wie immer – und wie schon Anfang November hier angekündigt – gibt es auch in diesem Dezember einen Adventskalender, diesmal ebenso wie im vergangenen Jahr mit unterschiedlichen Bildern, die Ihre Assoziationen und visuellen Kommentare zur Frage darstellen, was Sie mit dem Begriff „systemisch“ verbinden. Über die bereits eingegangenen Beiträge habe ich mich gefreut, der Kalender ist aber noch nicht voll und vielleicht haben Sie ja auch noch Lust, selber ein Bild beizusteuern. Der Auswahl der Motive sind dabei keine Grenzen gesetzt: Menschen oder andere Lebewesen, Dinge oder abstrakte Darstellungen – entscheidend ist nur, dass Ihr Bild etwas über eine Situation, eine Empfindung, eine Beobachtung mitteilt, die mit Ihrem Verständnis von systemischen Zusammengängen in Verbindung steht. Ästhetisch-künstlerische Kriterien spielen dabei keine Rolle, es gibt auch keine technischen Anforderungen zu bewältigen – ein Handyfoto ist schon völlig ausreichend. Einzige Voraussetzung: Das Bild/Foto sollte von Ihnen sein. Und die Längskante des eingereichten Bildes sollte mindestens 800 px und maximal 2000 px betragen.
Den Anfang macht Alexander Korittko mit einer Aufnahme, die er in China gemacht hat. Viel Spaß Ihnen allen mit dem diesjährigen Adventskalender und
Herzliche Grüße
Tom Levold Herausgeber systemagazin
Jeden Morgen zwischen 7 und 9 Uhr tanzen die Menschen in vielen chinesischen Städten. Dieses Paar befindet sich einerseits in Verbindung durch die gemeinsamen Bewegungen, in diesem Moment in unterschiedliche Richtungen orientiert. Zugleich zeigt die Frau ein Gefühl von Freude und Liebe. Das ist für mich systemisch: zwei Menschen in einem Muster, das verbindet.
Beim Stöbern bin ich auf einen Blog mit dem Titel „wildes weben“ gestoßen, den Astrid Habiba Kreszmeier „als Aktivistin für Sympoietisches“ seit einiger Zeit auf der Website des Carl-Auer-Verlags gestaltet. Dort kreisen ihre Beiträge auf poetische und assoziative Weise mit den Zusammenhängen von Natur, Therapie, Tiefenmythologie und der Schönheit des Lebendigen. Die Thematik der Zirkularität und Rückbezüglichkeit „als lebensbildende Grundlage“ durchzieht dabei alle Beiträge dieses Blogs auf die eine oder andere Weise, so auch der aktuelle Post mit dem Titel „Immer wieder Rückbezüge“ vom 26.11.2021, dessen Zwischenüberschrift „Unheimliche cybernetics“ meine Aufmerksamkeit erregte und mich zu einer kritischen Stellungnahme an dieser Stelle bringt, da die Kommentarfunktion der Carl-Auer-Blogs seit einiger Zeit abgeschaltet ist.
Dem assoziativen Selbstverständnis folgend, mäandriert der Text vom Herbst im Appenzellerland über SVP-Kampagnen gegen die Corona-Politik, die Kybernetik Norbert Wieners, Helm Stierlins Boygroup, männlich perspektivische Geschichtsnarration und die Ethik Heinz von Foersters zurück zur Corona-Politik der Schweiz, ohne dass die Verkettung dieser Assoziationen tatsächlich nachvollziehbar würde. Soweit, so gut – und für einen poetischen Text natürlich völlig angemessen.
Die Bemerkungen zur Kybernetik und zu Norbert Wiener haben mich aber stutzen lassen. Schon in einem früheren Blogbeitrag von April 2021 ist bei ihr zu lesen: „Kybernetik ist und bleibt ein missverständlicher Name, wenn es ums Lebendige geht“, wenngleich dort auch betont wird, dass „zirkuläres Denken schlicht und ergreifend systemisches Denken“ sei.
