systemagazin-Leser Michael Schloetmann aus Ense (Bremen), Systemischer Therapeut und Psychodramapraktiker, erzählt im Adventskalender, wie ihm eine neue Sichtweise aufgegangen ist:
Durch die Brille der Klienten sehen
Während meiner Ausbildung zum Systemisch integrativen Therapeuten hatte ich im Rahmen meiner langjährigen Tätigkeit in einer Wohneinrichtung für psychisch erkrankte und suchtkranke Menschen einen Gesprächstermin in einer psychiatrischen Klinik.
Die Sozialarbeiterin der Station hatte mit mir den Termin vereinbart, weil sie für eine Patientin eine langfristige stationäre Betreuungsmöglichkeit finden sollte. Wir saßen zur vereinbarten Zeit im Arztzimmer, ich begann das Gespräch mit dem frisch erlernten Joining und fand guten Anschluss an die Kommunikation – bis die Sozialarbeiterin die Patientin mit den Umständen konfrontierte, die Anlass des Gespräches waren.
Sie brauche doch Hilfe, ihre Wohnung sei völlig verwahrlost, worauf die Patientin zunächst antwortete: Da muss erst noch die Spurensicherung rein!.
Als sie mit weiteren Defiziten konfrontiert wurde, sagte sie der Kollegin: ich sehe das ganz anders!, nahm ihre Brille aus der Tasche, reichte sie der Sozialarbeiterin und sagte ihr: Hier, nehmen Sie mal meine Brille!
Das war für mich eine der eingängigsten Lektionen in meiner Ausbildungszeit.