systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

13. September 2018
von Tom Levold
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Angst und Methode

Angst und Methode in den VerhaltenswissenschaftenHeute vor 110 Jahren wurde der Pionier der Ethnopsychoanalyse Georges Devereux in Lugos, Ungarn, geboren. Sein methodologisches Hauptwerk „From anxiety to method in the behavioral sciences“ erschien 1967 auf Englisch, die deutsche Übersetzung „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“ 1973 bei Hanser. Darin liefert Devereux eine Kritik der vorherrschenden verhaltenswissenschaftlichen Methodologie. Der Anthropologe Weston La Barre schreibt in seinem Vorwort zu diesem Buch (nachdem er auf die Entdeckung der Beobachterabhängigkeit aller Beobachtung in den Naturwissenschaften hingewiesen hat): „Mittlerweile fahren die sich selbst so nennenden »Sozialwissenschaften«, die seit dem 17. Jhdt. nach dem Prestige der exakten physikalischen Wissenschaften streben, mit erhabenem Ernst fort, sich nach dem mechanistischen Newtonschen Modell des 17. Jhdts. auszurichten, als hätten

Einstein und Heisenberg in der Zwischenzeit nicht die Physik revolutioniert. Es ist mehr als ironisch, daß ausgerechnet die am wenigsten exakte der Sozialwissenschaften, die hoffnungslos humanistisch-naturalistische Erforschung des Menschen aus der »Vogelperspektive«, zuerst die relativistisch-indeterministische anthropische Spitzfindigkeit erfassen sollte, daß der unsichtbare Mensch verzweifelt versucht, nicht dabei gesehen zu werden, wie er andere Menschen sieht, während die akademische Psychologie und Soziologie auf dem Königsweg Newtonscher Epistemologie sogar noch weiter zurückgeblieben sind. Einfältig »experimentell«-manipulativen Sozialwissenschaftlern mangelt es zu sehr an Demut wie auch an Witz, um

Georges Devereux (ca. 1932)

Georges Devereux (ca. 1932)

erkennen zu können, daß sie ihre Wahrheitsmaschinen mit vielfach von Menschen verunreinigten Daten füttern und – trotz zwanghaft exakter »Methodologie« – deshalb einzig die lokale zeitgenössische Folklore über unsere Gesellschaft umständlich, mühselig und vor allem unwissentlich neuentdecken“. Auch wenn Devereux die Beschäftigung der Forscher mit ihren Daten unter dem Aspekt von Übertragung und Gegenübertragung, also mit einem psychoanalytischen Vokabular untersucht, lässt sich dieses Werk auch als eine frühe Arbeit zur Theorie der Wissenschaft als subjektabhängige Beobachtung verstehen, die Devereux an zahllosen Fallbeispielen überwiegend aus Ethnologie und Psychiatrie, verdeutlicht. Dabei geht es ihm darum, dass verhaltenswissenschaftliche Daten regelmäßig angsterregend sind. Wird dies nicht bewusst, kommt es zu Gegenübertragungsreaktionen. In einer auf vermeintliche Objektivität orientierten Methodologie wird dies nicht nur nicht bemerkt, sondern die Methode selbst wird zum Mittel der Angstbewältigung.

Lobenswerterweise ist zum 110. Jahrestag dieses Buch im April in der Buchreihe: Bibliothek der Psychoanalyse des Psychosozial-Verlags neu aufgelegt worden. Die Lektüre lohnt sich immer noch.

1. September 2018
von Tom Levold
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Wie gefährlich ist Donald Trump?

Ulrich Sollmann, Bochum:

Mitte letzten Jahres hatten 27 Psychiater und Psychologen den US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf die virtuelle Couch gelegt. Jetzt liegt das Buch endlich auch auf Deutsch vor.
Kann man die Psyche eines Menschen aus der Distanz beurteilen? Fragten sich damals prominente Psychiater und Psychologen, um dann ein wirklich mehr als nachdenkenswertes Buch herauszugeben. Einerseits besticht das Buch durch differenzierte, fundierte und wissenschaftliche Genauigkeit in der Darstellung psychologischer und psychiatrischer Zusammenhänge. Diese ranken sich um die Person des Protagonisten Donald Trump, aber auch um die US-amerikanische Gesellschaft sowie um die sich zuspitzende, brisante, hierdurch beeinflusste weltpolitische Lage. Zudem nimmt das Buch einen bedeutsamen und einzigartigen Platz ein im Rahmen gesellschaftspolitischen Verhaltens der psychologischen/ psychiatrischen/ psychotherapeutischen Zunft ein.
Die 27 Autoren hatten sich zu dieser Streitschrift entschieden, obwohl es die sog. „Goldwater-Regel“ bzw. Abschnitt 7, Punkt 3 des ethischen Kodes der American Psychiatric Association gibt, die besagt „es ist unethisch, wenn ein Psychiater eine professionelle Meinung über eine Person des öffentlichen Lebens zu Gehör bringt, es sei denn, er oder sie hat die betreffende Person untersucht und ist autorisiert eine solche Beurteilung abzugeben.“
Diese Goldwater-Regel markiert die Grenzen der praktischen Berufsausübung. Sie hilft auch professionelle Integrität zu wahren und schützt die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor Diffamierung. Was aber, so fragten sich die Autoren, sollte getan werden, wenn das Verhalten einer öffentlichen Person, sprich in diesem Fall eines US-amerikanischen Präsidenten, potentiell verheerende Folgen nach sich ziehen kann oder wird. Die Autoren sehen sich daher in Übereinstimmung mit der sog. Tarasoff-Doktrin, einem Gerichtsurteil, das im Zusammenhang mit dem Fall Tarasoff vs. University of California erging. Demnach ist es sogar die Pflicht aller Fachleute für psychische Gesundheit, die Bürger der Vereinigten Staaten und die Völker der Erde vor den potentiell verheerenden Folgen des Verhaltens von Politikern (m.E.: inklusive eines US-amerikanischen Präsidenten) zu warnen. Weiterlesen →

26. August 2018
von Tom Levold
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Systemische Geschichtswerkstatt ist online

Liebe systemagazin-Freunde,

nach einer längeren Sommerpause freue ich mich, Ihnen heute etwas ganz Besonderes vorstellen zu können, das es in dieser Form bislang noch nicht gegeben hat.

Die Systemische Geschichtswerkstatt bietet eine nicht-lineare visuelle Darstellung der Geschichte des systemischen Ansatzes und seiner theoretischen und praktischen Vorläufer. Im Fenster unten sehen Sie eine an die Formatierung des systemagazins angepasste eingebettete Version als Vorschau.

Zur Geschichtswerkstatt in einem eigenen großen Fenster geht es hier:

 

Die Systemische Geschichtswerkstatt ist eine private Arbeitsgruppe, zu der sich Kurt Ludewig, Annie Michelmann, Wolf Ritscher, Wilhelm Rotthaus und Gisal Wnuk-Gette und ich 2014 zusammengefunden haben. Ausgangspunkt war unsere Erfahrung als DozentInnen an vielen systemischen Weiterbildungsinstituten, dass Namen und Daten aus der Geschichte des systemischen Ansatzes, die in den 80er und 90er Jahren eine große Rolle gespielt haben, heute schon relativ unbekannt sind und deren Vermittlung in der Regel auch keinen besonderen Stellenwert in den Curricula der Weiterbildungsinstitute hat. Insofern lässt sich von einer gewissen Geschichtsvergessenheit sprechen, die vielleicht auch durch die Fokussierung des systemischen Ansatzes auf die Gegenwart und Zukunft verstärkt wird.

Je nach zeitlicher Einordnung, spätestens aber seit 1980 lässt sich von einem eigenständigen Systemischen Ansatz reden. Mittlerweile, fast 40 Jahre später, hat dieser Ansatz selbst eine beachtliche Geschichte und wird dadurch einer historischen Betrachtung zugänglich bzw. bedarf einer solchen. Die meisten Pioniere der Familientherapie sind mittlerweile bereits verstorben, die zweite Generation der Systemiker steht an der Schwelle des Alters und wird nicht mehr lange aktiv sein.

