8. Dezember 2012
von Tom Levold
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8. Dezember 2012
von Tom Levold
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Hoffen auf den Weltmarkt
Die Geschichte von Bernd Schmid aus Wiesloch hinter dem heutigen Adventskalendertürchen berichtet von seinen Erfahrungen als Coach und Organisationsberater in Russland, die noch vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion begannen:
Wiener Kollegen hatten eine Einladung nach Leningrad, wie es damals noch hieß, und baten mich, mit zu kommen. Ich war völlig unerfahren bezüglich der Länder hinter dem eisernen Vorhang. Dieser begann sich gerade zu öffnen und Michael Gorbatschows Glasnost und Perestroika waren die Hoffnungsbegriffe in dieser Zeit. Für viele dort und auch für uns war es eine Zeit neuer Horizonte – und der Schwierigkeiten, diese einzuschätzen. Mitten im Januar also, bei nasskalten Schneewetter, besuchten wir ein Maschinenbau-Kombinat im heutigen Sankt Petersburg. Während einer Werksführung wurde uns gezeigt, wo mitten im Werksgelände die Front im Zweiten Weltkrieg verlaufen war. Die Deutschen hatten versucht die Leningrader auszuhungern, was unsägliche Leiden mit sich brachte. Geschichte plötzlich hautnah. Wir sahen uns unvermittelt einerseits als Nachfahren einer Täternation, andererseits richteten sich ausgerechnet auf uns Hoffnungen, irgendwie mit dem Kapitalismus zurecht zu kommen. Im ersten ausgebrachten Toast des Generaldirektors kam dies so Ausdruck: „Wir sind bereit uns große Mühe zu geben und wollen dem Weltmarkt entgegenkommen. Wir hoffen und wünschen, dass der Weltmarkt auch uns entgegenkommt“. Ich hatte nicht gewusst, wie sehr mich das russische Sentiment anrühren konnte. Umso schmerzlicher, dass wir natürlich zur erwarteten Brüderlichkeit auf dem Weltmarkt nichts beitragen konnten.Später haben wir dann für viele Jahre ein Maschinenbauunternehmen in Orsk im Süduralgebiet begleitet. Management Seminare für das Direktorium, Unterstützung und Beratung im Bereich beruflicher Bildung und im Kindergarten Bereich. Man verstand, wie umfassend die anstehenden Umwälzungen sein würden. Die Menschen, die uns dort als Partner gegenüberstanden, waren bislang überzeugte Kommunisten gewesen. Jetzt mussten sie eine neue Orientierung finden. Und ihrer Mentalität entsprechend, suchten sie zunächst Kontakt zum Mitmenschen im Partner, um über Vertrauen entscheiden zu können. Begegnungen, für die uns systemische Ausbildungen wenig vorbereitet hatten. Zum Beispiel besuchte uns der Leiter der dortigen Handelsschule nach den Seminaren spät abends in unserem Quartier. Er stellte einen Korb frischer Erdbeeren und eine große Flasche Wodka auf den Tisch und lud uns ein, mit ihm über Weltanschauungen zu sprechen. Ich erinnere mich nicht, was wir gesprochen haben, was auch damit zu tun hat, dass am Ende die Wodkaflasche leer war. Doch künftig war er für uns ein zuverlässiger Partner. Leider wurden viele damals hoffnungsvoll angegangene Entwicklungen durch kapitalistische Prozesse innerhalb von Russland und ökonomische Machtergreifungen durch Oligarchen zunichte gemacht. Geblieben sind einige freundschaftliche Beziehungen und eben solche Erinnerungen.
7. Dezember 2012
von Tom Levold
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Als ich einmal fremd war und auf den Hund kam
Heute öffnet Dörte Foertsch das Adventskalendertürchen und macht darauf aufmerksam, dass interkulturelle Verständnis nicht nur zwischen Europa und Papua-Neuguinea vonnöten sein kann, sondern auch, wenn mal als Berlinerin in die Uckermack zieht:
Das Thema interkultureller Begegnung und Erfahrung taucht oft in einem Zusammenhang auf, wenn Menschen verschiedener Nationalität und Sprache zusammen leben. In diesem Sinne über Kultur und Interkulturalität zu reden berücksichtigt manchmal wenig, daß es diverse Kulturen und Sprachen verschiedenster Art auch im eigenen Land geben kann. Menschen sprechen die gleiche Sprache und verstehen sich dennoch nicht, bleiben sich fremd oder erleben sich als feindselig und bedrohlich. Der Mensch aus Papua Neu-Guinea lädt manchmal mehr dazu ein, neugierig auf seine Kultur zu werden und ihn über seine Geschichte auszufragen als mein Nachbar in der Uckermark. Jetzt erreiche ich mit dem Wort Uckermark hoffentlich einiges Erstaunen, Fragen danach, wo das wohl sein könnte oder auch ein wohliges„das habe ich schon mal gehört“ oder gar„da war ich auch schon einmal“.