Ihre Kritik an der Kybernetik leitet sie mit einem Hinweis darauf ein, „dass auch andere, aktuelle Publikationen von Carl-Auer die Rückbezüglichkeit als lebensbildende Grundlage neu thematisieren; dass sie Ethik und Verantwortung gegenüber der Welt vermehrt ansprechen“ und zur „Erinnerung nahezu vergessener Kontexte“ einladen. Dies ist aber kein generelles Plädoyer für die Einbeziehung von Kontexten, vielmehr „gibt es ja auch für mich einige Kontexte, die ich lieber vergessen möchte, weil sie mir unheimlich sind. Zum Beispiel das Wort Kybernetik, übertragen aus dem Englischen: Cybernetics“, und zwar „als interessierte Kollegin, die um Zirkuläres bemüht ist“.
Nun empfinde ich mich auch als interessierten Kollegen, der um Zirkuläres bemüht ist, und stimme zu, dass zirkuläres Denken ein zentrales Element systemischen Denkens ist. Inwiefern aber die Kybernetik gerade in diesem Punkt unsystemisch sein sollte, hat sich mir aus ihrem Beitrag nicht erschließen können. Womöglich ist ihre Argumentation aber auch darauf zurückzuführen, dass sie sich gar nicht ausreichend mit diesem Kontext befasst hat, den sie ja lieber „vergessen“ möchte. Immerhin nennt sie ja sein 1948 erschienenes Buch „Cybernetics or control and communication in the animal and the machine“, dessen empfehlenswerte Lektüre doch den Vorwurf des „Unsystemischen“ entkräften könnte. Ob sie es wirklich gelesen hat, sei einmal dahingestellt.
Heft 3/2021 des Kontext ist der Frage nach der Bedeutung der Bindungstheorie und den Ergebnissen der Bindungsforschung für die systemische Therapie und Beratung gewidmet. Mathias Berg, Forschungspreisträger der Systemischen Gesellschaft mit einer Arbeit zu den „Auswirkungen systemischer Beratung und Therapie in einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle auf die Bindungssicherheit verhaltensauffälliger Kinder im Grundschulalter“, ist Gastherausgeber des Heftes. Im Editorial schreibt er: „in den vergangenen beiden Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum eine stetige Annäherung. Ganz im Sinne ihres Begründers, ist die Bindungstheorie für Beraterinnen und Therapeuten nicht ausschließlich als entwicklungspsychologische Theorie zu verstehen, sondern als ein dynamisches Konzept, welches über die Forschung hinaus auch und insbesondere die klinische Praxis beeinflusst und gestaltet. Dass Bindungstheorie und systemische Praxis dabei hierzulande erst relativ spät zueinander gefunden haben, lässt sich unter anderem an zahlreichen englischsprachigen Publikationen ablesen (…), die davon zeugen, dass andernorts das Potenzial des Bindungskonzepts in der systemischen und familientherapeutischen Arbeit bereits deutlich mehr Beachtung fand und findet. In einer Untersuchung im angloamerikanischen Sprachraum, die 275 empirische familientherapeutische Studien hinsichtlich ihrer Referenztheorie auswertete, kam die Bindungstheorie auf Platz zwei hinter den Systemtheorien (…). Diese und ähnliche Entwicklungen könnten auch die deutschsprachigen Aus- und Weiterbildungen von systemischen (Psycho-)Therapeuten und Beraterinnen sowie die systemisch orientierte Forschung beflügeln. Denn in vielen Bereichen der therapeutischen Praxis scheint die Resonanz bezüglich eines elaborierten Konzepts von Bindung groß. Doch was macht die Bindungstheorie so reizvoll für die Systemische Therapie/Beratung? Füllt Sie eine Leerstelle innerhalb der systemischen Behandlungskonzepte (…), indem sie die traditionell interpersonell-familiendynamische Sichtweise durch anschlussfähige intrapsychische Variablen ergänzt (…)? Oder spezifiziert sie gar systemisches Beziehungswissen, indem sie Erkenntnisse und Forschungsbefunde vorlegt, die insbesondere Therapeuten, die mit Familien, Kindern, Jugendlichen oder Paaren arbeiten, anregen – und darüber hinaus dort bedeutsam sind, wo (Bindungs-)Beziehungen massiv gestört wurden, wie z. B. in der Arbeit mit traumatisierten Menschen? Wie Helm Stierlin bereits 1995 (…) formulierte, »…fordert die Bindungsforschung zu einem […] Umdenken heraus. Aber weiter: Diese Forschung wirft Fragen auf, die nicht zuletzt auch und gerade systemische Theoretiker und Therapeuten angehen.«“
Heute vor 110 Jahren wurde Heinz von Foerster, der Namensgeber der Kybernetik 2. Ordnung, in Wien geboren. Auf einer Tagung zum Thema „Communication and Control in Society“ hielt er eine kurze Rede, die im von Klaus Krippendorf 1979 zum gleichen Thema herausgegebenen Band, der bei Gordon & Breach in New erschien, abgedruckt wurde (S. 5–8).