Die Arbeitsgruppe Systemische Geschichtswerkstatt befasste sich mit unterschiedlichen Formen, in denen die Geschichte des systemischen Ansatzes vermittelt werden könnte. Ein Buch hatte für uns den Nachteil einer zwangsläufig linearen Darstellung, die zudem noch als „Fortschrittsgeschichte“ missverstanden werden könnte. Außerdem wären Ergänzungen und Erweiterungen nur bei Neuauflagen möglich. Einen Film über die Ursprünge des systemischen Ansatzes mit entsprechenden Interviews, Materialien usw. zu erstellen, wäre eine reizvolle Alternative gewesen, allerdings enorm aufwendig, kaum zu bezahlen und hätte sich überdies auf wenige Aspekte beschränken müssen. Wir entschieden uns schließlich für eine Online-Präsentation, die für alle interessierten Menschen kostenlos zugänglich sein soll und besser in der Lage ist, Komplexität abzubilden.
Eine Online-Time Line wäre zwar prinzipiell jederzeit erweiterbar, schied aber aus, weil sie ähnlich wie ein Buch eine komplexe Entwicklung in ein lineares Schema pressen würde. Zur Vorbereitung dieser Datensammlung wurde von Kurt Ludewig eine Time-Line mit über 70 zentralen Ereignissen erstellt, die die Grundlage für die erweiterten Recherchen zu diesem Netzwerk bildeten. Die systemischen Verbände SG und DGSF erklärten sich bereit, die Kosten für die Recherche und die Erstellung der Datenbank für die Systemische Geschichtswerkstatt jeweils zur Hälfte zu finanzieren.

Mit Kumu wurde eine browserbasierte Netzplattform gefunden, die in der Lage ist, sehr komplexe Zusammenhänge benutzerfreundlich darzustellen. Es handelt sich dabei um eine Software zur Visualisierung von Netzwerken, die beliebig viele Items bzw. Knotenpunkte mit beliebig vielen Verbindungen zwischen diesen Items dynamisch abbilden kann. Die Kategorien, die als Knoten für das Geschichtsprojekt-Netzwerk ausgewählt wurden, sind Personen, Jahre, Ereignisse (wie Treffen oder Tagungen), Zeitschriften, Schlüsselwerke (bedeutsame Veröffentlichungen), Therapieansätze, Institute, Organisationen und Verbände. Zu jedem Knoten gibt es in diesem Fenster eine Beschreibung, bei Personen z.B. eine kurze Vita, ein Publikationsverzeichnis, evtl. Fotos und Videos. Von jedem Knoten gehen Verbindungslinien zu zugehörigen anderen Knoten aus, bei Personen z.B. Teilnahme an Tagungen, Mitgliedschaft in Organisationen oder Autorenschaft für bestimmte Schlüsselwerke etc. Auf diese Weise kann man nach Belieben durch eine Vielzahl von Verbindungen wandern und dabei immer neue Zusammenhänge zu finden. Die Recherche, Datensammlung und Erfassung in der Datenbank sowie die technische Umsetzung auf der Netzplattform Kumu wurde von Tom Levold erbracht.

Die Systemische Geschichtswerkstatt ist offen und erweiterbar, Fehler können jederzeit korrigiert und Daten ergänzt werden. Wenn Sie also eine für die systemische Geschichte wichtige Information vermissen, schicken Sie mir eine email, damit ich die entsprechenden Daten schnell ergänzen kann.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Stöbern!

Herzliche Grüße
Tom Levold

2. August 2018
von Tom Levold
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Zehn Thesen zur Systemtheorie der Emotionen

Luc Ciompi, Belmont (CH): Zehn Thesen zur Systemtheorie der Emotionen

Luc Ciompi (Foto: T. Levold); Systemtheorie der Emotionen

Luc Ciompi
(Foto: T. Levold)

Vorbemerkung: Dieser Text stammt aus einem bisher unveröffentlichten Manuskript mit dem Titel „Schlussbetrachtungen zum ,Grossen Ganzen’. Persönliche, wissenschaftliche und weltanschauliche Reflexionen am Lebensende”. Sein Ziel ist die Klärung des systemtheoretischen Stellenwerts von Emotionen. Für praktische Anwendungen wird auf frühere Publikationen verwiesen (s. Literaturverzeichnis 1-4, ferner 11, 12)

Meiner Ansicht nach bedarf das systemtheoretische Verständnis von psychischen und sozialen Phänomenen, das im deutschen Sprachraum vorherrscht und (zu?) stark von den Konzepten des Soziologen Niklas Luhmann geprägt ist, in mehrfacher Hinsicht einer gründlichen Revision und Klärung. Insbesondere was den Stellenwert von Emotionen und ihre Wechselwirkungen mit den kognitiven Funktionen anbetrifft, scheinen mir die gängigen Konzepte – wie etwa dasjenige der „emotionalen Rahmung“ von Rosmarie Welter-Enderlin (12), oder auch Fritz Simons Verständnis der Emotionen als “symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien”(9) – noch zu unscharf, um praktisch wie theoretisch von grossem Nutzen zu sein. Viel zu wenig berücksichtigt wird fast durchwegs die energetisch-dynamische Rolle von Emotionen. Auch das informationsreiche neue Buch von Elisabeth Wagner und Ulrike Russinger über emotionszentrierte systemische Psychotherapien (11) bringt theoretisch meines Erachtens noch keine genügende Klärung.

