen kann.

Manchmal gibt es auch eine Türstehermacht: wer schließt auf und wer schließt zu?

Im Bereich der Beratung und Therapie ist das Öffnen und Schließen einer wichtigen Tür zum richtigen Zeitpunkt eine sehr zentrale Frage.

Eigentlich arbeiten Therapeuten überwiegend hinter verschlossenen Türen, Supervision und Beratung mit KollegInnen findet auch meist hinter verschlossenen Türen statt. Ich frage mich, ob das eigentlich immer so sein muss?

Dörte Foertsch

Dörte Foertsch

Seit einiger Zeit versuche ich die Supervisionstüren zu öffnen und die Klienten, über die gesprochen wird, einzuladen, an der Supervision teil zu nehmen.

Anfangs war es für KollegInnen unvorstellbar, ihre Klienten mit zur Supervision zu bringen.

Erst kürzlich gelang dies aber einmal wieder in einer Kleinstadt in Brandenburg.

In einer Supervisionssitzung, in der ich dann mehr die Rolle einer Moderatorin einnahm, waren die Klienten, zwei Familienhelferinnen, ihr Team, zwei Sozialarbeiter des Jugendamtes und ich beteiligt. Es ging um die Frage einer Rückführung der zehnjährigen Tochter aus der stationären Unterbringung zurück zur ihrer Mutter und großen Schwester.

Die Zeichen standen schlecht laut aller beteiligten Helfer. Während des gemeinsamen Gesprächs stellte sich heraus, dass die Mutter im Unklaren über die Bedingungen war, die an eine Rückführung geknüpft waren. Sie hatte teilweise die Fachsprache nicht verstanden und die Einschätzungen der an sie zu stellenden Anforderungen waren zwischen Jugendamt und Familienhelferinnen diffus und kontrovers geblieben.

In einem anderen Fall ging es um eine dreiköpfige Familie, in der der zwölfjährige Sohn gewalttätig gegen seine Mutter war. Der Vater war berufsbedingt zeitweise viel abwesend und konnte die Ausmaße des Problems erst in einem gemeinsamen Gespräch mit den Familienhelfern und einem Sozialarbeiter des Jugendamtes und mit Hilfe meiner Moderation erfassen. Bis dahin hatten weder die Mutter noch die Helfer sich getraut, die Brisanz der Thematik deutlich zu machen. Es stellte sich heraus, dass der Vater eine fehlende Ressource sein könnte. Nach seiner ersten Erschütterung machte er sehr viele konstruktive Vorschläge. Die beiwohnenden Teams wurden jeweils zum reflecting team.

In einer psychiatrischen Station kam eine Patientin mit zur Supervision. Sie war mir als stumm und verschlossen angekündigt worden und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sprechen würde, wurde vom Pflegepersonal gleich null eingeschätzt. Als ich ihr sagte, wir wollten auch von ihr lernen, wie es weitergehen könnte, war sie verbal kaum noch zu bremsen.

Ich hoffe es gibt noch viele solcher Beispiele bei den LeserInnen und ein Staunen darüber, welch Wunder es wirken kann, wenn wir Professionellen weitere Türen öffnen. Die Beteiligung der in vielen Fallsupervisionen vorgestellten Klienten kann Therapeuten und Beraterinnen Türen für weitere Gespräche öffnen. Die Bedeutung der Mitwirkung der Klienten geht weit über die Ebene der unmittelbaren Therapie und Beratung hinaus.

Wenn jemand eine mongolische Jurte betritt, bringt es Unglück, auf die Schwelle zu treten. Die Erklärung dafür: Auf die Schwelle zu treten ist ein Zeichen von Zögern und Unentschlossenheit. Eine klar ausgesprochene Einladung einzutreten macht es leichter, entschlossen hindurch zu gehen, dann gelingt es auch.

16. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Von „under cover“ zu „public“

16adventAndreas Wahlster, Ladenburg: Von „under cover“ zu „public“ – Kurzgeschichte eines Theaterprojektes

10 sogenannte Laien, die jedoch vielmehr ExpertInnen ihrer selbst sind, und 2 professionelle Schauspieler gehen auf die Bühne und spielen, so als wäre es selbstverständlich. Doch nichts ist selbstverständlich, sie erzählen ihre eigenen „Depressionsgeschichten“. Geschichten vom Leid, nicht mehr leben zu wollen, Versagensängsten, Schuld und Scham, dem Glauben alleine zu sein. Also kein Boulevard, kein Gefälligkeitstheater.

