Lothar Eder, Mannheim: Als der Schmetterling meiner (systemischen) Träume einmal an einem Mittwochvormittag in meiner Kassentherapiestube landete
Schon seit Kindertagen liebe ich das Träumen, Sinnieren, Erspüren, den gedehnten Blick, das Lauschen. Im Zwischenraum der Worte, in den Tagtraumrefugien fand ich Anschluß an eine Welt jenseits der vordergründig realen Gegebenheiten. Ein Studium der Seelenkunde war die logische Folge, hielt aber in seiner mathematisch-naturwissenschaftlichen Orientierung an der Universität doch einige Enttäuschungen bereit. Die Wahrheit ist eben auf dem Platz, wie man im Fußball sagt. Diese Neigung aber macht es mir auch heute relativ leicht, mir Szenarien vorzustellen, seien es befürchtete oder erwünschte.
Toms Impuls für den heurigen Adventskalender aktivierte den Schmetterling meiner Träume. Er heißt so nach einer Textzeile eines lateinamerikanischen Liedes, in der vom „mariposa de mis sueños“, also dem „Schmetterling meiner Träume“ die Rede ist. Nun dachte ich, ich lasse mich einfach vom Schmetterling meiner systemischen Wunschträume ins Jahr 2028 entführen, denn am liebsten mag ich schöne Vorstellungen. Gleich wollte ich eine erste Erkundung vornehmen, die ich später aufschreiben wollte. Im Nu befand ich mich auf einer Art Konvent, wohl einem systemischen Kongreß und natürlich war alles, wie in der Traumwelt üblich, mehr von Stimmungen und Bildern getragen, die Zeit mal verlangsamt, die Bilder eindrücklicher als in der Alltagsrealität, die Orts- und Perspektivwechsel teils wie im Flug, eben so wie wenn man mit einem Schmetterling unterwegs ist. Ei, war das schön und erstaunlich. Den Hauptvortrag hielt der Ehrenvorsitzende Kurt Ludewig, er trug den Titel „Das Wesen des Menschen liegt jenseits des Sprachlichen – zur Revision von Humberto Maturanas Anthropologie im Kontext systemischen Denkens“. Ich war tief beeindruckt und erfreut. Endlich, dachte ich, wird begriffen, dass das Wesentliche im Menschlichen jenseits der Worte liegt. Ich sah, dass ein weiterer Hauptvortrag angekündigt war. Welch Freude, Byung-Chul Han würde über „Depression und Burnout als seelische Infarkte der späten Moderne“ sprechen und damit, so las ich in der Zusammenfassung „die entscheidende Schnittstelle zwischen Seele und Gesellschaft sowie die innerseelische Dynamik der Depression“ thematisieren. Hui, da ist aber was passiert in den letzten 10 Jahren, dachte ich, das systemische Feld läßt Sprachregelungen zu, in denen diagnostische Kategorien vorkommen und die sich auf typische seelische Dynamiken beziehen!
Als ich auf die Liste der Workshops blickte, kam es noch besser. Ich hätte mich gar nicht entscheiden können, wo ich am liebste hinwollte, alle gefielen sie mir. Da gab es „Helm Stierlins Konzept der bezogenen Individuation. Zur Aktualität eines leider in Vergessenheit geratenen Konzepts im Kontext des lebenslangen Bindungsmodells“. Und da – „Jean Liedloffs Anthropologie als systemisches Modell der menschlichen Entwicklung“. Und hier, ein weiterer Vortrag mit Diskussion: „Jenseits von Luhmann. Schellings Modell der sich selbstorganisierenden Natur als paradigmatische Rahmung für die Analyse seelischer, körperlicher und gesellschaftlicher Prozesse“. Ja und hier, ein weiterer Workshop mit dem Titel „Autopoiesis und traditionelle Lebenskraftkonzepte – Gemeinsamkeiten und Unterschiede“. Und dort: „Die Therapiesituation in der Bindungsperspektive. Gelungene therapeutische Beziehung als implizite Anleitung zur positiven Affektregulation bei Klienten/innen“. Und hier: „Leib und Seele zusammenhalten. Zur Fortschreibung der cartesianischen Spaltung bei Luhmann und ihrer Überwindung“. Anschließend wurde ein Workshop mit praktischen Übungen angeboten, Titel „Don’t Luhmann that thing, my friend – ganzheitliches Atmen als Medium der Leib-Seele Integration“.
