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SPRACHEMACHTSINN – Die Krise der Psychotherapie und der Weg zu einer posttherapeutischen Zukunft

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Auf dem Symposion „Positive Konstruktionen einer ,posttherapeutischen Welt’: Stranger than Fiction“ des 28. DVT-Kongressess in Berlin 2014 haben Manfred Wiesner, Eugene Epstein & Lothar Duda ihre Kritik der Psychotherapie vorgetragen, die unter anderem auch im Heft 3/2015 der Verhaltenstherapie & Psychosoziale Praxis als Artikel erschienen ist. Mit freundlicher Genehmigung erscheint dieser Text im systemagazin zum Nachlesen.

Manfred Wiesner, Eugene Epstein & Lothar Duda, Wilhelmshaven:

SPRACHEMACHTSINN – Die Krise der Psychotherapie und der Weg zu einer posttherapeutischen Zukunft[1]

Abstract

Ausgehend von einem kritischen Blick auf die Entwicklung und den derzeitigen Stand der Psychotherapie meinen die Autoren, es sei Zeit für einen Neuaufbruch – es sei Zeit, nach einer posttherapeutischen Zukunft jenseits der eingefahrenen Sprachspiele zu suchen. Der Beitrag trägt Ansatzpunkte für ein posttherapeutisches Denken aus Philosophie, Soziologie, Ethnologie, Psychologie, Sprachwissenschaften, Kunst und Musik zusammen. Ein Denken, das hermeneutische Diversität als Fluchtpunkt konstruiert – eine Hoffnung auf mehr Pluralität im Denken über uns und die Gesellschaft.

Schlüsselwörter: Posttherapeutische Zukunft, Politik, Erkenntnistheorie, Skeptizismus, Sprachkritik.

Abstract (englisch)

The authors begin by taking a critical look at the actual state of psychotherapy practices in our society and conclude that we would be well advised to begin elucidating the contours of a post-therapeutic future, one that goes beyond the narrow confines of our current language games. This article then goes on to explore aspects of post-therapeutic thinking that might be found outside of our rather insular psychotherapeutic vocabularies, from with the diverse disciplines of philosophy, sociology, ethnology, linguistics, art and music. Setting forth from a perspective that embraces hermeneutic diversity as a human resource, the authors hope for a greater plurality of voices with respect to our ways of languaging about our selves and our society.

Keywords: Posttherapeutic future, policy, epistemology, scepticism, language criticism.

Prolog

(Die Ärzte Knock und Dr. Parpalaid im Gespräch)[2]

„Knock. Was wollen Sie? Das geschieht fast ohne mein Zutun. Sobald ich jemandem gegenüberstehe, formt sich in meinen Gedanken ungewollt und unweigerlich eine Diagnose, auch wenn das völlig unnötig und unangebracht ist. (Vertraulich.) Das geht so weit, daß ich es seit einiger Zeit vermeide, in den Spiegel zu schauen.

Dr. Parpalaid. Wie … eine Diagnose? Wie meinen Sie das? Irgendeine Phantasie-Diagnose oder wie?

Knock. Was heißt Phantasie-Diagnose? Ich sage Ihnen doch, daß, wenn ich jemanden anschaue, sich mein Blick auf eine Vielzahl kaum wahrnehmbarer Auffälligkeiten richtet, ohne daß mir dies richtig bewußt wird: auf Haut, Bindegewebe, Pupillen, Kapillaren, Atemfrequenz, Haare …was weiß ich sonst noch, und mein innerer Diagnose-Apparat fängt sofort an zu arbeiten, ganz allein, ohne mich. Ich muß dem Einhalt gebieten, sonst werde ich langsam verrückt. 

Krise? Krise.

