systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

12. März 2022
von Tom Levold
31 Kommentare

Eskalation oder Warum wir Teil des Konflikts sind

Barbara Kuchler ist Soziologin, Systemtheoretikerin und Systemische Familientherapeutin in München. Sie betreibt einen klugen Blog unter dem Titel familienknatsch.blog, in dem sie paar- und familientherapeutische und -theoretische sowie gesellschaftspolitische Themen behandelt. In den letzten Tagen hat sie aus der Perspektive der systemtheoretischen Konflikttheorie zum Krieg in der Ukraine Stellung bezogen. Ich konnte sie gewinnen, ihren letzten Text „Eskalation oder Warum wir Teil des Konflikts sind“ als Gastautorin auch hier im systemagazin zu veröffentlichen und hoffe, hier eine Diskussion in Gang zu bringen, die jenseits der momentanen dominanten Diskurse geführt werden sollten.

Barbara Kuchler, München: Eskalation oder Warum wir Teil des Konflikts sind

Was ist das für eine Dynamik, die jetzt zwischen Russland und dem Rest der Welt in Gang ist? In einem Versuch, das zu verstehen, greife ich auf systemisch-therapeutische Begriffe (I.) und auf systemtheoretisch-soziologische Begriffe (II.) zurück. Diese Denkweise habe ich u.a. von Fritz Simon gelernt (https://www.carl-auer.de/todliche-konflikte) und auch hier schon angewandt: https://familienknatsch.blog/2022/02/25/russland-und-die-nato/

I.  Symmetrische und Komplementäre Eskalation

Wir befinden uns in einer Eskalation, oder besser: in zwei Eskalationen gleichzeitig. 

(1) Russland und die Ukraine befinden sich in einer symmetrischen Eskalation, wohlbekannt aus der Konfliktforschung. Das Prinzip ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Schlag um Schlag, Tote um Tote, Rakete um Rakete, notfalls: Rakete um Molotowcocktail. Gleiches wird mit Gleichem vergolten, oder jedenfalls mit Ähnlichem. 

(2) Russland und die westliche Welt befinden sich in einer komplementären Eskalation. Das ist eine Form von Eskalation, die Kriegsforschern normalerweise nicht bekannt ist, Paartherapeuten aber umso besser. Hier agieren die Beteiligten in verschiedenen und sogar gegensätzlichen Positionen, die sich aber trotzdem – oder: deswegen – so ineinander verschrauben, dass beide immer tiefer in ihre jeweilige Position hineingeraten und nicht mehr herausfinden. Jeder übernimmt seinen Pol des Spektrums, versteift sich immer mehr darauf und verstärkt dadurch auch den Anderen darin, in seinem Pol zu bleiben. Eine komplementäre Eskalation muss nicht unbedingt ein Konflikt sein, es kann durchaus eine freundlich-kooperative Beziehung sein, in Paaren z.B. nach dem Schema hilfsbedürftig vs. helfend, oder führend vs. folgend, oder spaßorientiert vs. pflichtorientiert, oder sonst irgendeine polare Rollenkonstellation. Eine Eskalation ist das nicht im Konfliktsinn, sondern nur in dem sehr abstrakten Sinn, dass jeder der Beteiligten mit der Zeit immer extremer in seiner Ausprägung wird und extremer in seiner Ausprägung wird, als er es ohne den Partner wäre.[1]

Ich versuche unten, die Positionen in einer Schemazeichnung darzustellen. Und ich versuche, sie möglichst deskriptiv und nicht-normativ darzustellen, also ohne Vorabfestlegung darauf, dass die westliche Position die „richtige“ ist, was natürlich ansonsten auch meine Meinung ist.

– Russland vertritt die Position der Macht, der nackten Gewalt, der militärischen Aggression, der Realpolitik, der Großmachtambition, der alten und unaufhebbaren Einsicht, dass Gewehre im Zweifel stärker sind als Kugelschreiber und Amtssiegel. Je stärker der Widerstand der Ukrainer und der solidarische Beistand des Westens, desto mehr verstärkt Russland seine Kriegführung, damit der einmal begonnene Kriegszug nicht erfolglos ist.  

– Der Westen vertritt die Position des Rechts, hier: des Völkerrechts, das besagt: Staaten sind souverän, Gewalt darf kein Mittel der Politik sein, Angriffskriege sind verboten, und das Resultat kriegerischer Aggressionen darf unter keinen Umständen hingenommen werden. 

Je brutaler die russische Kriegführung wird, desto entsetzter verweist der Westen auf das Völkerrecht, und desto entschlossener ist er, dieses Vorgehen und diese Art der Herstellung politischer Ergebnisse zu ächten. 

Die beiden befinden sich in einer komplementären Eskalation, vermittelt über die Ukraine, die sich wiederum mit Russland in einer klassischen symmetrischen Eskalation befindet. Die beiden Eskalationszirkel hängen in der Weise zusammen, dass durch die Solidarität des Westens der Kriegswille der Ukrainer viel länger aufrechterhalten werden kann, als er es angesichts eines aussichtslosen militärischen Kräfteverhältnisses sonst könnte, und dass dies die Intensität und Brutalität der russischen Kriegführung anheizt, was wiederum die Solidarität des Westens anheizt, usw. 

Abbildung 1: Gesamtsituation

Abbildung 2: Symmetrische Eskalation Ukraine-Russland

Abbildung 3: Komplementäre Eskalation Westen-Russland

An sich wäre in der gegebenen Lage die naheliegende Lösung die: Russland darf sich mit einer akzeptablen „Beute“ davonmachen – etwa Donezk, Luhansk, Krim, Asowsches Meer –, lässt dafür den Rest der Ukraine als unabhängiges Land bestehen (unter Druck der westlichen Sanktionen) und entkommt damit der gegenwärtigen Lage, die auch für Russland ein Schlamassel ist. Diese Lösung scheint vielen im Westen derzeit nicht akzeptabel, weil man damit einen Völkerrechtsbruch Russlands anerkennen müsste, eine gewaltsame Änderung der politischen Landkarte. Es kann doch nicht angehen, dass jemand, der nur skrupellos genug ist, sich einfach einen Teil des Nachbarlandes krallen kann. 

