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systemagazin Adventskalender: Das Fremde am eigenen Kind entdecken

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Hans Lieb, Edenkoben: Das Fremde am eigenen Kind entdecken

6adventEine Klientin erzieht ihr dreijähriges Kind alleine. Sie hat ziemlich aversive Gefühle gegenüber dessen Vater, von dem sie schon länger getrennt lebt. Dieser hat gerichtlich das Umgangsrecht mit seiner Tochter erstritten. Die Patientin sieht in der Begegnung zwischen Tochter und Vater eine Belastung und auch eine  Beschädigung für das Kind. Nun übernachtet dieses – gerichtlich erzwungen – regelmäßig beim Vater.

Wenn es dann zu ihr zurückkommt,  gibt es jedes mal zwei Probleme: zum einen verhalte sich das Kind ihr gegenüber schwierig bis ablehnend.Zum anderen sehe und vor allem rieche sie am Kind den Vater (zum Beispiel den Geruch seiner Wohnung) worauf sie emotional und physiologisch stark reagiere. In den 2 bis 3 Stunden nach Rückkehr des Kindes vom Vater  sei es einfach „nicht mein Kind“.

Natürlich hat sie in früheren Beratungen und auch in der jetzigen Therapie die Hintergründe reflektiert und ist zig mal mit der Aussage konfrontiert worden, sie projizierte ihre eigenen Probleme auf das Kind und für dieses sei nun mal ein Kontakt zum Vater wichtig. Das alles wisse sie – aber mit derartigen Belehrungen läßt sich in der Arbeit mit dieser Patientin nicht viel Land gewinnen.

Hans Lieb

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In der letzten Sitzung fragt sie: Wie kann ich damit umgehen, wenn das Kind vom Vater kommt? Nebst anderem hat ihr folgende Metapher oder Lösung am besten gefallen und sie meinte, das könne sie gut anwenden: Wir sind metaphorisch von der Situation ausgegangen, man sei in einem anderen Land und begegne zum Beispiel unguten Gerüchen (etwa von Speisen, die den Menschen dort schmecken und vielleicht sogar mir irgendwann schmecken könnten). Die Frage war nun : wie kann man gut mit solchen fremden und zunächst unangenehmen Gerüchen umgehen lernen? Ihre eigene Antwort war: Man müsse neugierig sein, die Dinge ansehen und beschnuppern und so das Land und dessen Eigenarten kennenlernen.

Wir haben das dann auf die Situation mit ihrem Kind, das vom Vater kommt, angewandt: Wenn das Kind dann zunächst nicht so richtig „ihres“ sei, weil etwas Fremdes an ihr hänge ( ein ‚vaterkontaminiertes’ Kind), dann gelte es vielleicht, dieses „andersartige“ Kind neugierig wie etwas fremdes kennen zu lernen.

Mit dieser Vision sah sie der nächsten diesbezüglichen Situation relativ gelassen entgegen: Die Abneigung, die Ohnmachtsgefühle und alles, was damit zusammenhängt, könne dann einer neugierigen Beobachterposition weichen. Das wolle sie versuchen.

(Die Klientin wurde um Zustimmung zur Veröffentlichung dieser Geschichte gebeten und war damit einverstanden, herzlichen Dank auch dafür).

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