Das kleinste Stadttheater Deutschlands in Moers am Niederrhein, schon seit langem eine feine Adresse für theatrale Grenzgänge und Überschreitungen, bot dafür den professionellen Rahmen. Wer erwartet hatte, einem Theaterabend mit Blut, Schweiß und Tränen beizuwohnen, wurde überrascht. Vielmehr konnte man sich als Zuschauer dem Sog der Spielfreude, der Ernsthaftigkeit und dem subtilen Humor nicht entziehen. Es ist eine Collage aus vielen Erzählungen, die allesamt gekennzeichnet sind vom Zuviel:

  • Dem Zuviel des Erreichensollens von Lebensoptimierung
  • Dem Zuviel an Anpassung an Erwartungen, seien es selbstgesteckte oder fremdgesteckte
  • Dem Zuviel an Unterlassung der Unterlassung, nichts oder wenigstens weniger zu tun
  • Dem Zuviel an der Unterdrückung autonomiestärkender Handlungen
  • Dem Zuviel an Schweigen darüber
Andreas Wahlster

Andreas Wahlster

Wie kann dieses Projekt entstehen? Es braucht einen mutigen politischen Intendanten Ulrich Greb, eine erfahrene kreative und sensible Regisseurin Barbara Wachendorff, die die Geschichten der Experten in den Mittelpunkt stellt und es braucht mutige sogenannte Betroffene, die ihre Geschichten öffentlich machen und so miteinander den berühmten Unterschied machen, der einen Unterschied macht.

Ich hatte das Privileg und Vergnügen, dieses Projekt schon in seiner Entstehensgeschichte als teilnehmender Beobachter verfolgen zu dürfen. Mich hat interessiert und fasziniert, wie es die Beteiligten geschafft haben, einen Rahmen zu schaffen, der dieses Stück hervorbringt. Ich habe mir von den ExpertInnen (spezifische Begrifflichkeit siehe oben) die Erlaubnis eingeholt, sie mittels eines kleinen Fragebogens nach dem Projekt zu ihren persönlichen Erfahrungen interviewen zu dürfen.

Einige Ergebnisse dieser Befragung seien hier vorstellt. Weiterlesen →

15. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Hin und Her – in der Erwartung, im Hier und jetzt und im „Weißt Du noch…“

15adventClemens Lücke, Lindlar: Hin und Her – in der Erwartung, im Hier und jetzt und im „Weißt Du noch…“

Im Advent ein paar Gedanken und Empfindungen. Ankunft als etwas, dass vor uns liegt. Etwas, das kommt. Etwas, das ich erwarten kann.

In den vielen Seminaren, Workshops und Coachings, in den Familien- und Paartherapien sind wir so sehr gefangen von dem, was nicht geht. Was wir besser machen sollen/können. Vom Optimieren.

Auch wenn wir Systemiker besonders lösungs- und zukunftsorientiert sein sollen, holt uns doch das Vergangene schnell ein.

So nehme ich mir den Advent und gucke auf das, was kommt.

Mein Kater allerdings scheint sich allerdings mehr sich auf das zu konzentrieren, was ist – nämlich sehr schläfrig die Augen nur im Nötigsten zu bewegen. Mein Enkel (7 Monate) schreit in der Sekunde des Hungers?! Also doch fest im „Hier und Jetzt“ bleiben?

Nicht nur, aber in der Bewegung bleiben, aus den Erwartungen der Zukunft Kraft schöpfen, aus der Vergangenheit Stabilität ziehen.

Ich freue mich auf die Gelegenheit, ein wenig Bilanz des Jahres 2015 zu ziehen, auf Zeit für den Austausch, auf das eine oder andere gute Essen mit meiner Frau und Freunden. Ich freue mich auch auf die Aufregung der Enkel und (großen) Kinder.

Nicht nur, aber auch verstehen, dass was kommt:

Ich freue mich auf die Gelegenheit, ein wenig Bilanz des Jahres 2015 zu ziehen, auf Zeit für den Austausch, auf das eine oder andere gute Essen mit meiner Frau und Freunden. Ich freue mich auch auf die Aufregung der Enkel und (großen) Kinder.

Ich freue mich auch auf meine eigene Besinnlichkeit und Spiritualität.

Nach einem Jahr der systemischen Arbeit, kommt ein Neues. Vieles war anstrengend, das meiste war gut.

Liebe, besinnliche Grüße an alle Kolleginnen und Kollegen

Ihr Clemens Lücke

14. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Wo ist das menschliche Gesicht der Psychotherapie geblieben?

14adventSabine Klar, Wien: Wo ist das menschliche Gesicht der Psychotherapie geblieben?

