Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach
Ob „Engagement“ wohl mehr ist als eines dieser Klingelingwörter? Es sagt sich so leicht. Womöglich ist es ein geborenes Geschwisterwort für „systemisch“. Manchmal denke ich, beide Wörter eignen sich bestens für Blendwerk. Mit beiden kann man Bedeutung vortäuschen und so tun als sei ihre Bedeutung wie selbstverständlich gegeben. Und „systemisches Engagement“ erst… und warum fällt mir nichts dazu ein? Eigentlich müsste doch, ja eigentlich müsste das doch sprudeln wie eine Quelle. Tut’s aber nicht. Soll nicht so bleiben. Nachdenken also, den Worten nachspüren. Was passiert, wenn ich vom Engagement zum Engagieren komme? Fehlt da nicht was? Ja, mir scheint, da fehlt etwas. Engagieren kann man jemanden, verpflichten, in ein Dienstverhältnis einbinden. Ein Engagement haben kann einen finanziell über die Runden retten. Aber das wird nicht gemeint sein mit dem Thema dieses Adventskalenders. Also was fehlt? Vielleicht das „sich“? Sich engagieren und andere anregen, sich zu engagieren. Vielleicht nähert sich das dem Systemischen.
Sich engagieren verstehe ich als: sich mit innerer Anteilnahme für eine Aufgabe/ für eine Person/ eine Gruppe/ „die Welt“ einsetzen. Vielleicht sogar: Sich an diese Aufgabe binden. Passt das zum systemischen Denken, zu systemischen Perspektiven, die sich „im Prinzip“ ja durch Einnehmen von Meta-Positionen kennzeichnen? Durch Fokussieren auf Prozesse, weniger auf Inhalte. Es könnte jedenfalls so scheinen. Und dennoch: Ohne inhaltliches Interesse, ohne spezifische Aufmerksamkeit, ohne Zuwendung, die persönlich gemeint ist, oder ohne Mitgefühl bliebe systemisches Denken so etwas wie das Organisieren von Parkbänken im All, ziemlich unwirtlich, kühl, womöglich duster. Systemisch bliebe „draußen“.
„Draußen“ jedoch kann aber auch sinnvoll sein. Nämlich dann, wenn es mit einem „Drinnen“ korrespondiert, Resonanz erzeugt und in dieser Resonanz lebt, sozusagen. Und so klärt sich mir das mit dem „systemischen Engagement“: Das sich Engagieren geschieht im Drinnen, „an sich“ weder systemisch noch nicht-systemisch, sondern motiviert, angesprochen, teilhabend. Und dann kann es durchaus sinnvoll, hilfreich, nützlich sein, ein „Draußen“ zur Verfügung zu haben, etwa in Form der Vertrautheit mit systemischen Perspektiven, die ein Nachdenken und Vorausdenken über das Geschehen „drinnen“ im jeweilig engagierten System sich engagierender Mitglieder fördern. Das Einstimmen darauf, das Fokussieren und aus der Beliebigkeit lösen. Das Systemische am Engagement wäre dann nicht das Engagement, sondern die Haltung, die Blickwinkel, aus denen sich das nährt.
Habe ich etwas gewonnen mit so etwas, mit dem mir darüber Klarwerden, was ich unter „systemischem Engagement“ verstehen kann? Immerhin löste sich mir die Blockade, die sich als „leerer Kopf“ bemerkbar machte angesichts der Einladung zu diesem Adventskalender. Und dann fiel mir eine Begebenheit „am Rande von etwas“ ein. Eine Begebenheit, die weder von systemischem Engagement zeugt, noch davon, dass ich zu diesen sich Engagierenden gehörte. Sie zeugt „einfach“ davon, wie sich Leute mit Ausdauer, Anstrengung, Witz und Mitgefühl für etwas engagieren, was existenziell „Sinn macht“. Und skizziert vielleicht, wie sich ein Nachdenken darüber aus systemischer Sicht voranbringen lässt. Die „Situation am Rande“: die Vernissage eines guten Freundes, eine Werkschau aus 40 Jahren Schaffen. Ein wichtiger Teil dieses Schaffens besteht seit langem in der Arbeit für den Verein „Gedenkstätte KZ Engerhafe“. Viele wollten sich damals keine Vorstellung davon machen, wollten das wegwischen. „Dann male ich Euch das eben!