Der englische Text endet mit einer Passage, die ich ins Deutsche übersetzt habe, und die die ethische Implikation der Kybernetik 2. Ordnung gut zum Ausdruck bringt: „Ich habe bereits vorgeschlagen, dass eine Therapie zweiter Ordnung erfunden werden muss, um mit den Störungen zweiter Ordnung umzugehen. Ich behaupte, dass wir die Kybernetik der beobachteten Systeme als Kybernetik erster Ordnung betrachten können, während die Kybernetik zweiter Ordnung die Kybernetik der beobachtenden Systeme ist. Dies steht im Einklang mit einer anderen Formulierung von Gordon Pask. Auch er unterscheidet zwei Ordnungen der Analyse. Diejenige, bei der der Beobachter in das System eintritt, indem er den Zweck des Systems festlegt. Wir können dies eine „Vorgabe erster Ordnung“ nennen. Bei einer „Vorgabe zweiter Ordnung“ tritt der Beobachter in das System ein, indem er seinen eigenen Zweck festlegt. Damit scheint klar zu sein, dass die Sozialkybernetik eine Kybernetik zweiter Ordnung sein muss – eine Kybernetik der Kybernetik -, damit der Beobachter, der in das System eintritt, seinen eigenen Zweck festlegen kann: Er ist autonom. Wenn wir das nicht tun, wird jemand anderes einen Zweck für uns bestimmen. Und wenn wir das nicht tun, liefern wir denen, die die Verantwortung für ihr eigenes Handeln auf andere abwälzen wollen, die Ausrede: „Ich bin nicht verantwortlich für mein Handeln, ich befolge nur Befehle. Wenn wir schließlich scheitern, die Autonomie jedes Einzelnen anzuerkennen, könnten wir uns in eine Gesellschaft verwandeln, die zwar Verpflichtungen hochhält, aber dabei ihre Verantwortlichkeiten vergisst.“
Rudolf Klein bereichert seit vielen Jahren das systemische Feld mit seinen Reflexionen und Veröffentlichungen, nicht nur zum Thema abhängigen Verhaltens in Bezug auf den Umgang mit Alkohol. Gleichwohl liegt dieser Bereich ihm aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Suchtberatung besonders am Herzen. Seine vergangenen Veröffentlichungen zum Thema richteten sich in erster Linie an ein Fachpublikum. Der Carl-Auer-Verlag hat eine neue Reihe unter dem Rubrum Fachbücher für jede:n etabliert, die sich auch ein breiteres Publikum richten. In dieser Reihe ist das neueste Buch von Rudolf Klein erschienen – „Leben mit Alkohol – Herausforderungen und Chancen“. Wolfgang Loth hat es für systemagazin gelesen.
Es ist schon eine Kunst, Anregungen so zu geben, dass man sich nicht bedrängt fühlt, sondern freundlich eingeladen, sich in unvertrautem Gelände darüber klar zu werden, ob dieses Gelände etwas ist für einen. Und wenn ja, was. Rudolf Klein gehört zu denen, die das können. Zum Thema Alkohol, bzw. süchtiges Trinken verfügt er über jahrzehntelange Arbeits-, Lehr- und Publikationserfahrung. Dabei hat er so sprechende Formulierungen gefunden wie „berauschte Sehnsucht“ oder „Lob des Zauderns“. Zum professionellen Umgang mit Alkoholabhängigkeit hat er Maßstäbe gesetzt.
