systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Verstehen oder Nicht-verstehen, das ist hier die Frage

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Am Nikolaus-Tag berichtet systemagazin-Leserin  Kerstin Matthiessen im Adventskalender kritisch von ihrer systemischen Weiterbildung:

Meine systemische Geschichte spielt in einer Großstadt in Deutschland im Jahre 2011. Während meiner systemischen Ausbildung in irgendeinem systemischen Institut in unserem riesengroßen Land begab es sich also, dass eine kurdischstämmige, politisch engagierte und frei denkende Frau die Ausbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin erlernen wollte. Sie arbeitet mit Migranten. In diesem Kurs befanden sich neben dieser Kurdin 17 deutschsprachige und deutschstämmige (was immer das auch sein mag) Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Die erste Grundregel, die wir während unserer systemischen Exkursion wissenschaftlich wie auch praktisch erlernen sollten, war folgende: Wir gehen immer davon aus, dass wir den anderen nicht verstehen können. Nach mehreren Monaten des systemischen Studiums, kamen wir zur Familienskizze … Wir brachten alle Fotos aus unserer Familie mit. Ganz „brave“ Nazi-Großeltern blickten uns von Fotos an, und wir alle wurden uns nochmal unserer Nachkriegsgenerationen bewusst und den Einwirkungen, welche diese schreckliche Nazi-Herrschaft auch auf uns als Kinder und Enkel, in unserer Erziehung, Gesellschaft und Sozialisation hat. Die kurdischstämmige Frau zeigte Fotos aus einem Bergdorf. Das systemische Studieren setzte sich fort … mehr oder minder erfolgreich, aus meinem systemischen Verständnis heraus. Die starke, politisch engagierte Frau aus dem Süden wurde allerdings aufgrund von Verständigungsproblemen aus dem Kurs ausgeschlossen! Als Grund wurde ihre mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache angeführt. Ich hatte und habe keine Probleme, sie zu verstehen. Bei der Arbeit mit Migranten frage ich mich, wie ein systemischer Berater Migranten beraten will, wenn er sich nicht auf ihre Holprigkeit in der Verwendung der deutschen Sprache einlässt. Und auf den Versuch, ein anderes Denken und Handeln zu akzeptieren und sich dem eigenen Nicht-Verstehen zu öffnen. Soviel zu meiner Erfahrung innerhalb einer ganzen Gruppe angeblicher Systemiker.

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