Die Uckermark ist eine Landschaft nördlich von Berlin in Brandenburg mit dem Naturschutzreservat Schorfheide. Es ist dort hügelig, es gibt Wälder und viele Seen, Landwirtschaft und wenig Arbeitsplätze.
Seit 1990 hat unsere Familie dort ein Haus in einem kleinen Dorf mit insgesamt 70 Häusern, einer alten Feldsteinkirche aus dem 12. Jahrhundert, einem Gutshaus, das bis Ende der achtziger Jahre als Kinderheim betrieben wurde. Es gibt dort keine Kneipe und kein Lebensmittelgeschäft, nur einen Briefkasten und Zigarettenautomaten.
Die Häuser dort sind als Siedlerhäuser nach 1945 aus den alten Gutsgebäuden von Flüchtlingen, heute würde man von Migranten sprechen, aus dem Osten erbaut worden. Die Grundstücke sind alle gleich groß, die Menschen hatten ein wenig zum Bewirtschaften und Tiere, unser Haus hatte eine kleine Wohnung mit Küche und zwei Schlafräumen, einen Stall nach hinten raus und im Dach einen Heuboden. Es gab ein Plumpsklo hinterm Haus und lediglich kaltes Wasser. Mit der Bodenreform in der ehemaligen DDR fingen viele Menschen dort an, in den LPGs zu arbeiten, nach der Wende wurden die meisten arbeitslos.
Der frühere Besitzer hatte keine Familie und verkaufte das Haus aus Altersgründen.
Eine unserer ersten baulichen Maßnahmen bestand darin, den aus Blech gestanzten Zaun abzureißen ohne schon zu wissen, wie und ob wir einen Ersatz finden wollten. Das Grundstück war also offen geworden.
Die erste Begegnung mit dem dortigen Pachtförster war sehr feindselig, ruppig und rauh. Wir hatten eine Retrieverhündin, die wir ohne Leine liefen ließen. An einem der ersten Tage dort raste wutentbrannt der Pachtförster mit seinem Jeep auf unser Grundstück. Sein Jagdgewehr hing über seine Schulter und er baute sich klein und schmächtig vor uns mit den Worten auf: Wenn dieser Hund noch einmal ohne Leine auf dem Grundstück herumläuft, erschieße ich den.
Da fühlten wir uns wie Feinde aus dem fernen Berlin, die alles wegnehmen wollen. Wir hatten gegen viele Regeln verstoßen, ein Hund ist dort ein Wachhund, der laut bellend an der Leine liegt um Einbrecher zu beängstigen. Der Zaun ist dazu da, das wenige Eigentum zu begrenzen, welches mühsam erhalten werden muß. Der frei umherlaufende Mensch und Hund zerstört die Natur, wenn man ihn und sie nicht kennt.
Heute haben wir eine herzliche und freundschaftliche Beziehung zueinander.
Die fing an, als im nächsten Frühjahr die Störche auf der Wiese hinterm Haus nach Würmern suchten und unser Hund ein Jagdverbot bekam. Dann trafen wir uns, als die alte kopfsteingepflasterte Straße im Dorf abgerissen wurde um eine überdimensionierte Teerstraße zu bauen und wir protestierten dagegen. Wir trafen uns, um gemeinsam gegen die Wiedereinrichtung einer großen Schweinemastanlage und den Bau einer riesigen Biogasanlage zu protestieren. Der Protest gegen und für brachte uns zusammen.
