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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Josef Duss-von Werdt (24.10.1932 – 25.10.2019)

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Schon am 25. Oktober 2019 ist Josef Duss-von Werdt gestorben, einen Tag nach seinem 87sten Geburtstag. Erfahren habe ich erst gestern davon. In den letzten Jahren war es still um ihn geworden.
Sepp Duss von Werdt hat an der Entwicklung der Systemischen Therapie schon früh Anteil gehabt und sie später lange begleitet, nicht zuletzt gemeinsam mit Helm Stierlin als Herausgeber der Zeitschrift Familiendynamik.
1956 schloss er sein Studium der Philosophie und Psychologie an der Katholischen Universität Löwen mit einem Dr. phil. ab, ich erinnere mich, wie begeistert er mir von seinen Studien im Husserl-Archiv an der Löwener Universität erzählte. 1964 wurde er dann noch an der Universität München zum Dr. theol. promoviert.
Von 1967 bis 1987 war er Leiter des Institutes für Ehe und Familie in Zürich, das er auch mitbegründet hatte. An diesem Institut, das in den 70er Jahren eine Reihe von sehr einflussreichen internationalen Tagungen zur Familientherapie organisierte, arbeitete er auch mit Rosmarie Welter-Enderlin zusammen, die von ihrem Aufenthalt in den USA neue systemische und familientherapeutische Konzepte mitbrachte. 1976 begründete er gemeinsam mit Helm Stierlin die Zeitschrift Familiendynamik, die in den ersten Jahren noch überwiegend psychoanalytisch inspirierte Beiträge veröffentlichte, dann aber zunehmend ein systemisches Profil entwickelte. 1987 gab er seine Herausgebertätigkeit auf. Schon seit Ende der 1970er Jahre befasste er sich aufgrund seiner Begegnungen mit Richtern, Anwälten und Beratern mit der Frage außergerichtlicher Konfliktklärungen und war in den Folgejahren maßgeblich als Pionier an der Entwicklung der Mediation beteiligt. Er prägte insbesondere die Familienmediation mit zahlreichen Vorträgen, Weiterbildungen und Veröffentlichungen. Sein Werk „Homo Mediator. Geschichte und Menschenbild der Mediation“ wurde zu einem Standardwerk der Mediation. 1992 begründete er den Schweizerischen Verein für Mediation. Im Jahr 2014 erhielt er den Mediationspreis des Schweizer Dachverbandes SDM/FSM für sein Lebenswerk. Ab 1998 war Joseph Duss-von Werdt als Lehrbeauftragter für Mediation an der Fernuniversität Hagen tätig. Auf Youtube ist er in einem Gespräch mit Bernhard Böhm zu sehen:

Bis in die 90er Jahre hinein erlebte ich Sepp Duss-von Werdt vor allem über seine Publikationen und hatte auch einmal Kontakt mit ihm als Herausgeber der Familiendynamik gehabt, bei dem ich mich über seine wertschätzenden und unterstützenden Kommentare zu meiner Arbeit freuen konnte. Erst auf einer SG-Tagung lernten wir uns auch persönlich näher kennen. Ich bekam einen Eindruck von seinem unglaublich breiten geisteswissenschaftlichen Horizont und seinem spannenden professionellen Werdegang, erfuhr von seiner Wanderlust, die er auf Tausenden von Kilometern durch Europa auslebte.

Ich erzählte von meiner Wandergruppe und stolz von meinem GPS-Navi – darauf antwortete Sepp, dass immer nur mit einer Autokarte unterwegs sei. Auf meine erstaunte Nachfrage, dass man darauf doch keine Wanderwege sehen könne, antwortete er: „Aber die Hochspannungsleitungen sind eingezeichnet – und mehr braucht man nicht, um in einer Landschaft Ziele anzustreben“. Seitdem pflegten wir eine kleine email-Korrespondenz. Er schrieb Glückwünsche für KollegInnen ins systemagazin, wir schrieben uns zu Geburtstagen und er erzählte mir von seiner Frau Marie-Lou, deren Pflege ihn bis zu ihrem Tod sehr in Anspruch nahm. Noch am Tage vor seinem Tode schrieb ich ihm und gratulierte zum Geburtstag, nicht ahnend, dass er im Sterben lag.

