systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

4. Oktober 2016
von Tom Levold
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Becoming Dialogical: Psychotherapy or a Way of Life?

Im Australian and New Zealand Journal of Family Therapy 2011 (32/3, S. 179–193) hat der finnische Psychiater Jaakko Seikkula University of Jyväskylä einen Artikel über den dialogorientierten Ansatz in der finnischen Sozialpsychiatrie geschrieben. Im abstract heißt es: „After birth the first thing we learn is becoming a participant in dialogue.We are born in relations and those relations become our structure. Intersubjectivity is the basis of human experience and dialogue the way we live it. In this paper the dilemma of looking at dialogue as either a way of life or a therapeutic method is described.The background is the open dialogue psychiatric system that was initiated in Finnish Western Lapland. The author was part of the team re-organizing psychiatry and afterwards became involved in many different types of projects in dialogical practices. Lately the focus has shifted from looking at speech to seeing the entire embodied human being in the present moment, especially in multifarious settings. Referring to studies on good outcomes in acute psychosis, the contribution of dialogical practice as a psychological resource will be clarified.“ Der Artikel ist sehr zu empfehlen, unter dieser Adresse kann man ihn finden…

3. Oktober 2016
von Tom Levold
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Wächst zusammen, was zusammen gehört …?

Unter diesem Titel ist der  Tagungsbericht von Matthias Richter über die 16. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGSF vom 22. bis 24. September 2016 in Frankfurt a. M. auf der website des Verbandes erschienen. Dabei bezieht er sich insbesondere auf den gesellschaftspolitischen Schwerpunkt der diesjährigen Tagung: „Ja, ich habe mich in meinem Leben immer wieder und an verschiedenen Orten politisch engagiert. Ja, ich habe es seit ungefähr zehn Jahren aufgegeben und mich dem Beruf und einigen wenigen Hobbys gewidmet. Und ja, mich machen populistische, antidemokratische Entwicklungen in unserer Gesellschaft besorgt. Und obwohl ich im Vorfeld der diesjährigen DGSF-Jahrestagung im September in Frankfurt wahrgenommen hatte, dass das Forum Gesellschaftspolitik in der DGSF einen „Strang“ von Veranstaltungen zu gesellschaftspolitischen Themen angekündigt hatte, war ich letzten Endes positiv überrascht und beeindruckt, wie stark diese Themen den Kongress in diesem Jahr geprägt haben. Sicher hat das auch mit meiner persönlichen Auswahl von Veranstaltungen aus dem umfangreichen Programm von 19 Hauptvorträgen und ca. 100 Workshops, Symposien und Vorträgen zu tun, die diese Tagung zu bieten hatte. Aber auch aus Gesprächen mit anderen TeilnehmerInnen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die politischen Themen diesem Kongress einen wichtigen Schwerpunkt verliehen haben.“ Hier geht es zum vollständigen Text…

 

2. Oktober 2016
von Tom Levold
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„Wirksamkeit der Systemischen Therapie nachgewiesen“ – Stellungnahme der BPtK zum IQWiG-Vorbericht

Am 30.9. veröffentlichte die Bundespsychotherapeutenkammer auf ihrer Website folgende Erklärung:

„Die Wirksamkeit der Systemischen Therapie ist nachgewiesen. Das ist das Ergebnis eines Vorberichts, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im August 2016 vorgelegt hat. Der Vorbericht bewertet den Nutzen der Systemischen Therapie bei Erwachsenen. Danach liegen „Anhaltspunkte“ und „Hinweise“ auf den Nutzen insbesondere bei den besonders versorgungsrelevanten Indikationen vor, die für eine Anerkennung der Systemischen Therapie als neues Psychotherapieverfahren erforderlich sind. „Wir gehen davon aus, dass das IQWiG damit die Grundlage dafür vorgelegt hat, dass die Systemische Therapie zukünftig als weiteres Psychotherapieverfahren mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden kann“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest.