„Ein guter Psycholog ist imstande,
dich ohneweiters in seine Lage zu versetzen.“
Karl Kraus –[3]

 

Der Präsident der BundespsychotherapeutInnenkammer, Rainer Richter, fragte in einem Beitrag des Psychotherapeutenjournals 2/2013 (S.118): „Wäre es nicht an der Zeit, dass sich die Psychotherapeuten, wie andere Berufe auch, ihr eigenes Berufsbild geben?“ Im Weiteren handelt er dann strukturelle Fragen (z.B. der Gratifikation, der Approbation, der Anerkennung weiterer Verfahren, der Befugnisse etc.) ab. Im Entwurf der AG des Länderrates und BPtK-Vorstandes (Fassung 6.5.14) zu den „Kompetenzen für den Psychotherapeutenberuf in Studium und Aus-/Weiterbildung“[4] finden sich dann auch nähere inhaltliche Ausführungen. Unter anderem wird dort zu interdisziplinärem Denken ermuntert, indem auf „Erkenntnisse aus (Sozial-)Pädagogik, Philosophie, Soziologie und Neurowissenschaften“ (1.1.), kulturelle Aspekte, Sprache (1.1.), Erkenntnistheorie (1.2.) und gesamtgesellschaftliche Strukturen (3.6.) Bezug genommen wird. Auch wird von der „Mehrdeutigkeit menschlichen Erlebens, Verhaltens, Denkens und Fühlens“ (2.1.) gesprochen, was epistemologisch interessant anmutet. Darüberhinaus ist von der „Fähigkeit zur kritischen Reflektion“ (2.2.) und der „kritischen Rezeption der Entwicklung des Kenntnisstandes zu wissenschaftlich begründeten psychotherapeutischen Verfahren, Methoden und Techniken“ (1.5.) sowie der „Entwicklung neuer psychotherapeutischer Ansätze“ (2.2) die Rede. Das klingt nicht schlecht, hört sich an wie Perspektiverweiterung, Überwindung des Althergebrachten. Gleichzeitig ist ganz traditionell eine im Ton der Unhinterfragbarkeit daherkommende Übernahme des medizinischen Modells (mit all ihren Implikationen) selbstverständlich, als sei die Anwendung dieses Denkens auf den zur Rede stehenden Phänomenbereich naturgegeben.[5] Begriffe wie psychische Störung, psychische Krankheit (1.3.), Krankheitsbild (1.5.), „klassifikatorische und dimensionale Diagnostik“ (1.4.) sind gesetzt.

Bei der großen Schwester Psychiatrie mehren sich in den letzten Jahren die Stimmen, die die Grundpfeiler des heutigen psychiatrischen Denkens in Frage stellen (Lehmkuhl 2014, Bracken 2010, Summerfield 2004, Whitaker 2002, Rapley, Moncrieff & Dillon 2011, Dellwing & Harbusch 2013).[6] Manche sehen in der Psychotherapie die Heilung der psychiatrischen Krise (z. B. Irving Kirsch, 2009 nach Jasmin Dittmar 2013, S. 50), und zwar nicht zuletzt mit Blick auf die zunehmend in die Kritik geratende biologistische Orientierung der Psychiatrie. Übersehen wird hierbei die Anpassungsstörung (vgl. auch Epstein & Wiesner 2011), die die Psychotherapie in den letzten zwei Jahrzehnten in ihrem Bemühen, groß zu werden, selbst entwickelt hat (s. auch Padberg 2013). Um anerkannt zu werden, wurden semantische Offenheit und Diversität sowie eigenständige Ansätze, die Wirklichkeit(en) zu verstehen, preisgegeben und stattdessen wurde das Störungsverständnis der Psychiatrie übernommen. „Selbst konstruktionistisch orientierte systemtheoretische Betrachter haben hier die „Realität“ von psychischen Störungen, wie sie im Katalog der APA und der WHO konstruiert werden, konzediert (z.B. Richter 2003).“ (Dellwing & Harbusch 2013, S. 13)[7] Psychotherapie- AusbildungskandidatInnen von heute fordern sogar eine noch stärkere Orientierung an der Medizin.[8]

Die mit dieser inhaltlichen Engführung verbundene Aufgabe hermeneutischer Diversität bewerten wir inhaltlich und politisch kritisch, denn die o.g. inhaltlichen Weichenstellungen der Psychotherapie haben auch eine politische Seite. „So sind die Kategorien, die im DSM (und in Europa im ICD 10) als „objektive Krankheiten“ zu finden sind, eindeutig und zweifellos politische Kategorien, in denen nicht natürliche Krankheit und natürliche Gesundheit getrennt werden, sondern vielmehr Rollen gefestigt, Normalitäten gestärkt und soziale Ordnungen begrenzt werden.“ (Dellwing & Harbusch 2013, S. 10; vgl. auch Cohen 2014, Loth 2008)

