systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

5. April 2007
von Tom Levold
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Niklas Luhmann über 68er, Theorieprobleme und Politik

In einem längeren Interview von 1993, das der Publizist Rudolf Maresch (Foto) mit ihm führte, äußert sich Niklas Luhmann über Fragen, die die praktische und politische Relevanz seiner Theorie für die Probleme der Gegenwart betreffen. Auf die abschließende Frage nach der zukünftigen Rolle der Intellektuellen antwortet er:„Meine Polemik richtet sich gegen die Identifikation des Intellektuellen mit Ideen. Er unterliegt dann immer dem Problem, die Fahnen wechseln zu müssen, wenn diese Ideen aus der Mode kommen wie jetzt die 68er. Als Identität haben sie jetzt nur noch den Protest, den sie über mehr als 20 Jahre konserviert haben. Wenn man die logische, mathematische und philosophische Entwicklung auf Paradoxie oder paradoxe Formen der Begründung hin anstelle eines Prinzips oder einer Einheitsbeschreibung akzeptiert, gibt es nur noch kreative und keine logischen Lösungen mehr. Aus Paradoxien kommt man durch richtiges Argumentieren nicht hinaus. Man muß sich demnach fragen: Gibt es eine Konstruktion, die uns momentan erträglicher erscheint? Der Staat etwa ist ein Paradox, insofern jede Kommunikation, die er macht, das Recht, so zu kommunizieren, zerstört. Mit Paul de Man könnte man formulieren: die performative Seite der Textproduktion widerspricht der konstativen. Was wäre dann eine plausible Staatsform, wenn es sowohl der Wohlfahrtsstaat als auch der Verfassungsstaat nicht mehr bringen? Reizvoller und logisch ungesicherter ist es zu sagen, das Problem scheint sich jetzt auf Weltgesellschaft und auf Risiko zu verlagern. Der Staat muß jedoch eine gute Adresse bleiben. Er muß die Betroffenen von der zeitweisen Annahme von Risiko überzeugen, er muß politische Konflikte ethnischer oder religiöser Art zivilisieren und nicht mehr als Wohlfahrtsstaat bloß distributive Funktionen erfüllen. Ein solches Umdenken erfordert Phantasie, Unbefangenheit und Neugier, also gewisse Eigenschaften, die gemeinhin dem Intellektuellen zugeschrieben werden. Das ständige Rückführen auf Paradoxien und Auflösung von Paradoxien wäre folglich eine zukünftige Aufgabe, die den Intellektuellen nicht auf eine fachspezifische oder rein ökonomische und politische Rolle und auch nicht auf Ideen festlegen würde“
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4. April 2007
von Tom Levold
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stationäre psychotherapie