Und nun also diese Veröffentlichung in der Reihe „Fachbücher für jede:n“. Hier geht es dann nicht in erster Linie um das Vermitteln von Fachwissen und Arbeitsanregungen für professionelle Helferinnen und Helfer. Stattdessen kommt es darauf an, mit denen ins Gespräch zu kommen, die mit dem jeweiligen Thema in ihrem Leben zu tun haben, sowohl akut als auch im weiteren Sinn dafür sensibilisiert. Der Knackpunkt könnte sein, dass das Fach- und Erfahrungswissen zum jeweiligen Thema (im vorliegenden Fall: zum Thema süchtiges Trinken) sich in der externen Reflexion herausgebildet hat. Mit externer Reflexion meine ich das professionelle Nach- und Vor-Denken, das Validieren professioneller Erkenntnis im fachlichen Austausch. Im „Drinnen“ alkoholfokussierter Sinn- und Beziehungsstrukturen handelt es sich dagegen um ein Fach- und Erfahrungswissen, das unmittelbar aus dem Leben der Beteiligten schöpft. Erfahrungswissen aus erster Hand, sozusagen. Ein Autor, bzw. eine Autorin, die also ein „Fachbuch für jede:n“ anbietet, hat eine doppelte Aufgabe zu bewältigen. Dieses Fachbuch muss sowohl für das „externe“ Kollegium überzeugend genug sein, also „extern“ zur professionellen Vor- und Nachbereitung tauglich, als auch anschlussfähig für jemanden, der oder die durch Interesse oder Lebenslage im Thema drinsteckt. Beides scheint mir mit dem vorliegenden Buch vorzüglich gegeben.
bald haben wir wieder Dezember und es wird Zeit für den diesjährigen Adventskalender des systemagazin. Schon im vergangenen Jahr, als es um das Thema der Corona-Krise und der damit verbundenen negativen als auch positiven Erfahrungen ging, hatte ich eingeladen, anstelle von kleineren oder größeren Texten zum Thema wie üblich dieses Mal ein Foto oder ein anderes Bild zum Kalender beizusteuern, das Ihre Erfahrungen zum Ausdruck bringen sollte. Über die Resonanz der vielen Bilder war ich – wie viele Leserinnen und Leser auch – erfreut und überrascht. Sie hat mich ermutigt, auch dieses Mal zur Einsendung von Bildern einzuladen, die ja einem Sinnspruch zufolge manchmal mehr sagen als tausend Worte.
Ihre Einsendung sollte sich dieses Mal mit der Frage beschäftigten, was das Wort „systemisch“ für Sie bedeutet und in welchen Momenten, Konstellationen, Erfahrungen und Beobachtungen es sich für Sie zum Ausdruck bringt. Mit diesem Begriff verbinden wir ja Themen wie Verbindung und Verbundenheit („the pattern that connects“), Mustererkennung und -veränderung, Wechselwirkungen und Zirkularität, symmetrische oder komplementäre Beziehungsmuster, Kontextabhängigkeit, Stabilität und Veränderung, die Beobachtung der Beobachtung usw. All das sind Begriffe, die uns auf einer abstrakten Ebene des Verständnisses systemischer Zusammenhänge vertraut sind. Zunächst haben wir aber als Beobachter unserer Wirklichkeit auch einen ganz unmittelbar sinnlichen Zugang auf Phänomene, die wir mit diesen Begrifflichkeiten zu erfassen suchen. Um diese Beobachtungen geht es dieses Mal im Adventskalender.