Darüber hinaus sehen wir den Rückzug der PsychotherapeutInnen aus gesellschaftlichen Fragen, das Verlassen des politisch-gesellschaftlichen Raumes bedenklich. Psychotherapie wirkt heutzutage wie ein Kammerspiel in 5 Manualen. Heiner Keupp (2013) spricht von der „sozialen Amnesie der Psychotherapie“. Michael Wunder, Psychotherapeut und Mitglied im Deutschen Ethikrat, fordert, dass sich PsychotherapeutInnen bei „medizinethischen und sozialethischen Fragenstellungen stärker engagieren“ (Wunder, 2014, S. 252). Die Soziologin Eva Illouz (2009) stellt mit ihrer kritischen Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Rolle der Psychologie Nachdenkenswertes für eine Neuorientierung der Psychotherapie zur Verfügung (vgl. auch Vogd, 2015 in diesem Heft).

Rainer Richter und Dietrich Munz fordern im Psychotherapeutenjournal 2/2014 (S. 146-147) ausdrücklich dazu auf, das o.g. Kompetenzpapier von Länderrat und BPtK-Vorstand zu kommentieren. Nun denn.

Unseres Erachtens sind die in dem Papier anklingenden Reformierungsbemühungen zögerlich, uninspiriert und politisch abstinent (als ob dies ginge). Einfach zu kurz gesprungen. Nimmt man die Bezugnahme auf andere Disziplinen und Erkenntnistheorie ernst, gilt es, über den skizzierten Rahmen hinaus zu denken. Nach unserer Auffassung sind in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die Ausgangspunkte des therapeutischen Denkens, seine grundlegenden Annahmen vor dem Hintergrund einer inhaltlichen und sozialpolitischen Krise der Psychotherapie neu zu diskutieren.[9] Die Sprache der Psychotherapie erzeugt Sinn, Sinn, der sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene (vgl. auch Cabanas & Illouz, 2015 – in diesem Heft) machtvolle Wirkungen entfaltet. Dies wieder stärker zu reflektieren, halten wir für eine vornehme Aufgabe unserer Profession – nicht zuletzt in Aus- und Weiterbildung, aber auch im öffentlichen Raum.

Ausgehend von dieser knapp skizzierten Kritik[10] am gegenwärtigen Zustand der Psychotherapie wollen wir uns in essayistischer Form auf die Suche nach einer Perspektive begeben, die jenseits des traditionellen therapeutischen Denkens liegt. Ob das, was sich dann ergibt, noch angemessen mit dem Begriff Psychotherapie bezeichnet werden kann oder ob das, was uns jenseits des Gewohnten erwartet, eine andere Sprache braucht, wird in der Zukunft zu entscheiden sein. Auf jeden Fall wird es eine gute Portion Ungehorsam benötigen, um den Weg zu etwas Neuem einzuschlagen.

Im Folgenden wollen wir einige Ideen und Beispiele anführen, die unseres Erachtens Ausgangspunkte für eine posttherapeutische Weltbetrachtung sein könnten.

Beginnen wollen wir mit der skeptischen Wirklichkeitsauffassung des Michel de Montaigne.