Aber man kann wissen: Ohne Nachlassen (auch) in der eigenen Position kommt man aus einer Eskalationsspirale nicht heraus. Nur dass das Bestehen auf dem Völkerrecht und der Nicht-Anerkennung gewaltsamer Annexionen für uns wie eine eskalierende, konservative, status quo-bewahrende Position aussieht, verhindert nicht, dass sie in der faktischen Welt Teil eines Interaktionszirkels oder einer Eskalationsspirale ist. 

Natürlich ist das vor allem etwas, was die Ukraine machen müsste: den Verlust von Teilen ihres Territoriums akzeptieren. Das ist nicht unsere Sache. Aber wir können auf Selenskyj so oder so einwirken. Wir können ihn dabei unterstützen, eine defensive Verhandlungsstrategie einzuschlagen, sich auf Kompromisse einzulassen und einen aussichtslosen Krieg aufzugeben, oder wir können Waffen liefern und ihm in seiner Unbeugsamkeit den Rücken stärken.

II.  System und Rechtfertigung 

Nun kann man sagen: Das läuft auf eine Rechtfertigung der russischen Aggression hinaus. Hübsch systemisch dekoriert, aber doch nichts anderes als eine Rechtfertigung der gewaltsam durchgeführten Großmachtambitionen oder Weltbeherrschungspläne Putins. Man braucht nur irgendwo einzumarschieren und sich ausreichend eskalationsbereit zu zeigen, schon sagen die Eskalationstheoretiker, dass es Kompromisse braucht und dass die Akzeptanz der geschaffenen Fakten die beste Lösung ist.

An diesem Punkt muss ich kurz auf Systemtheorie und Gesellschaftstheorie umschalten. Soviel ist klar: Das Völkerrecht ist eine großartige Sache, es ist eine Errungenschaft, es gehört unaufhebbar zur modernen Gesellschaft, wie die Demokratie, wie die romantische Liebe, wie der Individualismus des Individuums u.a.m. Aber es ist nur ein Ausschnitt aus der Welt, die daneben viele andere Dinge enthält, unter anderem Panzer, verrückte Potentaten und Atombomben, abstrakter gesagt: das Machtmedium, eine internationale Ordnung voller Großmächte und Großmachtanwärter und einen stark machtabhängigen, nicht als Weltregierung etablierten UN-Sicherheitsrat. Das Völkerrecht darf – wie alles andere auf der Welt – nicht verabsolutiert werden. Es ist ein Partialstandpunkt wie jeder andere, nämlich der Standpunkt des Rechts und der Rechtfertigung. Es ist riskant, zuzulassen, dass das Völkerrecht unseren gesamten Standpunkt in der Ukrainefrage definiert. 

(Andere Standpunkte sind beispielsweise Menschenleben und Lebensglück, oder jedenfalls Verhinderung von Lebensunglück. Hierzu verweise ich auf meine letzten Blogeinträge: https://familienknatsch.blog/2022/03/07/die-wahren-helden/https://familienknatsch.blog/2022/03/03/endwar-outwaitputin/https://familienknatsch.blg/2022/03/08/the-end/

Soziologen wissen, dass das formale Recht oder die formale Ordnung immer nur einen Teil der sozialen Realität ausmacht. Schon jede Organisation enthält Rollen, Routinen, Kooperationsformen, die formal nicht vorgesehen, vielleicht sogar formal verboten sind und doch tragende Bedeutung für ihr Funktionieren haben. (Jeder kann hier an seinen eigenen Arbeitskontext denken.) Jedes politische System enthält Praktiken und Kommunikationskanäle, die nicht den offiziellen Mandaten, Blaupausen und Demokratielehrbüchern entsprechen, die nicht legitimiert und nicht legitimierbar sind und doch zur Stabilisierung und Balancierung der Gesamtordnung beitragen. 

Das rechtfertigt nicht den russischen Angriff. Vielmehr besagt es: Soziale Systeme enthalten Aspekte, die nicht rechtfertigbar sind und die trotzdem real sind. Recht und Rechtfertigung ist nur ein ganz kleiner Teil der Welt. Nur bei Habermas ist das anders. Systemtheoretiker wissen, dass die Realität von Systemen immer über das hinausgeht, was in ihren offiziellen Strukturen und Prinzipien kristallisiert, und dass kein System alles rechtfertigen kann, was es tut. Kein Mensch, keine Organisation, kein Staat. Jedes System muss damit leben, dass es gelegentlich Dinge sagt oder tut, die seiner eigenen Glaubensordnung und Rechtsordnung widersprechen, die zu tun oder zu sagen es sich aber trotzdem in dem Moment entschließt. In den Worten von Niklas Luhmann: Es gilt, „daß jedes Sozialsystem … mehr Informationen besitzen muß, als es integrieren und legitimieren kann“.[2] Ein System ist das Gegenteil eines Prinzips. Diese Weisheit habe ich von Luhmanns Nachfolger André Kieserling gelernt. 

Das ist nicht schön, aber das ist der Punkt, an dem wir stehen, glaube ich. Es ist nicht klug, an die Welt höhere Maßstäbe anzulegen, als jeder von uns an sich selbst und an sein eigenes Leben anlegt. Man kommt mit Prinzipien nur begrenzt weit. Das heißt nicht, dass Prinzipien unnütz sind und über Bord geworfen werden können. (Dann würde man ein Prinzip daraus machen, prinzipienfrei zu leben.) Es heißt nur, dass man Prinzipien nicht prinzipienhaft anwenden sollte, dass man sich ihrem Gegenteil: dem situativ Notwendigen, nicht verschließen sollte. 