Dann lief ich, nein ich schwebte durch den Vorraum. Es war gerade Pause und die Getränkestände und Stehtische waren reichlich bevölkert. Ich lauschte einem Gespräch einer Gruppe. „Also, das hätte ich nie gedacht, aber es war so eine Befreiung. Ich habe ja immer gedacht, diese Körpertherapie ist reiner Blödsinn, Aber ich kann euch sagen …“, „ja wo warst du denn?“, unterbrach ihn ein anderer. „Ich war in dem Workshop zur vertieften Zwerchfellatmung, um den eigenen Überzeugungen auf den Grund zu kommen. Und da wurde mir klar, dass meine kategorische Ablehnung gegenüber Diagnosen letztlich aus einer rebellischen Haltung gegenüber Autoritäten allgemein herrührt und dass ich eigentlich ein Ablöseritual von meinen Eltern machen sollte. Nicht dass ich jetzt Lust hätte, mit Diagnoseetiketten die Welt zu bekleben. Aber ich habe jetzt eine Idee, dass mit Diagnosen eigentlich etwas Tieferes, eine pathologische Dynamik gemeint ist, die musterhaft ist und die vielen Menschen gemeinsam ist“. Boaah, dachte ich, das kann ich nicht aufschreiben. Spätestens wenn sie das lesen, erklären sie mich für durchgeknallt und schmeißen mich aus der SG raus! Aber es kam noch schöner. Da hinten sah ich, nein, das konnte nicht sein, aber sie waren es! Barbara und Erich aus La Palma, die dort eine große Permakulturfinca haben, Wilhelm Reich verehren und Mutter Erde Projekte anstoßen. Was macht ihr denn hier?, rief ich. Ja, weißt du das nicht?, sagte Barbara. Die beiden systemischen Verbände haben uns eingeladen, um die Permakultur als tatkräftiges Beispiel einer am Lebendigen ausgerichteten Systemtheorie vorzustellen! Ach wie wunderbar, dachte ich, davon hätte ich ja nicht mal zu träumen gewagt. Doch da ertönte sanft aber bestimmt mein Aufwachklingelton und meine kleine Siesta war vorbei. Ich nahm mir vor, meine Ideen in den nächsten Tagen zusammenzustellen und dann bei Tom einzureichen.
Dann ist wieder Praxisalltag. Es ist Mittwochvormittag und ich sitze mit einem Patienten, Mitte dreißig, in meiner Therapiestube. Nach traditionellem Verständnis hat er eine „frühe Störung“. Ich finde ja, das ist eine brauchbare Beschreibung, wenn man sie nicht als Etikett, sondern als Bezeichnung für eine aus der individuellen Entwicklung stammenden Leidensdynamik versteht. Der Vater hat die Familie früh verlassen und war aufgrund seines Alkohol- und Drogenkonsums wenig stabilisierend und verläßlich. Auch die Mutter verließ ihn seinem Gefühl nach, denn sie gab die Loyalität zu ihm auf, als sie ihren jetzigen Mann kennenlernte. Der Pat. war damals 4 oder 5 Jahre alt. Das Verhältnis zum Stiefvater war und ist bis heute eine Katastrophe. In den bisherigen Gesprächen wurde deutlich, wie sehr dieser Mann als kleiner Junge in Not war und das erlebte, was man ein Entwicklungstrauma nennt. Das dauerhafte Erleben von Zurückweisung und mangelnder affektiver Resonanz haben tiefe Wunden hinterlassen.
Vor allem haben sie ein Muster der Hilflosigkeit gegenüber den eigenen, heftigen negativen Affekten hinterlassen. Als er zu mir kam, hatte er bereits eine stattliche Psychiatriekarriere hinter sich. Die Klinikberichte, die er mir gab, ließen mich in ihrem Umfang an Michael White denken: das Konvolut war derart dick, dass sich Wiegen statt Lesen empfahl. Ich las dennoch. Immer wieder war er aufgegriffen worden, außer sich, teils unter Drogen, mit auffälligem Verhalten, Gewalt gegen Sachen, er war unbekleidet durch Wohngebiete gelaufen und auf der Autobahn zu Fuß gehend aufgegriffen worden. Die Diagnosen reichten von Schizophrenie bis zu bipolarer Störung. Sein letzter ambulanter Therapeut hatte ihm eine Depression bescheinigt.