Posttherapeutische Ansatzpunkte 

Es ist Torheit, von unserem Geist die Fähigkeit zu erwarten,
daß er beurteilen kann, was wahr und was falsch ist.
Michel de Montaigne –[11]

So oder auch ganz anders: Michel de Montaigne (1533 – 1592)

Die Gedanken Montaignes sind bis heute aktuell (Montaigne 1998, Montaigne 2008, Wild 2006, Perler 2011, Perler 2012, Bakewell 2012). Montaignes Werk und seine Haltung zum Leben wird aus heutiger Sicht in der Tradition des (pyrrhonischen) Skeptizismus (z.B. Spoerhase et al. 2009, Wild 2009) gesehen. Zentral für diesen Ansatz ist ein radikal antidogmatischer Denkstil. Montaigne strebt nicht nach einer objektiven Erfassung des Seins. Zu jeder Beschreibung, zu jedem Standpunkt, zu jeder Erklärung lassen sich Gegenbeispiele finden, nichts sei allgemeingültig. Die Idee der Klassifikation (so selbstverständlich in der Psychotherapie und Psychiatrie) ist für Montaigne unmaßgeblich. Das Individuelle ist aus dieser Sicht exklusiv. Die Schilderung von Einzelfällen mit ihrer Einzigartigkeit steht im Mittelpunkt. Widersprüchlichkeit rangiert vor Konsistenz. Perler (2011) meint, dass die skeptische Methode „auf die Destabilisierung von theoretischen Modellen abzielt“ (S. 202) – ohne in Besserwisserei überzugehen. Aus dem Entgegensetzen widersprüchlicher Phänomene oder Meinungen folgt für SkeptikerInnen eine Zurückhaltung beim Urteilen, denn es gilt, dass es stets auch anders sein könnte, als man denkt.

Blicken wir nun auf die etablierten psychotherapeutischen und psychiatrischen Erklärungsmodelle und Methoden mit ihrem omnipotenten Geltungsanspruch, so merken wir, dass Montaignes Weltsicht eine völlig andere Haltung gegenüber der Welt und unseren Mitmenschen offeriert. Beispielsweise gerät die Überzeugtheit der TherapeutInnen ins Wanken, dass mit einem „Patienten“, der seine Gefühle nicht gut zu verbalisieren vermag oder der Stimmen hört, etwas nicht stimmen könne. Kurz und gut: die Idee der Einordnung eines „Patienten“ in diagnostische Kategorien verliert ihre Gewissheit. Nach Montaigne könnte es auch ganz anders sein.

Folgt man beispielsweise dem britischen Kinder- und Jugendpsychiater Sami Timimi findet man ernstzunehmende Argumente, die das am medizinischen Modell ausgerichtete Störungsdenken als banale psychodiagnostische Tautologien erscheinen lassen. In seinem Vortrag “The McDonaldisation of Children’s Mental Health in the Era of Globalization”[12] illustriert Timimi dies beispielhaft an der Diagnose Autismus.

Die PsychologInnen Walton und Banaji (2004) machen in ihren Forschungen plausibel, dass Zuschreibungen und deren Übernahme in das Selbstbild dazu führen, sich gemäß den Zuschreibungen zu verhalten (vgl. auch Karia Hoff & Priyanka Pandey 2004 nach Akerlof & Kranton 2011, S. 38; Hacking 2006).

Die Heisenbergsche Unschärferelation (bzw. Unbestimmtheitsrelation), die vereinfacht ausgedrückt u.a. postuliert, dass bei immer genauerer Betrachtung eines Phänomens die Eindeutigkeit der Beschreibung verlorengeht, nährt u.E. aus quantenphysikalischer Perspektive die Infragestellung der psychopathologischen Gewissheiten unserer Profession. Diese wenigen Hinweise sollen genügen, um innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses aufzuzeigen, dass für vermeintlich gesichertes Wissen immer auch konträre Auffassungen zu finden sind. Das sollte uns zu denken geben.

Auch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses finden wir Positionen, die uns Alternativen zum Gewohnten und „Wahren“ vor Augen führen. Der Film „Lars und die Frauen“ zeigt auf künstlerische Weise, dass es zu unseren professionellen Beschreibungen, Bewertungen und Verhaltensgewohnheiten andere Optionen geben kann, die eine soziale Ästhetik jenseits therapeutischer Normvorstellungen bieten.[13] Der junge Titelheld lebt öffentlich mit einer Kunststoffpuppe zusammen, er spricht mit ihr wie mit einer lebenden Person und bezieht sie vollständig in sein Alltagsleben ein. Im richtigen Leben für Psychoprofis ein ausreichender Grund, Lars zu pathologisieren und ihn „intensiver“ Therapie zuzuführen. Im Film geht die Gemeinde, in der Lars lebt, auf Lars´ Sicht der Dinge wie selbstverständlich ein – das Störungsmodell wird nicht gebraucht. Es ist – so vermittelt der Inhalt dieses Films – auch Anderes denk- und lebbar. In den Family Care Homes der Family Care Foundation von Carina Håkansson (2013) in Gothenburg / Schweden findet sich die „real-life-Variante“ zu diesem Film. In diesem Projekt wird inzwischen auch auf die Therapiesprache verzichtet.