Aber kann dann nicht in Zukunft jeder beliebige machtgierige oder territoriumsgierige Potentat kommen und sich irgendetwas unter den Nagel reißen? Ich glaube: Das folgt nicht. Das wäre das Prinzip, das daraus abgezogen würde. Aber mein Punkt ist: Wir haben jetzt eine Situation, um nicht nach Prinzipien zu handeln. Prinzipien sind eine späte Errungenschaft. Situationen sind basaler als Prinzipien. Wir brauchen eine Situationslogik, die Prinzipien übersteigt, die mehr schon eine Überlebenslogik ist.

Wie sich eine Situation zur Situation qualifiziert, die es erlaubt oder empfiehlt, von Prinzipien abzusehen, kann man nicht genau definieren. Man kann es nur sehen. Im Moment geht es darum, einen Atomkrieg zu verhindern und gleichzeitig einen zerstörerischen Flächenkrieg in einem Land zu beenden. Das passiert nicht jeden Tag. Es ist eine Ausnahmesituation, die nicht zur Jedermanns- und Jedentags-Situation hochgeneralisiert werden kann. Das wissen auf irgendeiner Ebene auch die machtgierigen Potentaten dieser Welt. Jedenfalls ist es im Moment klüger, davon auszugehen. 

Im Bedenken gegenüber Prinzipien deckt sich übrigens der systemische mit dem systemtheoretischen Ansatz. Paartherapeuten wissen: Menschen, die nur nach Prinzipien leben, sind prädestiniert, ins Unglück zu laufen. Solange in einem Paarkonflikt ein Partner auf Gerechtigkeit besteht, auf Ausgleich, auf Rückzahlung aller Schulden, solange kommt kein Frieden, keine Heilung, keine Beruhigung der Lage zustande. Gerechtigkeit und Tragik hängen zusammen, und ebenso hängen die Bereitschaft zum Nachlassen in Gerechtigkeitsansprüchen und die Chance auf Lebensglück zusammen. Im Moment wäre der Zeitpunkt, das auf Weltebene einzusehen. 


[1] Den Gedanken der symmetrischen und der komplementären Eskalation entnehme ich Paul Watzlawick / Janet H. Beavin / Don D. Jackson, Menschliche Kommunikation, Bern 1969. Dort ist, genau genommen, von „symmetrischer Eskalation“ und „komplementärer Rigidität“ die Rede. Die Verwendung des Eskalationsbegriffs für beide Formen scheint aber nicht sinnverzerrend, und jedenfalls kann in systemischen Kontexten ohne weiteres davon die Rede sein, dass sowohl symmetrische als auch komplementäre Interaktionsmuster ihre Risiken, Pathologien und Eskalationspotentiale haben. 

[2] Niklas Luhmann, Spontane Ordnungsbildung, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung, Berlin 1965, S. 163-183, hier S. 178.

11. März 2022
von Tom Levold
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Agile Erzählungen

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Organisationsberatung Supervision Coaching beschäftigt sich mit dem Thema Agilität in Organisationen, einem Konzept, das in den vergangenen Jahren zunehmend Furore gemacht hat. In ihrem Editorial schreiben Rainer Bäcker und Heidi Möller dazu:

„Wenn man sich mit dem Thema ,Agilität’ inhaltlich befasst, erscheint es nicht angeraten, es in erster Linie als ein einheitliches theoretisches Konstrukt oder Modell zu betrachten, das man auf seine interne logische Stimmigkeit seiner einzelnen Bestandteile und auf deren empirische Verankerung hin überprüft. Damit würde man Kriterien anlegen, bei denen von vorneherein offensichtlich ist, dass der agile Ansatz dem weder gerecht werden kann noch will. Die eigentliche Bedeutung des agilen Konzepts liegt nicht in seiner theoretischen Stimmigkeit, sondern in seiner praktischen Wirksamkeit. Insofern erscheint es sinnvoll, das uns interessierende Thema Agilität als eine relevante und interessante ,Wirkungseinheit’ (Salber 1969), oder moderner ausgedrückt, als ,Erzählung’ in den Blick zu nehmen und zu versuchen, es in seiner inneren Dynamik, seinem Funktionieren und seiner Entwicklung zu verstehen.

Um die unbestreitbare Erfolgsgeschichte und anhaltende Attraktivität der agilen Erzählung nachzuvollziehen, ist es wichtig, sie nicht als ein allgemeingültiges Phänomen in der modernen Arbeitsorganisation zu sehen, sondern sie als eine unter verschiedenen Ausdrucksformen der ,Singularisierung’ (Reckwitz 2019) der postindustriellen Ökonomie und Arbeitswelt zu verstehen. Damit wird auch deutlich, dass ,New Work’ und der agile Diskurs vor allem die Arbeitsweisen der kulturbestimmenden neuen Akademiker- und Mittelklasse betreffen, während die Arbeitsweisen und -bedingungen der ,neuen Unterklasse’ (Reckwitz 2019), obwohl diese ungefähr ein Drittel der Gesamtgesellschaft ausmacht, in dieser Erzählung kaum vorkommen und darin bestenfalls ein ebenso randständiges Dasein fristen wie in der gesellschaftlichen Realität.

Unter dieser Perspektive erscheint Agilität eher als eine – neben anderen – Ausdrucksform von grundlegenden Veränderungen und Umbrüchen, die unsere aktuelle Gesellschaft und die damit verbundene Arbeitsorganisation prägen, und weniger als ein einfaches Modell einer neuen Arbeitsweise. Die übergreifenden Themen der neuen Mittelklasse in den postindustriellen Gesellschaften entsprechen von daher auch zentralen Motiven des agilen Mindset, wie z. B.:

  • dem Streben nach Selbstverwirklichung und Freiheit einerseits und der Suche nach Sicherheit in der Gemeinschaft/im Schwarm andererseits,
  • der Infragestellung von Autoritäten und gleichzeitig dem Streben nach Orientierung gebenden neuen Idolen und Vorbildern,
  • dem Bedürfnis nach ideellem „Sinn“ in der Arbeit versus die permanente Steigerung von Effizienz und Tempo in der Arbeitsgestaltung,
  • der Gestaltung einer stabilen, „einzigartigen“ Identität einerseits und der Entwicklung von allumfassender Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft andererseits.