Die aktuelle Ausgabe von„Psychotherapie im Dialog“ 1/2007 ist der stationären psychotherapeutischen Versorgung gewidmet und beleuchtet schulen-, berufsgruppen- und settingspezifische Aspekte wie auch ihre Einbettung in ökonomische und fachspezifische Kontexte. Die Herausgeber Wolfgang Senf, Volker Köllner und Henning Schauenburg merken in ihrem Editorial an:„Zuallererst kostet stationäre Psychotherapie Geld, das von den Krankenkassen oder von den Rentenversicherungsträgern aufgebracht werden muss. Da wird nicht nur argumentiert, dass das zu teuer sei, sondern auch, dass es stationäre Psychotherapie in dieser Form und diesem Ausmaß nur in Deutschland gebe, und es folgt die Frage, ob dieser Sonderweg effektiv und notwendig sei. … Inzwischen sieht es so aus, als würden die finanziellen und die klinischen Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Interessengruppen hin und her geschoben bzw. gezogen. Die Leistungserbringer im System, also Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken, tragen konkurrierende Standpunkte vor, wohin nun die stationäre Psychotherapie gehöre: Ist stationäre Psychotherapie Krankenbehandlung oder Rehabilitation? Die Kostenträger streiten sich ebenfalls, nämlich um die Frage, wer was zu bezahlen hat. Das sind Probleme, durch die die Kolleginnen und Kollegen in den psychotherapeutischen Krankenhäusern in den z. T. heftigen Auseinandersetzungen mit den Medizinischen Diensten der Krankenkassen unnötig viel Zeit und Kraft verlieren. Diese Streits um Kostenübernahmen enden oft erst vor den Sozialgerichten, meist im Nachhinein, d. h. nach erbrachter, aber eben nicht bezahlter Leistung.
Warum diese Diskussion in der PiD? Wir denken, wir müssen das Thema aufgreifen. In den Jahrzehnten scheinbar grenzenlosen Wohlstandes und ökonomischen Wachstums unserer Gesellschaft hatten wir, die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die weltweit einzigartige Chance, die wissenschaftlich begründete Psychotherapie als anerkannte Heilmethode in der medizinischen Versorgung nachhaltig, strukturell zu implementieren. Stichworte sind die ärztliche Approbations- und Weiterbildungsordnung, das Psychotherapeutengesetz für Psychologen sowie das Finanzierungssystem. Qualifizierte Fachpsychotherapie ist unverzichtbarer Bestandteil unserer medizinischen Versorgung. Dies alles erscheint wegen kurzsichtiger, vor allem auch finanzieller Partikularinteressen gefährdet. Und dies betrifft zunächst eben auch die stationäre Psychotherapie.
Lösungen können wir mit diesem Heft wohl kaum bieten, das zeigt die Kontroverse unter Standpunkte, die wir hiermit nur präsentieren können, in der Hoffnung, dass sie zukünftig konstruktiv geführt wird. Wir möchten mit diesem Heft dazu beitragen, dass diese Diskussionen zumindest öffentlich und transparent stattfinden (Um dies in größtmöglicher Weise zu gewährleisten, ist die gesamte Standpunkte-Diskussion im Internet frei zugänglich unter www.thieme.de/pid)“
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3. April 2007
von Tom Levold
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Paul Watzlawick ist gestorben

Paul Watzlawick ist am 31. März 2007 in Palo Alto, Kalifornien, nach einer schweren und langwierigen Krankheit im Alter von 85 Jahren gestorben. Nach einem Studium der Philosophie und moderner Sprachen an der Universität Venedig machte er von 1950 bis 1954 eine psychotherapeutische Ausbildung am C.G.Jung-Institut in Zürich. Von 1957 bis 1960 nahm er eine Professur für Psychotherapie in El Salvador. Ab 1960 war er Mitglied des Mental Research Instituts (MRI) in Palo Alto, von wo aus er durch viele Veröffentlichungen und zahllose Vorträge weltweit wirkte. Andrea Brandl-Nebehay formuliert im„personenlexikon psychotherapie“:„Watzlawicks Verdienst besteht vor allem darin, die sprühenden Ideen der Forschergruppe in Palo Alto (Gregory Bateson, Don Jackson, John Weakland, Jay Haley u.a.) formuliert, mit Beispielen aus der Literatur und Fallbeispielen versehen und so einem weiten Publikum verständlich gemacht zu haben“ (497). Diese Stärke offenbart sich nach wie vor in den enormen Verkaufszahlen seiner Bücher. Seine„Anleitung zum Unglücklichsein“ ist in der deutschen Fassung bereit in 23 Auflagen erschienen und gehört gegenwärtig zu den meistverkauften Büchern überhaupt. Im systemagazin sind ausführliche Besprechungen seines Klassikers„Menschliche Kommunikation“ (von Hildegard Katschnig und Kurt Ludewig) zu finden.
Wendel A. Ray, Professor für Family Systems Theory an der Universität Louisiana und Senior Research Fellow am MRI hat einen von der Familie Paul Watzlawicks autorisierten Nachruf verfasst, der dankenswerterweise von Monika Broecker ins Deutsche übersetzt wurde:

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2. April 2007
von Tom Levold
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Zur Krankenbehandlung ins Krankenhaus

Dirk Baecker ist auf der Suche nach dem„guten Krankenhaus“ von morgen, das er in einem„einem ebenso differenzierten wie unübersichtlichen Netzwerk der Krankenbehandlung“ platziert sieht. Sein Beitrag, dessen Manuskript auf seiner Website zu lesen ist, erscheint im April 2007 in einem von Irmhild Saake und Werber Vogd herausgegebenen Band„Moderne Mythen der Medizin. Probleme der organisierten Medizin“, der im Verlag für Sozialwissenschaften veröffentlicht wird. Das Resümee seines Textes:„Unsere hier vorgestellten Überlegungen zu den Variablen des Körperzustands, der Körperveränderung, der Interaktion, der Organisation und der Gesellschaft haben nicht zuletzt den Zweck, ein genaueres Beobachten der Art und Weise zu ermöglichen, wie auf dem Feld der Suche nach dem guten Krankenhaus die Karten neu gemischt werden. In dieser Hinsicht mag es verblüffen und beruhigen, dass der oft allzu verkürzt unter den Stichworten des benchmarking und der evaluation laufende Prozess einer globalen Ausweitung der Beobachtungshorizonte der Krankenbehandlung im Endeffekt eher auf Formen der Komplexitätsreduktion hinausläuft, die sich lokal durchsetzen lassen, wenn und weil sie sich global bewährt haben. Das benchmarking stellt den immer mitlaufenden Vergleich mit anderen administrativen und medizinischen Lösungen ähnlicher Problemstellungen sicher, wobei bereits in der Arbeit an der Problemstellung ein die Rationalität des Verfahrens sicher stellender Aufwand an Intelligenz stecken kann. Und die Bemühungen um Evaluation stellen sicher, dass einzelne administrative und medizinische Einheiten jene Befähigung zur Selbststeuerung erhalten können, die mit Netzwerkformen der Fremdsteuerung kompatibel sind (…), wobei auch hier gilt, dass die Arbeit an den Kriterien, an denen man sich messen lassen will und muss, bereits jenen Schritt zur Systemrationalität enthält, die es erlaubt, die Selbstkontrolle als ökologische Kontrolle im Netzwerk der unterschiedlichen Umwelten der einzelnen organisatorischen Einheiten zu entfalten. Im vielfach dezentrierten Zentrum des Geschehens steht jedoch nach wie vor das von Talcott Parsons beschriebene Arzt/Patient-Kollektiv (…). Unabhängig davon, wie sich die Netzwerke der Krankenbehandlung entfalten werden, wird es interaktiv, organisational und gesellschaftlich immer darauf ankommen, die Art und Weise zu moderieren, wie sich der Körper des Arztes dem Körper des Patienten nähert, dessen Zustände beschreibt und verändert und sich wieder von ihm löst. Technik und Bürokratie sind die Schnittstellen dieser ebenso körperlichen wie kommunikativen Begegnung, nicht die Bedingung ihrer Unmöglichkeit“
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1. April 2007
von Tom Levold
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Meisner: Rauchverbot verstösst gegen die Religionsfreiheit