Die skeptische Haltung Montaignes kann uns Gedanken zur Verfügung stellen, die uns ermutigen, eingefahrene Betrachtungs- und Reaktionsweisen in Frage zu stellen. Der diagnostische und der therapeutische Reflex sind nicht die einzigen Optionen – wir können auch Zugang zu Möglichkeiten jenseits des Therapeutischen gewinnen.

„Ich lasse mich auf ein Gespräch oder eine Auseinandersetzung zunächst ganz frei und unbeschwert ein, da Voreingenommenheit bei mir kaum den geeigneten Boden findet, wo sie sich tief einwurzeln und gedeihen könnte. Keine Behauptung bringt mich aus der Fassung, keine Gesinnung verletzt mich, wie sehr sie mir auch gegen den Strich gehen mag. Da ist kein Hirngespinst so windig und so verstiegen, als dass ich es nicht als Auswuchs des menschlichen Geistes für bedenkenswert hielte. Da wir uns im Urteilen das Recht auf voreilige Entscheidungen versagen, betrachten wir die abwegigen Meinungen mit Nachsicht; und wenn wir ihnen nicht unsere Zustimmung geben, so leihen wir ihnen doch bereitwillig unser Ohr.“ (Montaigne, 2008, S. 9)

 

Psychotherapie und die „vagen Dinge“

„Wenn Psychotherapie in Medizin
aufgeht, hat sie sich aufgegeben.“
Peter Fuchs – [14]

In seinem Buch „Die Verwaltung der vagen Dinge. Gespräche zur Zukunft der Psychotherapie“ (2011) skizziert der Systemtheoretiker Peter Fuchs eine radikal andere Grundlegung der Psychotherapie. Diese leiht sich hiernach nicht mehr länger ihre Legitimation vom medizinischen Denken.

Aus seiner systemtheoretischen Perspektive begreift Fuchs psychische Systeme als Sinnsysteme – also Systeme, die Sinn produzieren und prozessieren. Solche Systeme fußen allein auf der Kommunikation in sozialen Räumen und bestehen nicht außerhalb derselben. Ändert sich das Kommunikable, ändert sich der soziale Raum, hat dies einen Einfluss auf den prozessierten Sinn.

Fuchs zufolge existieren solcherart psychische Systeme nicht in einer Welt von Eindeutigkeiten. „Unschärfe, Unentschiedenheit, Vagheit“ (ebenda S. 33) hingegen sind die Wesensmerkmale von Sinnsystemen – denn mit Verschiebung der Kommunikations-bedingungen kann stets auch der prozessierte Sinn in Schwingung geraten. Spreche ich bspw. als Erwachsener von >>schlechter Laune<< gegenüber einem Freund / einer Freundin, einer Psychotherapeutin oder einem Kind kann dies schon zu unterschiedlichen Sinnproduktionen führen. Und ich selber weiß erst, was ich gesagt habe, wenn ich die Antwort des anderen darauf gehört habe[15]. Im fortgesetzten Dialog kann sich der prozessierte Sinn immer wieder weiter wandeln. Der Kinofilm „Stranger than fiction“ (Regie: Marc Forster, 2006) illustriert, wie der Sinn des Kommunizierten sich ändern kann, wenn eine Erzählung anders adressiert, nämlich statt einer Psychiaterin einem Literaturwissenschaftler erzählt wird. Der Protagonist Harold Crick, ein Steuerbeamter, schildert zunächst einer Psychologin, dass er eine Stimme höre, die sein Alltagsleben erzählt. Die Psychologin diagnostiziert Schizophrenie und empfiehlt Medikamente. Harold gibt sich hiermit nicht zufrieden, fragt nach anderen Möglichkeiten zu verstehen, was ihm passiert und wird an einen Literaturprofessor verwiesen. Dieser ordnet Harolds Erzählung völlig anders ein und für Harold entstehen andere Bedeutungen seines Erlebens abseits des Krankheitsmodells.