Ich finde eine genaue Diagnostik wichtig. Weniger für die exakte Angabe der Krankenkasse gegenüber. Vielmehr, um eine Orientierung darüber zu haben, welches dynamische Muster einer Pathologie sich vollzieht. Es geht nicht darum, einem Patienten ein Etikett zu verpassen. Vielmehr geht es darum, ihm selbst beim Verstehen zu helfen, was eigentlich in ihm los ist. Es geht also weniger um die – nach der Kategorisierung von Thomas Fuchs – scheinbar objektive 3. Person Perspektive der Diagnostik („Person x ist depressiv, schizo-affektiv etc.“). Vielmehr geht es um die 1. und 2. Person-Perspektiven. Also zum einen um die Frage, welche Muster die Person selbst subjektiv erlebt und als leidvoll empfindet (denn warum käme jemand sonst zur Therapie?). Und darum, wie diese Muster sich intersubjektiv, also in den Beziehungen, zunächst also auch in der therapeutischen Beziehung, abbilden. Neben der Befragung und dem gemeinsamen Erkunden ist es in diesem diagnostischen Prozeß wesentlich, und da bin ich ganz bei Luhmann, den Beobachter zu beobachten. Allerdings ist es in diesem Fall nicht das Beobachten als Außenperspektive gegenüber einem anderen Beobachter. Vielmehr ist es das Beobachten der eigenen inneren Regungen, Gefühle und Körperempfindungen, das wichtige Hinweise gibt (also das, was in den psychodynamischen Ansätzen Gegenübertragung genannt wird). Dies führte mich zur Einschätzung, dass es sich um ein schizoaffektives Muster handelt. Typisch dafür sind Phasen emotionaler Übererregung, die in offensichtlich verrücktes Verhalten münden.
Nun saß ich also mit diesem Pat. an diesem Mittwochmorgen in meinem Therapieraum. Wie stets wirkte er unsicher, wechselte die Affektlagen ohne erkennbaren äußeren Anlaß und beobachtete mich genau. Wie es ihm gehe? Nicht gut. Er habe gerade eine Auseinandersetzung mit seiner Frau gehabt. Ja, da sei ein Ärger in ihm. Was er damit mache? Ja, was solle man denn da machen? Sicherlich hätte ich doch eine Technik parat, wie man mit schwierigen Gefühlen umgeht. Ja, sage ich, da gibt es wohl eine Technik. Sie besteht darin, seine Aufmerksamkeit auf das Gefühl zu lenken, v.a. auf das Körperempfinden, das dabei entsteht. Das gibt einem die Möglichkeit, die Spannung, die das negative Gefühl macht, zu lösen, z.B. über den Atem. Das klingt scheinbar leicht, erfordert aber Geduld und Ausdauer, vor allem mit sich selbst. Ja, sagt mein Klient, er spüre schon die Spannung im Bauch, die er habe. Aber das sei immer so viel, da komme immer soviel zusammen und dann wisse er gar nicht wohin damit. In den letzten Tagen fühle er sich immer mal wieder an einem Punkt, an dem er am liebsten in die Psychiatrie gehen würde, weil er es nicht mehr aushalte. Aber da werde einem letztlich ja auch nicht geholfen.
An dieser Stelle des Gesprächs sitzt in meiner Intuition der kleine Junge vor mir in seiner ganzen hilflosen Enttäuschung, in seinem Nichtgeliebtsein, die ihm eine so unbändige Trauer und einen Zorn machen, dass er sich zerreißen könnte. So weit kann der gar nicht laufen, dass das weggeht. Und, sage ich, genau an der Stelle habe ich das Gefühl, dass das, was sie gerade erleben, sich wiederfindet in diesem psychiatrischen Papierstapel, den sie mir mal gegeben haben. All die hilflose Wut, der Zorn, das Gefühl, nicht gehalten zu sein, nicht zu wissen, wohin mit all diesen überflutenden schwierigen Gefühlen, die können einem dann schon den Vogel raushauen und lassen einen dann in einem Zimmer in der Psychiatrie landen und dort bekommt man dann eine Diagnose, die letztlich auch nicht mehr ist als ein Etikett für eine lange lange Geschichte von Nichtdaheimsein in der Welt. Der Pat. schaut mich an. „Meinen Sie das wirklich so wie Sie es sagen?“, fragt er. „Ja“, sage ich. „Genau so ist es“, sagt er. „Und keiner hat es bislang so verstanden“. Sein Kopf sinkt auf die Brust und er fängt an zu schluchzen. Dann erzählt er von seinem Schmerz. Von den Fixierungen, die er erlebt hat. Von der hilflosen Wut, die dadurch noch mehr wurde. Von den Medikamenten und den unangenehmen Nebenwirkungen. Und wir reden darüber, wie gut es sich anfühlen kann, jetzt und hier in liebvollen Kontakt mit sich und dem eigenen Erleben zu kommen. Denn dann kann sich, im Kleinen und für den jetzigen Moment, die Spannung ein wenig lösen. Nicht ein für allemal. Aber für jetzt. Und da, genau in diesem Augenblick, als dieser Mann in Berührung mit seinem Schmerz kam, hatte ich für Sekunden das Gefühl, dass der Schmetterling meiner Träume in der Gegenwart meines Alltags gelandet ist und sich für eine Weile niederläßt. Ganz unscheinbar und flüchtig.