Dieser Förster ist ein naturverbundener Mensch, kennt die heimischen Tiere und Pflanzen und die wiederkehrenden Störche. Das ist unsere gemeinsame Sprache geworden. Die Uckermark ist eine Gegend, in der die Menschen alle Fremde geblieben sind. Dort gibt es kaum alte Menschen, die dort geboren sind und kaum junge Menschen, die dort bleiben wollen. Es sind überwiegend entwurzelte Menschen, die froh zu sein scheinen, wenn nichts passiert. Manchmal habe ich den Eindruck, unter diesen Voraussetzungen kann nur schwer und sehr langsam etwas wie eine eigene Kultur entstehen. Wenn dann die Berliner kommen wirkt das bedrohlich. Störche haben es gut, sie kommen im Frühjahr und fliegen im Herbst wieder in den Süden, wie die anderen Zugvögel auch.
6. Dezember 2012
von Tom Levold
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Dave Brubeck (6.12.1920-5.12.2012)
6. Dezember 2012
von Tom Levold
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Kurt Ludewig zum 70. Geburtstag
Heute feiert Kurt Ludewig seinen 70. Geburtstag. In den vergangenen 30 Lebensjahren hat er die Entwicklung der Systemischen Therapie nicht nur in den deutschsprachigen Ländern, sondern auch international maßgeblich mitgestaltet, wozu ihn seine chilenische Herkunft ebenso wie sein mehrjähriger Aufenthalt in den USA prädestiniert hat. Seiner Übersetzung von Humberto Maturanas und Francisco Varelas Buch Der Baum der Erkenntnis ins Deutsche ist zu verdanken, dass die Arbeiten der beiden Chilenen hierzulande einem größeren Publikum bekannt geworden sind. Auch der Rezeption der Luhmannschen Systemtheorie innerhalb der systemtherapeutischen Szene hat er wichtige Wege gebahnt. Seine zahlreichen Aufsätze sowie das eigentlich – auch wenn als solches nicht vermarktete – allererste deutschsprachige Lehrbuch der systemischen Therapie, nämlich Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis aus dem Jahre 1992, haben bis heute einen weitreichenden Einfluss auf das Systemische Feld. Kurt Ludewig ist nach wie vor einer der am meisten zitierten Autoren – und das völlig zu Recht aufgrund der Gründlichkeit, Komplexität und Themenvielfalt seiner Arbeiten. Im Unterschied zu manchen anderen war er aber niemals ein bequemer Autor, der sich allzu schnell auf einen Kompromiss à la kritisierst Du mich nicht, kritisiere ich Dich nicht eingelassen hätte, vielmehr kämpfte er – bei aller Verbindlichkeit in der Form – immer mit Leidenschaft für seine Ideen, Konzepte und Modelle. In den über 25 Jahren, die wir miteinander zu tun haben, mal enger, mal weniger eng, haben wir uns von Anfang an bis heute immer wieder ebenso heftig wie wohlwollend über unsere Ansichten und Positionen auseinandergesetzt und manchmal auch darüber gestritten, was nicht dazu führte, dass wir sie hätten aufgeben müssen, aber in jedem Fall dazu, dass wir sie im Zuge dieser Herausforderungen zwangsläufig besser, klarer und präziser formulieren mussten. Unsere Freundschaft hat das vertieft.
Den Lebensweg von Kurt Ludewig an dieser Stelle nachzuzeichnen würde diesen Rahmen sprengen, stattdessen ist nun in der Systemischen Bibliothek des systemagazin das ausführliche Interview mit Kurt nachzulesen, das Günter Reich für den Kontext im Jahre 2008 geführt hat und in dem Kurt seinen Weg von Chile nach Europa und in die Systemische Therapie ausführlich erzählt.
Kurt war und ist nicht nur einer der führenden theoretischen Köpfe der Systemischen Szene, sondern auch ein enorm effektiver Organisator und jemand, der durch seine Initiative, seine Emotionalität (die im erstaunlichen Kontrast zu Inhalt und Form seiner theoretischen Leidenschaften steht) und seine fachpolitische Tatkraft Dinge besser als die meisten voranbringen kann. Als Gründungsvorsitzender der Systemischen Gesellschaft hat er dies sechs Jahre lang vielfach unter Beweis gestellt. Auch in diesen gemeinsamen Vorstandsjahren konnten wir aus unseren manchmal unterschiedlichen Vorstellungen immer wieder Funken schlagen, die in der Lage waren, größere Feuer zu entzünden und Prozesse in Gang zu bringen. 2004 organisierten wir dann gemeinsam (mit Gisal Wnuk-Gette, Anni Michelmann, Arist von Schlippe, Wilhelm Rotthaus und Friedebert Kröger) den großen EFTA-Kongress mit 3.500 Teilnehmern im Berliner ICC, der größte Kongress, den eine spezielle Therapieschule bis dahin in Europa zusammenbekommen hat. In den drei Jahren der Vorbereitungszeit lernte ich dann noch einmal einen Kurt kennen, der mich als Manager mit seiner Genauigkeit, einer unglaublichen Energie und einem noch unglaublicheren Gedächtnis überraschte und begeisterte (chapeau!!) – ohne ihn wäre der Kongress nicht ein solcher Erfolg geworden. Neben aller professioneller Verbundenheit hat sich zwischen uns über alle diese Jahre bis heute eine Freundschaft entwickelt, die ich nicht missen möchte. Dazu zählen viele Begegnungen an vielen (Veranstaltungs-)Orten ebenso wie die wechselseitige Begleitung in widrigen Lebensphasen.