Für Fuchs ist angesichts des changierenden Charakters des Sinns daher gerade das Vage „systematisch und systemisch Gegenstand der Arbeit von Psychotherapeuten. Sie dürfen sich in der Bemeisterung von Vagheiten, die psychisch auftreten, als kompetent darstellen. Und inkompetent wäre dann genau die Forderung nach codifizierten Befunden. Sie läge grotesk daneben.“ (ebenda S. 33) Die Psychotherapie befasst sich im Gegensatz zur Medizin mit nichtcodierbaren Problemen. „Nichtcodierte Probleme (…) lassen sich per definitionem nicht klassifizieren, unter Fallgruppen zusammenfassen, nach überlieferten Rezepturen behandeln oder gar lösen.“ (ebenda S. 38; Ausl. d. Verf.) Fuchs sieht Psychotherapie „als Instanz der Zuständigkeit für nichtcodierbare >>Seelenlagen<<, für jene Unbeherrschbarkeiten oder >>Vagheiten<<, denen mit medizinisch-technischen Mitteln nicht beizukommen ist.“ (ebenda S.37) „Der jeweilige Fall entscheidet über je nützliche Deutungen, Theorien, Disziplinen …“ (ebenda S. 33)

Sprache und Narration (Erzählung, Selbsterzählung) kommen in Fuchs´ kommunikationsbasiertem Ansatz eine zentrale Stellung zu. „Das SELBST ist (…) ein erzählendes System. In diesem Sinne ist es durch und durch dichterisch.“ (ebenda S. 86; Ausl. d. Verf.) Es gehe daher in der Psychotherapie immer um „Deutungsleistungen bezogen auf Erzählungen“ (ebenda S. 86). Folglich meint Fuchs auch: „Ein Psychotherapeut käme mit einer Zusatzausbildung in Literaturwissenschaften ziemlich weit.“ (ebenda S. 86)

Zusammengefasst vertritt Fuchs die Auffassung: „Sich ernsthaft zu befassen mit psychischen Sinnsystemen und ihrer Therapie bedeutet, unabschließbare Interpretation, die nicht das Ziel der einen gültigen Interpretation verfolgt, sondern eher das Ziel von Umcodierungen bzw. Recodierungen, die die Viabilität von, sagen wir, Lebensführungen betreffen.“ (ebenda S. 99) Es gilt, Vagheit auszuhalten, sie gelten zu lassen.

Und warum dann nicht gleich im Sinne einer posttherapeutischen Haltung den Kommunikationsraum klassischer Psychotherapie und ihre Konnotationshöfe verlassen?[16]

Ethnologie und Demut vor dem Anderssein

„Wenn Sie automatisch sicher sind, dass Sie wissen,
was Wirklichkeit ist und wer und was wirklich wichtig ist
– wenn Sie gemäß Ihrer Standardeinstellung operieren
wollen, dann werden Sie wahrscheinlich genauso wenig
wie ich über Alternativen nachdenken, die nicht sinnlos
sind und nerven. Wenn Sie aber wirklich zu denken
gelernt haben und aufmerksam sein können, dann
wissen Sie, dass Sie eine Wahl haben.“
David Foster Wallace –[17]

Ethnologische Betrachtungsweisen können uns weitere Anregungen für eine posttherapeutische Öffnung des Denkens bieten.

