Von der Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus, einem Autorenkollektiv von Angehörigen und StudentInnen der psychologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, ist soeben im dgvt-Verlag ein Buch über Die Psychologie des Alltags erschienen. Es enthält viele bislang eher kursorisch aufzufindende Texte aus den 80er und 90er Jahren zum Sozialen Konstruktivismus. Auf der katastrophal schlechten Website des Verlages ist wenig über dieses Buch zu erfahren, man kommt nur über die leicht übersehbare Suchfunktion auf den Titel, der sich dann noch nicht einmal verlinken lässt. Ob es sich lohnt, sich mit diesen Texten auch heute noch auseinanderzusetzen, schreibt Wolfgang Loth in seinem umfangreichen Rezensionsessay.
Wolfgang Loth, Niederzissen: So fühlt sich Aufbruch an – oder ein Nachruf?
Das Buch
So fühlt sich Aufbruch an. Mit ungebremstem Enthusiasmus und einem unbedingten Willen zur Aufklärung hatte sich vor jetzt 35 Jahren die „Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung“ (im Folgenden kurz AG genannt) auf den Weg gemacht. Der Startschuss war ein Aufruf, den Ekkehard Müller-Eckhard im Oktober 1986 „An alle Arbeitseinheiten der Fakultät für Psychologie“ an der Ruhr-Uni Bochum adressierte. Als Gegenstimme zu der als wirklichkeitsfremd erachteten Mainstream-Psychologie bot er das „Abenteuer“ an, „die derzeitige kommunale Basis sozialen Wissens und Handelns in der Wissenschaft Psychologie zu verlassen und sich auf die Suche nach neuen Wegen zu begeben“[1]. Da freut sich der Rezensent (Psychologie-Diplom 1978). Inmitten der real existierenden angepasst-eingekauften, oft desillusionierenden Bestrebungen unserer Profession die Erinnerung an die Ausstrahlung von etwas Lebendigem! In ihrem kurzen Statement am Ende des Buches schreiben Manfred Wiesner und Lothar Duda, zwei Altgediente dieser Szene: „Ach, es war so wunderbar. Nicht wenig war in jenen Tagen wohltuend verstörend. Wo sind die Verstörungen heute?“ (S.348). Ja, where have all the flowers gone…?! Diese Brille, wird mir allerdings schnell klar, würde zu einem ungünstigen Blickwinkel für eine Rezension verleiten. Heute ist heute, hieß es schon gestern… Was kann ich also dazu sagen, heute, mit meiner Sicht der Dinge nach einem bewegten Arbeits- und Schreiber-Leben? Zu etwas, was seinerzeit Provokation war und heute eine womöglich verklärte Erinnerung? Und in welchem Zusammenhang, unter welcher Perspektive ist das Provokante heute noch aufregend?
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