Köln, 1.4.2007: In scharfer Form hat sich Joachim Kardinal Meisner gegen ein allgemeines Rauchverbot im Kölner Dom ausgesprochen, von dem auch die jahrhundertealte Praxis des Weihrauchens betroffen wäre. In seiner Predigt zum Palmsonntag gab der 73jährige Kardinal zu, dass er um die Gefahren des Passivweihrauchens wisse, er bestritt aber nachdrücklich, dass die rückläufigen Mitgliederzahlen der katholischen Kirche eine Folge dieser Gesundheitsschädigung sei. Wenn nun erwogen werde, durch eine Änderung des Arbeitsschutzrechts Kirchen zur weihrauchfreien Zone zu machen, sei dies ein Schlag ins Gesicht aller Gläubigen. Auch die Einführung von abgeschlossenen Weihraucherzimmern könne keine Lösung sein, da das Passivweihrauchen in der Gemeinschaft aller Gläubigen fest in der christlichen Kultur verankert sei. “Das Weihrauchen ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Liturgie und gehört zur freien Religionsausübung dazu wie das Vater-Unser und meine Predigten”, sagte Meisner. Vor diesem Hintergrund seien auch Vorschläge, Raucherkirchen zukünftig mit einem “R” zu kennzeichnen, abwegig, da es keine Aufteilung zwischen Raucher- und Nichtraucherkirchen geben dürfe.
Meisner griff erneut Verbraucherminister Seehofer wegen dessen kompromissloser Haltung in der Raucherfrage an. “Wer außereheliche Beziehung unterhält, fügt der Volksgesundheit schon so viel Schaden zu, dass er nicht auch noch das Recht in Anspruch nehmen darf, sich in der Frage des Weihrauchens zu äußern”. Argumente zum Jugendschutz ließ der Kardinal ebenfalls nicht gelten. Die Kirche täte weit mehr als andere gesellschaftliche Institutionen für den Schutz der Jugend. Meisner erinnerte daran, dass der Messwein im Unterschied zur Praxis in der evangelischen Kirche ausschließlich von Priestern getrunken werde. Damit werde den gegenwärtig zu beobachtenden Tendenzen zum exzessiven Alkoholkonsum ein klarer Riegel vorgeschoben. Auch das Bestehen auf der vorehelichen Enthaltsamkeit gegen jeden Zeitgeist mache deutlich, dass die Kirche den Jugendschutz mehr als Ernst nehme und mit großer Zivilcourage betreibe. In diesem Zusammenhang sei das Weihrauchen in der Kirche geradezu als Lappalie anzusehen. Auch wenn es immer wieder einmal im Zusammenhang mit Weihrauchen zu kurzzeitigen Ohnmachten käme, sei doch in der Regel qualifiziertes Personal vorhanden, dass über ausreichende Erfahrung in der Betreuung von Personen mit übermäßigem Weihrauchkonsum verfüge.

1. April 2007
von Tom Levold
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Gerechtigkeit in nahen Beziehungen

Wolfgang Traumüller, neuer systemagazin-Autor, bespricht das Buch von Helm Stierlin aus dem Carl-Auer-Verlag:„Als erfahrener und politisch bewußter Psychoanalytiker ist Stierlin naturgemäß auch Historiker und als Systemiker ein meisterhafter Beleuchter der wechselhaften Szenerien, innerhalb welcher Menschen miteinander abrechnen. Im Wechsel der Beleuchtung nehmen wir wichtige Unterschiede wahr, die Voraussetzungen für das sind, was wir Lernen nennen, auch im sozialen Bereich. Mithilfe seines schon früher entwickelten Konzeptes der auf seine soziale Umwelt ,bezogenen Individuation‘ will uns Stierlin die Rolle der jeweils bedeutsamen Zugehörigkeitssysteme vor Augen führen und mit dem erstmals von Gunther Schmidt ins Spiel gebrachten hypno-systemischen Instrument des ,inneren Parlaments‘, das im Anschluß an Milton Erickson gleichsam die Eröffnung einer Art Konferenzschaltung zwischen allen externalisierten und utilisierten inneren Botschaftern darstellt, den Blick schärfen für die angemessene Ausrichtung unseres Urteilens und Handelns, um uns so vor Entgleisungen und Ver-rechnungen auf dem Beziehungsweg zu schützen. Symptome werden zu Elementen in Verrechnungen. Damit weist er zugleich Wege in Richtung auf ein mehr an Beziehungsgerechtigkeit und ein weniger an leib-seelischen Symptombildungen, die für die Betroffenen erste, aber meist kostspielige Lösungsversuche sind, um aus zugeschnappten Beziehungsfallen zu entkommen“
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31. März 2007
von Tom Levold
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Familienunternehmen