All dies ist Grund genug, heute das Glas auf Kurt Ludewig zu erheben, ihm zu danken, was er in seinem Leben zustande gebracht hat, und ihm nachzusehen, was gewiss auch nicht gelungen ist. Auch wenn er beschlossen hat, im fortgeschrittenen Rentenalter in erster Linie zu privatisieren, ist sicher auf die eine oder andere Weise mit ihm zu rechnen – unter anderem mit einem neuen Buch, das demnächst bei Carl Auer zu erhalten sein wird. Kurt, im Namen vieler Freunde und Weggefährten: Auf Dein Wohl und Alles Gute für die kommenden Jahre!
6. Dezember 2012
von Tom Levold
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Verstehen oder Nicht-verstehen, das ist hier die Frage
Am Nikolaus-Tag berichtet systemagazin-Leserin Kerstin Matthiessen im Adventskalender kritisch von ihrer systemischen Weiterbildung:
Meine systemische Geschichte spielt in einer Großstadt in Deutschland im Jahre 2011. Während meiner systemischen Ausbildung in irgendeinem systemischen Institut in unserem riesengroßen Land begab es sich also, dass eine kurdischstämmige, politisch engagierte und frei denkende Frau die Ausbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin erlernen wollte. Sie arbeitet mit Migranten. In diesem Kurs befanden sich neben dieser Kurdin 17 deutschsprachige und deutschstämmige (was immer das auch sein mag) Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Die erste Grundregel, die wir während unserer systemischen Exkursion wissenschaftlich wie auch praktisch erlernen sollten, war folgende: Wir gehen immer davon aus, dass wir den anderen nicht verstehen können. Nach mehreren Monaten des systemischen Studiums, kamen wir zur Familienskizze Wir brachten alle Fotos aus unserer Familie mit. Ganz brave Nazi-Großeltern blickten uns von Fotos an, und wir alle wurden uns nochmal unserer Nachkriegsgenerationen bewusst und den Einwirkungen, welche diese schreckliche Nazi-Herrschaft auch auf uns als Kinder und Enkel, in unserer Erziehung, Gesellschaft und Sozialisation hat. Die kurdischstämmige Frau zeigte Fotos aus einem Bergdorf. Das systemische Studieren setzte sich fort mehr oder minder erfolgreich, aus meinem systemischen Verständnis heraus. Die starke, politisch engagierte Frau aus dem Süden wurde allerdings aufgrund von Verständigungsproblemen aus dem Kurs ausgeschlossen! Als Grund wurde ihre mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache angeführt. Ich hatte und habe keine Probleme, sie zu verstehen. Bei der Arbeit mit Migranten frage ich mich, wie ein systemischer Berater Migranten beraten will, wenn er sich nicht auf ihre Holprigkeit in der Verwendung der deutschen Sprache einlässt. Und auf den Versuch, ein anderes Denken und Handeln zu akzeptieren und sich dem eigenen Nicht-Verstehen zu öffnen. Soviel zu meiner Erfahrung innerhalb einer ganzen Gruppe angeblicher Systemiker.