Psychotherapie ist ein Instrument der Gesellschaft – sie will Menschen in schwierigen Lagen dazu anregen, ihr persönliches Veränderungspotential auszunützen, um ihr Befinden zu verbessern und sich und andere weniger zu stören. Sie eröffnet aber auch die Möglichkeit, sich gegen gesellschaftliche Zumutungen zu verwehren. Sie bietet einen Freiraum, in dem Klient_innen sich selbst bestimmen können.

Sabine Klar (Foto: oeas.at)

Sabine Klar
(Foto: oeas.at)

Zu diesem Thema stelle ich hier pointiert ein paar Thesen in den Raum, in der Hoffnung, damit eine Diskussion zu initiieren bzw. an einer teilzunehmen, die vielleicht bereits im Gang ist, von der ich aber (noch) nichts weiß.

  • Ich behaupte, dass im Hintergrund des therapeutischen Geschehens gesellschaftliche Diskurse und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen und Bewertungen eine große Rolle spielen – Psychotherapeut_inen, Klient_innen, Ausbildungseinrichtungen, Geldgeber und Institutionen werden durch sie beeinflusst. Solche mitredenden Vorstellungen wirken als „blinde Flecke“ oft sehr verborgen hinter gut gemeinten methodischen und technischen Zugängen, hindern an einer entsprechend offenen Haltung und am Zugang gerade zu jenen Klient_innen, die sich ihnen nicht fügen können oder wollen. Besonders häufig sind aus meiner Sicht Leistungs- und Machbarkeitsdiskurse – man will als Therapeut_in wissen, wo´s langgeht und Methoden vor dem Hintergrund eines (oft pseudo)-wissenschaftlichen Denkens anwenden bzw. die Veränderungsbewegungen im Griff haben. Klient_innen werden an kulturellen Standards gemessen und im Sinn einer falsch verstandenen Zielorientiertheit vor sich her getrieben – oft unterstellt man ihnen, dass sie „ihres Glückes Schmied“ sind bzw. (zu wenig) motiviert, sich auf die therapeutische „Arbeit“ einzulassen. Institutionen fördern eine so verstandene, an Effizienz, Berechenbarkeit und Wirksamkeit orientierte Psychotherapie, wenn sie Ressourcen einsparen, sich an standardisierte Vorgaben halten und bürokratischen Abläufen mehr Platz geben als den meist ganz anders gestrickten Menschen, für die sie eigentlich da sein wollten. Vielleicht sind unter solchen Rahmenbedingungen Psychotherapeut_innen manchmal mehr mit sich selbst und ihrem therapeutischen Erfolg beschäftigt als mit ihren konkreten Gegenübern?
  • An sich bietet systemische Therapie von ihrer konstruktivistischen Grundhaltung her die reflexive Basis für ein Interesse an weltanschaulichen Aspekten im Hintergrund des therapeutischen Geschehens – trotzdem habe ich den Eindruck, dass zu wenig Zeit investiert wird, sich genauer mit den genannten Diskursen zu befassen, obwohl ihre implizite Wirkung gerade im Zusammenhang mit der Lektüre von Praxisprotokollen und bei Fallbesprechungen im Zuge der Ausbildung und Supervision deutlich wird. Vielleicht werden wir stattdessen damit beschäftigt, uns als Spezialist_innen für bestimmte Zielgruppen auf diversen Listen zu etablieren, uns im Zuge der Akademisierungstendenzen als „wissenschaftlich“ zu präsentieren und (den Wirksamkeitskriterien und Dokumentationsinteressen unserer Geldgeber folgend) die Klient_innen mit Fragen und Zielen und Aufgaben zu belästigen, die sie nicht interessieren, ihnen und ihrer Lage nicht entsprechen und den Zugang zu ihnen erschweren? Tendieren die therapeutischen Vorgehensweisen unter solchen Bedingungen dazu, objektivistischer, technoider, eindimensionaler, standardisierter und störungsorientierter zu werden, sodass Symptomfreiheit wichtiger wird als z.B. Glück oder Selbstbestimmung?
  • Diese Entwicklung, die ich seit längerem wahrzunehmen meine, macht mir zunehmend Sorgen. Deshalb ergreife ich an dieser Stelle die Gelegenheit, für eine Psychotherapie mit einem menschlichen Gesicht zu werben, der die konkreten Wesen mit all ihren Eigenarten und Eigenbewegungen wichtiger sind als alles, woran sie in ihrem Leben gemessen werden – die bereit ist, eigene Vorstellungen in den Blick zu nehmen und sich davon zu befreien, selbst wenn sie Ruhm, Geld und Anerkennung versprechen. Eine Psychotherapie, die bereit ist, ihr Wissen und ihre Selbstdarstellung infragezustellen, um von den Klient_innen zu lernen und Zugang zu ihnen zu finden.