Der Auswahl der Motive sind dabei keine Grenzen gesetzt: Menschen oder andere Lebewesen, Dinge oder abstrakte Darstellungen – entscheidend ist nur, dass Ihr Bild etwas über eine Situation, eine Empfindung, eine Beobachtung mitteilt, die mit Ihrem Verständnis von systemischen Zusammengängen in Verbindung steht. Ästhetisch-künstlerische Kriterien spielen dabei keine Rolle, es gibt auch keine technischen Anforderungen zu bewältigen – ein Handyfoto ist schon völlig ausreichend. Einzige Voraussetzung: Das Bild/Foto sollte von Ihnen sein. Und die Längskante des eingereichten Bildes sollte mindestens 800 px und maximal 2000 px betragen. Ich hoffe, dass Sie sich durch diese Einladung inspirieren lassen, Ihre Fotosammlung einmal durchzugehen oder sich anregen lassen, ein Foto zum Thema zu machen, gerne mit einer optionalen Kurzbeschreibung oder einem kleinen Kommentar! Vielleicht kriegen wir ja gemeinsam einen schönen Adventskalender voll. Alle Einsendungen werden veröffentlicht, wenn sie zum Thema passen!
Ich freue mich auf Zusendungen Ihres Bildes an levold@systemagazin.com und verbleibe
Die Systemische Gesellschaft (SG) und die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) vergeben gemeinsam einen wissenschaftlichen Forschungspreis.
Mit ihrem wissenschaftlichen Forschungspreis verfolgen die systemischen Verbände das Ziel, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, die Weiterentwicklung der Forschungs- und Praxismethoden im Kontext des systemischen Denkens anzuregen und die Bedeutung des systemischen Ansatzes für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen.
Der Preis ist als Förderpreis konzipiert. Angenommen werden Masterarbeiten, Dissertationen, Habilitationen oder Forschungsarbeiten aus einem Projekt, das in oder auch außerhalb der Hochschule durchgeführt wurde. Erwünscht sind aktuelle Forschungsarbeiten, die nicht oder bei Einreichung nicht länger als ein Jahr veröffentlicht sind.
Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert.
Mit dem Preis soll eine Arbeit ausgezeichnet werden, die einen innovativen Beitrag zur Weiterentwicklung systemischer Forschung leistet. Dies ist möglich durch
ein neuartiges/kreatives methodisches Design
eine innovative Verknüpfung von systemischer Theorie und Methode
anregende Theoriebildung und -entwicklung
überzeugende Impulse für die systemische Praxis
Die Forschungsarbeiten können sich auf alle Felder systemischen Arbeitens beziehen und Fragen zu Therapie, Beratung, Supervision, Mediation, Coaching oder Organisationsberatung, aber auch weitere systemisch relevante Themenstellungen bearbeiten.
Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft unter Ausschluss des Rechtsweges ein Gremium, in dem Gutachterinnen und Gutachter mehrerer Disziplinen vertreten sind.
Die Preisvergabe erfolgt auf der SG-Mitgliederversammlung und Tagung im Mai 2022.
Bitte reichen Sie Ihre Arbeit zusammen mit dem Deckblatt bis zum
06. Februar 2022
in dreifacher Ausführung und digital unter dem Stichwort „Wissenschaftlicher Forschungspreis“ein bei:
Die Systemische Gesellschaft vergibt alle zwei Jahre einen Praxispreis für ein herausragendes oder innovatives aktuelles Projekt, das die praktische Umsetzung der Grundsätze systemischen Denkens und Handelns in einem spezifischen Arbeitsfeld zum Ziel hat. Über die Vergabe des Preises entscheidet eine Jury.
Um den Preis können sich Praxisprojekte in öffentlicher oder privater Trägerschaft bewerben, die systemische Vorgehensweisen in Bereichen wie z.B. Arbeiten, Wohnen, Bauen, Bildung, Ernährung, Erziehung, Internationalisierung, Klimaschutz, Recht etc. implementieren und anwenden. Dabei sollten die systemische Haltung und die Nachhaltigkeit des systemischen Ansatzes im Sinne von „next practice“ (zukunftsorientiert) und „best practice“ aufgezeigt werden.
Publikationen und wissenschaftliche Arbeiten über systemische Praxis sind nicht Gegenstand des Praxispreises.