5. Dezember 2012
von Tom Levold
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Die neuere Systemtheorie und ihre Implikationen für das Verständnis von Organisation, Führung und Management
Im Haupt-Verlag in Bern ist in diesem Jahr eine Festschrift für Peter Gomez erschienen, die von Johannes Rüegg-Stürm und Thomas Bieger herausgegeben worden ist. Peter Gomez ist Vertreter der St. Gallener Management-Schule, die explizit systemisch ausgerichtet ist. Im Klappentext heißt es:„Es war und ist Peter Gomez stets ein grosses Anliegen, Organisationen als komplexe Systeme und Management als eine voraussetzungsreiche Form einer geteilten und verteilten Praxis des Organisierens mit weitreichenden strategischen und ethischen Implikationen zu verstehen. Dieses Buch zu Ehren von Peter Gomez möchte eine kleine Reflexionsplattform für Management als Praxis eröffnen und Inspiration bieten für konstruktive Debatten zu aktuellen und absehbaren Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven von Management als gesellschaftlicher Funktion“ Einen umfassenden Beitrag (von fast 60 Seiten) zum Buch hat Rudolf Wimmer mit einem Aufsatz über„Die neuere Systemtheorie und ihre Implikationen für das Verständnis von Organisation, Führung und Management“ beigesteuert:„Der vorliegende Beitrag tritt mit dem Ziel an, zu einer kraftvollen Revitalisierung des Systemansatzes zu ermutigen. Das Zeitfenster für einen solchen Neustart ist im Moment außerordentlich günstig. Die Auswirkungen der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise, die anhaltenden Turbulenzen um die wachsende Staatsverschuldung und die damit verbundenen Verunsicherungen der gesamten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem globalen Maßstab haben vielen bislang unhinterfragten Grundüberzeugungen der ökonomischen Forschung die Legitimationsbasis entzogen. Dies gilt sowohl für fundamentale makroökonomische Zusammenhänge wie auch für das Verständnis des Stellenwertes von Unternehmen, eingebettet in diesen weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext. Die folgenden Überlegungen verdanken sich der festen Überzeugung, dass eine Weiterentwicklung des St. Galler Systemansatzes in Richtung der Erkenntnisse der neueren Systemtheorie jenes metatheoretische Begriffsrepertoire und Denkvermögen zu mobilisieren vermag, das in der Lage ist, einen angemessenen Zugang zum Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Eigendynamik zu gewinnen. In diesem Sinne gilt es im Folgenden zunächst einige zentrale Dimensionen des zurzeit beobachtbaren gesamtgesellschaftlichen Strukturwandels zu benennen, um dann vor diesem Hintergrund ein paar zentrale Theorieangebote für ein weiterentwickeltes Verständnis von Organisation, Management und Führung zu formulieren“ Der Text ist auf der Seite der osb AG zu finden,
und zwar hier
5. Dezember 2012
von Tom Levold
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Traurig
Heute öffnet Wiltrud Brächter die fünfte Türe des Adventskalenders mit einer kleinen Episode:
Zu meiner Arbeit in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis gehört auch die Eingangsdiagnostik, in der es um einen Eindruck davon geht, wie sich ein Kind fühlt und was es beschäftigt. Im Satzergänzungstest, bei dem vorgegebene Satzanfänge von Kindern beendet werden, bildet ein etwa siebenjähriger Junge den Satz: Ich bin traurig, dass ich ein Brauner bin. In solchen Momenten kann ich nicht ruhig und neutral bleiben, sondern muss Stellung beziehen. Doch wie erklärt man einem Kind, dass nicht seine Hautfarbe das Problem ist, sondern rassistische Ausgrenzungen und Zuschreibungen, die sich bis in die Mitte der Gesellschaft ziehen? Ich habe ihm wohl gesagt, dass ich seine braune Farbe schön finde und niemand das Recht hat, in deswegen zu ärgern. Ich hätte auch sagen können: Ich bin traurig und wütend, dass Du deswegen traurig sein musst“.