Das IQWiG fand Anhaltspunkte für den Nutzen bei „affektiven Störungen“ und Hinweise auf den Nutzen bei „Angst- und Zwangsstörungen“. Dieser Nachweis ist in jedem Fall erforderlich, damit ein Psychotherapieverfahren in der vertragsärztlichen Versorgung angewendet werden kann (§ 17 Psychotherapie-Richtlinie). Darüber hinaus fand das IQWiG auch Hinweise für einen Nutzen bei Schizophrenie und Anhaltspunkte für den Nutzen bei Substanzkonsumstörungen, Essstörungen und körperlichen Erkrankungen sowie bei gemischten Störungen.

Vergleicht man den IQWiG-Vorbericht mit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie aus dem Jahr 2006, so ergibt sich insgesamt ein vergleichbares Bild. Dabei fand das IQWiG aufgrund der neuen Studienlage zusätzlich einen Hinweis auf den Nutzen bei Angststörungen.

Die Nutzenbewertung der Systemischen Therapie erfolgt im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Nach Abschluss des Stellungnahmeverfahrens wird das IQWiG im ersten Quartal 2017 dem G-BA einen Abschlussbericht vorlegen. Dieser wird dann auf der Basis der IQWiG-Bewertung unter zusätzlicher Berücksichtigung der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit für die sozialrechtliche Zulassung der Systemischen Therapie entscheidend sein.“

Quelle: Bundespsychotherapeutenkammer Detailansicht der Aktuellen Nachric

1. Oktober 2016
von Tom Levold
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Kinder brauchen Märchen und Erwachsene brauchen Geschichten

aderhold-geschichteRudolf Klein, Merzig: Kinder brauchen Märchen und Erwachsene brauchen Geschichten.

Rezension von Kristof Aderhold: Ich habe eine Geschichte für Dich geschrieben – Gebrauchsliteratur für pädagogische und psychologische Ziele – eine systemische Perspektive

Kristof Aderhold ist Diplom Psychologe und psychologischer Psychotherapeut. Er arbeitet seit über 25 Jahren in verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Mit „Ich habe eine Geschichte für Dich geschrieben“ legt er sein erstes Buch vor.

Mit diesem Thema begibt sich Aderhold auf ein Feld, das theoretisch und praktisch bereits vielfach behandelt wurde. Für die theoretische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Narrationen für das menschliche Sein stehen Autoren wie Michael Buchholtz, Kenneth Gergen, Mark Johnson, Wolfgang Kraus, George Lakoff, Tom Levold, Arnold Retzer, Reinhard Sieder, um nur einige zu nennen. Für die praktische Anwendung stehen Namen wie Bruno Bettelheim, Nosrath Peseschkian, Idries Shah, Bernhard Trenkle, Michael White, um auch hier nur einige zu erwähnen.

Und dennoch hat dieses Buch etwas Besonderes: Aderhold bedient sich in seiner Praxis nicht irgendwelcher bereits vorhandener Geschichten, um sie Klienten zu erzählen. Stattdessen zeigt er auf, wie man in der pädagogisch-therapeutischen Arbeit maßgeschneiderte Geschichten für einzelne Klienten, meist Kinder, selber erfinden und schreiben kann – Gebrauchsliteratur eben. Weiterlesen →