Ich bin sicher, dass viele von uns in der Praxis genau so arbeiten – gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass es v.a. in der Präsentation nach außen und im Kontext der Ausbildung zunehmend schwieriger wird, diese Position zu vertreten. Doch vielleicht irre ich mich …

Wer mir zu diesem Thema etwas sagen möchte bzw. bereits etwas dazu geschrieben oder veröffentlicht hat, ist herzlich dazu eingeladen: sabine.klar@chello.at

13. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: System-Gebet

13advent

 

 

 

 

Claus Riehle, Düren: System-Gebet

Denn Dein
ist ein Reich eine Grenze
und eine Umwelt

Mit Dir
ist die Kraft
und die Schwäche für Austausch

Mit Dir und durch Dich bewahrt es
wächst und entsteht
durch männlich und weiblich der Setzung einer Differenz

Wird sie sowohl
zur Spalte der Enthaltung als auch
zur Fuge
zur Fügung für Entfaltung

Zum Anbeginn des Wegs
der Erhabenheit in Ewigkeit

Amen

12. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Sich zeigen

12adventDominik M. Rosenauer, Wien: Sich zeigen

„Open doors“ waren die einladenden Worte, an diesem Adventkalender mitzuwirken. Tom hatte dieses Jahr kein übergeordnetes Thema vorgeben wollen und die Community des Systemmagazins eingeladen, an Texten zu schicken, was interessant erscheint. Diese Offenheit für das, was kommt, finde ich nicht nur mutig, sondern vor allem auch befruchtend! Wenn wir ganz offen sind für das Spannende und Interessante, das Andere uns bringen, ist das ein sehr humanistischer Zugang, den ich uns Systemikerinnen und Systemikern nur immer wieder wünschen kann!

Open doors. Wenn die deutsche Kanzlerin Flüchtende willkommen heißt und die Türen nicht zumacht, macht das einigen Menschen Angst, weil sie das Gefühl haben, dass offene Türen auch Negatives hereinlassen. Wer lebt schon gerne in einem Haus, in dem alle Türen offen sind? Welcher Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, würde nicht seine Wohnungs- oder Haustür schließen, wenn er schlafen geht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihm Wohlmeinende während der Traumstunden etwas hineintragen, ist tendenziell gering. Auch wenn Weihnachten kommt und der Heilige Nikolaus genau das macht. Aber auch der Weihnachtsmann kommt ja durch den Schlot und nicht durch offene Türen. Also kann man die ruhig schließen. Damit es sicher ist. Damit alles dort bleibt, wo es ist und so bleibt, wie es ist.

Nein, das ist nicht nur ein politisches Statement. Das ist nicht nur eine Einladung, die Türen und auch die Fenster und die Grundstücksgrenzen zum Nachbarn offen zu halten und nicht alles hinter einer einfallslosen Thujen-Hecke und dicken Vorhängen und Vorhängeschlössern zu verstecken. Gleichzeitig habe ich auch nicht die naive Vorstellung, was die Welt nicht für ein schöner Ort wäre, wenn wir alles offen ließen. Aber stellen Sie sich einmal vor, wie viel angenehmer das Leben wäre, wenn man das, was andere innen drinnen machen, mehr respektieren könnte.

Logischerweise gibt es da Ausnahmen und Orte und Situationen, die ich nicht mit allen rund um mich teile. Aber im Großen und Ganzen verstecken wir vielleicht allzu viel von uns und geben so den anderen nicht die Möglichkeit, uns kennen zu lernen. Wir denken, dass wir uns nicht zeigen können, wie wir sind, weil unsere Regungen, Empfindungen und Gedanken die anderen vielleicht abstoßen, verletzen oder ärgern könnten. Und vielleicht haben wir auch oft die Erfahrung gemacht, dass unsere Offenheit negative Auswirkungen hat. Wir lernen sehr früh, dass es private Dinge gibt – und das ist natürlich wichtig. Vielleicht übertreiben wir es aber in unserer Angst, nur nichts falsch zu machen und zeigen viel weniger her, als möglich und manchmal nötig wäre. Und wenn wir nicht offen sind, laden wir auch andere nicht ein, sich zu öffnen. Und dann bleiben wir alle in unseren kleinen Kokons und fürchten das Fremde um uns herum, weil wir nicht wissen, was dahinter steckt. Und dann müssen wir zu denken beginnen, was die anderen denken, dass wir denken und das macht wieder Angst.

