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Mehr als Unsinn

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Als „eine „kleine Erkenntnistheorie des Witzes“ haben die Brüder Björn und Arist von Schlippe im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht einen weiteren Cartoon-Band herausgebracht. Stephan Theiling hat es gelesen, eine Vorabveröffentlichung seiner Rezension, die in leicht veränderter Form in der Familiendynamik 3/2020 erscheinen wird, lesen Sie hier:

Stephan Theiling, Osnabrück:

Gebahnt durch die beiden Vorgänger-Bücher des kongenialen Bruderpaares Arist von Schlippe und Björn von Schlippe (2012: Paradoxer Alltag; 2016: Paradoxe Momente – jeweils bei Klett-Cotta) war ich in der Erwartung  eines weiteren Cartoon-Bandes – in der sich psychologisch-systemische Expertise in gekonnten Illustrationen zeigt: Arist der Ältere, Psychologe und Familienunternehmensexperte mit systemischem Hintergrund, sowie Björn als Illustrator. Er ist der Jüngere, allerdings, wie er in seinem Vorwort deutlich macht, immerhin 2cm größer als sein großer Bruder. Und Björn ist nun erstmalig der Erstautor! Beide versehen unter dem Pseudonym KARTIST schon seit mehr als zehn Jahren die FAMILIENDYNAMIK regelmäßig mit „Spiegeleiern“.

Geschwister sind die i.d.R. längsten Beziehungen im Leben, Geschwister kann man sich nicht aussuchen. Dass es sich bei den Brüdern von Schlippe um mehr als um eine „Schicksalsgemeinschaft“ handeln muss, zeigt – und das sei hier vorweggenommen – die Freude und Liebe der beiden, sich anlässlich des vorliegende Buches abermals thematisch zu verbinden und konzeptuell auch nochmals ganz neu aufzustellen.

Zurück zu meinen persönlichen Erfahrungen mit dem Buch. Ich lese im Vorwort: Es sollte eine Konzeption her, so justiert Björn von Schlippe die Messlatte, die das Buch nicht nur zu einem Nice-to-have, sondern zu einem Must-have des Cartoonbuch-Universums machen soll. Angekündigt wird ein Cartoonbuch + Mehrwert. Gemeint ist eben nicht nur ein witziges Buch mit tollem Layout, sondern ein Buch, das auch intellektuell satt machen soll. Arist von Schlippe übernahm den Part, etwas „erkenntnistheoretisch Kluges“ zu den Cartoons zu schreiben, – aha, daher der Untertitel: „Eine kleine Erkenntnistheorie des Witzes“! Die Spannung stieg in mir und es kamen Fragen hoch: Wie soll das gehen? Witz und Erkenntnistheorie – eine weitere Paradoxie? Läuft es am Ende doch auf „Nichts mehr als Unsinn“ hinaus (so das Wortspiel auf dem Titel)?

Ein wenig skeptisch, doch überwiegend erwartungsfroh ging es mit mir und dem Cartoon-Kunst-Psychologie-Buch jetzt erst richtig los und „ab“. Anfangs habe ich geschmunzelt bei den in leichtem und ausdrucksstarkem Strich gezeichneten Cartoons – und derart „angeschwipst“, begann ich zunehmend enthemmt laut und herzlich zu lachen (nota bene: ohne dass da Alkohol im Spiel war!). Es soll an dieser Stelle noch angemerkt werden – diese Rezension wurde im Zeitfenster der Corona-Pandemie verfasst, wo es wenig zu lachen gibt. 

Und hier entsteht für mich eine Paradoxie: Vergnügen zu beschreiben, ist etwas ganz anderes, als Vergnügen zu haben. Ich fühle mich ein wenig, als würde ich in der Rezension sozusagen die Pracht einer Blume auf einer Wiese beschreiben – im Wissen, dass deren vielfache sinnliche Wirkungen letztlich doch nur im unmittelbaren Kontakt erfahrbar sein können. Schon an dieser Stelle daher bereits der Aufruf an die werten Leser*innen: Die Wirkung dieser Psycho-Kunst könnt Ihr nur in unmittelbarer Begegnung mit dem Bild-Band bei Euch selber erspüren!!!