30. September 2016
von Tom Levold
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Oliver König wird 65!

Oliver König

Oliver König

Heute wird Oliver König 65 Jahre alt, ein schöner Anlass, von dieser Stelle ganz herzliche zu gratulieren. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich als Soziologe, Therapeut, Supervisor, Autor und Publizist in ganz unterschiedlichen Feldern einen Namen gemacht und auch den systemischen Diskurs mit verschiedenen Beiträgen bereichert. Im Zentrum dieses Diskurses stand er dabei nicht, was natürlich keinen Nachteil bedeutet. Auch wenn man dann nicht unbedingt von allen wahrgenommen wird, bietet die Position am Rande von Diskursen doch Reflexionsgewinne, die im Zentrum so nicht zu haben sind, wo es doch häufiger auch um die Sicherung und Fixierung von einmal gefassten Erkenntnissen und Positionen geht. Oliver König hat aus dieser Positionierung an und in der Peripherie immer großartige Möglichkeiten der Reflexion und Erkenntnis schöpfen können. Was ihn ausmacht, ist seine denkerische und praktische Unabhängigkeit eher am Rande von Systemen – seine klugen Veröffentlichungen, die sich dieser Unabhängigkeit verdanken, künden davon. Der Wissenssoziologie Ronald Burt spricht von Prozessen der Schließung und der Vermittlung (Closure and Brokerage) in Systemen und Netzwerken, die die Dynamik von Systemen prägen und darüber entscheiden, ob und wie Neues entstehen kann. Aus dieser Perspektive lässt sich die Position von Oliver König als Broker beschreiben, der sich in Differenz zu den jeweiligen Konzepten und Modellen setzt und daraus Erkenntnisgewinne entwickelt, die allen Vertretern der jeweiligen mainstreams (also der Zentren) ans Herz gelegt werden können. Ein gutes Beispiel hierfür ist seine Kritik an der Praxis der Aufstellungsarbeit – obwohl und gerade weil er selbst Aufstellungen als Methode einsetzt. In der Einleitung zu seinem Text „Familienaufstellungen – Kurzzeittherapie in der Gruppe. Möglichkeiten und Grenzen eines Verfahrens“, das in dem von Bernhard Strauss & Michael Geyer bei Vandenhoeck & Ruprecht 2006 herausgegebenen Band „Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung“ erschienen ist, beschreibt er auf präzise Weise genau dieses Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie, das er zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen macht.

Hier schreibt er: „Als Sozialwissenschafter eine reflexive Haltung einzunehmen erfordert ein Wissen darum, ,dass das Besondere seines Standpunktes darin besteht, ein Standpunkt im Hinblick auf einen Standpunkt zu sein’ (Bourdieu 1997, 802). Die einzige Möglichkeit, die Einschränkungen der Standortgebundenheit unserer Wahrnehmungen und Analysen zu relativieren, besteht daher darin, die Perspektivität des eigenen Standpunktes auszuweisen. Dies ist um so notwendiger, wenn es um ein Thema geht, das so umstritten ist und innerhalb der psychosozialen und therapeutischen Profession derart skandalisiert wurde, wie dies für die Methode der Familienaufstellungen der Fall ist.

In meinem Fall ist dieser Standpunkt in mehrerer Hinsicht randständig. Ich arbeite in freier Praxis psychotherapeutisch mit Familienaufstellungen, bin aber in der Perspektive des ,Zentrums’ kein Psychotherapeut, sondern firmiere unter dem Begriff ,Heilpraktiker’. Mit ,Zentrum’ ist in diesem Fall jene hegemoniale Figuration von Institutionen und Personen gemeint, die in der Frage, was Psychotherapie und wer ein Psychotherapeut sei, die Definitionsmacht haben. Von dieser Position am Rande trete ich nicht nur als Vertreter der Arbeit mit Familienaufstellungen auf, sondern zugleich als ihr Kritiker. Da diese Kritik nicht von außen kommt, sondern von jemandem, der die Methode selber praktiziert, kann sie sich nie ganz von dem hegemonialen Beigeschmack befreien, ihrerseits definieren zu wollen, wie man diese Arbeit eigentlich machen müsse. Insofern führe ich vom Rande aus einen hegemonialen Diskurs gegenüber dem Rande. Dabei gerät aus dem Blick, dass die hegemoniale Definitionsmacht hinsichtlich des Feldes der Psychotherapie im Zentrum angesiedelt ist. Ein kritischer Blick auf die Arbeit mit Familienaufstellungen hat nur dann eine Chance, sich von dieser Einseitigkeit der Kritik zumindest partiell zu befreien, wenn sie die gegenseitige Bezogenheit von Rand und Zentrum im Auge behält.“

Auch wenn die Aufstellungsarbeit heute nicht mehr so im Zentrum der Kontroversen steht wie vor 10 Jahren, ist der Text nach wie vor hoch aktuell. Man kann das vollständige Manuskript hier lesen

Lieber Oliver, zum 65. herzliche Glückwünsche und alles Gute – verbunden mit einem Dank für Deine vielfältigen, klugen und immer gleichermaßen engagierten wie distanzierten Gedanken zur Theorie und psychosozialen Praxis in den unterschiedlichsten Feldern!

