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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Trialogie 2016

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Zagora am Rande der Wüste

Zagora am Rande der Wüste

In den letzten drei Wochen war es etwas still im systemagazin, die Pause hatte damit zu tun, dass ich in Zagora/Marokko mit der diesjährigen Trialogie-Tagung beschäftigt war. Wie es gelaufen ist, schildert Ilke Crone in einem poetischen Tagungsbericht, der seine besondere Art der Teilnahme am Schreibworkshop der Tagung verdankt, aber mehr sei hier nicht verraten (Fotos: Tom Levold).

Ilke Crone, Bremen: „Eine Auszeit für mich“

Sie hatte sich schon lange auf diese Reise gefreut. Und dann kam es am Ende doch anders – erstmal jedenfalls. Kurz vorher stand dann doch noch alles in Frage – so hatte sie bereits alles wieder abgesagt – Hotel storniert und auch die Reise selbst. Nun nachdem sie sicher wieder nach Hause zurück geehrt ist, ist Vera froh, doch gefahren zu sein. Am Ende war es dann doch passend, keine Reisrücktrittsversicherung abgeschlossen zu haben – so hatte sie bis zum letzten Moment die

Ilke Crone

Möglichkeit, doch noch in den Flieger zu steigen. Schon in der Planung der Anreise hatte sich Vera mehrfach verdacht – so hatte sie schließlich fünf Flüge zur Auswahl mit eben drei verschiedenen Daten zur Ankunft. Schließlich wollte sie, wenn sie dabei wäre, auch von Anfang an dabei sein. Und bis zum Schluss bleiben – und ja sie wollte ein Einzelzimmer, das sie dann doch abbestellt hat – und mit dem Formular zur Auswahl der Workshops war sie so gar nicht zurecht gekommen. Nur eines wusste sie genau – tanzen wollte sie nicht! Welche der anderen Themen nun ausgewählt werden wollten – da war sie sich unschlüssig – Theater, Ton, Video oder poetisches Schreiben? Schreiben fand sie gut – wie oder ob poetisch, das ließe sich ja rausfinden. So kam sich Vera insgesamt ziemlich umständlich herausfordernd vor und stellte beglückt fest, dass all ihre Unentschlossenheiten lächelnd, wohlwollend und zu ihrer vollsten Zufriedenheit beantwortet wurden.

Nach einer atemberaubend schönen, wenn auch langen, Busfahrt über den Atlas wurden sie vor Ort von lokalen Trommelrhythmen empfangen. Tom und Mohammed bildeten darüber hinaus das persönliche Empfangsduo – sogleich begann Veras Herz u hüpfen, die Beine bewegten sich wie von selbst zum Rhythmus der Trommeln – ja, ein guter Anfang! Viele helfende, flinke Hände an freundlichen Gesichtern nahmen sich des Gepäcks an – ein erstes Abendessen im Restaurant – rundum sorglos, überall freundliche Gesichter, keine Wünsche offen. Wohnen würde sie im „Salama“ – ein zauberhaft eingerichteter, geräumiger Bungalow mit afrikanischem Hütchendach, an den Wänden viel Tadelakt. In den nächsten Tagen würde sie das gesamte Riad Lamane kennenlernen. Früh zu Bett nach dieser aufregenden Reise bis hier her – morgens ausgeruht, phantastisches Frühstück im Freien unter strahlend blauem Himmel und

Riad Lamane

Riad Lamane

sonnenklarer Luft. Und wieder viele helfende Hände und freundliche Gesichter – wie in 1001er Nacht, wie im Paradies, dachte Vera. Sie fühlte sich besonders – empfand es als großes Glück, Teil dieser „Tagung“ zu sein. Mit etwas Mühe gewöhnte sie sich an den zuvorkommenden, vorauseilenden Service – es blieb tatsächlich bis zum Schluss kein Wunsch offen! Und wieder dachte sie an die vielen anderen Reisen, die sie schon unternommen hatte und daran wie häufig sie schon gedacht hatte „gibt es das nicht auch in schön?“ Und nun dies – mit so viel demütigem Respekt vor den Vorgaben der Natur unter Verwendung landestypischer Materialien und Baukunst erschaffen – ja, dachte sie, es geht auch in schön – und ein „wusste ich doch“ schob sich schüchtern hinterher. Der Sonntag reserviert für ein erstes Ankommen, Markt in Zagora – kleine Verhandlungskämpfe um silbernen Berberschmuck und am Montag kaum eine Teilnehmerin ohne neuen Schmuck. Vera musste schmunzeln – es hatte also nicht nur sie und ihre Zimmerpartnerin „erwischt“ – auch andere waren den verführerisch glänzenden Stücken erlegen und „schwach“ geworden.