Brauche ich noch diesen meinen systemischen Traumkongress 2028? Schön wäre es schon, natürlich. Aber was zählt ist die Gegenwart. Ist sie systemisch? Vielleicht. Mir ist das nicht (mehr) so wichtig. Wichtig ist mir, dass sie seelenkundig ist. Nein, eigentlich brauche ich diesen Kongress nicht. Denn dann würden die anderen es ja so machen, wie ich es gerne hätte. Und das würde ihnen ihre Autonomie nehmen. Was zählt ist meine persönliche Gegenwart, jetzt und hier mit dem Schmetterling meiner Träume, der sich niedergelassen hat für den Hauch einiger Momente und der mir leise zuflüstert: mach es auf deine Weise!
Vom kochenden Eichhörnchen im letzten Jahr zum flüsternden Schmetterling in diesem Jahr – meine Schulterpartie sagt mir, wir sind auf Kurs Richtung Menschwerdung.
Tja, und für wen die Seelenkundigen ein Fenster öffnen, wenn die Seele den Körper verlassen hat, lassen wir an dieser Stelle mal offen. Wir feiern demnächst schließlich stellvertretend die Geburt einer neuen Seele. 🙂
Liebe Wolfgang, Rudi, liebe Martin Rufer und Herr Müssen,
danke für die Reaktionen auf meinen kleinen Text!
Warum eigentlich hat mir das nicht schon vor Zeiten jemand gesagt, dass man Patienten nur empfehlen muss, sich einen Radiowecker zu kaufen, es hätte mir einen Haufen Arbeit erspart ;-))!
Wolfgang, Du hast es richtig erkannt: meine Verpflichtung gilt meinen Klienten und dem Schaffen von Bedingungen, wie sie zu einem subjektiven Gefühl von Heilsein, Gesundheit und Anschluß an ihre Lebensfreude finden können. Das ist meine wesentliche Verpflichtung und nicht die einer Schule gegenüber.
Im systemischen Kontext, soweit er konstruktivistisch bzw. an Luhmann, Maturana etc. orientiert ist, mag man Darstellungen nicht, in denen eine bestimmtes Vorgehen zu einem Erfolg führt. Es melden sich dann, das beobachte ich stabil seit Jahrzehnten, sofort Stimmen, die betonen, dass man es auch ganz anders hätte machen können, dass man alles auch ganz anders sehen könnte etc.
Aber bitte, aber natürlich! Nur möchte ich zu bedenken geben, dass das Anhaften an Nichtlinearität und Nichtwissen eben auch limitiert. Es geht mE darum, dann linear zu sein, wenn es erforderlich ist, und nichtlinear, wenn es förderlich ist. Die Kunst besteht darin, zwischen beiden Tanzstilen wechseln zu können. Ebensowenig halte ich „Flexibilität“ immer für eine gute Haltung. Manchmal ist es auch gut, beharrlich zu sein, aber eben nur wenn es paßt. Das schafft Spielräume, v.a. für Klienten/innen.