Erfüllt keine der eingereichten Bewerbungen die Kriterien zur Vergabe des Praxispreises in überzeugender Weise, wird der Preis im betreffenden Jahr nicht vergeben.
Das Preisgeld beträgt bis zu 1.500,- Euro, kann auf 1 bis 3 Preisträger verteilt werden und soll unmittelbar für die Zwecke des prämierten Projektes verwandt werden.
Die SG veröffentlicht die Vergabe des Preises und unterstützt das Projekt bei der Bekanntmachung des Praxispreises.
Bewerbungen für den Praxispreis sollten in Form einer Kurzbeschreibung sowie einer schriftlichen Konzeption von maximal 20 Seiten (andere Formen können akzeptiert werden; z.B. auditiv, kreativ etc.) unter dem Stichwort „SG-Praxispreis“ an die Systemische Gesellschaft e.V., Damaschkestraße 4, D-10711 Berlin, oder per e-mail an info@systemische-gesellschaft.de eingereicht werden.
Ende September ist Hans Jellouschek gestorben, einer der bekanntesten und populärsten Paartherapeuten im deutschsprachigen Raum, der vor allem über seine zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Liebe, Paarbeziehungen und ihren Krisen über das therapeutische Feld hinaus wirken konnte. Über unsere Kontakte und unsere jeweilige Zusammenarbeit mit Rosmarie Welter-Enderlin hatten wir uns in den 90er Jahren kennen gelernt und uns über die Jahre immer wieder einmal auf Tagungen und anderen Veranstaltungen wieder getroffen. 2002 lud er mich ein, in seinem großzügigen Haus in Ammerbuch ein dreitägiges Seminar über Metaphern zu halten und bestand darauf, die Selbstreflexionseinheiten der Teilnehmer in Partnerarbeit mit mir zu bearbeiten. Hierdurch und durch die Spaziergänge rund um den Ort sind wir uns näher gekommen. Seine ruhige und zurückhaltende, gleichzeitig offene und neugierige Art, mit Menschen umzugehen, hat mich immer beeindruckt. Nun ist er mit 82 Jahren von uns gegangen. Wir werden ihn als Person vermissen, seine inhaltlichen Perspektiven und sein gelassener Blick auf die Risiken und Chancen von Beziehungskrisen werden uns erhalten bleiben. Wolf Ritscher, der auch seit langen Jahren mit Hans Jellouschek immer wieder zu tun hatte, hat für systemagazin einen Nachruf verfasst.
Wolf Ritscher, Unterreichenbach: Hans Jellouschek (1939 – 2021) – Therapeut, Lehrer und Schriftsteller aus Leidenschaft
Am 22.9.2021 ist Hans Jellouschek im Alter von 82 Jahren gestorben. Sein Geburtsort war das österreichische Linz, ab 1971 wurde er in Tübingen und später Ammerbuch heimisch.
