Rudolf Klein, Merzig: Die Vertreibung ins Paradies?
Nach jahrelangen Mühen und enormen personellen und finanziellen Investitionen ist es nun endlich so weit: Die Wächter der heiligen Pforte zum Eintritt ins Paradies namens Gesundheitssystem haben den Weg für die systemische Therapie freigemacht. Die sozialrechtliche Anerkennung ist erreicht. Halleluja!
Approbierte psychologische und ärztliche PsychotherapeutInnen können nun systemische Therapien abrechnen. Das haben viele zwar schon in den vergangenen Jahren, unter falscher Flagge segelnd, so praktiziert, nun ist es aber offiziell erlaubt und kann auch so benannt werden.
Diese Entscheidung eröffnet die Möglichkeit, an die Fleischtöpfe der Krankenkassen zu kommen. Und vielleicht wird auch von dem Einen oder Anderen gehofft, damit systemische und kritische Ideen in das sogenannte Gesundheitssystem zu transportieren und dieses entsprechend zu reformieren. Zum Beispiel durch eine Infragestellung der an Defiziten orientierten Diagnostik und einer Dekonstruktion von Krankheit, durch eine kontextsensible Praxis, durch eine flexible Gestaltung von Settings, durch kürzere und effektivere Therapien usw.
Die Sache mit dem Geld mag zutreffen, beim zweiten Punkt bin ich mehr als skeptisch. Denn: Lediglich die Pforte wurde durchlässiger – nicht hingegen die Bedingungen und Strukturen des Gesundheitssystems selbst. Hier wird nach wie vor auf Einhaltung eingeführter Regeln geachtet. Sei es der Umgang mit Diagnosen, sei es das Gutachterverfahren, sei es die Anzahl der Sitzungen und deren Settingwahl.
Wenn man die Entwicklung der Verhaltenstherapie in den letzten Jahrzehnten beobachtet, kann einem angst und bange werden. Ein eher progressiver Ansatz wurde Stück für Stück handzahm gemacht und in Richtung Stromlinie geformt, besser: die VT hat sich ganz von alleine geschmeidig angepasst. Wie gesagt: Fleischtöpfe ja, systemische Veränderungen eher nein.
Auch wird es berufspolitisch zu einer Spaltung kommen. Wenn man bedenkt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil aller AusbildungskandidatInnen SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen sind, wird für diese Berufsgruppen eher ein Ausschluss aus dem psychotherapeutischen Bereich die Folge sein. Das kann man im stationären Bereich, z.B. in Suchtkliniken, bereits jetzt beobachten. Nicht gerade die beste Lobbyarbeit der beiden Dachverbände. Weiterlesen →