Sehr unbefriedigend ist (wie ich vor Jahren bereits im Artikel “Ein blinder Fleck bei Niklas Luhmann?…” genauer analysiert habe, vgl. 5) namentlich Luhmanns Behauptung, dass Emotionen, weil dem psychischen Bereich zugehörig, in der Soziologie nicht von Belang wären, abgesehen davon dass sie zuweilen als Stör- und Alarmfaktoren wirken würden (7,8). Aus meiner Sicht dagegen spielen Emotionen gerade auch im sozialen Feld eine zentrale Rolle: Von kollektiven Emotionen geschürte Konflike und Spannungen funktionieren immer wieder als die entscheidenden Motivatoren und Energeieliferanten, welche die (von Luhmann erstaunlich wenig beachtete) Dynamik von mikro- wie makrosozialen Prozessen aller Art vorantreiben. Familienfehden, Massenpanik oder -begeisterung, Protestbewegungen oder Revolutionen liefern dafür spektakuläre Beispiele. Aber auch langfristige soziale Wandlungen wie etwa die jahrzehntelange allmähliche Veränderung der Rolle der Frau in der Gesellschaft werden letztlich von emotionalen Energien angetrieben. Des weiteren sind Emotionen, wie Simon postuliert, auch als Medium der Kommunikation – einem eminent sozialen Phänomen – ganz unentbehrllch. Meines Erachtens gilt sogar, dass Kommunikation ohne Emotion (oder “emotionale Rahmung”) praktisch unwirksam bleibt, das heisst gar nicht in unser Denken in-formiert wird. Und nicht zuletzt wirken positive oder negative emotionale Wertungen auch im sozialen Bereich, ganz gleich wie im psychischen, als wichtigste Verhaltensregulatoren und Komplexitätsreduktoren. Weiterlesen →

22. Juli 2018
von Tom Levold
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„Let’s Talk about Sex“

Ulrich Clement hat mit seinen Arbeiten zur systemischen Sexualtherapie den sexualtherapeutischen Diskurs nachhaltig geprägt. Die Wiener Sexualtherapeutin Claudia Bernt 2017 hat in einem schön geschriebenen Text für die „Systemischen Notizen“ unter dem Titel „,Let’s Talk about Sex’. Systemische Sexualtherapie mit Paaren und Einzelpersonen“ wichtige Aspekte seiner Arbeit zusammengefasst und anhand von eigenen Fallbeispielen erläutert. In der Einleitung schreibt sie: „Wie wird man eigentlich Sexualtherapeut*in? Diese Frage stellen mir viele Menschen, wenn Sie mich nach meinem Beruf fragen oder nach meinen Spezialgebieten in der Praxis. Ganz ehrlich? Das Thema hat mich gefunden. Wenn wir mit Paaren, aber auch Einzelpersonen arbeiten, kommt es ganz von allein in den Therapieraum. So sah ich mich immer wieder damit konfrontiert, dass Paare oder auch Einzelpersonen über unbefriedigende sexuelle Erlebnisse sprachen. In ihren Beschreibungen ging es um Lustlosigkeit, Erektionsprobleme, Schwierigkeiten zum Orgasmus zu gelangen, Unsicherheiten in der Geschlechtsidentität oder um sexuelle Vorlieben, die von ihnen selbst als „nicht normal“ gewertet wurden. Manchmal liegt es aber auch an uns Psychotherapeut*innen, das Thema „Sexualität“ explizit anzusprechen, wenn Klient*innen es nur vage andeuten – auch hier ist es wichtig zu konkretisieren und zu kontexualisieren (was ist schon normal …?). Und dennoch scheuen wir uns manchmal davor, denn wie sollen wir in der Therapie über Sexualität sprechen und vor allem, ohne dabei zu sexualisieren? Vielleicht drängen sich auch noch andere Fragen auf: Welche Ideen und Vorstellungen habe ich selbst über gelungene, befriedigende Sexualität? Wie kann ich mich neutral und ohne Sexualmoral positionieren? Der Artikel soll Ideen und Anregungen geben, wie wir über sexuelles Erleben reden können, wenn dieses von unseren Klient*innen als „gestört“ oder nicht zufriedenstellend beschrieben wird. Wie können Psychotherapeut*innen – auch ohne Zusatzausbildung – mit diesen Problembeschreibungen umgehen, ein systemisches Verstehen entwickeln und darauf aufbauend therapeutische Interventionen setzen?