Ein sehr ausführliches Gespräch über sein Leben und Wirken, das Wolf Ritscher für den Kontext mit ihm führte, ist 2010 erschienen – hier ist es online nachzulesen.
In den letzten Jahren hatte auch Sepp mit zunehmenden Einschränkungen zu kämpfen. 2016 lud ich ihn ein, für eine Ausgabe des Kontext zu einem Einleitungstext über Buddhismus von Werner Vogd einen Diskussionsbeitrag zu schreiben. Er schrieb ausführlich zurück:

Lieber Tom,
Deine Anfrage freut mich auf der einen Seite, und macht mich traurig auf der andern. Sie fällt zeitlich zusammen mit einer anderen, welche ich eben heute negativ beantwortete. Leider muss ich das auch mit der Deinen tun. Der Grund ist der gleiche: Ich fühle mich dazu altershalber und gesundheitlich nicht mehr in der Lage. Deutlich wurde mir das, als ich die letzten fünf Tage in der Südschweiz verbrachte und in Huang-pos’ „Geist des Zen“ (8. Jh.) las. „Es besteht nichts – und das allein ist die rechte Anschauung – als die Vermittlung des Geistes durch den Geist. Seid sorgfältig bemüht, nicht nach aussen auf die materielle Umwelt zu blicken. Diese mit dem Geist zu verwechseln, hiesse einen Dieb für den eigenen Sohn zu halten.“ Im Schweigen kann ich dem nachfühlen, aber sobald ich es zu erfassen suche, versagt meine Sprache.
Ich versuchte, im Text von Werner Vogd zu lesen, und es erging mir ebenso.
Einfälle zu Buddhismus und Konstruktivismus z.B. habe ich schon: Jede positive Affirmation ist beide Male zu negieren. Beim ersten finden sich dafür Gründe der folgenden Art. „Verwechsle niemals die äussere Erscheinung mit der Wirklichkeit. Vermeide den Irrtum, in Begriffen wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken. Die Vergangenheit ist nicht vergangen, die Gegenwart ist ein flüchtiger Augenblick, und die Zukunft muss nicht erst kommen.“ Der Versuch, einen Prozess zu definieren, in dem wird, was vergeht und vergeht, was wird. Es besteht nichts. Wie der individuelle Mensch ist, ist unaussprechbar sagt der philosophischer Satz „Individuum est ineffabile“. Jede Eigenschaft Gottes ist sofort wieder zu negieren heisst es in der negativen Theologie. „Einen Gott den es gibt, gibt es nicht.“ (Dietrich Bonhöffer).
Wenn ein Konstruktivist sagt, „so ist es“, statt „so sehe ich es“ widerspricht er sich selber und rutscht in die Metaphysik der Objektivität.
Das sind Gedanken, wie ich sie jeden Tag meditiere und formuliere sowie mehrmals kritisch überhole. Sie mit Werner Vogd zu verbinden wäre ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand.
Bis im September hätte ich keinen Kommentar zu seinem Text beisammen. Ich erlebe mit Bangen, wie mein Geist seine Achtsamkeit verlangsamt und sogar vergisst, wo er schon war.
Mit 13 Jahren wurde ich vom Dorfpfarrer zum ersten Mal gerügt, dass ich zu viel denke. Als ich eben volljähriger Unistudent geworden war, wiederholt ein Dozent dies wörtlich…
Ich werde mir den Text trotzdem vornehmen.
Ich bitte Dich um Verständnis und wünsche Dir andere Autoren, welcher der Aufgabe gewachsen sind.
Auch für alles, was Du tust wünsche ich Dir Erfolg und danke Dir bei dieser Gelegenheit gerne für das, was Du für mich getan hast.
Sepp

So habe ich ihn in Erinnerung – und bin traurig über diesen Verlust.

Gerda Metha hat mir einen Text von Sepp geschickt, mit dem er sich von seinen Nächsten, Freunden und KollegInnen und uns allen verabschiedet:

Schlusswort Josef Duss-von Werdt: Gedenkfeier 25.11.2019 Hofkirche Luzern

Liebe Mit-Menschen, liebe Mitmenschen

Wir finden uns zu einer Feier zusammen. Schon bevor das Leben mich ganz verliess, kam ich mir selber immer mehr abhanden.

Im Verlauf dieser Zeit fing ich an, unreife Gedanken aufzuschreiben, mit denen ich mich heute persönlich von Euch verabschiede.

Seit der Geburt befand ich mich im Wartesaal des Todes. Ihr seid jetzt die Hinterbliebenen.
Das heisst nicht, dass ich euch etwas voraus hätte.
Ihr lebt ja noch.

Einer meiner vielen Sprüche lautete: «Das Leben ist eines der Schönsten.» Also lasst uns feiern.

Ich starb unbemerkt, wie ich zur Welt kam.
Der Tod kam jeden Lebenstag näher.

Ich fragte mich immer wieder, ob ich das Leben verlasse,
oder das Leben mich, wenn der belebte Leib das Zeug zum Leben
nicht mehr hat und als Körper zerfällt. Ich weiss es nicht.

Ludwig Wittgenstein sagte, «den Tod erlebt man nicht.» Das heisst, ein Toter kann sich an nichts erinnern.

Solange wir sterben, leben wir und solange wir leben, sterben wir. Der Tod nimmt daran nicht teil.

Auch begann das Leben nicht mit Zeugung und Geburt. Es setzt sich seit Urzeiten in Ketten von Generationen fort. Das Leben wird in uns weitergeboren, nicht wiedergeboren.