Ich wollte mit meinem Beitrag nicht zeigen, wie eine geeignete Intervention aussieht. Ich bin kein Freund (mehr) von Interventionen. Für mich sind es Haltungen, die zählen. Für mich persönlich, aber das ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sind es Begegnung, Kontakt und Resonanz. Die Resonanz gilt zunächst dem eigenen Inneren, den eigenen Reaktionen, Intuitionen. Und dann dem Gegenüber. Eingebettet natürlich in ein solides methodisches Wissen. Therapie ist für mich ein Bindungsgeschehen, in dem eine Patient, eine Patientin gehalten wird, sich gehalten fühlt, um mit ihren Mustern in Berührung zu kommen, sie erkennen und lösen kann. Das ist eine zarte, feine Arbeit, keine Sache von „zündenden“ Interventionen. Und es gibt Glücksmomente, in denen das gelingt. Das hat dann nicht der Therapeut „gemacht“. Er hat im besten Fall, um es in der Fußballersprache zu sagen, „Chancen kreiert“.
Nach wie vor finde ich, dass das systemische Feld ein neurotisches Verhältnis sowohl zur Diagnostik als auch zur sozialrechtlichen Zulassung hat. Aber wer hat keine Neurosen? Wer keine hat, soll aufzeigen! Mein Finger jedenfalls bleibt unten …
Soweit für den Moment, mit friedlichen Weihnachtswünschen an alle!
Lieber Herr Eder, liebe Kollegen und liebe Kollegin
Zu hoffen ist, dass ich nun nicht derjenige bin, der das letzte Wort haben will, nur weil das mit dem Weihnachtsbaum, Festessen und so in diesem Jahr nicht meine Sache ist..
Was meine Sache ist, ob zuhause, in der Praxis oder sonstwo bleibt der Versuch, dem Anliegen und Kontext entsprechend Resonanz zu erzeugen. Das haben auch Sie, Herr Eder, schön auf den Punkt gebracht. Wer und was mir hilft (oder manchmal auch behindert) diese, wie der Synergetiker sagt, passende Synchronisation zu erzeugen, macht das Leben, eben auch das therapeutische so spannend und bereichernd. Warum sonst würden wir alle uns in diesem Forum engagieren…Darum und dafür bin ich meinen Patienten, die für mich als Kundige immer auch meine täglichen Supervisoren waren und bleiben werden, zu grossem Dank verpflichtet. Obwohl ich mich nie als König, und schon gar nicht als einen der drei „Heiligen“ gesehen habe, bleibt uns auch in diesem Jahr die Frage nach dem passenden Geschenk nicht erspart und wenn Du’s nicht weisst, dann frag die Hirten…
Mit weihnächtlichem Gruss
Lieber Martin Rufer,
ich möchte ebenfalls nicht das letzte Wort hier haben, denn ich hatte ja schon das erste.
Ihr Kommentar aber hat mich angesprochen, angeregt, und ich habe dem Wort „Synchronisation“ nachgespürt. Das Wort läßt in mir Bedeutungen entstehen, die dem sehr nahe kommen, was ich versucht habe zu beschreiben. Es kommt in den schönsten Momenten (im Leben, in der Liebe, in der Therapie), zu einer Ineinsschwingung und läßt einen Raum erklingen, der voller Zauber ist („Schläft ein Lied in allen Dingen …“ J.v. Eichendorff).
Man könnte dies auch das Numinose nennen, oder das Heilige, letzteres aber ein Wort, das im systemischen Feld wenig Landeerlaubnis bekommt (denn wo und wie könnte man sich da noch differenzoperativ verhalten?).
Jedenfalls, auch wenn Sie Weihnachten nicht mögen, haben Sie schöne friedvolle Tage und gute Raunächte!
Lothar Eder
Lieber Herr Eder
Ob ich will oder nicht, nun muss ich mir wohl doch noch schnell vor meiner Rueckfahrt nachhause zu meinen Liebsten das letzte Wort holen. Und dies nur um dem wohl selber (sprachlich) verursachten Missverstaendnis entgegen zu halten: Ich freue mich auf das Weihnachtsfest im Kreise meiner Familie. Dies umso mehr, weil ich in diesem Jahr nicht wie ueblich, fast keinen Finger kruemmen musste und so ein paar Tage weg vom Trubel im wahrsten Sinne die Stille Zeit erleben durfte..
In diesem.Sinne: Schoene Weihnachten allerseits!
Lieber Lothar,
ein sehr schön geschriebener Text.
