Lose Gedanken zur Zuversicht
Mit der Zuversicht geht es mir wie es Augustinus mit der Zeit ging. Dieser schrieb: „Was also ist ‚Zeit‘? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; wenn ich es jemandem auf seine Frage hin erklären will, weiß ich es nicht“ (Augustinus 1989, S. 311).
Zuversicht steht für die feste innere Überzeugung, dass sich Dinge positiv entwickeln und bezieht sich insofern auf die Zukunft. Nun wissen wir spätestens seit Augustinus, dass sich die Zukunft lediglich als Erwartung in der Gegenwart zeigt. Da helfen auch keine Ziel-, Zukunfts- und Wunderfragen. Die Zukunft erscheint als gegenwärtige Zukunft, nicht aber als zukünftige Gegenwart. Wir wissen über die Zukunft nichts Genaues, sie bleibt ungewiss und vage.
Zuversicht ist daher eher mit Begriffen wie Glaube, Vertrauen und Hoffnung verwandt statt mit Wissen oder gar Gewissheit. Der große Unterschied besteht darin, dass Glaube, Vertrauen und Hoffnung Entscheidungen voraussetzen, Wissen und Gewissheit hingegen nicht. Wenn gewiss wäre, dass es Gott gibt, bräuchten wir nicht mehr zu glauben. Wir wüssten es ja. Wenn wir wüssten, dass sich Vertrauen auf jeden Fall bewahrheitet, bräuchten wir nicht zu vertrauen. Wie wüssten es. Wenn es gewiss wäre, dass das Erhoffte auf jeden Fall eintritt, bräuchten wir weder Hoffnung noch Zuversicht. Wir wüssten es.
Wissen und Gewissheit nehmen uns Entscheidungen ab, Zuversicht hingegen setzt, ähnlich dem Glauben, dem Vertrauen und der Hoffnung Entscheidungen voraus mit denen man die Komplexität der zukünftigen Entwicklung reduzieren kann – freilich ohne je wissen zu können, welchen Ausgang diese haben werden.
Zuversicht ist daher mit Unsicherheit, Skepsis, Nichtwissen und Zweifel verbunden. Das kann man bedauern. Aber im Zweifel, in der Skepsis, im Nichtwissen liegt die Basis unserer Freiheit. Die Freiheit nämlich, entscheiden zu können – um den Preis des Irrens, der Unsicherheit, des Zauderns, der Angst.
Und genau an solchen Lebens- und Entscheidungspunkten wäre es schön, im schlichten Sinne zuversichtlich sein zu können oder jemanden zu finden, der einem diese Zuversicht vermittelt, verspricht, besser noch: garantiert. Dafür kann man Personal rekrutieren und das wird auch getan: Lebenspartner, Lehrer, Mediziner, Priester, Kartenleger, Astrologen, Versicherungen und nicht zuletzt Therapeuten. Geht man als Therapeut darauf ein, hält man letztlich Illusionen von Sicherheit, Kontrolle, Unverletzlichkeit und Normalität aufrecht, die konsequent Vagheit, Unsicherheit, Unberechenbarkeit, Instabilität, Vieldeutigkeit des Lebens und Zufälle leugnen.
Mir scheint es hingegen sinnvoll, mit Mut Klienten die Tatsache des Nichtwissens zuzumuten und mit ihnen eher darüber zu sprechen, was sie an ihren gegenwärtigen Lebensumständen ändern möchten, womit sie nicht mehr einverstanden sind, was nicht bleiben soll, wie es ist. Und ob sie bereit sind, für das Ergebnis ihrer Überlegungen das Risiko einer Veränderung auf sich zu nehmen. Ein Risiko, das darin besteht, nicht wissen zu können, wie das Ergebnis einer Änderung (und einer Nichtänderung) sein wird. Dass es zwar Wünsche und Hoffnungen hinsichtlich des Ziels geben mag, diese aber nicht garantiert werden und selbst mit den differenziertesten Überlegungen nicht vorausgesagt werden können. Der „Sprung“ muss gewagt werden – oder eben nicht. Natürlich kann das verunsichern, ängstigen und ein Zögern und Zaudern nach sich ziehen. Die Zumutung bleibt aber bestehen, würdigt die existenzielle Dimension eines solchen Entscheidungsprozesses, reflektiert Zuversicht und relativiert Machbarkeitsvorstellungen.
Aber es gibt neben dem „Schweren“ des Risikos und des Wagnisses noch eine andere Erlebensmöglichkeit: die Neugierde und Lust an der Entdeckung der eigenen Freiheit, die sich in der „Möglichkeit für die Möglichkeit“ (Kierkegaard 2005, S. 488) zum Ausdruck bringt und eine Veränderung attraktiv machen kann. Und dies gerade dadurch, dass man von Hoffnung und Zuversicht absieht zugunsten der Entdeckung eigener Entscheidungsmöglichkeiten. Nichts muss bleiben wie es ist. Diese Lust kann die Angst vor einem Sprung mildern, da der Wert der Freiheit deutlicher in den Vordergrund gerückt wird. Wohlgemerkt: mildern, nicht (auf)lösen.
Literatur:
Augustinus (1989): Bekenntnisse. Stuttgart. (Reclam).
Kierkegaard (2005): Der Begriff der Angst. München (DTV).
Als ein katholisch sozialisierter Mensch, der nach einer Verdauungsphase nun diesen mythologischen Schatz wieder wertvoll finden darf, erfreue ich mich an diesen feinen Gedanken zu Gott, Glaube, Vertrauen und der oft illusorischen Sehnsucht des Wissenwollens.
Danke für diese differenzierte Auseinandersetzung! Sabine Klar
Vagheit und Gewissheit sind dann heute mal Begriffe, über die ich nachsinnieren werde. Danke für den schönen Beitrag und schönen 3. Advent.
„Vertrauen heisst trotz Nichtwissen gegenüber dem Anderen eine positive Beziehung aufzubauen“ (B.Chul Han). Und vielleicht gelingt dies (gerade für uns TherapeutInnen ) erst im Wissen und Vertrauen in die eigene Endlichkeit.