Die besondere Wirkkraft der agilen Erzählung scheint zumindest in Teilen darin zu liegen, dass sie das Versprechen beinhaltet, diese, zumindest scheinbaren, Widersprüche zusammenzubringen und miteinander zu versöhnen. Geht es im Kern der agilen Erzählung nicht darum, selbstbestimmtes und ,freies’ Arbeiten für alle mit einer neuen Effizienzdynamik der postindustriellen, kapitalistisch organisierten Ökonomie zu verbinden? Von daher ist und bleibt es interessant, zu verfolgen, wie sich die zentralen Motive der agilen Erzählung bei ihrem ,Realitäts-Check’ in der täglichen praktischen Arbeitsgestaltung weiter ausgestalten und wie sich dabei neue (Erzähl‑) Versionen entwickeln und Lösungen für die immanenten Spannungsfelder ausbilden.“

Zu allen bibliografischen Angaben und abstracts geht es hier…

9. März 2022
von Tom Levold
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Krieg in der Ukraine: Kinder, Jugendliche und ihre Familien JETZT unterstützen

Bereits am 4. März hat die DGSF eine Erklärung veröffentlicht, in der sie den Krieg in der Ukraine verurteilt, auf die katastrophalen Folgen für die Zivilgesellschaft und besonders die Kinder und Jugendliche hinweist und dazu aufruft, diesen konkrete Hilfen zukommen zu lassen. Dem Vernehmen nach war ursprünglich geplant, diese Stellungnahme in gemeinsamer Herausgeberschaft mit der Systemischen Gesellschaft zu veröffentlichen. Ohne dass die Gründe dafür erkennbar wären, ist das bis heute nicht passiert. Auf der Website der SG findet sich auch bislang kein eigener Text zur Situation in der Ukraine. systemagazin dokumentiert heute – etwas verspätet – die Erklärung der DGSF:

Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF):

Der verbrecherische Angriffskrieg in Europa sorgt für Bestürzung, Trauer und Angst. Der Krieg bringt unermessliches menschliches Leid und humanitäre Notlagen. Der systemische Fachverband DGSF verurteilt die kriegerischen Handlungen scharf und solidarisiert sich mit den Betroffenen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten machen wir uns stark für die großen Herausforderungen, die sich für unser Land daraus ergeben. Als Schnittstelle zwischen Mitgliedschaft und Politik setzt sich die DGSF für eine effektive Unterstützung in Not geratener Menschen ein und bietet Möglichkeiten zum Informationsaustausch und Vernetzung an.
Nach einer Woche Krieg in der Ukraine sind bereits eine Million Menschen aus dem Land geflohen (1), unter ihnen hauptsächlich Frauen mit Kindern und Jugendlichen. Es müssen so schnell wie möglich sichere Fluchtwege geschaffen sowie familiengerechte Unterkünfte inklusive materieller sowie psychologischer Hilfe für Kinder und Familien organisiert werden.
Die DGSF unterstützt in diesem Zusammenhang vollumfänglich den offenen Brief der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) vom 1. März 2022 und die Erklärung der European Family Therapy Association (EFTA).
Der offene Brief von Prof. Dr. Karin Böllert (AGJ-Vorsitzende), Prof. Dr. Wolfgang Schröer (BJK- Vorsitzender von 2019 bis 2021) und der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendpolitik des Deutschen Jugendinstituts (DJI) verweist auf die aus dem Krieg in Europa erwachsenen, besonderen Herausforderungen und dringenden Handlungsbedarfe der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland.
So sind die Kinder- und Jugendpolitik, die Kinder- und Jugendhilfe und alle pädagogischen Organisationen, die mit jungen Menschen zusammenarbeiten, aktuell aufgefordert, Ängste der jungen Menschen ernst zu nehmen, sie in dem Umgang mit beunruhigenden Erfahrungen zu unterstützen und die gegenwärtige Situation gemeinsam mit ihnen zu thematisieren sowie ihr Eintreten gegen Krieg und für Frieden zu fördern und zu begleiten.

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3. März 2022
von Tom Levold
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Deklaration der EFTA zum russischen Überfall auf die Ukraine

(Foto: Tom Levold)

Auf ihrem Treffen in Barcelona hat der Vorstand der European Family Therapy Association folgende Deklaration verabschiedet:

„The General Board of EFTA meeting together in Barcelona issue the following declaration:
We the European Family Therapy Association are appalled at the violence and aggression perpetrated by Russia in the invasion of Ukraine. We call upon the Russian President Vladimir Putin to withdraw his troops immediately. This flagrant violation of the human right to safety and emotional well-being will have a traumatic impact on people caught up in the fighting on both sides and many others all over Europe for many generations to come. We call upon all members of the family therapy community to offer their services to the families of all those affected by this conflict and help facilitate a dialogue for peace and security at every opportunity.“

Die russische Gesellschaft der Familienberater und -therapeuten, assoziiertes Mitglied der EFTA, haben eine eigene Stellungnahme veröffentlicht:

„Dear colleagues,
With pain and resentment we note that the governess of our country aggressively and without any justification attacked our neighbor country Ukraine – our brotherly people, with whom we have a thousand years of common history
We are against war. We clearly understand that nothing other than humanitarian catastrophe can be the result of it.
We feel shame for our governance, and while none of us has voted for these people, as citizens of our country, we can’t evade this responsibility, we do apologize to all the world for this.
We are professionals who have in any circumstance to help people. We have to maintain our professional society and we do hope to maintain our professional connections with all of you.“

Und hier noch die Stellungnahme des World Council for Psychotherapy:

„The World Council for Psychotherapy calls upon the Russian Government to immediately cease the invasion of Ukraine; stop the war; respect the law of nations; and bring back all Russian troops and weapons to their home country.
It is our view as Psychotherapists that a military invasion never solves problems, and never achieves its intended aims. Instead it creates immense damage, and causes destruction on many levels which can reverberate through the generations. This includes the personal suffering and deep trauma of both families and individuals at somatic, mental and emotional levels. Psychotherapists are committed to peaceful negotiation, dialogue and debate in conflict resolution, and we condemn war and violence. We call upon the Russian Government to stop the war, and establish peace through diplomacy in a thoughtful and mutually respectful manner.
We hope that the highest principles of the human spirit will prevail, and with all our hearts we wish that a resolution can be found which will restore freedom.