Facebook ist also die gesellschaftliche Perversion der Öffnung in ein virtuelles Außen, das dem Wunsch folgt, sich selbst zu zeigen, „ge-liked“ zu werden – aber nicht wirklich, sondern nur dafür, wie wir uns präsentieren. Ganz offen – aber sehr kontrolliert. Dahinter könnte die Angst stecken, dem Menschen, der neben mir wohnt zu zeigen, wer ich bin und mit ihm in Kontakt zu treten. Dahinter könnte der Wunsch nach Nähe und Anerkennung stecken – aber die Angst, dass man nur für gesellschaftlich Akzeptables gemocht wird. (Dabei gibt es den „dis-like“-Knopf bekanntlich nicht!)

Erleben Sie in der Praxis nicht auch oft, dass es Menschen selbst in der bestgehüteten Kommunikationssituation einer Psychotherapie-Stunde massiv schwer fällt, sich zu öffnen? Weil sie es gar nicht mehr gewöhnt sind, über sich zu reden, anderen mitzuteilen, was wirklich wichtig ist. Wir sind nach 100 Jahren Psychotherapie offenbar wieder am Anfang und müssen unser Gegenüber einladen, alles zu sagen, was in den Sinn kommt (freie Assoziation), damit diese kognitiven Hemmungen wegfallen. Das Anything-Goes, das Entblößen unserer äußeren Hüllen (bauchfreie Tops, hot pants, String-Tangas), all die Open Doors erwecken den Eindruck einer offenen Gesellschaft – und sind doch zu einem guten Teil Theater. Denn wer diese Menschen sind, sehen wir trotz all der Haut genauso wenig wie im fin de siècle, als alles verhüllt und verborgen wurde. Viele Menschen in der Therapie machen es auch so: Sie sprechen viel, erzählen in den ersten Stunden von den schlimmsten Traumatisierungen – und zeigen *sich* doch nicht. Sie haben Angst, sich verletzlich zu zeigen, haben das Gefühl, auch in der Therapiestunde eine Rolle spielen zu müssen und wissen vor lauter Übung vielleicht oft gar nicht mehr, dass sie eigentlich eine Rolle spielen. Und wir Zuhörenden halten vieles von dem Rollenspiel vielleicht oft für einen Einblick in die persönliche Lebenswelt. Dabei ist es doch nur Theaterrolle auf der Gesellschaftsbühne.

Ich als katholisch erzogener Mensch habe meine Zeit in Amsterdam genossen. Zwar waren die Menschen dort nicht in der Art und Weise „liberal“, wie ich es dachte, aber es war angenehm. Kennen Sie die riesengroßen offenen Fenster der Wohnungen im Erdgeschoß? Am ersten Tag sah ich als Tourist noch hinein: wie leben die? Wie sieht’s da aus? Aber spätestens nach zwei, drei Tagen geht man durch die Grachten und blickt nicht mehr so neugierig, weil man weiß, dass die Menschen uns sehr ähnlich sind und es dort eigentlich nicht viel zu spionieren gibt. Die Offenheit der anderen hat also bei mir, dem Touristen, ein Gefühl von Nähe erzeugt – generiert durch die Erkenntnis, dass die Fremden mir eigentlich sehr ähnlich sind. Das Ansehen wurde dann zu einem Wahrnehmen und Erkennen von Gleichheiten und Unterschieden. Geschlossene Vorhänge hätten mich viel neugieriger gemacht, da bin ich sicher.

Ist nicht auch dieser Adventkalender eine Metapher dafür? Alle 24 geschlossenen Türchen machen uns neugierig, lassen uns spekulieren – und wenn wir sie eins nach dem anderen öffnen, begegnen wir Menschen und ihren Geschichten.

In diesem Sinn: Viel Spaß beim Öffnen!

11. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin-Adventskalender: Kompetenz ist eben auch Beziehungssache

Bernd Schmid, Wiesloch:

11adventIch war ca. 15 Jahre alt und ein begeisterter Nachwuchs-Reiter in einem Provinz-Reit-Verein. Die Mietpferde, auf denen wir lernten, waren drittklassig. Nun sollte ich neben Dressur auch Springen lernen. Mein Reitlehrer war ein sympathischer, recht raubeiniger und ehrgeiziger Ex-Kavallerist. An einem regnerischen Tag stellte er ein Cavaletti (ca. 40 cm hohes Balkenhindernis) quer über den Pfützen nassen Kies-Platz und hieß mich, darauf zu zu galoppieren. Zur Vorbereitung auf  den Sprung sollte ich mich nach vorne beugen.