Am Montag dann die Vorstellung der Workshops und erste Annäherungen an das Thema – re-mind – an wen oder was wollte sie sich denn erinnern? Was von den bereits vergessenen Dingen re-animieren? Und was vielleicht auch gänzlich gehen lassen? Und mit welchem Medium – so hatte Vera sich die verschiedenen Angebote selbst erklärt – wollte sie dies tun? Leider gab es auch eine traurige Nachricht – Liane Stephan konnte dies Mal aus familiären Gründen nicht dabei sein – so blieben Tom und Mohammed dieses Mal zu Zweit – das fand nicht nur Vera schade! Sie alle schickten gute Wünsche in die frostige Heimat zu Liane – sie würde fehlen, das ahnten auch diejenigen, die zum ersten Mal gekommen waren!

Vera erfuhr von morgendlichen Impulsen, Workshopzeiten am Vormittag, Triaden und Transfergruppen und Begegnungen mit Menschen aus Zagora. Alles immer wieder zusammengehalten und verbunden durch Rhythmus, Tanz, Gesang und Bewegung – Tobias steckte sie alle an mit seinem rhyth’m it, seinem Witz und Humor und seiner virtuosen Spielart auf der Djembé. Noch heute, während sie diese Zeilen schreibt, summt sie leise vor sich hin „Hey du, was ist los, spielst du nicht mehr mit mir? Nö“ – die anderen Texte hat sie sich nicht so gut merken können, aber gefallen hat es ihr – sehr.

Am Rande der Wüste

Am Rande der Wüste

Vera hatte sich für poetisches Schreiben und Querdenken entschieden – angekündigt durch das Schlüsselwort „Grammatik“ waren vielleicht einige auch abgeschreckt – erinnert das doch an Schule, Deutschunterricht und die klare Gewissheit von richtig und falsch. „Grammatik“ wurde zu einer Art key word – Vera glaubte jedoch etwas anderes verstanden zu haben – Grammatik als „Figur“ im Text, die grammatische Regel als Begrenzung, die Kreativität beflügelt, Grammatik um die Ecke – eben quer – gedacht. Sie hat viel geschrieben in diesen Tagen – mehr als je zuvor – und es hat ihr eine neue Welt eröffnet. Dafür ist sie sehr dankbar – auch heute noch – wo sie wieder an ihrem Küchentisch sitzt unter träggrauem Himmel, auf den Frühling wartend.

Zwischendrin erfährt Vera auch etwas aus den anderen workshops – jede und jeder scheinen zufrieden mit ihrer Wahl. Die Impulse geben Anregung und lassen doch genügend Raum für die Befassung mit eigenen Themen – die Workshopleiter begegnen sich und den Teilnehmenden mit Respekt, Wertschätzung und Anerkennung. Vera bekommt den Eindruck, hier ist für das allermeiste Raum und Zeit. Und das tut gut! Die morgendlichen Impulse Zweifel, Präsenz, Intuition werden in den Workshops spielerisch aufgegriffen, können genutzt werden – oder auch nicht.

16982096881_cb55b34e6b_zAm Donnerstag dann ein Ausflug in die Wüste – 20 Dromedare stehen bereit – die Karawane geht! Kleine Rucksäcke sind gepackt – nur das Nötigste – vier Stunden wird die Wanderung dauern, bevor sie die Zelte erreichen. Der Sandsturm hat sich gelegt, damit steigt die Wahrscheinlichkeit auf einen phantastischen Sternenhimmel in der Nacht. Vera findet es aufregend – nur als Tom fragte „wer nicht auf einem Kamel reiten könne?“ fühlte sie sich an ihre Leistungsansprüche erinnert. Was muss man können, wenn man ein Kamel reiten will? Hatte sie genügend Kondition? Würde sie sich beim aufsteigen blamieren? Schnell hatte sie verstanden, dass es darum ging, herauszufinden, wer lieber mit dem Auto fahren wolle, weil er oder sie sich die Wüstentour nicht zutraue. Nein, dachte Vera, diese Tour würde sie sich nicht nehmen lassen – sie konnte laufen und auch ein Stück auf dem Rücken eines Dromedars stellte sie sich vergnüglich vor. Und so war es dann auch – freundliche Dromedare, von kompetenten Führern geleitet, brachten alle sicher durch trockenes, sandiges Gelände, auch ein kleiner Fluss wurde mit wenigen nassen Füßen durchquert. Im Zeltdorf angekommen auch hier großes Erstaunen über die fürstlich luxuriöse Bewirtung und Ausstattung. Das hatte sich Vera weniger komfortabel vorgestellt – es gab für jeden ein Bett im Zelt, sanitäre Anlagen, afrikanische Musik am Lagerfeuer und den schönsten Sternenhimmel, den sie je gesehen hatte. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen ging es auf bequeme Weise per Auto zurück zum Riad.