ЗАЯВЛЕНИЕ ВСЕМИРНОГО КОНГРЕССА ПО ПСИХОТЕРАПИИ В АДРЕС ПРАВИТЕЛЬСТВА РОССИЙСКОЙ ФЕДЕРАЦИИ
Всемирный совет по психотерапии призывает Правительство Российской Федерации прекратить вторжение в Украину; прекратить войну; проявить уважение к национальным законам; вывести войска и вооружение в Российскую Федерацию.
Как психотерапевты, мы убеждены, что военные действия не ведут к решению проблем и достижению поставленных целей. Наоборот, они ведут к нанесению огромного вреда, разрушений на различных уровнях, включая причинение страданий людям и семьям на соматическом, психическом и психологическом уровнях. Как психотерапевты, мы призываем Правительство Российской Федерации прекратить войну и заключить мирное соглашение путем применения методов продуманной и уважительной дипломатии.
Мы выражаем надежду что высшие гуманистические принципы победят, и от всего сердца желаем выхода из конфликта, ведущего к восстановлению свободы.“

21. Februar 2022
von Tom Levold
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Recherche – Bitte um Unterstützung!

Derzeit ist die deutsche Fassung des Paartherapie-Buches „Emotional Safety“ von Don Catherall beim Carl-Auer-Verlag in Vorbereitung – ein Projekt, auf das ich mich schon seit Langem freue. Die Übersetzerin, Frau Ute Weber, bat mich um Unterstützung bei der Überprüfung eines Zitates bzw. seiner Seitenangabe aus dem Band „Die Praxis der emotionsfokussierten Paartherapie“ von Susan Johnson, der bei Junfermann erschienen ist. Das Zitat lautet: „Vom Anfang bis zum Ende ihres Lebens sehnen sich Menschen nach einer bestimmten Person, die sich um sie kümmert, sie wahrnehmen und wertschätzenn, ihre Wunden lindern und ihnen dort Mut machen wird, wo das Leben schwierig ist, und die sie in der Dunkelheit hält“. In der von Don Catherall zitierten englischsprachigen Ausgabe des Jonson-Buches steht das Zitat auf S. 34, im Junfermann-Band kann es natürlich auch davor oder danach stehen. Leider hat der Verlag auch kein Exemplar des Buches mehr zur Verfügung.

Also eine kleine Bitte: Wenn Sie das Johnson-Buch zufällig im Regal stehen und ein bisschen Spaß an der Recherche haben, wäre es wunderbar, wenn ich einen Hinweis auf die Seitenzahl des Zitates an die Übersetzerin weiterleiten könnte.

20. Februar 2022
von Tom Levold
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Carl Whitaker (20.2.1912-21.4.1995)

Heute würde Carl Whitaker 100 Jahre alt. Unter den Pionieren der Familientherapie gehört er bestimmt zu den Außergewöhnlichsten. Sein Konzept der symbolisch-erfahrungsbezogenen Familientherapie, das er gemeinsam mit August Napier entwickelte, konzentrierte sich auf das Erleben und den Gefühlsausdruck der einzelnen Familienmitglieder. Die Anhänger dieses Ansatzes „erklären pathologische Prozesse durch negative Erfahrungen und Kommunikationsstörungen der Klienten. In der meist kurz- bis mittelfristigen wachstumsorientierten Behandlung sollen diese neue Erfahrungen mit sich selbst und anderen machen, die eigene Person und die Individualität ihrer Angehörigen akzeptieren sowie spontaner und autonomer werden. Die Therapeuten teilen ihre eigenen Gefühle und Erlebnisse mit, verhalten sich natürlich und wirken als Vorbilder. Daneben arbeiten sie auch mit Bewusstmachung und Feedback, schulen kommunikative Fertigkeiten und verwenden erlebnisbezogene Techniken wie Psychodrama und Familienskulptur. Therapieauswertungen sind selten und meist subjektiv“ (M. Textor, Integrative Familientherapie, 1985).

Whitaker bezeichnete seine Arbeit als „Therapie des Absurden“ und hob damit die unkonventionelle und spielerische Weise hervor, mit der er Familien aus der Reserve lockte. Da er sich fast ausschließlich auf die emotionale und nicht auf die kognitive Logik bezog, wurde seine Arbeit oft als „Unsinn“ missverstanden. Anstatt wie strategisch-systemische Therapeuten in Verhaltensabläufe einzugreifen, konzentrierte sich Whitaker auf den emotionalen Prozess und die Familienstruktur. Er intervenierte direkt auf der emotionalen Ebene des Systems und stützte sich dabei stark auf „Symbolik“ und reale Lebenserfahrungen sowie auf Humor, Spiel und affektive Konfrontation.

Ein Beitrag von Geoffrey L. Smith aus dem Jahre 1998, der in der Contemporary Family Therapy erschien, versucht die Frage zu klären, welche Zukunft der Ansatz von Whitaker nach seinem Tod haben könnte. Im abstract von The Present State and Future of Symbolic-Experiential Family Therapy: A Post-Modern Analysis heißt es: „Die symbolisch-erfahrungsorientierte Familientherapie (SEFT) steht vor einer wichtigen Phase ihrer Entwicklung. Nach dem Tod von Carl Whitaker ist nicht sicher, in welche Richtung sich die SEFT bewegen wird. In diesem Beitrag werden einige der Herausforderungen beschrieben, vor denen die SEFT derzeit steht, und was getan werden kann, um sie zu überwinden. Es wird vorgeschlagen, dass sich SEFT-Theoretiker und -Therapeuten auf die postmodernen Komponenten der Theorie konzentrieren. Indem sie sich in eine postmoderne, konstruktivistische Richtung bewegen, wird sich SEFT mit einem aktuellen Trend in der Familientherapie weiterentwickeln, so dass SEFT als ein wichtiges Familientherapiemodell fortbestehen kann.