Zu Beginn lohnt es sich, einen kurzen Ausflug in die Entstehungsgeschichte der „klassischen“ Sexualtherapie von Masters und Johnson und weiterführend zur kritischen Auseinandersetzung dieses Ansatzes aus systemischer Sicht zu machen, um darauf aufbauend die Gundprämissen und -haltungen von systemischer Sexualtherapie zu skizzieren. Diese wurde maßgeblich von Ulrich Clement geprägt und ist in aller Ausführlichkeit in seinen Publikationen „Systemische Sexualtherapie“ (2004), „Wenn Liebe fremd geht“ (2009) oder „Dynamik des Begehrens“ (2016) nachzulesen. Anhand von zwei Fallbeispielen aus meiner psychotherapeutischen Praxis sollen Fallverständnis und Interventionsmöglichkeiten von systemischer Sexualtherapie verdeutlicht werden.“

Den vollständigen Text können Sie hier lesen…

13. Juli 2018
von Tom Levold
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Selbstmanagement und agile Führung

 

Das aktuelle Heft der Zeitschrift Konfliktdynamik befasst sich nur am Rande mit Konflikten und Konfliktdynamiken, im Zentrum stehen Texte zum Thema Agilität, dem neuesten Hype der Managementkultur. Verantwortet wird dieses Themenheft von Hans Rudi Fischer und Markus Troja. Interessant ist, was die Herausgeber im Editorial über die Entstehung dieses Heftes schreiben: „Kein anderes Schwerpunktthema in der KonfliktDynamik war bisher so kontrovers in den Gutachterreviews der Texte und in unseren internen Diskussionen. Manche wiesen darauf hin, man müsse nur erst einmal eigene Erfahrungen mit dieser neuen Form des Arbeitens machen: »(die Mitarbeit in einem) agilen Startup ist in vielerlei Hinsicht die beste Berufserfahrung meines Lebens.« Die meisten eingereichten Beiträge waren positiv bis euphorisch. Kritische Stimmen sprachen von »Neuem aus dem Bullshit-Universum« oder von Agilität als Lernprogramm für den Burnout. Einer der Gutachter wies auf die Gefahr ideologischer Überhöhung hin: »Die Idee von der Hierarchiefreiheit hat eine lange Tradition. Sie basiert auf normativen, ideologischen Grundannahmen, die aber letztlich für den Komplexitätsgrad, den die aktuelle digitale Transformation den Unternehmen zumutet, keine angemessene Antwort liefern. Hier werden aktuelle Umgestaltungstrends arbeitsorganisatorischer Prozesse instrumentalisiert, um ganz bestimmte, normative Organisationsvorstellungen zu propagieren.« Bei der Konjunktur des Themas, so der Eindruck, spielen unterschiedliche Motive zusammen: Zum einen geht es um die Suche nach effizienten und effektiven Formen, Organisationen in einer Welt zunehmender Unsicherheit und schnellen Wandels überlebensfähig zu halten. Zum anderen gibt es die Sehnsucht, z. B. unter dem Schlagwort »New Work«, entfremdeter Arbeit entgegen zu wirken und Formen von Zusammenarbeit zu ermöglichen, in denen sich der Mensch ganzheitlicher angesprochen fühlt und seine Tätigkeit als sinnstiftend und erfüllend erlebt. Ein anderer Diskussionsstrang ergibt sich aus der Kritik institutionalisierter Formen des Entscheidens und betrieblichen Aushandelns.“