Ein freier Vormittag, Triaden und nochmal Workshop – die Spannung steigt! Am Abend soll es eine Vernissage geben, alle Workshopgruppen zeigen etwas von ihrer Arbeit. Vera ist gespannt – und ja sie möchte wohl gern einen Einblick geben in die Schreiberei, die sie nun eine Woche begleitet hat. Einen marokanischen Erzählmarkt wollen sie installieren – wer mag, gibt etwas von sich preis. Sei es ein Haiku, eine Erzählung oder der am Ende entwickelte Aphorismus. Das gefällt Vera. Mindestens genauso neugierig und gespannt ist sie auf die Darbietungen der anderen – und ja, auch damit rechnet sie: das die Vernissage eben nur für die, die sich zeigen bedeutsam ist und für das Publikum weniger nachvollziehbar. Welche Überraschung?! Eine Vorstellung, die tatsächlich eine Vorstellung davon vermittelt, was in den einzelnen Workshops erarbeitet wurde – wie genial ist das denn, denkt Vera. Und da ist sie wieder – die Grammatik!

Plötzlich erkennt Vera die Verbindungen – in der Tonwerkstatt „Zwischen Himmel und Erde“ ging es um sehen und fühlen, um Formen entlang der Impulse, um beeindruckt werden und einen Abdruck hinterlassen – die Ergebnisse konnten sich sehen lassen! Um manche Figuren, Masken und Skulpturen entstand ein vorsichtiger Wettbewerb.

16909101702_3945d5835a_zDie TänzerInnen folgten choreographisch den Polarisierungen zwischen großen und kleinen Bewegungen, zwischen engen und weiten Figuren, zwischen langsamen und schnellen Tempi und endeten allein, zusammen und im Dialog. Vera schaute gebannt auf die ausdrucksstarken, fließenden Bewegungen, die fast aus sich selbst heraus zu entstehen schienen – und ebenso in sich wieder verschwanden. „Vertraue darauf, der Impuls wird kommen und ist wie im Wunder immer der Richtige. Das hab’ ich hier auf vielfältige Weise „erfahren“ und dafür bin ich mehr als dankbar“ (Dagmar). Es war den TänzerInnen in phantastischer Weise gelungen, tänzerische Grammatik zum Leben zu erwecken.

Auch die Theatergruppe folgte einer dichotomen Grammatik. Zwischen Zeit, Raum und timing, Form und Spannung, Solo und Ensemble, Sinnen und Gefühl, zwischen Ensemble und Zuschauern (oder Zeugen) entfaltet sich das „Spiel“. Vera meint bestimmte Formen des Improvisationstheaters zu erkennen und denkt, „das mache ich auch mal“ – sie freut sich an den witzigen und ernsten Szenen und bekommt eine Vorstellung von der Arbeit im Workshop. „Freiheit, die sich an der Struktur entfalten kann und will, die Sinne nutzend und auf die eigene Antwort warten … time and space … trau dich!“ (Petra).

Der „Markt der Erzähler“ bietet Verschiedenes aus dem Schreibworkshop – kleine Gedichte, kurze Episoden und ganze Prosa – herausfordernd für die ZuhörerInnen, die von Erzählerin zu Erzählerin wandern und sich manchmal losreißen müssen, um anderes nicht zu verpassen. Auch Aphorismen wurden dargeboten – „Das Spiel der Würde ist nix für Solisten“ (Matthias) und am Ende „Wäre das Spiel der Würde ein Musikstück – wer bezahlt dann die GEMA-Gebühren?“

Eine gelungene Reise, denkt Vera und dankt – natürlich Tom Levold, Liane Stephan und Mohammed el Hachimi für die Planung, Umsetzung und Rahmung – deren schützende Hände über allem lagen. Und den WorkshopleiterInnen für ihre anspruchsvoll, liebevolle Umsetzung in den von ihnen gewählten Medien: Steve Clorfeine (Theater), Elisabeth Clarke-Hasters (Tanz), Matthias Ohler (poetisches Denken) und Sabine Menken (Ton „Zwischen Himmel und Erde“) und über alle Workshops hinweg Tobias Stürmer (percussion, Tanz, Gesang – rhyth’m it).

16889911201_7e82f491a5_zNun, denkt Vera, blieb doch manches unerwähnt – die vielen kleinen und größeren Begegnungen mit der arabischen Welt am Rande und als Teil des Programms. Die verschiedenen Möglichkeiten im Gespräch mit anderen. Na ja, jedenfalls möchte sie wieder kommen, auf jeden Fall – DANKE!

Wer zum Teufel ist eigentlich Vera – Vera ist eine am 25.02.2016 in der Schreibwerkstatt entstandene Figur – Ihr lest von mir, denkt sie sich schelmisch!

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