Wenn ich Deine Fallbeschreibung lese, fallen mir fast identische Ideen zu Deinem Klienten ein. Solche Verknüpfungen entstehen auch bei mir mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durch reine kognitive Leistungen wie das vielleicht in dem Wort „konstruieren“ nahegelegt wird. Ich habe „konstruieren“ nie einseitig kognitiv verstanden. Ob das ein richtiges Missverstehen war oder ein falsches Verstehen – wer weiß das schon? Ich halte mich da gerne an den Satz von Fritz Simon: „Denken ohne Fühlen ist irrational“ und dazu können wir unsere Körperreaktioen gut gebrauchen und nutzen.
Das Verknüpfen von erzähltem Erleben ist natürlich nichts anderes als zu diagnostizieren. Daran kommen wir nicht vorbei. Ob ich das Hypothetisieren oder Konstruieren oder sonst wie nenne. Wir brauchen solche Überlegungen, um die Chance zu haben, Klienten angemessene Unterschiede anbieten zu können. Das kann in dem einen Fall eine Provokation, im anderen Fall eine Begleitung, im dritten Fall das interessierte Zuhören sein (unvollständige Aufzählung!). Sicher kann man dazu auch klassisch-klinische Diagnosen nutzen – man benötigt sie aber nicht unbedingt.
Wie immer wir diagnostizieren: Es kommt darauf an, flexibel zu bleiben. Ich kennen nicht wenige KlientInnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Dein Klient und ich dennoch den Eindruck hatte, ein anderes Beziehungsangebot und ein anderes Vorgehen wählen zu sollen. Und ich kennen nicht wenige KlientInnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Dein Klient und ich ein ähnliches Beziehungsangebot und ein ähnliches Vorgehen gewählt habe. Die Verläufe waren unterschiedlich (mal gut, mal weniger gut) und ich hätte sie nicht prognostizieren können.
Peter Müssen hat in seinem Kommentar auf eine solche Geschichte hingewiesen. Sie stammt aus meiner Praxis;-)).
Lieber Lothar,
ich halte Deinen Beitrag (pars pro toto: diesen) für wichtig und anregend. Bezogen auf die SysTher ist er wichtig, weil er hilft, dass sie nicht zum Mythos erstarrt, sondern sich auseinandersetzt mit ihrer eigenen Vielfalt und den Formen, die sie sich darin gibt. Ich betrachte Deinen Beitrag als solidarisch gerade in der Mühe, die er sich mit dem Widerspruch macht. Und für mich spüre ich in Deinem Beitrag den unbedingten Einsatz für das Wohl der Hilfesuchenden. Ich gehe davon aus, dass dieses ein bedeutsamer Wirkfaktor ist, im Verein mit den anderen Einflüssen, die nicht in unserer Hand alleine liegen. Das Gespräch darüber sollte nicht abbrechen, auch wenn das manchmal schwierig ist.
Sei bedankt!
Wolfgang
Lieber Herr Eder,
mir wurde einmal erzählt von einem Psychotherapeuten, der sehr erfolgreich mit einer
schwer depressiven Frau gearbeitet hatte.
Evaluativ wollte er von ihr wissen, was denn besonders hilfrich gewesen sei.
Vielleicht auch für sein eigenes Ego.
Die Frau: „Wissen Sie, am Beginnn unserer Therapie habe ich mir einen Radioweckier gekauft,
der mich jeden Morgen mit dem Lied von Uro Jürgens weckt ‚Und immer wieder geht die Sonne auf‘.
Das hat wirklich geholfen.“
Was wiklich hilft, wer weiß das schon!
Ein frohes Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Peter Müssen
Lieber Herr Eder
„Wegen schlechter Witteung findet die Revolution in der Musik statt“, hat Tucholsky einmal gesagt. Bei mir hat die schlechte Witterung oben in der Almhütte vorübergehend nicht nur die Wasserquelle zum Versiegen, sondern, wie ich soeben sehe, auch die Post durch die Luft zum Verschwinden gebracht… Manchmal wünscht ich mir mehr von dem auch in der Therapie: es kommt an, ganz anders zwar als man denkt, Patienten sitzen da, es geht Ihnen plötzlich besser (oder manchmal auch schlechter), auch wenn ich nicht weiss warum und mir weder mein (diagnostisches) Wissen noch mein (therapeutisches) Können eine Erklärung geben kann.
Mit vorweihächtlichem Gruss ( Heidecker lässt mitgerissen…) aus der Stille der
Martin Rufer