27. September 2016
von Tom Levold
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Trialogie 2016 – Am Rande der Wüste. Ein Gespräch

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Vom 18.-25. Februar 2017 wird in Zagora/Marokko die vierte Trialogie-Tagung stattfinden. Im Heft 2/2016 des Kontext ist als eine Art alternativer Tagungsbericht zur Trialogie-Tagung 2016 in Zagora ein Beitrag von Susanne und Anna Altmeyer erschienen. Beide, Mutter und Tochter, haben diesen Bericht als Gespräch entwickelt, das mit freundlicher Genehmigung auch im systemagazin an dieser Stelle veröffentlicht wird.

Susanne und Anna Altmeyer: Am Rande der Wüste

Systemisch tagen in einem Riad am Rande der Sahara – seit 2014 bieten Liane Stephan, Mohammed el Hachimi und Tom Levold im Februar die Gelegenheit dazu auf ihren einwöchigen Trialogie-Tagungen. re-source hieß die erste, re-connect die zweite, re-mind die diesjährige dritte. Fokus sollte diesmal sein die Verbindung zu ungenutzten oder verlorenen Ressourcen oder Ideen und die Vernetzung mit denen von Kollegen und Kolleginnen.

Das Vorhaben fand statt an einem Ort, der ein soziales Projekt beinhaltet: Mohammed el Hachimi hat das Riad mit einem Freund vor Ort vor über 10 Jahren gebaut und lässt es nach und nach in die Selbstorganisation der Menschen vor Ort übergehen. Ziel ist es, die vorher ungenutzten Ressourcen des Ortes zum Wachsen und Blühen zu bringen. Der Gewinn fließt an die Angestellten, die Instandhaltung und in soziale Projekte vor Ort wie Brunnenbau und Beschulung von Mädchen.

Und diesmal endlich passte die Zeit für mich und ich reagierte schon im August auf die ansprechende Ausschreibung und meldete mich an. Und nicht nur mich, sondern auch meine 21jährige Tochter, die interessiert an Marokko und systemischer Therapie ist. Ich nutze die Chance, Informationen über diese Woche aus der Perspektive einer Neu-Einsteigerin ins systemische Feld zu bekommen und stelle ihr einige Fragen zu ihren Erfahrungen bei der Tagung. Weiterlesen →

22. September 2016
von Tom Levold
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G-BA: Partikularinteressen über das Gemeinwohl?

Das Ärzteblatt berichtete vorgestern, am 20.9., dass eine Studie, die von der privaten Stiftung Münch, hinter der der Rhön-Konzern-Gründer Eugen Münch steht, die Art der Entscheidungsfindung des Gemeinsamen Bundesausschusses „und die starke Abbildung von Partikular­in­teressen wie denen von Krankenkassen, Ärzten, Krankenhäusern sowie Patienten kri­ti­siert. Nach ihrer Ansicht müssten die Entscheidungen des G-BA stärker am Gemeinwohl orientiert sein.“ Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Institutes für Wettbewerbsökonomie und zwischen 2008 und 2012 Vorsitzender der Monopolkommission der Bundesregierung, ist Hauptautor der Studie. „Als Fazit bemängeln die Autoren, dass es zu wenig Gemeinwohl­orientierung des G-BA gebe, da das Risiko bestehe, dass gegen Gruppen, die nicht im G-BA ver­tre­ten seien, ,Allianzen geschmiedet’ und diese somit benachteiligt würden. ,Es ist möglich, dass hier Partikularinteressen über das Gemeinwohl gestellt werden’, erklärte Haucap.“ Kritisiert wird zudem, dass häufig von Empfehlungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWIG abgewichen werde. Den Artikel gibt es hier zu lesen, die Studie ist ebenfalls im Internet zu lesen, und zwar hier …

21. September 2016
von Tom Levold
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2 von 10 der 2015 geborenen Babys hatten eine Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit

WIESBADEN – Von den insgesamt 738 000 im Jahr 2015 geborenen Kindern hatten 590 000 eine deutsche Mutter und 148 000 eine Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, stieg damit der Beitrag ausländischer Frauen zu allen Geburten in Deutschland auf 20 %. Zwischen 1996 und 2014 hatte ihr Anteil stabil 17 % bis 18 % betragen.