Springen über Hindernisse gehört nicht zu den natürlichen Verhaltensweisen von Pferden, wie ich dann erfuhr, und  mein Pferd ‚ Abruzze’ konnte Springen so wenig wie ich. Es galoppierte  auf das Hindernis los und ich beugte mich, den Sprung erwartend, nach vorne. Direkt vor dem Hindernis stemmte Abruzze die Vorderbeine in den Kies, stoppte  abrupt und senkte den Kopf. Ich selbst überwand in einem hohen Bogen  das Hindernis, nur halt ohne Pferd und landete im Matsch. Beim nächsten mal stemmt ich mich nach hinten, um gegen das Stoppen gewappnet zu sein. Abruzze stoppte auch

Bernd Schmid

Bernd Schmid

wieder kurz, sprang dann aber doch und das in einem ungestümen Bocksprung. Und schleuderte mich in einem noch höheren Bogen in den Matsch. Immerhin wir waren beide drüben. Mindestens ein Duzend Abstiege dieser Art, immer in neuen überraschenden Varianten erlebte ich in dieser Reitstunde. Doch es gelang schließlich, dass Pferd und Reiter über das Hindernis kamen und langsam ein richtiges Maß, einen richtigen Rhythmus und einen Zusammenklang fanden.

Dann durfte ich auf ein im Springen geschultes Pferd eines Privatmannes. Ich musste nur richtig sitzen und etwas lenken. Das Pferd konnte den Rest. Erstaunlich, um wieviel kompetenter ich mich sofort fühlte und wie schnell ich nun springen lernte. Zurück auf Abruzze, verfiel das meiste meines gerade noch beindruckenden Könnens. Ein ungeschultes Pferd für Springen zuzureiten war dann doch noch etwas anderes.

10. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Jeder weiß …

10adventRudolf Klein, Merzig: Jeder weiß …

Das diesjährige Motto des Adventskalenders „Open Doors“ hat mir echtes Kopfzerbrechen bereitet. Viele Themen, über ich hätte schreiben können, gingen mir durch den Kopf. Und doch habe ich sie wieder verworfen.

Bis mir einfiel, dass es Menschen gibt, die Gedanken durchdenken, durchfühlen und sie auf unnachahmliche Weise beschreiben können, sodass jeglicher Schreibversuch meinerseits demgegenüber lächerlich wirken würde.

Ich habe meinen diesjährigen Beitrag für den Adventskalender daher nicht selber geschrieben. Ich habe ihn ausgeliehen. Und zwar von einem der größten noch lebenden Schriftsteller unserer Zeit: Philip Roth. Warum ich gerade dieses Zitat gewählt habe, weiß ich auch nicht so genau. Aber was sich hinter den Türen eines

Rudolf Klein

Rudolf Klein

Adventskalenders befindet, kann man ja auch nicht wissen.

Philip Roth schreibt in seinem Roman „Der menschliche Makel“: „Jeder weiß… Wie es kommt, dass etwas so geschieht, wie es geschieht? Welchen Mechanismen die Anarchie gehorcht, denen die Beziehungen zwischen Menschen unterworfen sind. Die Anarchie der Ereignisketten, der Ungewißheiten und unglücklichen Zufälle, der Disparitäten und erschreckenden Unregelmäßigkeiten? (…) Mit „Jeder weiß“ ruft man das Klischee an und beginnt mit der Banalisierung der Erfahrung, und das eigentlich Unerträgliche sind die Feierlichkeit und das Gefühl der Autorität, mit der die Leute das Klischee aussprechen. Wir wissen nur, dass auf individuelle Weise niemand irgend etwas weiß. Man kann gar nichts wissen. Die Dinge, von denen man weiß, dass man sie nicht weiß. Absicht? Motiv? Folge? Bedeutung? Was wir nicht wissen, ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist, was wir als Wissen betrachten.“ (S. 235)

9. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Wie ich wahrnehme, was ich wahrnehme

9adventKurt Buchinger, Wien: Wie ich wahrnehme, was ich wahrnehme

Zuzeiten bin ich mehr „metaphysisch“ gestimmt. In allem, was mir begegnet, scheint mir dann ein Geist zu walten, der jede menschliche Fassungskraft überschreitet. Die Natur, der ganze Kosmos mit all seinen Rätseln, die Untiefen der menschlichen Seele, sogar die menschliche Geschichte und Gesellschaft mit ihren unfassbaren Gräueln zeugen auf irgendeine unsentimentale Art und Weise davon. Was ich oder irgendwer anderes zu denken und fühlen vermag, was wir in welcher Form auch immer zum Ausdruck bringen können, spiegelt mir diesen unendlichen Geist wieder – mehr oder weniger getrübt durch unsere begrenzten Möglichkeiten.