Der vollständige Text kann hier gelesen werden…

19. Februar 2022
von Tom Levold
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Psychische Systeme – Ein nützliches Konzept für die Systemische Praxis?

Kurt Ludewig

Die Frage nach der Bedeutung von Konzepten wie psychisches System, Selbst, Person, Individuum usw. beschäftigt die Theoriebildung im systemischen Feld immer wieder, gilt es doch, eine Ontologisierung auf eine feste, identifizierbare Substanz von Subjektivität zu vermeiden und eher prozesshaften Modellen psychischer Phänomene den Vorzug zu geben. Kurt Ludewig, der seit den 1980er Jahren wesentliche Beiträge zur systemischen Epistemologie und Therapie geleistet hat, hat sich 2011 in einem Artikel in der Familiendynamik mit dem Thema psychischer Systeme und der Frage auseinandergesetzt, inwiefern das ein nützliches Konzept für die systemische Praxis sein könne. Im abstract heißt es: „Die Theoriebildung im Bereich der Systemischen Therapie hat im Wesentlichen auf soziale und kommunikative Systeme fokussiert. Im vorliegenden Aufsatz wird ein Verständnis der psychischen Phänomene angestrebt, das geeignet ist, die systemische klinische Theorie zu ergänzen. Vom vorherrschenden einheitlichen Denken abweichend, wird hier ein vielfältiges Verständnis menschlicher Seinsweise zugrunde gelegt, wonach Menschen andauernd vorübergehende psychische Systeme generieren und verkörpern, die sich aus emotionalkognitiven Kohärenzen um einen bestimmten Sinn zusammensetzen und die aktuellen Iche darstellen. Das personale Ich antwortet wiederum mit einer berichteten Synthese (Narrative) dieser Systeme auf die Frage nach den charakterisierenden Eigenschaften eines Menschen. Die ,gespeicherten’ psychischen Systeme bilden das polyphrene (vielgeistige) Reservoir, aus dem der Mensch sich selektiv bedient, um mit jeweils neuen psychischen Systemen auf innerliche Ansprüche oder kommunikativ auf die Erfordernisse seiner sozialen Mitgliedschaften zu reagieren. Für die klinische Theorie impliziert dieses Verständnis, dass individuelle Lebensprobleme von psychischen Systemen reproduziert werden. Diese gilt es, in der Therapie aufzulösen Hierzu kann die sogenannte Teilearbeit ein metaphorisch nützliches Mittel bieten.“

Der Text ist nun in der Systemischen Bibliothek des systemagazin enthalten und kann hier gelesen werden…

17. Februar 2022
von Tom Levold
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Wir können und müssen uns neu erfinden

In seinem neuesten Buch „Wir können und müssen uns neu erfinden. Am Ende des Zeitalters des Individuums – Aufbruch in die Zukunft“ beschäftigt sich Wilhelm Rotthaus mit der Frage, wie es vom Mittelalter bis zur sogenannten „Neuzeit“ überhaupt dazu kam, dass dem Individuum die zentrale Position zugeschrieben wurde, die es heute hat und plädiert dafür, uns von der Ego-Orientierung zu verabschieden.

In seiner Einleitung schreibt er: „Solange der Mensch sich von diesem individuumzentrierten Selbst- und Weltbild dominieren lässt, wird er nicht in der Lage sein, die anstehenden notwendigen Veränderungen seines Handelns vor- zunehmen. Denn er ist ganz auf sich und seinen persönlichen Vorteil konzentriert, hat keinen Blick für übergreifende Zusammenhänge und die Notwendigkeit weltweiter Kooperation. Die primäre, dringend anstehende Veränderung muss also sein, dass der Mensch ein neues Verständnis von sich und seinem Leben in der Welt entwickelt, das heißt, dass der Mensch sich neu erfindet, so, wie er dies vor etwa 900 Jahren schon einmal getan hat.“

Susanne Quistorp hat das Buch für systemagazin gelesen.

Susanne Quistorp, Zürich

Wilhelm Rotthaus neustes Buch ist ein Weckruf, Ermutiger, Aufforderer zur Ent-Wicklung eines
neuen Welt- und Selbstbildes, welches von «Gemeinschaftsorientierung und Respekt gegenüber allen anderen Mitgeschöpfen und der Natur» (S.177) durchdrungen und getragen ist. Rotthaus spannt einen Bogen über die Systemwechsel von Welt- und Selbstbild in der sogenannten westlichen Kultur zwischen dem frühen Mittelalter und heute, bis hin zu Visionen von einem künftigen menschlichen „Verständnis seiner selbst, seiner Beziehung zu anderen und seiner Einbindung in die Natur“ (S. 177) und den dafür notwendigen, neuen Entwicklungssprüngen.

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15. Februar 2022
von Tom Levold
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Ressourcenorientierung und systemische Sozialarbeit

Die Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung, die 1983 erstmals erschien, geht in diesem Jahr in ihren 40. Jahrgang. Die Schriftleiterin Cornelia Tsirigotis möchte aus diesem Grund von der jüngeren Leserschaft (unter 40) erfahren, was ihnen an der ZSTB gefällt und welchen Diskurs sie wichtig finden (bitte die Antworten an zstb-tsirigotis@t-online.de, Betreff U40).