Alle bibliografischen Angaben und abstracts dieses Heftes finden Sie hier…

10. Juli 2018
von Tom Levold
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Carl Auer – Geist or Ghost

Carl Auer, Namensgeber des Carl-Auer Verlags, wurde 1900 unweit von Rorschach/CH geboren; war in Kriegsgefangenschaft Zellengenosse von Ludwig Wittgenstein, langjähriger Popper-Freund und zeitweise Nachhilfelehrer Heinz von Foersters. Zuletzt war er Leiter des World Coincidence Control Centers (Wocococ) der Vereinten Nationen und stiller Teilhaber an einem Vergnügungspark auf Coney Island, Ehrenbürger von Appenzell und Gründer der Stiftung „Extrem-Lesen“ mit Sitz in Reading/England. Die Sammlung von von Texten von prominenten Systemikern über Begegnungen mit Carl Auer, die unter dem Titel „Geist or Ghost“ im Carl-Auer-Verlag erschienen ist, kann jetzt auch online kostenlos gelesen werden – sie soll eine erste Annäherung an diese vielschichtige Persönlichkeit ermöglichen und zu weiterer systematischer Auseinandersetzung mit seinem luziden, aber wissenschaftsgeschichtlich folgenschweren Oeuvre anregen. Den Zugang zu allen Texten von u.a. Ernst von Glasersfeld, Karl Tomm, Helm Stierlin, Lynn Hoffman, Rosmarie Welter-Enderlin, Paul Watzlawick und vielen anderen finden Sie hier…

6. Juli 2018
von Tom Levold
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Selbstorganisation – ein Paradigma für die Humanwissenschaften (zum 60. Geburtstag von Günter Schiepek)

Martin Rufer, Bern:

Unter diesem Titel fand am 8./9. Juni in Salzburg ein Symposium zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. Güntr Schiepek statt. Dazu wurden zahlreiche internationale Wissenschaftler, Forscher und Praktiker als Wegbegleiter von Günter Schiepek von seinem Mitarbeiterteam (am Institut für Synergetik und Psychotherapieforschung der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, Salzburg) eingeladen. In über 25 Kurzvorträgen wurde nicht nur das inter- und transdisziplinäre Schaffen von Günter Schiepek einmal mehr deutlich, sondern auch die visionäre Ausrichtung auf eine prozessorientierte, empirisch dokumentierte Psychotherapie jenseits des Diagnose- und störungsorientierten medizinischen Standardmodells. Vieles deutet darauf hin, dass das, was sich aus der Komplexitätsforschung heraus in anderen Wissenschaftsfeldern schon längst durchgesetzt hat, auch im Bereich der Psychotherapie nicht mehr wegzureden ist, auch wenn sich wohl nicht alle Visionen eins zu eins durchsetzen lassen. Insofern darf Günter Schiepek diesbezüglich in der Tat als unermüdlicher Pionier einer systemtheoretisch orientierten Praxisforschung gelten, auch wenn seine wissenschaftlichen Arbeiten in der Community nicht überall dementsprechend aufgenommen wurden und werden. Da in diesem Rahmen nicht näher auf die einzelnen Symposiumsbeiträge eingegangen werden kann (ein Tagungsband wurde angekündigt), stelle ich im Folgenden meinen persönlichen, sowohl würdigenden wie kritischen Beitrag zur Verfügung. Es handelt sich dabei um einen fiktiven Dialog zwischen einem Forscher und Praktiker unter dem Titel «Einfach und komplex – geht das zusammen?», in welchem sich auch das Wegstück abbildet, das mich mit Günter verbindet.  Weiterlesen →

5. Juli 2018
von Tom Levold
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Kleine Götter und ihre Viecher

 

Hinter diesem Titel steckt ein Buch von Sabine Klar, die auch den systemagazin-LeserInnen bekannt ist. Sie ist Lehrtherapeutin bei der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie und Systemische Studien – dieses Buch beschäftigt sich aber nicht mit systemischer Theorie, sondern stellt eher eine philosophisch-spirituelle Selbstreflexion der Themen dar, mit denen sich Sabine Klar in den vergangenen Jahren prononciert beschäftigt hat. Silke Grabenberger aus Graz und Diana Karabinova aus Wien haben das Buch rezensiert. Weiterlesen →

3. Juli 2018
von Tom Levold
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Systemische Praxis mit Tätern

 