Das Leben verabschiedet sich nicht von sich selber.
Es geht weiter.
Auf Warnschildern werden wir immer wieder
auf eine Lebensgefahr aufmerksam gemacht.

Nach dem Unfall schwebt jemand in tödlicher Lebensgefahr.
Ist das Leben eine Gefahr?
Wer ist eigentlich in Gefahr, das Leben, der Leib oder der Tod?
Das Leben geht ja weiter.
Der lebende Leib geht beim Tod über in den leblosen Körper, den Leichnam.
Im Leib, nicht im Körper wohnt das Leben, in den es zeitlebens hineinstirbt.

Wohin geht das Leben weiter?
Meine liebe Marie Lou hoffte, ihr Himmel sei das,
was sie sich darunter vorstellte.
Sie erbaute ihn zu Lebzeiten und nahm ihn mit.
In meiner Erinnerung lebt sie darin weiter.

Ich habe mir (noch?) keinen Himmel zurechtgelegt,
sondern lasse mich überraschen, falls es ihn überhaupt gibt.

Todeswunsch
Seit dem 9. August 2016 fragte ich mich immer wieder,
wozu ich noch hier bin. Gehe ich zu Ärzten, damit sie mein Leben verlängern?
Ist nur langes Leben ein erfülltes Leben?
Kann man zu früh oder zu spät sterben?
Ich nehme das nicht an, sondern sterbe schon, seit ich lebe.

Wem sollte ich ein langes Leben schulden,
weil nur ein langes Leben ein ganzes Leben ist?

Stirbt einer zu spät, dessen Leben mit allen Mitteln verlängert wird?
Weder des Lebens noch des Sterbens wurde ich müde.
Den Tod brauche ich mir nicht zu wünschen.
Nichts ist einem so sicher.

Es steht zur Auswahl, wie und wann ich sterbe,
jedoch nicht zur freien Auswahl, ob ich lebendig oder tot bin.

Leben ist keine Alternative für den Tod.
Im Leben etwas vollenden.

Vor einiger Zeit habe ich den Plan aufgegeben,
das Buch (Ich bin Natur. Notizen einer Expedition zu mir selber)
fertig zu schreiben, an dem ich Jahrzehnte lang bastelte,
in der überheblichen Meinung, ich hätte etwas zu sagen.

Im Gleichschritt der Gegenwart zu sein, war nicht meine Absicht.
Dafür müsste ich mich in allen Vergangenheiten,
Gegenwarten und Zukünften auskennen, ohne zu verpassen,
wie alles im zeitlos ewigen Werden vergeht.

In allem, was ich dachte, tat und liess,
«veraltete die ewig vergängliche Gegenwart».

Liebe Mit-Menschen, herzlichen Dank.
Ohne Mit-Menschen wäre ich nicht der Mensch, der ich bin.
Ohne meine Eltern wäre ich nicht Sohn und Bruder.
Ohne Marli, nicht Vater von Martin und Klaus.
Ohne unzählbar Andere ihr Mitmensch, Freund und Kollege.
Wenn ich alle zusammennehme, bin ich ein Glückskind.

Bevor ich Euch verlasse, wollte ich, wie man früher sagte,
mein Haus bestellen,
mit allen ins Reine kommen,
was nicht möglich ist.

Wen ich bewusst oder unbewusst beleidigt,
gedemütigt und sonst wie geschädigt habe,
bitte ich, mir zu vergeben.

Josef Duss-von Werdt

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3 Kommentare

  1. Arist v.Schlippe sagt:

    Auch mich bewegt die Nachricht und die Worte, mit denen sie übermittelt wurden, sehr. Josef war einer meiner Vorgänger als Herausgeber der Familiendynamik, ich erlebte, wie freundlich er diese Zeitschrift immer wieder begleitete und ihren Weg verfolgte. Er war ein tiefgreifender Denker, ich habe ihn sehr geschätzt, obgleich wir uns nur oberflächlich kannten.

  2. Lieber Tom, an dieser Stelle sei Dir gedankt für Dein systemagazin, und die von Dir veröffentlichten und sehr bewegenden Abschiedsworte eines Menschen, der in Erinnerung bleiben wird. Sepp Duss von Werth bleibt mir in Erinnerung, weil er das zu Sagende und zu Lehrende selber lebte.

  3. Lothar Eder sagt:

    Persönlich kannte ich Josef Duss-von Wert nicht, ich habe nur einmal, Anfang der 90er mit ihm kurz korrespondiert. Er war Mitherausgeber der Familiendynamik und ich habe ihm, als systemischer Jungspund, einen Artikel angeboten. Es hat mich erstaunt und erfreut, mit welcher Selbstverständlichkeit und Wärme er mir geantwortet hat. Aus dem Artikel ist damals nichts geworden, es lag an meinem Unvermögen.
    Mich berühren diese Abschiedsworte, weil sie tief aus dem Herzen kommen. Gut, lieber Tom, dass Du hier an dieser Stelle sein Andenken wahrst.

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