Das Schwerpunktthema des Heftes ist Johannes Herwig-Lempp gewidmet, der in diesem Februar seinen 65. Geburtstag feiert. Im Editorial heißt es dazu: „Ressourcen sind Ausgangspunkt und Ziel systemischen Arbeitens. Wir suchen, entdecken und fördern sie bei unseren KlientInnen und nutzen sie, um Empowermentprozesse zu initiieren. Die konsequente Orientierung an Ressourcen ist eine Haltung, die beschlossen und geübt werden will, in einer Welt, die durch Markierung von Defiziten geprägt ist und eine Kultur des Tadelns und Fehlersuchens bevorzugt. Da benötigt Ressourcenorientierung Selbstreflexion, Training und Kondition. Jemand, der im Bereich der systemischen Sozialarbeit eine ressourcenorientierte Haltung ,bis in die Zehenspitzen’ lebt und lehrt, ist Johannes Herwig-Lempp. Den LeserInnen der ZSTB ist er nicht nur als Beirat und durch zahlreiche, oft über den Tellerrand systemischer Fragen hinausgehende Rezensionen bekannt, sondern vor allem durch Artikel, die Ressourcen in schwierigen Bedingungen fördern und zum Selbsthandeln anregen. Vor allem sind es seine Fach- und Diskussionsbeiträge, die sich in politische ebenso wie standespolitische Diskurse einmischen oder sie in Gang setzen. Zu Heft 2/2021 ,Ansichten wechseln’ hat er die zündende Idee geliefert. Als Professor vertritt Johannes Herwig-Lempp das Lehrgebiet Sozialarbeitswissenschaft/ Systemische Sozialarbeit an der Hochschule Merseburg und ist bekannt einerseits für die Initiierung und Durchführung des einmaligen Masterstudiengangs ,Systemische Sozialarbeit’ und als Experte des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes in der Sozialen Arbeit. Über einen langen Zeitraum war er Sprecher der Fachgruppe ,Systemische Sozialarbeit’ der DGSF (Deutschen Gesellschaft für systemische Therapie, Beratung und Familientherapie). Seine kollegialen Fachtagungen, sind legendär für die diversen Austauschformate, zuletzt im Online-Format 2020. Im Februar 2022 wird Johannes Herwig-Lempp 65 Jahre alt, dazu haben wir drei seiner Kollegen und Weggefährten eigeladen, einen Beitrag für dieses Heft zu verfassen. Wolf Ritscher stellt in seinem Beitrag ,Lebensweltorientierte und Systemische Soziale Arbeit: Eine Skizze über viele Gemeinsamkeiten und wenig Unterschiede’ theoretische Überlegungen an, welche Verknüpfungen zwischen dem Ansatz der Lebensweltorientierung und der Systemischen Sozialen Arbeit es zu konstruieren gibt. In seinem Beitrag ,,Ich ist ein Anderer‘ und kann auch anders’ zeigt Ludger Kühling, ,wie wir Rollen als Ressource nutzen können’ und zeigt damit praktische Möglichkeiten der Ressourcenförderung mit KlientInnen. Raimo Wünsche verdeutlicht in seinem Beitrag ,Ich weiß, dass ich nicht weiß: Die Haltung des Nicht-Wissens’ wie Nicht-Wissen als professionelle Ressource erachtet werden kann. Aktives Zuhören, kunstvolles Schweigen und eine offene Haltung laden ein, mit KlientInnen gemeinsam neue Lösungs- und Ressourcenräume zu betreten“.

Im zweiten Teil des Heftes ist in Erinnerung an Helm Stierlin noch einmal ein Gespräch zwischen ihm und Klaus G. Deissler aus dem Jahre 1996 zu lesen, in dem Klaus Deissler selbst Schriftleiter der ZSTB war, versehen mit dem Vorwort von damals und einem kurzen Text „statt eines Nachrufes“.

Alle bibliografischen Angaben und abstracts gibt es hier…

13. Februar 2022
von Tom Levold
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Jay Haley — Pionier der Strategischen Familientherapie

Heute vor 15 Jahren, am 13. Februar 2007, ist Jay Haley, Mitbegründer des Mental Research Institutes in Palo Alto und ein wichtiger Wegbereiter des systemischen Ansatzes in der Familientherapie, im Altern von 84 Jahren gestorben. Seine Konzepte sind unter dem Signum „Strategische Familientherapie“ weltweit bekannt geworden. In einem schönen Artikel über Jay Haley hat der polnische Familientherapeut Krzysztof Klajs 2016 in der Zeitschrift Psychoterapia dessen Leben und Werk gewürdigt und die Prinzipien seiner therapeutischen Perspektive zusammengefasst. In seinem Abstract heißt es: „This paper presents the figure, biography and heritage of Jay Haley (1923– 2007). He was one of the pioneers of family therapy. He worked for many years with other leading pioneers such as M. H. Erickson, N. Ackerman, G. Bateson, V. Satir, S. Minuchini P. Watzlawick, forming the foundations of contemporary psychotherapy. Together with Don Jackson and Nathan Ackerman, he founded the first family therapy journal “Family Process”. He was the director and co-creator of leading family therapy institutions: The Child Guidance Clinic at the University of Pennsylvania in Philadelphia and The Mental Research Institute (M.R.I) in Palo Alto, CA. Haley was co-Director of The Family Therapy Institute of Washington D.C. He was one of the pioneers to form the basics of strategic therapy: planning the therapy, solution oriented and short-term approach. He worked with unconscious processes that occur in families and their impact on functional or dysfunctional working of the system. He introduced new useful terms to the therapeutic practice: stages of family life, perverse triangle, paradox and double bind. It is especially the double bind that helps understand the ongoing communication difficulties within families. Moreover, Haley defined some basic directives for family therapists: the necessity to work in a good cooperating team, permanent access to group supervision, and the necessity to plan and foresee the systemic results of one’s own activity.“