Er war in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter und außergewöhnlicher Mensch. Nach seinem Abitur 1957 trat er in den Orden der Jesuiten ein – den Intellektuellen unter den katholischen Ordensgemeinschaften und studierte in diesem Kontext Theologie und Philosophie. 1968 verließ er den Orden, promovierte 1969 mit einer Arbeit über den historischen Jesus im Werk des Theologen Wolfhart Pannenberg und siedelte dann wenig später, wie schon erwähnt, ins Schwabenland über. Sein Interesse an der Psychotherapie richtete sich zunächst auf die Transaktionsanalyse nach Eric Berne, so dass er sich in diesem Verfahren als Therapeut und später als Lehrtherapeut qualifizierte. Von der Transaktionsanalyse, die ihr von der Psychoanalyse abgeleitetes Modell der psychischen Struktur (Kind-Ich, Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich) mit einem Modell der Transaktionen zwischen Personen/Rollen und zwischen den drei Ich-Strukturen verbindet, ist es nur ein kleiner Schritt zu einem systemischen Verständnis von Beziehungen und der therapeutischen Prozesse. Diesen Weg ist Hans Jellouschek gegangen – konsequent und mit einer bewundernswert ruhigen, auf missionarische Überzeugungsversuche verzichtenden Leidenschaft für sein Projekt – die Beziehung von Paaren und deren Therapie. Mit einem auch heute noch lesenswerten Buch über Stieffamilien als Co-Autor zusammen mit Verena Krähenbühl, seiner damaligen Frau Margret Kohaus –Jellouschek und Roland Weber, begann seine Karriere als Autor über Themen der Paar- und Familientherapie. In diesem Werk beschrieb das AutorInnenteam die Arbeit mit Patchworkfamilien – damals noch theoretisches und therapeutisch-praktisches Neuland – zumindest im deutschsprachen Raum. Es folgten Arbeiten über Märchenmotive, die sich in Paarbeziehungen wiederfinden lassen, z.B. das Buch über den Froschkönig. Hier wurde schon ein zentraler Aspekt seines theoretisch-praktischen Verständnisses von Paardynamik und -therapie deutlich: Paarbeziehungen bieten, wenn die PartnerInnen sich in Konflikten und Missverständnissen verstrickt haben, gerade durch diese Konflikte die Möglichkeit der gemeinsamen Weiterentwicklung. Ganz so wie im Märchen vom Froschkönig, in dem der verwünschte Prinz und die noch ziemlich in kindlichen Wunschphantasien festgefahrene Prinzessin sich finden können, weil sich das bisher negativ konnotierte Erscheinungsbild in eine neue attraktive Gestalt verwandelte. In diesem Sinne war Entwicklung die zentrale Perspektive in Hans Jellouscheks paartherapeutischem Konzept, wie auch der Zusammenklang von Paardynamik und Umwelt. Denn es finden nicht nur Prinz und Prinzessin zueinander, sondern auch Heinrich, der Diener und Kutscher wird von seinen Eisenringen befreit, die ihm seit der Verzauberung des Prinzen die Brust abschnüren – eine Metapher für die Abspaltung der nicht auszuhaltenden Gefühle des Verlassenseins und Bindungsverlustes. Systemisch gesprochen geht es hier nicht nur um eine Dyade, sondern eine triadische Weiterentwicklung.
In vielen weiteren Büchern hat Hans Jellouschek seine paartherapeutischen Erfahrungen in einer Form weitergegeben, die nicht nur das Wissen der PaartherapeutInnen bereichert hat, sondern auch in der Krise befindlichen Paaren Anregungen für eigene Lösungsprozesse finden ließ. Das machen schon Titel deutlich wie „Trennungsschmerz und Neubeginn“, „Der „Schlüssel zur Treue“, „Was heilt uns?“, „Familie werden – Paar bleiben“, „Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe“, „Im Irrgarten der Liebe“ und viele mehr. Therapie muss also nicht immer im Sprechzimmer stattfinden, sondern kann sich auch im Lesen ereignen. An diesem Punkt lässt sich noch ein weiterer zentraler Aspekt seines therapeutischen Denkens und Handelns Denkens verorten: den Kompass der Entwicklung und Veränderung halten die Paare selbst in ihren Händen.
Ich habe Hans Jellouschek Anfang der neunzehnhundertachtziger Jahre auf einem Workshop mit Karl Tomm und Max van Trommel kennen gelernt. In einem Rollenspiel repräsentierte er einen Familienvater, der sich in einer psychotischen Krise befand, ich selbst war ein aufmüpfiger Teenager. Schon nach wenigen Takten des Rollenspiels war klar: hier zeigt jemand, dass er mit allen Höhen und Tiefen, allen Fallstricken aber auch positiven Handlungsmöglichkeiten alltäglicher Kommunikation vertraut ist. Dieses Wissen in Kombination mit der eigenen Lebenserfahrung hat es Hans Jellouschek ermöglicht, auch in schwierigen Situationen die therapeutische Beziehung zu erhalten und Therapie als einen sicheren Platz zu gewährleisten.