Die gerade erschienene Ausgabe 1/2007 des„Kontext“ beschäftigt sich mit Familienunternehmen. Die Gast-Herausgeber Torsten Groth und Arist von Schlippe schreiben in ihrem Editorial:„Beraterisch oder auch therapeutisch bedeutsam werden Familienunternehmensfamilien insbesondere dadurch, dass ein alleiniger oder auch nur anteiliger Unternehmensbesitz einen erheblichen familiendynamischen Unterschied zu anderen Familien macht. In diesem Themenheft wird daher die These vertreten, dass dieser Unterschied eine andere Aufmerksamkeit verdient als sonstige berufliche Umweltvariablen oder auch Arbeitskontexte. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass Stress am Arbeitsplatz, Mobbing, fortdauernde oder auch nur drohende Arbeitslosigkeit etc. erhebliche Einflüsse auf die Psychen der betroffenen Personen und deren Familien ausüben und ganz erhebliche Symptomatiken hervorrufen können. Vielmehr wird der Fokus auf Besonderheiten gerichtet, die das Leben der Mitglieder einer Unternehmerfamilie nicht nur im Arbeitsleben sondern von der „Wiege bis zur Bahre“ beeinflussen.
Denn eine Unternehmerfamilie stellt ein soziales System ganz besonderen Zuschnitts dar. Unter Differenzierungsgesichtspunkten trägt dieses System vormoderne Züge. Die Trennung von Haushalt und Betrieb, die Max Weber noch als Motor der Rationalisierung beschrieben hat, und die erst zur Ausbildung der modernen Kleinfamilie geführt hat, ist bei Unternehmerfamilien nicht vollkommen vollzogen. Familie und Unternehmen sind qua Eigentum, oftmals aber auch aufgrund des Tätigseins mehrerer Generationen im eigenen Unternehmen auf engste miteinander verbunden. Dadurch treffen immerfort Unternehmensspielregeln auf Familienspielregeln, kurzfristige Sachentscheidungen auf generationenübergreifende Verrechnungsmodi, Leistungsbewertungen auf Anerkennung und Liebe usw. – Alle Kommunikationsformen, Regeln und Rituale, die sich über mehr als zwei Jahrhunderte als typisch und funktional für ein Unternehmen oder für eine Familie rausgestellt haben, und die eigentlich mehr oder weniger eindeutig dem einen oder dem anderen Sozialsystem zuzurechnen sind, treten in Unternehmerfamilien gleichzeitig auf. Will also die Unternehmerfamilie sich selbst und dem Unternehmen gerecht werden und eine für beide Seiten förderliche Koevolution etablieren, muss sie eine Vielzahl von Konflikten und Dilemmata aushalten“ Im vorliegenden Heft befassen sich neben den Herausgebern noch David J. Klett, Brigitte Gemeinhardt, Cornelia Hennecke und Fritz B. Simon mit diesen Aspekten. In der Rubrik„Klassiker wiedergelesen“ laden Wilhelm Rotthaus und Tom Levold zur (Wieder-)Lektüre von Erving Goffmans Klassiker„Stigma“ ein.
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30. März 2007
von Tom Levold
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Gesellschaft als subjektive Erfahrung