4. Dezember 2012
von Tom Levold
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Wunder und Zauber
Wie die Wunderfrage und andere lösungsorientierte Interventionen von einer Klientin nicht als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden, sondern als echter therapeutischer Zauber erlebt wurde, schildert im heutigen Adventskalendertürchen Peter Kaimer, systemagazin-Lesern auch bestens bekannt:
Meine erste Therapie mit einer Angehörigen eines mir fremden Kulturkreises (wenn man davon absieht, dass ich aus Österreich stamme ;-)) hatte ich vor ca. 25 Jahren. Und ich hatte keine Ahnung von den kulturspezifischen Hintergründen dieser Frau, die erst vor wenigen Jahren nach Deutschland gekommen war. Auch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich trotz einer damals bereits lösungfokussierten Haltung glaubte, mich nicht allzu intensiver mit diesem Hintergrund beschäftigen zu müssen. Ich hatte ja meine lösungsfokussierten Fragen und ergänzend mein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Handwerkszeug. Und ich hatte ein engagiertes Team hinter dem Monitor, welches mich in dieser Arbeit begleiten wollte. Wir begannen unsere gemeinsame Arbeit und Schritt für Schritt (er)fanden wir kleine für die Klientin brauchbare Schritte in Richtung ihres persönlichen Wunders. Der Weg der Arbeit erwies sich wie es wohl für die meisten von uns
Psychosozialarbeiter(inne)n so üblich ist – als gewundener Verlauf mit Erfolgen, Rückschlägen sowie Lernprozessen aus beiden. In den Rückmeldungen vermittelten wir der Klientin im Rahmen der Komplimente immer wieder unsere Anerkennung für das, was sie alles geschafft und ausprobiert hatte. Und schlussendlich kamen wir zu dem Punkt, wo es gut sein sollte und konnte. Die Klientin hatte einen Großteil ihrer Ziele erreicht und wir versuchten eine gemeinsame Bilanz der Therapie zu ziehen. In der Vorbereitung überlegten wir sehr sorgfältig, wie wir die Verantwortung für die Erfolge bei der Klientin lassen und unsere Rolle als Begleiter (oder wie Wolfgang Loth schreiben würde Beisteuernde) formulieren könnten. Doch dies erwies sich als vergebliches Unterfangen. Trotz all der Einzelpunkte, welche die Klientin bereit war als ihren Beitrag zu sehen, bestand sie darauf, dass wir gezaubert hätten. Das wäre ihr ja schon bei der Wunderfrage aufgefallen, dass sich da etwas geändert hätte, und die folgenden Schritte wären nur aufgrund dieses Beginns möglich gewesen. Und sie wisse auch, dass dieser Zauber notwendig gewesen sei, um ihr einen Ausweg aus ihrer schwierigen Situation zu ermöglichen. Tja, wir verabschiedeten uns von ihr (mein Team und ich) höflich, irritiert, etwas sprachlos. Sechs Monate später berichtete sie beim Follow-Up, dass der Zauber zwar etwas von seiner Wirkung verloren hätte, aber er würde nach wie vor ausreichen
die einzelnen erarbeiteten Bewältigungsstrategien wende sie gelegentlich an.
3. Dezember 2012
von Tom Levold
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re-source 2014
3. Dezember 2012
von Tom Levold
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Dick ist nicht immer dick!
Das heutige Adventskalendertürchen machen Haja Molter und Karin Nöcker aus Köln auf, beide LehrtherapeutInnen am Weinheimer Institut für Familientherapie:
Haus des Seins
(Martin Heidegger)(1)
In der Arbeit mit Menschen im Kontext interkultureller Begegnungen ist es wichtig, eine Sensibilität dafür zu entwickeln, wie kulturelle Unterschiede die Bedeutungsgebung der gesprochenen Sprache entscheidend mitbestimmen. Begriffe wie Autonomie und Individuation z.B. hohe westliche Werte haben in anderen Kulturen eine völlig andere Bedeutung, sie sind nicht mit einem so hohen Wert belegt wie in der westlichen Kultur.Wenn Berater einem Konzept folgen, wo Beratung bedeutet, dass Klienten die Bereitschaft zeigen müssen, über ihre Probleme zu reden und diese sich ihrer Wahrnehmung nach verweigern, dann wird schnell von Widerstand, Unfähigkeit, Boykott, Mangel an Problembewusstsein, Veränderungsmotivation und Verantwortungsübernahme gesprochen. Dabei übersehen sie, dass der kulturelle Hintergrund der Klienten ein kultursensibles Beratungskonzept verlangt.
In einer Supervision stellte eine Teilnehmerin den Fall einer in Deutschland lebenden jungen indischen Familie vor. Ihre Herausforderung bestand darin, in der Erziehungsberatung mit den Eltern eine Ebene der Kooperation zu finden. Sie beschrieb das fast resigniert mit den Worten: Ich bekomme keine Eintrittskarte in das Familiensystem. Bisher hatte sie vorsichtig versucht, die Eltern auf das Dick sein ihres vierjährigen Jungen, des jüngsten von drei Kindern, anzusprechen. Die Eltern konnten das Verhalten ihres Jungen nicht als problematisch ansehen und verstanden nicht so recht, was an ihrem glücklichen Jungen problematisch sein sollte.