Den vollständigen Text gibt es hier zu lesen…

12. Februar 2022
von Tom Levold
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Über die „Verwaltung von Vagheit“

2011 erschien im Carl-Auer-Verlag das Buch von Peter Fuchs „Die Verwaltung der vagen Dinge. Gespräche zur Zukunft der Psychotherapie“, die vor dem Hintergrund der sozialrechtlichen Anerkennung der Systemischen Therapie und der damit verbundenen Akzeptanz der Codierung von psychischen Störungen nach wie vor brandaktuell ist. Im Unterschied zur Medizin behandelt Psychotherapie für Fuchs nämlich keine codierbaren Probleme, sondern eher „vage Dinge“, die sich einer Codierung aus guten Gründen entziehen. Die österreichische Therapeutin Brigitte Lassnig, Lehrtherapeutin an der Wiener Lehranstalt für Systemische Familientherapie, hat das Motto von Peter Fuchs 2020 in ihrem Beitrag „Über die ,Verwaltung von Vagheit’. Systemtheorie und therapeutische Praxis – eine Reflexion“ aufgenommen, der in den Systemischen Notizen erschienen ist. In ihrem einleitenden Bemerkungen schreibt sie: „Die Arbeit versucht anhand von ausgewählten Theoriebausteinen der Systemtheorie der Bielefelder Schule in deren Rezeption und Weiterentwicklung von Peter Fuchs, Ableitungen für die psychotherapeutische Praxis zu beschreiben und deren Nutzen sichtbar zu machen.
Ausgehend von der Beobachtertheorie und deren praktischer Implikationen wird der Frage nachgegangen, wie es in systemtheoretisch orientierter Psychotherapie gelingen kann, das der Beobachtung und des Sinnprozessieren inhärente Kontingenzpotential mitzudenken und präsent zu halten.
Luhmannsche Systemtheorie ist eine Theorie mit einem hohen Abstraktionsgrad, die sich dem schnellen handlungsableitenden Zugriff verweigert. Eine Theorie, die mich schon Jahre fasziniert und umtreibt: Fas- ziniert, weil sie keine einfachen Erklärungen zulässt, weil sie operational und funktional organisiert ist und weil sie keinerlei normative Anleitungen liefert. Umtreibt weil es ein intensives Auseinandersetzen mit Begriffen und Texten bedarf, bis sich ihr Gehalt erschließt und weil der oben beschriebene Anspruch im Kontext meiner psychotherapeutischen Praxis eine nicht enden wollende Herausforderung darstellt. Einer, der ich versuche auf meine Art und Weise gerecht zu werden, als andauerndes Üben im Kontext psychotherapeutischer Praxis und im Kontext von Lehre und Ausbildung. Dieses ‚Üben‘ kann als meine Form des Praktizierens verstanden werden, als eine Praxis, die Beobachtungen 1. und 2. Ordnung durchführt und ‚mitsieht‘, dass in beiden Fällen ein Praktizieren (d. h. operierendes Erzeugen einer Sicht) zugrunde liegt – und, dass das Praktizieren einer Beschreibung die Sicht auf eine Sicht generiert, die auch anders möglich wäre“.

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7. Februar 2022
von Tom Levold
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Trauer in der systemischen Supervision – Oder: Der Tod klopft öfter an, als man denkt

Ulrich Pfeifer-Schaupp, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler, der von 1999 bis 2018 an der Evangelischen Hochschule in Freiburg als Professor für Sozialarbeitswissenschaft mit dem Schwerpunkt Theorie und Interventionsformen Sozialer Arbeit/Klinische Sozialarbeit tätig war, hat sich in immer wieder mit dem Thema Tod, Sterben und Trauer und dessen Integration in die professionelle Reflexion beschäftigt. In seinem Artikel über Trauer in der systemischen Supervision, der 2008 im Kontext erschien, schreibt er im Editorial: „Das Erkenntnisleitende Interesse dieses Beitrags ist es, ein besseres Verständnis von Trauer zu gewinnen, um die systemische Praxis, insbesondere Supervision, hilfreicher gestalten zu können. Im ersten Abschnitt wird der Begriffshintergrund von »Trauer« geklärt. Der zweite Abschnitt stellt dar, wo und wie Trauer und Tod zu Themen systemischer Supervision werden. Im dritten Abschnitt wird die Bedeutung von Theorie kurz erläutert und zwei Modelle vorgestellt, die hilfreich sein können für das Verständnis von Trauerprozessen. Thema des vierten Abschnitts ist die Praxis, insbesondere Grundhaltungen und Methoden, die zum Umgang mit Trauer und Abschied in der systemischen Supervision und Beratung nützlich sein können.“

Der Artikel ist hier auch online zu lesen…

30. Januar 2022
von Tom Levold
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Fakt und Vorurteil

Der Physiker und Managementberater Holm Gero Hümmler und die systemische Therapeutin Ulrike Schiesser haben ein Buch über die Kommunikation mit Esoterikern, Fanatikern und Verschwörungsgläubigen geschrieben, das – so der Verlag – Tipps bietet „zum Umgang mit irrationalen Weltbildern in Familien- und Freundeskreis, Beruf und im Internet“ und „viele Umdenkprozesse von Personen auf[zeigt], die irrationale Weltbilder hinter sich gelassen haben“. Sabine Klar hat das Buch für systemagazin rezensiert und empfiehlt die Lektüre.

Sabine Klar, Wien:

Ulrike Schiesser ist Systemikerin, Holm Gero Hümmler Unternehmensberater. Sie beschäftigen sich in ihrem Buch damit, wie eine Kommunikation mit den genannten Personengruppen geartet und möglich ist. In die Analysen und Stellungnahmen der beiden Autor*innen fließen Erfahrungsberichte von Interviewpartner*innen ein. Manche von ihnen sind beruflich oder ehrenamtlich mit dem Thema befasst, andere haben selbst einmal an Verschwörungstheorien geglaubt und erzählen von ihrem Umdenken und was dabei geholfen hat. In Fallbeispielen wird aufgezeigt, wie man damit umgehen kann, wenn es im Freundeskreis, im persönlichen Umfeld oder bei beruflichen Kontakten zu Diskussionen kommt.

In den einzelnen Kapiteln wird das Phänomen des „Glaubens“ beleuchtet und überlegt, wie sich Umdenkprozesse ergeben könnten. Im Anschluss daran wird auf Gesprächssituationen in unterschiedlichen Kontexten eingegangen (im Internet, in der Familie und Partnerschaft, mit Kindern und Jugendlichen, im Unternehmensbereich und der Weiterbildung, im Gesundheits- und Sozialsystem). Zu jedem Kapitel gibt es Literaturbezüge. Auf Sätze, die man in Gesprächen mit Esoteriker*innen, Fanatiker*innen und Verschwörungsgläubigen immer wieder hört, wird Bezug genommen.

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