Auf der Website von Siegfried J. Schmidt ist ein Beitrag von Ernst von Glasersfeld zu lesen, der sich mit dem Gesellschaftsbegriff befasst. von Glasersfeld wendet sich hier insbesondere gegen die Position des Sozialen Konstruktionismus von Kenneth Gergen, dass sich die Festlegung von Bedeutung primär erst in der sprachlichen Interaktion vollzieht:„Was Gergen übergeht, ist der Begriff der Viabilität, der in meinem Kognitionsmodell nicht nur die Konstruktion von Begriffen einschränkt, sondern auch die Bedeutungen von Wörtern. Die ersten Assoziationen von Wortlauten und Erfahrungsgegenständen, die das Kleinkind bildet, sind vom Standpunkt der Erwachsenen oft fehlerhaft oder ungenau. Erst im Lauf der Verwendung lernt es, sie an den gängigen Sprachgebrauch anzupassen – nicht durch Vereinbarung, sondern dadurch, daß idiosynkratische Wörter den erwarteten Dienst nicht leisten und eben nicht »viabel« sind“. Zum Begriff der Gesellschaft schreibt er:„An dieser Stelle möchte ich wiederholen, daß der radikale Konstruktivismus nicht eine reale Welt zu beschreiben vorgibt, sondern lediglich ein Modell vorschlägt, wie man sich den Aufbau von Wissen vorstellen kann. Zu diesem Aufbau gehört nun selbstverständlich auch der Begriff der Gesellschaft. Ebenso wie Wortbedeutungen von Heranwachsenden nur aus ihren eigenen Erfahrungen und der Interpretation gehörter und gelesener Wörter abstrahiert werden können, muß der Begriff »Gesellschaft« von jedem Einzelnen auf Grund eigener Erfahrungen und Verallgemeinerungen gebildet werden. Dabei ist es gleichgültig, ob man glaubt, die Gesellschaft existiere als solche oder nicht – ein Wissen von ihr kann man nur aus eigenem Erleben bilden. Das gilt nicht nur für Kinder und unbelastete Erwachsene, sondern auch für Soziologen. Vereinfacht – und darum zweifellos etwas naiv betrachtet – ist das, was als wissenschaftliche Soziologie geschrieben und verkündet wird, die Summe dessen, was ein aufmerksamer Beobachter mit Hilfe von mehr oder weniger anerkannten Methoden aus seinen Erlebnissen, Experimenten, statistischen Untersuchungen, usw., herauskristallisiert und so formuliert, daß eine Anzahl von Berufskollegen es auf eine sie befriedigenden Weise interpretieren können. Gleichgültig, wie groß die Zahl der Zustimmenden auch sein mag, das Begriffsgebäude, das ihnen gemeinsamer Besitz zu sein scheint, ist nicht die Beschreibung einer »objektiven« Sachlage, sondern ein Komplex von individuellen Interpretationen, der im Laufe von Diskussionen, gegenseitiger Kritik und anderen Unterhandlungen schließlich für alle Beteiligten eine gewisse Viabilität gewonnen hat“
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29. März 2007
von Tom Levold
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Qualität und Evaluation in der Beratungspraxis

Wolfgang Schrödter, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle Höchst und Privatdozent an der J.W.-Goethe-Universität Frankfurt, beschäftigt sich seit langem mit Qualitativer Beratungsforschung. In einem Aufsatz, der erstmals 1999 in System Familie erschienen ist, setzt er sich mit„Qualität und Evaluation in der Beratungspraxis“ auseinander:„Den Bezugspunkt für alle vorgestellten Überlegungen gibt die institutionelle Beratungspraxis ab, wie sie im Modell der ,staatlich anerkannten Erziehungsberatungsstelle‘ etabliert ist. Dieses spezielle Feld therapeutischer Praxis wurde im Verlaufe der letzten Jahre systematisch in die Diskussion um Qualität und ihre Entwicklung einbezogen; was weniger fachliche als wirtschaftliche und administrative Gründe hat. Im Anschluss an die Behandlung der Frage, was eigentlich die Qualität sozialen Handelns in Beratung und Therapie spezifiziert, werden die eingebürgerten Weisen der Begleitforschung kritisch untersucht. Ihr Nutzen für die unmittelbare Praxis finden sich ebenso in Frage gestellt wie ihre Bedeutung für den Erhalt von Einrichtungen. Anhand der empirisch-qualitativen Studie ,Psychotherapeutische Beratung im kirchlichen Auftrag‘ sollen andere, neue Gesichtspunkte und Beobachtungen ihren Platz finden, insbesondere der soziale Rahmen der Praxis. Wir behaupten, dass Prozesse der Team- und Organisationsentwicklung, der internen und externen Kommunikation, als ,Wirkfaktoren‘ zu betrachten sind. Dies zu untersuchen erfordert selbstkritische Offenheit, neue Methoden und Formen der Kooperation zwischen Praxis und Wissenschaft“
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28. März 2007
von Tom Levold
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Kleiner Lehrgang des Küssens