Er hatte die Gabe, aus der therapeutischen Beziehung heraus einen eigenen und selbst gestalteten Entwicklungsprozess der Paare anzuregen und sich auch zurückzuziehen, wenn diese Eigendynamik sich entfaltete. Und er war ein Lehrer für uns, die sich als Professionelle für paartherapeutische Prozesse weiter entwickeln wollten. In dieser Funktion haben wir ihn auch als hilf- und einflussreichen Wissensvermittler und Erfahrungsanreger in Workshops am Bodensee-Institut erlebt. Und ich denke, dass dies auch in anderen Ausbildungskontexten so war.
Wir haben viel von ihm gelernt, und danken ihm dafür von ganzem Herzen.
((Wolf Ritscher ist Lehrtherapeut am Bodenseeinstitut für systemische Therapie und Beratung Radolfzell)
Für die letzte Ausgabe des Mitgliederjournals der ÖAS hat Johanna Schwetz-Würth ein Interview mit Martin Rufer über die Bedeutung des Settings in Therapieverläufen geführt, das sie dankenswerterweise dem systemagazin zur Veröffentlichung angeboten hat. Martin Rufer aus Bern in der Schweiz ist im systemagazin lange bekannt, als Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie mit langer Erfahrung in der stationären Drogentherapie, Erziehungsberatung und Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitete er viele Jahre als Co-Leiter des Zentrums für Systemische Therapie und Beratung in Bern. Er arbeitet heute in freier Praxis in Bern und hat diverse Publikationen zur Theorie und Praxis von Psychotherapie/systemischer Therapie veröffentlicht.
JSW: Als wir im Redaktionsteam beschlossen, den Schwerpunkt diesmal dem Thema Setting zu widmen, sind mir gleich Sie eingefallen. Ihr Name ist ja in der deutschsprachigen systemischen Literatur mit dem Begriff „Setting als Intervention“ verbunden. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
MR: Ja gut, als Systemiker*in sind sie ja mit der Settingfrage im Prinzip ohnehin konfrontiert. Für eine Psychoanalytiker*in ist das klassische Setting ja das Einzelsetting. Als Systemiker*in sind Sie ja herausgefordert, sich zu überlegen, mit wem macht es Sinn zu arbeiten? Und ich glaube, das ist eine ganz wichtige Frage, die Sinnfrage oder die Indikation eines Settings. Es gibt für mich keine Grundregel, die besagt, jede*r Systemiker*in muss im Mehrpersonensetting arbeiten. Der Umkehrschluss gilt allerdings genauso. Und da bin ich besorgt über die Entwicklung in den letzten Jahren. Immer weniger Systemiker*innen arbeiten im Mehrpersonensetting. Es wäre eine Diskussion für sich, warum das so ist. Die Settingfrage ist wichtig für Systemiker*innen, weil man sich überlegen muss, warum und wieso beziehe ich jemanden ein, der vielleicht gar nicht unbedingt der oder die Hilfesuchende ist? Die andere Frage, die durch das Setting virulent wird, ist: Sehr oft sind die Hilfesuchenden nicht die Klient*innen selber. Speziell bei Kindern und Jugendlichen ist das sehr signifikant. Also wenn Sie z.B. mit dissozialen Jugendlichen arbeiten, dann wollen die eigentlich nichts. Dagegen wollen die Eltern etwas, nämlich für Ruhe im privaten System sorgen. Und von daher sollte man sagen, dass sie damit auch Teil eines möglichen Entwicklungsprozesses sein müssen. In meinem Buch habe ich darauf hingewiesen, dass Kinder und Jugendliche ihre Eltern eigentlich sehr oft einbeziehen wollen – wenn sie nicht gerade auf Kollisionskurs sind – weil sie nämlich merken, dass die irgendwo wichtig sind. Aber die Frage, ob ihre Eltern einbezogen werden dürfen, wird zum Teil ambivalent beantwortet. Oft wird sie einem aber fast nahegelegt. So nach dem Motto: „Ich will nichts. Vielleicht wollen Mama oder Papa was.“ Und von daher macht die Settingfrage natürlich in hohem Maße Sinn.