Die Zahl der Geborenen stieg im Vergleich zum Jahr 2014 insgesamt um 22 650. Dazu trugen vor allem Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei (+ 17 280). Die Zunahme der Geborenen von deutschen Frauen fiel dagegen mit + 5 370 Kindern eher gering aus. Der Geburtenanstieg des Jahres 2015 unterscheidet sich damit deutlich von dem des Jahres 2014. Im Jahr 2014 wurden rund 33 000 Kinder mehr als im Vorjahr geboren. Zu dieser Geburtenzunahme hatten mit 22 000 Babys in erster Linie Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit beigetragen. Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit hatten 11 000 Kinder mehr als im Jahr zuvor zur Welt gebracht. Weiterlesen →

19. September 2016
von Tom Levold
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Ludwig von Bertalanffy (19.9.1901-2.6.1972)

Ludwig von Bertalanffy

Ludwig von Bertalanffy

Heute würde Ludwig von Bertalanffy, der Begründer der „Allgemeinen Systemtheorie“ seinen hundertfünfzehnten Geburtstag feiern (Foto). Auch wenn in der Öffentlichkeit als Biologe bekannt, beschäftigte er sich vorrangig mit naturphilosophischen Fragestellungen, über er die er auch bei Moritz Schlick promovierte, dem Mitbegründer des legendären Wiener Kreises. Ihn beschäftigte die theoretische Integration biologischer, psychologischer, philosophischer und soziologischer Gegenstandsbereiche zu einer allgemeinen Theorie lebender Systeme, für die die Beschäftigung mit Organismen nur den Ausgangspunkt darstellt. Damit nahm er von Anfang an eine transdisziplinäre Perspektive ein, die ein Kennzeichen des systemischen Ansatzes ist. Entscheidender Motor für die Entwicklung der Systemtheorie war Bertalanffys Kritik am reduktionistischen physikalisch-mechanistischen Weltbild seiner Zeit. Dem setzte er ein Verständnis von Organismen als in Bezug auf Austausch von Energie, Materie und Information offene Systeme gegenüber, die sich unter den Gesichtspunkten von Ganzheit, (Selbst-)Organisation, Zielorientierung, Hierarchie, Regulation usw. beschreiben lassen. Damit löste er sich früh vom klassischen „Paradigma des Ganzen und seiner Teile“ und ersetzt diese „traditionelle Differenz (…) durch die Differenz von System und Umwelt“, woran später auch Luhmann mit seiner Theorie sozialer Systeme anschloss. Sein Hauptwerk „General System Theory. Foundations, Development, Applications“ kann man übrigens jetzt auch im Internet lesen, eine gute, aber ebenfalls englischsprachige Einführung gibt es von dem polnisch-kanadischen Sozialwissenschaftler Thaddus E. Weckowicz (1919-2002), die bereits 1989 als Working Paper No. 89-2 des Center for Systems Research in Edmonton AB: University of Alberta erschienen und hier zu lesen ist.