Ich schaue weiter: Die Cartoons sind nach kleinen Theoriebeiträgen entsprechend geordnet, die den Fluss des Ganzen überhaupt nicht (wie ich anfangs befürchtet hatte) stören. Das Buch hat eine gute Struktur, einen flotten Wechsel von Denkanregungen und immer wieder in satten Portionen köstlichem Humor, eine Sinnesfreude. Dabei erfahre ich zu den psychologischen Grundrezepturen zu Witzen/Cartoons: Die Statik eines guten Witzes hat in „psycho-system-Deutsch“ ausgedrückt zu tun, mit dem Spiel mit Frames bzw. Reframings, mit Paradoxien, mit dem Tanz der Erwartungen und Erwartungs-Erwartungen sowie deren Enttäuschungen („es könnte alles ganz anders sein“) und schließlich, was meine Lachmuskeln am meistern befeuerte: Mit Wortwitz – eine Kostprobe: Zwei Frauen beim Marktgang:„Ich kaufe immer Rindfleisch“ – „Ist das nicht schweineteuer?“

Das Buch hat mir wirklich sehr gefallen. Gern wiederhole ich hier gerne noch einmal, dass es seinem Anspruch des „must-have“ absolut gerecht wird, – gerade für systemisch denkende und praktizierende Menschen! Mein aktueller persönlicher Lieblingswitz (nicht aus dem Buch) lautet: „Ich würde mich gerne mit Ihnen geistig duellieren. Aber ich sehe, Sie sind unbewaffnet“ – und ich sinniere darüber nach, wie die Gebrüder von Schlippe diesen in ihrer Kunst wohl umsetzen und einordnen würden …

Björn von Schlippe, Arist von Schlippe (2020): Mehr als Unsinn. Eine kleine Erkenntnistheorie des Witzes. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag (Göttingen)

133 Seiten
Preis: 20,00 €
ISBN 978-3-525-40852-0

Verlagsinformation:

»Fast überall wo es Glück gibt, gibt es Freude am Unsinn«, hat Friedrich Nietzsche einmal gesagt. Vermutlich kennt jeder den Satz: »Du hast nichts als Unsinn im Kopf!«. Die beiden Autoren dieses Buches haben ihn jedenfalls oft gehört. Aber woher kommt die Freude am Unsinn? Unsinn ist offenbar doch wohl nicht unsinnig? Der Satz des Philosophen ließe sich auch umkehren: Wo es Unsinn gibt, gibt es auch – fast – immer Glück! Unsinn erschüttert sanft und humorvoll die gewohnte Weise, wie wir die Welt sehen. Er macht deutlich, wie viel wir dafür getan haben, damit wir sie so sehen können, wie sie uns erscheint. Das, was wir als »selbstverständlich« beschreiben, unsere gewohnten Vorannahmen und Erwartungen, werden durch Unsinn, in diesem Buch durch den Witz des Cartoons, auf den Kopf gestellt – alles könnte auch ganz anders sein. Die »Als-ob«-Realität des Witzes erlaubt es, Dinge zu sagen und zuzuspitzen, die man sonst nicht wagen würde – wohl nicht zufällig reagieren Diktaturen so allergisch auf Witze, die Freiheit des Denkens ist ansteckend!

Über die Autoren:

Björn von Schlippe ist seit 1992 als Freelance Illustrator für Werbeagenturen, Filmproduktionen und Verlage in Deutschland, England und der Schweiz tätig. Er war Dozent für Storyboard-Zeichnen an der Bildkunstakademie in Hamburg, auf Workshops, Kongressen, Symposien und anderen Veranstaltungen wird er als »Live-vor-Ort-Zeichner« gebucht. Gemeinsam mit seinem Bruder Arist von Schlippe, veröffentlichen er unter dem Signet »Kartist« seit 2012 regelmäßig Cartoons in diversen Fachzeitschriften und Büchern.

Arist von Schlippe, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Familientherapeut und Familienpsychologe, hat den Lehrstuhl »Führung und Dynamik von Familienunternehmen« am Wittener Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke inne. Er ist Lehrtherapeut für systemische Therapie, Coach und Supervisor (SG).

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