Die Eltern hatten auf Empfehlung der Erzieherinnen des Kindergartens die Beratungsstelle aufgesucht. Die Erzieherinnen fanden, dass der Junge zu dick sei, sie formulierten schon in Richtung der möglichen Diagnose: Adipositas. Die Eltern sagten in der Beratung: Das wächst sich aus, wenn er erst mal in die Schule kommt, bei unseren anderen Kindern war das auch so und jetzt ist doch alles gut
Alle Versuche, mit Hausaufgaben und Empfehlungen Einfluss auf ihr Erziehungsverhalten zu nehmen, waren bisher gescheitert. Die Beraterin wertete das als Nichtkooperation.In der Reflexion des Falles hatte die Supervisandin Gelegenheit, sich mit einer Teilnehmerin der Supervisionsgruppe austauschen. Diese Frau war drei Jahre mit einem Inder liiert und hatte in dieser Zeit Anschluss an seine Familie in Indien gefunden. In dem Gespräch konnten wichtige kulturelle Unterschiede herausgearbeitet werden. Fazit war: Pummelige Kinder sind ein Zeichen besonderer Liebe und Fürsorge der Eltern ihren Kleinkindern gegenüber und indische Familien bereden ihre Probleme nur im familiären Kontext. Gegenüber Fremden sind sie gastfreundlich und höflich.
Durch die Anregung der Supervisorin wurde eine Lösungsidee entwickelt, die diese Regel Probleme werden nur im Kontext der Familie besprochen – nicht verletzt und gleichzeitig das Anliegen der Beraterin, das Dick sein mit Hilfe der Erziehungsberatung bei den Eltern zu thematisieren, aufgreift.
Die Teilnehmer wurden eingeladen, auf Moderationskarten dazu Fragen zu formulieren. Die Supervisorin hatte die Idee, diese Fragen dem familiären System zur Verfügung zu stellen und die Eltern einzuladen, sich gemeinsam zuhause Zeit zu nehmen und zu überlegen, welche Fragen wichtig wären, innerhalb der Familie zu besprechen.
Die Beraterin wollte dann die Eltern bitten, die ausgewählten Fragen auf den Karten, sofern sie diese das als hilfreich fänden, in die nächste Sitzung als Rückmeldung mit zu bringen, ohne dass darüber gesprochen werden sollte.
Die Supervision ermöglichte es der Teilnehmerin, eine kultursensible Sichtweise auf die Familie zu entwickeln, ihr Beratungskonzept zu modifizieren, um die Familie in den Beratungskontext zu integrieren.
In einer späteren Supervision berichtete sie, dass es Ihr gelungen war, ein Arbeitsbündnis mit der Familie herzustellen.
(1) Heidegger, M. (1949. Über den Humanismus. Frankfurt a.M.: Klostermann, 1949. S. 5.
2. Dezember 2012
von Tom Levold
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Jürgen Hargens wird 65! eine herzliche Gratulation und eine Besprechung seines neusten Buches
Normalerweise erscheinen Buchbesprechungen im systemagazin ja in einer eigenen Sektion. Aber dieses Mal hat Cornelia Tsirigotis ihre Besprechung als Gratulation zu Jürgen Hargens 65. Geburtstag ausgestaltet, der ich mich nur von Herzen anschließen kann. Als mich Jügen Hargens im Januar 1983 – also vor ziemlich genau 30 Jahren – fragte, ob ich Lust hätte, an der projektierten„Zeitschrift für Systemische Therapie“ mitzuwirken, war ich 29, er 35 – wie geht die Zeit dahin 🙂 Was Jürgen Hargens in den 80er Jahren mit der Zeitschrift geschaffen hat, hat wie kaum ein anderes Projekt die Systemischen Therapie in Deutschland konzeptuell nach vorne gebracht, dafür gebührt ihm Dank und allerhöchste Anerkennung. Da trotz Eintritt in das Rentenalter kein Zweifel daran besteht, dass er auch zukünftig als kundiger Wegbegleiter aktiv sein wird, können wir beruhigt sein und alles Gute wünschen!
und nun zum Text von Cornelia Tsirigotis über sein Buch Kundige Menschen sind HeldInnen. Lösungs- und ressourcenorientierte Arbeit. Einblicke Orientierungen – Möglichkeiten. Dortmund 2012 (Borgmann):
Zeitlich passend zum Übergang in das Rentenalter hat Jürgen Hargens ein Buch geschrieben, in dem er auf den Kern kommt, was systemisches oder lösungs- und ressourcenorientiertes Arbeiten ausmacht, sozusagen den in vielen Jahren zur (Komplexitäts)Reduktion eingekochten Saft seines professionellen Tuns: einzuladen, zur Beobachterin eines Geschehens zu werden, aus unterschiedlichen Perspektiven und darüber zu sprechen. (S. 38). Auf dem Boden (radikal)konstruktivistischer Ideen – es ,gibt nicht nur das eine, sondern auch das andere und möglicherweise noch mehr (S. 104) – wird die Rolle der TherapeutIn im therapeutischen Geschehen bescheiden.