Der durch seine sprachwissenschaftlichen Forschungen international bekannt gewordene Linguist und Ethnologe Daniel Everett berichtet in seinen Büchern (2010, 2012, 2013) über seine mehrjährigen Erfahrungen des Zusammenlebens mit den Pirahã-Indianern am Amazonas. Sprache und Denkweise dieses Amazonasvolkes unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten von unseren Sprach- und Denkgewohnheiten. So spielt bspw. die weiter zurückliegende Vergangenheit für die Pirahã keine Rolle. Versuche Everetts, ihnen Jesus Christus nahe zu bringen, stießen vor diesem Hintergrund auf Desinteresse und Ablehnung. Der für Everett emotional bedeutsame Selbstmord seiner Stiefmutter wurde, als Everett hiervon erzählte, von den Pirahã mit Gelächter quittiert, da Suizid in ihrer Lebenswelt als etwas Dummes und Absurdes gilt und nicht vorkommt. Ebenso irritierend war für Everett, als die Pirahã wie selbstverständlich einen Geist am Flussstrand sahen, Everett auf ihn hinwiesen und Everett partout nur weißen Strand sah. Diese und viele andere Erfahrungen in der Kultur der Pirahã machten Everett deutlich, dass es auch ganz andere und dennoch genauso viable Seinsmöglichkeiten geben kann als jene durch unsere Kultur vorgeformten Erfahrungshorizonte.

Hierzu passen sehr schön auch Überlegungen von David Foster Wallace über das Denken. Foster Wallace (2012) zufolge verhalten wir uns in der Regel gemäß unserer „Standardeinstellung“, jener unbewussten Haltung gegenüber der Wirklichkeit, nach der wir unser Denken und Handeln richten und die wir für selbstverständlich halten. Denken bedeutet für Foster Wallace aber gerade, sich der eigenen Standardeinstellungen bewusst zu werden und andere Sichtweisen in Betracht zu ziehen.

Der Fotograf Phil Borges (2013) entwickelte während seiner Reisen auf verschiedene Kontinente ein besonderes Interesse für Menschen, die sogenannte Halluzinationen erleben. Er führte mit ihnen Interviews, die er im Zusammenhang mit der Präsentation seiner Arbeit veröffentlichte. Hierbei berichtete er unter anderem von einem jungen Mönch, der Halluzinationen erlebte, stark durch sie verunsichert war und zunächst unter ihnen litt. Ein älterer Mönch gab ihm zu verstehen, dass er eine Gabe besitze, nahm sich seiner an und unterwies ihn. Im Weitern wurde er dann zum Medium (Kuten) des Nechung Orakels des Dalai Lama, der später betonte, dass ihm das Orakel wesentliche Dienste geleistet habe, z.B. ihn rechtzeitig veranlasst habe, sein Land zu verlassen. Phil Borges ist durch seine Interviews zu der Auffassung gelangt, dass die kulturellen Möglichkeiten, unsere Erfahrungen einzuordnen, sehr unterschiedliche Konsequenzen haben können. Im Westen bspw. ist eine Jugendliche ohne Zugriff auf alternative Interpretationsmöglichkeiten „verurteilt“, sich die Zuschreibung, krank zu sein, zu eigen machen zu müssen. In der Bewusst- und Bekanntmachung (storytelling for social change) dieser unterschiedlichen kulturellen Deutungsoptionen sieht Phil Borges die Chance, unsere eigenen Selbstinterpretationen zu erweitern. Der „Wahrheitsgehalt“ und die Glaubbarkeit solcher Interpretationsfolien werden nicht zuletzt davon abhängen, ob alternative Interpretationen unseres Erlebens von signifikanten anderen geteilt werden.[18]

Schon in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts plausibilisierte auch die Ethnopsychiatrie bzw. transkulturelle Psychiatrie mit ihren Untersuchungen, inwiefern kulturelle und sprachliche Bedingungen bzw. Unterschiede sowohl Beschreibung als auch „Therapie“ psychischer Auffälligkeiten wesentlich zu beeinflussen vermochten. Der Psychiater Wulff (1978a, 1978b) veranschaulichte dies an Hand seiner beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeit in Vietnam. Beispielsweise beschrieb er, welche Auswirkungen das Fehlen eines allgemeinen Begriffs für >>Ich<< in der vietnamesischen Sprache auf die Diagnose und die Reaktion auf abweichendes Verhalten hat.[19]

Im Lichte dieser Forschungen fragen wir, wie eng unsere westlich programmierten Bewußtseinsvorstellungen sind und welche Chancen, sich und andere zu verstehen, in einem breiter angelegten Denken liegen – gerade auch für westlich sozialisierte >>Individuen<<.