Küssen ist eine äußerst voraussetzungsreiche interpersonale Kommunikation, die hohe Anforderung an die Feinsteuerung im Abstimmungsverhalten stellt. Für alle diejenigen, die sich selbst nicht für eine Naturbegabung halten, gibt es hier eine brauchbare Hilfestellung zum Erlernen verschiedener Kusstechniken:

28. März 2007
von Tom Levold
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Pannen-TÜV für laufende Supervisionsprozesse

Haja Molter und Hans Schindler, Lehrtherapeuten und Lehrende Supervisoren des Instituts für Familientherapie Weinheim bzw. des Bremer Instituts für systemische Therapie haben für systemagazin eine kurze Checkliste zum Thema„Pannen und Fallen in der Teamsupervision“ zusammengestellt. Es werden 15 verschiedene Probleme benannt, die im Supervisionsprozess auftauchen können, zu jedem Problem werden stichwortartig Hypothesen in Bezug auf damit verbundene Teamschwierigkeiten skizziert, zudem werden jeweils in knapper Form Fokussierungs- bzw. Interventionsideen unterbreitet.
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27. März 2007
von Tom Levold
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Erstes Heiratsangebot für Brigitte Mohnhaupt

Lieber F.J. Wagner, Schlingel und Bewährungshelfer der Nation,
heute haben Sie in der Bild-Online einen Brief an Brigitte Mohnhaupt geschrieben, den ich an dieser Stelle einmal wiedergeben darf:
“Liebe Brigitte Mohnhaupt,
Ihr 3. Tag in Freiheit. Gutes Frühstück gehabt? Rührei oder geköpftes Ei? Ist Ihr Haar schon trocken, das Sie sich mit dem Badetuch gerubbelt haben? Na, dann nichts wie raus ins Leben. Menschen gucken ist herrlich und dabei einen Latte macchiato trinken. Die Menschen, die Sie ermordet haben, gucken sich die Radieschen von unten an. Es ist schön, in der Sonne zu sitzen, nicht wahr? Mittags unbedingt Sushi essen, das ist japanisch, roher Fisch, köstlich, gab es zu Ihrer Zeit nicht. Haben Sie schon ein Handy? Sie brauchen unbedingt eins, es ist so wahnsinnig bequem. Zu Ihrer Zeit, im Untergrund, musste man noch zur Telefonzelle. Wie so viel einfacher ist das Leben geworden.
Es ist Ihr 3. Tag in Freiheit und die verwundbare Stelle jeder Frau, auch einer Ex-Mörderin, sind ein neues Paar Schuhe. Frauen sind auf Schuhe verrückt. Die meisten Frauen von heute zahlen mit Kreditkarte. Sie, Ex-Mörderin, brauchen also Amex, EC, Master, Visa. Was brauchen Sie noch – natürlich einen Internet-Anschluss. Per Internet können Sie mit Freunden surfen, in Sekundenschnelle Botschaften schicken.
Wahrscheinlich sind Sie jetzt müde, Frau Mohnhaupt. Zu viele Eindrücke auf einmal.
Es ist unfassbar, dass eine Mörderin in unserem Land die Chance hat, glücklich zu werden.
Herzlichst
Ihr F. J. Wagner”