Er erzählt uns von seiner professionellen Entwicklung und ihren Phasen, von Sprüngen und Umwälzungen durch das Studium systemischer Literatur Ende der 70iger Jahre2. In einfachen Sätzen wird deutlich, wie sich große komplexe Ideen in kleinen therapeutischen Anstößen und Handlungsschritten in der Arbeit mit kundigen Menschen breit machten in der konsequenten Bezeichnung seines Gegenübers in der therapeutischen Arbeit als kundigen Menschen kommt der Kern, die grundsätzliche professionelle Haltung – wertschätzen und respektieren – zum Ausdruck: Ich habe die Erfahrung gemacht meine Konstruktion -, dass es sich bewährt, etwas zu tun und bei diesem Tun zugleich die Unterschiedlichkeit der Menschen zu respektieren und zu würdigen. (S. 29). Kundige Menschen als HeldInnen das erinnert mich an Hero Client3 und daran, dass meine Gegenüber in der therapeutischen Arbeit die HeldInnen des Geschehens sind und auch HeldInnen in ihrer Lebensbewältigung.
Mich hat an Jürgen Hargens Texten immer schon beeindruckt, wie es ihm gelingt, die respektvolle und wertschätzende Haltung für mich als Leserin spürbar werden zu lassen. Er macht das, indem er beschreibt, wie er Haltung ganz kleinschrittig in konkrete Handlungen übersetzt. Das macht diese Buch aus, die Erzählungen, wie fast unmerklich große theoretische Grundlagen und Ideen in seine Fragen münden und wie die kundigen Menschen dann antworten, wie er eine andere Rahmung anbietet, Möglichkeitensprache im Konjunktiv, ein vor den kundigen Menschen geführter Meta-Dialog
die Selbstreflexion, die für Professionalität unabdingbar sei, die verständnisvolle Zurückhaltung (S. 83) des nicht zu schnell Verstehens. Jürgen Hargens bleibt dabei bescheiden, als Therapeut in Bezug auf die Wirksamkeit seines Tuns, als Autor, indem er erzählt, was beim einfachen und nicht leichten (im Sinne Steve de Shazers) Arbeiten mit kundigen Menschen geholfen hat.
Es ist ein kleines großes Buch geworden. Wenngleich nicht das erste Hargens-Buch, das ich gelesen habe, ich habe mir diesen zum Jus verdickten Hargens-Saft angeregt und mit Gewinn für meine eigene professionelle Haltung zu Gemüte geführt und ich vermute, dass die Beschäftigung nachhaltige Auswirkungen auf mich haben könnte welche, wird sich noch zeigen. Ein Buch also für alle Phasen der professionellen Entwicklung (S. 15ff), von der Laienhelfer-Phase (S. 16) bis zur senior professional phase (S.17)
Lieber Jürgen, alles Gute und ein gutes Beginnen Deiner persönlichen senior professional phase!
Cornelia Tsirigotis (Frankfurt am Main)
PS: PS: Als Zugabe gibt es noch eine kurze Besprechung des spannenden Sammelbandes zum Reflektierenden Team, das Jürgen Hargens gemeinsam mit Arist von Schlippe 1998 herausgebracht hat – von Johannes Herwig-Lempp.
2. Dezember 2012
von Tom Levold
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Dialog der (Regional-)Kulturen
Inspiriert vom letzten Thema der DGSF-Tagung in Freiburg,„Dialog der Kulturen — Kultur des Dialogs“, beschlossen die Mitarbeiter des Carl-Auer Teams, sich bei einem gemeinsamen Geburtstagsessen in der jeweiligen„Muttersprache“ zu unterhalten. Diese Art der Kommunikation führte zu einigen sprachlichen Missverständnissen — war aber auch durchaus amüsant – und ist ihr Beitrag zum diesjährigen Adventskalender – viel Vergnügen!