Im Editorial der neuen Ausgabe der Familiendynamik schildern die Herausgeber Tilman Kluttig und Arist von Schlippe einen fiktiven Dialog, der die Paradoxien forensischer Arbeit auf den Punkt bringt: „Patient: Wie lange muss ich hier bleiben? Therapeut: Nun, das kann dauern. Bis es Ihnen besser geht und wir Ihre Entlassung empfehlen können. P: Wann bekomme ich Ausgang? Th: Das hängt davon ab, wie Sie sich verhalten. Erst einmal müssen wir Sie kennenlernen. P: Ja, aber ich mach’ ja nix. Ich will ja mitmachen. Th: Das freut mich, aber davon müssen Sie uns erst überzeugen. P: Vor Gericht hat man mir gesagt, wenn ich mitmache, bin ich bald wieder draußen. Th: Das hängt von der Prognose ab. Letztlich entscheidet die Strafvollstreckungskammer. P: Ja, schon, aber wie lange dauert das? Th: Na ja, das hängt davon ab, wie Sie mitmachen bei der Therapie. P: Ja, schon, ich will das ja auch, aber wie lange dauert das denn, wenn ich mitmache? Th: Das kann man schlecht vorhersagen, im Durchschnitt drei bis vier Jahre. Aber: Es hängt von der Prognose ab. P: Die anderen haben mir gesagt, mit meiner Straftat kann das zehn bis zwanzig Jahre dauern, stimmt das?“

Den Schwierigkeiten des Umgangs mit Gewalttaten und „Tätern“ (mit den Begriffen Tat und Täter setzt sich Wolfgang Loth in seiner Kolumne am Ende dieser Ausgabe gedankenreich auseinander) ist dieses Heft gewidmet. Im Editorial heißt es weiter: „Der Fokus-Beitrag von Tilman Kluttig, dem langjährigen Präsidenten der »Internationalen Vereinigung für Forensische Psychotherapie« (IAFP), beleuchtet, welche Bedeutung systemischer Praxis in der forensischen Psychotherapie zukommt, und arbeitet die Besonderheiten der Klientel im Maßregelvollzug heraus. Peter Reutter und Roswita Hietel-Weniger skizzieren die Möglichkeiten der Genogrammarbeit und zeigen, wie mit dieser Methode die prägenden Sozialisationsbedingungen gewalttätiger Patienten erschlossen werden können. In einem engagierten Beitrag schildert Michael Heilemann die Quintessenz seiner 35-jährigen Erfahrung mit schwer gewalttätigen jungen Männern. Bestimmte Eckpunkte der persönlichen Geschichte und der Bindung an die jeweilige Subkultur tauchen bei diesen Tätern immer wieder auf – Heilemann nimmt sie als Ausgangspunkt für das von ihm entwickelte Anti-Gewalt-Training. Schließlich fassen Ziv Gilad, Ronen Kasten und Haim Omer die Ergebnisse eines Projektes zusammen, in dem sie geprüft haben, wie sich elementare Informationen zur Philosophie des gewaltlosen Widerstands auf die Eskalationsbereitschaft israelischer Polizisten auswirken.“

Soweit zum Schwerpunktthema, das von weiteren interessanten Texten eingerahmt wird. Alle bibliografischen Angaben und abstracts finden Sie hier…

1. Juli 2018
von Tom Levold
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Wenn Wahrheit die Erfindung eines Lügners ist, dann ist Heinz von Förster ein Lügner

 

Im September 2016 fand eine Tagung des Instituts für Familientherapie Weinheim in Weinheim unter dem Motto „Richtig war das falsche Wort“ statt, auch die zweite „Dosentagung“ genannt. Im Programmtext hieße es: „ … sich von Logiken der Gewissheit und Vorhersagbarkeit zu verabschieden, scheint nicht nur systemisches Denken zu fordern, sondern auch mehr und mehr eine unausweichliche Anforderung unseres Alltages und der brennenden Fragen zu werden. Wie stark erfüllt die Unterscheidung von ,richtig’ und ,falsch’ dabei auch eine Orientierung suchende oder gebende Funktion? Und: gesetzt den Fall, man nutzt dieses Gegensatzpaar, ist das dann ,falsch’ … oder war es doch richtig …? Oder gibt es doch etwas, das richtig oder falsch ist?“.

Haja Molter hat dazu einen kleinen Theorieinput beigetragen, den er in einem kleinen liebevoll zusammengestellten und wunderbar illustrierten Heft auch veröffentlicht hat – in drei Sprachen. Freundlicherweise hat er dieses kleine Brevier dem systemagazin als PDF zur Verfügung gestellt, lesen können Sie es hier…