 

16. September 2016
von Tom Levold
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A Tale of Two Epistemologies: Wider eine individualistische Diagnostik

Norbert Wetzel gehört zum Urgestein der deutschsprachigen Fwetzel_norbertamilientherapie-Szene. Er gehörte Mitte der 70er Jahre mit Ingeborg-Rücker-Embden und Michael Wirsching zu den ersten Mitarbeitern von Helm Stierlin an der Abteilung für „Psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie“ der Universität Heidelberg. Ergebnis dieser Zusammenarbeit war der Band „Das erste Familiengespräch“, in der 8. Auflage immer noch auf der Backlist von Klett-Cotta. Anfang der 80er Jahre übersiedelte er in die USA, wo er von 1980 bis 1991 Paar- und Familientherapie an der Rutgers’ Graduate School of Applied and Professional Psychology unterrichtete. 1982 gründete er gemeinsam mit Hinda Winawer das Princeton Family Institute, das den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Unterstützung von Menschen legt, die aufgrund ihrer sozialen und ökonomischen Lage oder ihrer ethnischen, religiösen oder sexuellen Identität benachteiligt werden. Therapeutische und beraterische Angebote sind vor diesem Hintergrund zwangsläufig auf den erweiterten Kontext der Familie, Nachbarschaft und Gemeinde bezogen. Betrachtet man die Menschen in ihrem Lebenskontext, zeigt sich, dass diagnostische Klassifikationen wie das DSM oder die ICD dieser Perspektive in keiner Weise gerecht wird. In einem interessanten Text, den Norbert Wetzel im Internet veröffentlicht hat, kritisiert er, dass auch die berechtigte Kritik am DSM, nämlich dass sie die Medikalisierung der Psychotherapie weiter vorantreibt, an dieser Stelle zu kurz greift, weil sie die damit verbundene individualistische Perspektive noch längst nicht aufhebt. Statt des dieser individualistischen Perspektive zugrunde liegenden Paradigmas eines „Objektiven Realismus“ fordert Wetzel einen „relationalen, perspektivischen Realismus”. Weiterlesen →

15. September 2016
von Tom Levold
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Kultur und Migration IV

ZSTB-2016-03

Von den deutschsprachigen systemischen Zeitschriften setzt sich die Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung unter ihrer Herausgeberin Cornelia Tsirigotis in ganz besonderem Maße mit dem Thema Kultur und Migration auseinander. Das aktuelle Heft 3/2016 ist das vierte Themenheft in den vergangenen Jahren und bezieht sich in erster Linie auf die Arbeit mit Flüchtlingen. Im Editorial schreibt Tsirigotis: „Die größten Fluchtbewegungen auf der Welt seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, eine beeindruckende Unterstützungs- und Hilfewelle, die unglaublich schnelle Wiedererrichtung von Stacheldraht in Europa, ein besorgniserregender Wertewandel mit gewaltigem politischen und kulturpolitischem Ausmaß, der zugleich schleichend und wenig wahrnehmbar erscheint- seit dem letzten Heft zu diesem Thema vor einem Jahr hat sich eine aus meiner Sicht sehr rasante Entwicklung in unterschiedliche Richtungen vollzogen, die ihre Schatten zwar vorauswarf und zugleich noch schwer vorstellbar erschien. Grund genug also, sich im diesjährigen Heft der ZSTB zum Themenschwerpunkt Kultur und Migration der Arbeit mit Geflüchteten zuzuwenden. Dazu wurden Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Kontexten eingeladen. Den Auftakt der Beiträge zum Thema „Systemisches Arbeiten mit Geflüchteten“ macht Alexander Korittko. Als Spezialist für eine systemische Perspektive auf Trauma und traumatischen Stress beschreibt er in seinem Beitrag, dass mit dem Ankommen in Deutschland der traumatische Stress für die Geflüchteten noch kein Ende hat und dass es viel länger dauert, bis von post-traumatischer Belastung gesprochen werden kann. Haja Malter und Kerstin Schmidt richten ihre Perspektive auf kultursensibles systemisches Denken und Handeln in der Arbeit mit Geflüchteten. Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen: Angela Teresa Ott zeigt die Erfordernisse professioneller psychosozialer Hilfe an berührenden Beispielen auf. Mahsa Mitchell bereichert systemische Sichtweisen durch einen psychoanalytischen Blick auf die eindrucksvollen Träume von unbegleiteten jugendlichen Geflüchteten.“ Darüber hinaus runden Beiträge von Kirsten Dierolf und Johannes Herwig-Lempp das Heft ab. Alle abstracts und bibliografischen Angaben gibt es wie immer hier…