“, hatte Herbert gesagt und seine Darstellungen waren eine Triebfeder dafür, dass die Arbeit in die Gänge kam, die Gedenkstätte errichtet, die Auseinandersetzung mit dem Geschehen seitdem kontinuierlich vorangebracht wurde. Angehörige und Nachkommen von Toten des KZ waren da gewesen. Und manchmal erkannten Überlebende in den nachempfundenen Visualisierungen sich und ihre Erfahrungen wieder. Sie validierten die Arbeit des Vereins. Die früher ausgegrenzten Toten erhielten ihre Namen, ihre Biographie zurück, wurden vom vergessenen „Draußen“ zum mitgelebten „Drinnen“. All das war in den vielen Jahren des Vereins geschehen und nun fragte Ulrich mich, wie man es wohl anstellen könne, dass ein Blatt wie die ZEIT darüber schreibt. Ulrich führt jetzt die Geschäfte des Vereins. Ein engagierter Mann wie alle Mitglieder des Vereins. Er hatte Giovanni di Lorenzo von der ZEIT schon einmal geschrieben. Die Antwort war positiv gewesen, aber amorph. Und seine Frage war ernst gemeint, er fragte mich als jemanden, der schon lange publizistisch tätig ist. Und als jemand, dem er offensichtlich vertraute, dass ich sein Anliegen verstand und es für nachvollziehbar hielt. Ich verstand sein Anliegen und hielt es für angemessen. Und ich wusste nicht, wie die ZEIT für Engerhafe zu bewegen sei, natürlich nicht. Aber was bedeutete das schon? Ich war gefragt und wollte mich nicht drücken, nicht wegwischen. Und letztlich war es wohl mein schon längeres Nachdenken über die Dynamik von „drinnen und draußen“, aus der eine Idee entstand. Die Idee: Das Wirken des Vereins, die beeindruckenden Geschichten, die dabei und daraus entstanden, markieren ein Drinnen, das für ein Blatt wie die ZEIT zu speziell sein dürfte, zu individuell, wichtig zwar, doch keine Information, die für die ZEIT einen Unterschied macht, der einen Unterschied macht. Daher wohl die bloß amorphe Zustimmung von di Lorenzo. Für die ZEIT dürfte es wichtiger sein, diese spezifisch bedeutsamen Geschichten aus dem Engerhafer Drinnen mit einem übergreifenden Draußen verbinden zu können. Mit einer weiterführenden Auseinandersetzung im Draußen. Wofür, für welchen Kontext könnte das Sinnbild Engerhafe als spezifisches Phänomen Anstoß sein und als solches für ein überregionales Blatt womöglich bedeutsam. Wir kamen auf das Thema, wie Erfahrungen wie die in Engerhafe mit dem zeitgenössischen Rechtsruck kollidieren, wie die Spannung zwischen diesen beiden Kulturen herausgearbeitet werden könnte, womöglich Formen eines Dialogs erkundet. Das Gespräch entkam der Gefahr des „nützt eh nichts“, es nahm eine anregende Wendung. Das habe ihm weitergeholfen, sagte Ulrich. Ich freute mich. Zur website des Vereins geht es hier…
Spannende Gedanken. Gestern Abend, angeregt durch diesen Beitrag intensive Diskussion: „Ich bin nicht objektiv, ich bin Parteienvertreter“, sagt der Jurist. Mann, der hat es gut: klar zu wissen, wo er steht. Ist wenn schon nicht Neutralität, so doch Allperteilichkeit, die Bereitschaft, auch die andere Perspektive einzunehmen, unsere Berufskrankheit als systemisch ausgebildete Beratungsspezialisten? Kann ich engagiert sein, wenn ich Reflexion anregen will? Kann ich mich engagieren, wenn ich mich als „Anwalt der Amhivalenz“ verstehe?
Bin ich nicht, wenn ich engagiert bin, sofort Partei? Ist nicht Engagement vielleicht nur möglich, wenn ich mittendrin bin und entschieden auf einer Seite? Das braucht dann eine Entscheidung zur prägnanten Stellungnahme. Danke, lieber Wolfgang, für Deinen Text.
Lieber Wolfgang,
ganz herzlichen Dank für den Hinweis auf „Gedenkstätte KZ Engerhafe“ – wirklich beeindruckend.
Dann aber noch etwas: Wenn sich jemand wie du Gedanken über ’systemisches Engagement‘ macht,
dann kann das – aus meiner Sicht – nicht unkommentiert bleiben!
Deiner Bescheidenheit, die alle kennen, die dich kennen, möchte ich zumindest eine dankbare Ergänzung hinzufügen: Dein Engagement für die Systemische Theorie und Praxis … dafür können wir alle nur dankbar sein!
Um „Ulrich“ zu zitieren: Das hat weiter geholfen! Und ich hoffe, dass du dich über diese kleine Rückmeldung freuen kannst, weil nicht nur „Ulrich“ das mit Recht von Begegnungen mit dir sagen kann.
Herzliche Grüße und eine schöne Advents- und Weihnachtszeit
Peter