Ich ahne das Eine im Vielen, erkenne dass alles mit allem verbunden ist, bin nahe daran in „allem die ewige Zier“ zu sehen.

Wenn mich diese Stimmung nicht mehr ganz ausfüllt, melden sich inmitten der Bewunderung, oder zumindest an ihren Rändern Zweifel, wie das alles möglich ist. In der Folge erhebt sich die Frage, was denn das sein soll, was da waltet und wirkt.

Für etwaige Antworten stehen mir aus den diversen religiösen und philosophischen Traditionen Bilder zur Verfügung. Da ist die Rede von einem liebenden Schöpfergott, oder von einem bösen Dämon, oder von beiden gemeinsam; vom unbewegten Beweger; von einem großen Weltgesetz; vom Rad des Werdens und Vergehens.

buchingerNatürlich gibt es innerhalb und zwischen diesen Traditionen endlos viel zu diskutieren. Etwa ob allem ein göttlicher Plan zugrunde liegt, oder ob eine solche Vorstellung eines schaffenden Geistes nicht allzu sehr nach dem Muster menschlichen Tuns gestrickt ist. Ob eine geistige Grundstruktur sich in immer wachsender Entfaltung und Komplexität durch alles hindurch zieht, vielleicht sogar auf ein geheimnisvolles Ziel hin. Oder ob es in kosmischen sowohl als in historischen Dimensionen um die ewige Wiederkehr des selben geht.

Je intensiver ich versuche, solchen Fragen nach zu gehen, desto eher verdünnt sich die Stimmung, die ihnen vorangegangen ist, und die ich „metaphysisch“ genannt habe. Bis zuletzt nur mehr Gedanken übrig bleiben. Auch sie üben einen gewissen Reiz auf mich aus. Sie laden mich dazu ein, ein konsequentes Spiel mit Begriffen zu treiben, ein Zeitvertreib, der süchtig machen kann und sich gelegentlich erst mit Fertigstellung eines großen Puzzles beruhigt, das man ein System nennt. Weiterlesen →

8. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Hans und Fritz oder wie Frau Müller zur Therapeutin wird

8adventMartin Rufer, Bern: Hans und Fritz oder wie Frau Müller zur Therapeutin wird

Hans und Fritz, zwei Kollegen, der eine Psychiater, der andere Psychologe sitzen zusammen beim Bier und unterhalten sich über ihren gemeinsamen Berufsalltag. Beide arbeiten selbstständig, d.h. in eigener Verantwortung  in der gleichen Praxisgemeinschaft, sind akkreditierte Psychotherapeuten und verstehen sich zudem als „Systemiker“.

Hans: Die meisten Menschen, die zu mir in die Praxis kommen, sind gesund.

Fritz: Wow, ein erstaunlicher Satz aus dem Munde eines Arztes! Definiert sich doch gemäss unserem Krankenversicherungsgesetz Psychotherapie als „psychische Störung mit Krankheitswert“?

Hans: Niemand, auch die Kasse nicht, verlangt von mir in der Regel eine psychiatrische Diagnose. Genauso wie der Hausarzt, der zu Beginn oft auch (noch) keine eindeutige Diagnose für beklagte Beschwerden stellen kann, behandle auch ich alle, die bei mir um Hilfe suchen, sofern ich dafür Zeit finde und Platz habe.

Martin Rufer

Martin Rufer

Fritz: Das heisst also, sobald jemand bei Dir sein Leid klagt, seien es das eigene oder auch Belastungen in Familie oder Partnerschaft, über die Schwelle tritt , kann er die Rechnung für Deine Leistungen an die Kasse weiterleiten und diese wird ihm rückvergütet.

Hans: Ja, so ist es (1). Es sei denn mein Patient entscheidet sich, aus welchen Gründen auch immer, meine Rechnung aus der eigenen Tasche zu bezahlen.

