Tina Lachner, Hattingen:
Der Fall der Mauer war für mich ein prägendes Ereignis. Etwas Persönliches soll es also nun werden im Adventskalender:
Wenige Jahre vor der Wende war ich mit meinen Eltern im Urlaub im Wendland (dem dünnbesiedelten niedersächsischen „Zonenrandgebiet“). An einem Abend standen wir dann da direkt an der Elbe, auf der anderen Seite des Flusses war die DDR. Meine Eltern erzählten mir, dass da auch Deutschland sei, aber in einem anderen Staat, und dass die Menschen da nicht heraus dürfen, ja sogar die Grenzen mit Schießbefehl bewacht werden. Ich war erschüttert, weil das doch so ungerecht war.
In den Osterferien 1989 war ich dann mit meinen Eltern in West-Berlin ein paar Tage im Urlaub – wow, Urlaub im Hotel und eine so große Stadt … Aber wir haben keinen Tagesausflug in den Osten der Stadt gemacht. Die Erniedrigungen beim Grenzübertritt wollten meine Eltern mir nicht antun. Doch die Zugfahrt durch die DDR hinterließ ein paar Eindrücke, als der ganze Zug an der Grenze kontrolliert wurde. Und dann fiel die Mauer – und die Erfahrung eines Grenzübertritts konnte es nicht mehr geben.
Ich war fast 15 Jahre alt, sah am 9. November 1989 die Nachrichten im Fernsehen und weiß noch, dass ich ziemlich gerührt war. Da hatten die DDR-Bürger seit Monaten demonstriert, einige hatten große Ungewissheit in Kauf genommen, als sie in der deutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht hatten. Und dann war es geschehen – ohne militärisches Eingreifen, irgendwie einfach so! Naja, ganz so einfach war es ja doch nicht, wie wir wissen …
Irgendwas prägte mich so sehr, dass ich im Studium der Erwachsenenbildung meine Diplomarbeit über die Erinnerungsarbeit zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung geschrieben habe. Das war (erst) 10 Jahre nach dem Mauerfall.
Auseinandersetzung mit jüngerer deutscher Geschichte hieß vielfach Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (dessen Thema ich in keinster Weise klein reden möchte!), aber wieso war und ist die deutsch-deutsche Geschichte so wenig Thema im öffentlichen Diskurs – und wenn, dann nur an Gedenktagen?
Wann kommt denn das Systemische? Damals im Studium überzeugte mich die Haltung meines Professors der Erwachsenenbildung, der allerdings diesen ganzen systemtheoretischen und konstruktivistischen „Kram“ geradezu verteufelte, weil es Beliebigkeit gut hieß und seinem Verständnis von erfahrungsorientierter politischer Erwachsenenbildung und der Kritischen Theorie widersprach. Doch haben mich auch systemische Beratung und Organisationsentwicklung wie auch Systemtheorie schon damals interessiert und irgendwie fasziniert. Da schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Denn wie konnte ich das eine, also die Kritische Theorie und das andere, also die Systemtheorie schätzen, wenn es sich doch irgendwie so ausschloss?
Heute möchte ich systemisches Arbeiten so verstanden wissen, dass man sich auch im Systemischen an Werten orientieren und Position beziehen kann und muss. Konstruktivistisches Denken muss nicht gleichbedeutend damit sein, dass man in Beliebigkeit verharrt. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich unter anderem für den Diskurs zum Umgang mit „den Rechten“, den Herr Herwig-Lempp vor einigen Jahren angestoßen hat.
Was bleibt und was kommt? „Vorwärts und nicht vergessen…“
Wie bekommt man systemische Haltung inkl. Neutralität oder Allparteilichtkeit mit politischer Orientierung in Anlehnung eine „Erziehung zur Mündigkeit“ (Adorno) überein? Das Nachdenken darüber ist wichtig – und manchmal ist gerade das wichtig: keine einfache Antwort parat haben und immer wieder die eigene Haltung hinterfragen, also die systemische wie auch die politische.