Ich höre schon Ihre Gegner schimpfen: Dreckschleuder, Stürmerhetze, Gröschmaz (größter Schmierfink aller Zeiten) usw. Und zugegeben, wenn ich Ihr Feind wäre, würde ich sicher auch so reden. Allerdings haben alle Ihre Kritiker wahrscheinlich Ihren Brief gar nicht genau genug gelesen. Sie halten für Zynismus, was eigentlich nur wahre Liebe ist. Es geht schließlich darum, dass jede Wahrheit einen Mutigen braucht, der sie ausspricht. Männer wie Sie zum Beispiel – oder meinetwegen auch Ihr Chef, wie heißt er doch gleich. Und das ist schon mutig, wie Sie sich an die gefährlichste Frau Deutschlands ranmachen. Einfach so. Der Wahrheit zuliebe. Wahre Liebe sozusagen. Toll. Und wie Sie sofort und ohne Umstände in die verwundbare Stelle von Ex-Mörderinnen treffen: Schuhe. Eine hinreißende Anmache. Auch das mit dem geköpften (!) Ei, ein herrlich subtiler Insider-Scherz. F.-J., geben Sie’s zu: Sie wissen genau, dass die meisten Frauen von heute statt einer Kreditkarte noch lieber einen Mann haben, der ihnen – nach einem Sushi macchiato – mit Amex, EC, Master oder Visa die Schuhe bezahlt, aus eigener Tasche. Ich wette, Sie haben damit Erfahrung! Und schon ganz andere Bräute abgeschleppt. So schlecht sehen Sie doch schließlich gar nicht aus. Und zwei Handys haben Sie doch sicher auch schon längst? Wie man mit Freunden surft und in Sekundenschnelle Botschaften schickt, wer sollte es Brigitte Mohnhaupt nach all diesen Jahren beibringen, wenn nicht Sie? Ihr Satz “Es ist unfassbar, dass eine Mörderin in unserem Land die Chance hat, glücklich zu werden” ist das schönste Heiratsangebot, das ich je gelesen habe. Und noch unfassbarer ist, dass so ein toller Mann wie Sie, F.J. Wagner, Frau Mohnhaupt glücklich machen will.
Aber bevor ich Sie frage, ob Frau Mohnhaupt denn schon auf Ihr Angebot geantwortet hat, merke ich, wie ich müde werde. Zu viele Eindrücke auf einmal.
Viel Glück wünscht dennoch herzlich
Ihr Tom Levold

27. März 2007
von Tom Levold
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Zukunft der Familie

Während gegenwärtig mit Frau von der Leyen ausgerechnet eine CDU-Ministerin mit ihren familienpolitischen Initiativen dafür sorgt, dass Familienpolitik zu einem„heißen“ gesellschaftlichen Thema wird (wann hat es das zuletzt gegeben?), stellt sich doch die Frage, ob diese Familienpolitik wirklich in der Lage ist, der gegenwärtigen„strukturellen Rücksichtslosigkeit“ gegenüber Familie jenseits aller ideologischen Absichtserklärungen etwas Substanzielles entgegenzusetzen – zu wünschen wäre es. Für eine Familien- und Sozialpolitik, die diese strukturelle Rücksichtslosigkeit, deren Pendant in gewisser Weise die„Politikresistenz“ der Familie darstellt, zum Ansatzpunkt macht, plädiert der bekannte (emeritierte) Familiensoziologe Franz Xaver Kaufmann in seinen zahlreichen Arbeiten. Das Buch„Zukunft der Familie im vereinten Deutschland“, das 1995 als Neubearbeitung seines Werkes„Zukunft der Familie“ von 1990 erschien, welches er noch vor der Maueröffnung verfasst hatte, ist mittlerweile über 10 Jahre alt. Insofern kann nicht von einer„Neuvorstellung“ gesprochen werden. Allerdings hat es an Aktualität nicht verloren, auch wenn es mittlerweile nur noch antiquarisch zu beziehen ist. Oliver König hat 1997 eine lesenswerte Rezension für die„Familiendynamik“ verfasst, die heute im systemagazin zu lesen ist.
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