Fritz: Ja, bei mir hat er, wie Du weißt, diese Wahl nicht und muss die Rechnung in der Regel selber bezahlen (1). Weil ich aber trotzdem eine gut laufende Vollzeitpraxis führe, wird dies von KollegInnen dann gerne so erklärt, dass ich wohl ausschliesslich finanzstarke Kunden habe oder  Patienten behandle, die nicht krank oder „schwer“ psychisch gestört sind. Obwohl Psychologe, weiss ich aber, dass nicht Wenige mit „krankheitswertigen“ Belastungen zu mir kommen. Umso mehr verblüfft mich natürlich Deine ungeschminkte Aussage als Arzt. Ob meine Klienten sich zu Beginn allerdings selber als Patienten sehen (wollen), ist eine andere Sache. Nicht selten wird nämlich meine Bemerkung, dass ich, im Gegensatz zu meinen ärztlichen Kolleginnen (PsychiaterInnen), keine Medikamente verschreiben und abgeben darf, damit quittiert, dass sie selber sich nicht als krank sehen und daher auch keinen Arzt/Psychiater bräuchten …

Hans:  Als Psychiater möchte ich aber auch nicht einfach als „Pillenverkäufer“, sondern wenn schon  als „Seelendoktor“  wahrgenommen werden.. Trotzdem stellt sich hier natürlich die Frage: Ist krank wer leidet und wer oder was bestimmt den Umgang mit Krankheit im therapeutischen Prozess? Weiterlesen →

7. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin-Adventskalender: Abenteuerland

7adventHartwig Hansen, Hamburg:

Systemisches Arbeiten ist nichts für Festhalter, für Schubladen-Denker oder „Ich hab’s doch schon immer gewusst“ -Betonköpfe.

Systemisches Arbeiten ist eher etwas für Dschungel-Affine, für mutig-bewegliche Janes und Tarzans, die von einer Liane zur anderen schwingen, und für Menschen, die Spaß am Um-die-Ecke-Denken haben.

Das hängt vor allem mit der einleuchtenden, aber mitunter doch etwas verwirrend-verunsichernden Grundidee zusammen, dass im Leben eben nichts statisch und „an die Wand zu nageln“ ist, sondern fortwährend alles in Bewegung und „im Fluss“.

Wie wird es dann aber möglich, hilfreich zu agieren, wenn man sich „an nichts wirklich festhalten kann“, sondern darauf angewiesen ist, sich auf das berühmte „Navigieren beim Driften“ zu konzentrieren (vgl. Fritz B. Simon und Gunthard Weber – übrigens mein persönlicher Buchtitel-Favorit „im systemischen Feld“).

Hartwig Hansen

Hartwig Hansen

Am Anfang – ja, wann war das eigentlich noch? – ist man ja unsicher und verspricht sich ein bisschen weniger Herzklopfen beim Zusammentreffen mit Ratsuchenden durch das möglichst ausgiebige Vorausdenken und -planen der Sitzung, in der man dann auf bewährte Tools oder Techniken zurückgreift und „traditionell gut funktionierende Interventionen“ in petto hat.

Im Laufe der Jahre kommt man dann langsam, aber sicher dahinter, dass sich Sitzungen in ausgesprochen geringem Maße vorausplanen lassen, weil das erste Grundgesetz der Beratung lautet: Es kommt immer anders, als man denkt. Immer! Weiterlesen →

6. Dezember 2015
von Tom Levold
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systemagazin-Adventskalender: Eine Geschichte von der Scham

6adventPeter Müssen, Köln: Eine Geschichte von der Scham

Bei der SG-Tagung 2012 in Köln, mit dem Titel „Würde ist tastbar” – ausgerichtet vom IF Weinheim, habe ich Dr. Stephan Marks durch seinen Vortrag „Scham – Hüterin der Würde” kennengelernt. Das Thema ist mir gleichsam unter die Haut gefahren und so ist er seitdem bei den Weiterbildungen des WIST in Münster oft zu Gast. Dabei erzählt er gerne die „Geschichte von der Blattlaus”, für die ich hier im Adventskalender ein Türchen öffnen möchte.

Scham ist nach Marks ein universelles Gefühl, das alle Menschen auf individuelle Art kennen. Dieses Gefühl, so sehr es auch peinigen mag, wird nur selten in Worte gefasst und oft tabuisiert, zeigt sich aber deutlich in Körperreaktionen, wie z.B. dem Erröten, oder aber in Ausdrücken der Körpersprache. Das Schamgefühl isoliert und trennt, macht den Menschen einsam und oft zum verächtlichen Gespött der anderen.

Scham kann in vielen, ja fast allen Situationen auftauchen. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen, die mit Menschen arbeiten, Scham erkennen und mit ihr kundig umgehen können, z.B. Pflegekräfte, Lehrer, Psychotherapeuten und Berater usw.

Ob die Scham destruktiv-dysfunktionale Folgen hat, hängt ab von ihrer Menge (das „Gefäß“ der Scham kann überfließen) und der Art des Umgangs mit ihr. Weiterlesen →