Der Dokumentarfilm “The Economics of Happiness” (Regie: Helena Norberg-Hodge, Steven Gorelick & John Page, 2011) beschreibt u.a. das Leben der Ladakhi in der Bergregion Nordindiens und illustriert wie auf Grundlage nicht-westlicher Lebens- und Wertvorstellungen offenbar sehr zufriedenstellende soziale und psychische Lebensgrundlagen geschaffen werden können.

„Language shapes thought“

„In der eigentlichen Sprachkritik, die heute
vergessen ist, beinhaltet Kritik also auch immer
eine Kritik an denjenigen, die das Sagen haben,
die öffentlich sprechen dürfen, die eine
Definitionsmacht haben. Eine eigentliche
Sprachkritik ist ohne eine Kritik an den
‹Herren des Wörterbuchs› nicht denkbar.”
Orheim –[20]

Wie ausgeprägt man sich den Einfluss der Sprache(n) auf unser Denken vorstellen kann, hat in den letzten Jahren die US-amerikanische Psycholinguistin Lera Boroditsky (2010, 2011) in ihren Studien auf eindrucksvolle Weise illustriert. Nachdem die Whorf-Sapir-Hypothese in den zurückliegenden Jahren in Vergessenheit zu geraten schien, haben die Untersuchungen von Boroditsky diesem Denken neuen Schwung verliehen. Boroditsky geht dabei auch über scheinbar neutral wirkende grundlagentheoretische Untersuchnungsdesigns hinaus und bezieht politische Dimensionen in ihre Forschung mit ein.

Sie liefert mit ihren Studien bemerkenswerte Forschungsergebnisse dafür, wie verschiedene Sprachen, ja schon kleine grammatikalische Verschiedenheiten, unterschiedliche Auswirkungen auf unsere Sicht der Welt und von uns selbst haben können.[21] So unterscheiden sich Sprachen bspw. auch danach, wie sie Persönlichkeiten beschreiben. Im Jiddischen gibt es eine Vielzahl von `noun-categories´ für jede Art von Persönlichkeitstyp, den man sich vorstellen kann. Nominativen Zuschreibungen ist nach Boroditsky eine größere Permanenz zu eigen als adjektivischen oder in der Verbform vorgenommenen Beschreibungen. Je nachdem, welche Sprache Menschen sprechen, kann dies zur Folge haben, dass sie annehmen, Persönlichkeiten können sich ändern oder nicht. [22]

Die an der Schnittstelle zwischen Kognitions- und Sprachpsychologie liegenden Forschungsergebnisse von Gregory Walton & Mahzarin Banaji unterstützen diese Perspektive, sie kommen in ihrer Studie zu dem Fazit: „These results imply that language may be an important vehicle through which we create and maintain our sense of self: who we are, what our attitudes are, and perhaps even who we would like to be” (Walton & Banaji 2004, S. 208-209)

Aus philosophischer und historischer Perspektive untersuchte auch Ian Hacking (2006), inwiefern Bezeichnungen mit dem Bezeichneten interagieren. Er beschreibt einen von ihm als „looping effect“ bezeichneten rekursiven Prozess, in dem Personen, die auf eine bestimmte Weise bezeichnet worden sind, dazu tendieren, sich nach und nach entsprechend zu verhalten.

In ihren Arbeiten über die Wirkung von Metaphern veranschaulichen Thibodeau und Boroditsky (Thibodeau & Boroditsky, 2011, 2013), dass wir, ohne es zu merken, von Metaphern erheblich beeinflusst sind, wenn wir eine Meinung zu einem Sachverhalt entwickeln: “Our work shows that people can be unwittingly swayed by metaphors when reasoning about social policy. Metaphors encourage particular conceptualizations of problems and, depending on the situation, can be helpful or misleading. We hope that coming to appreciate the role that metaphors play in reasoning can help decision-makers be mindful of the limitations and the virtues of the metaphors they chose to frame issues.” (2013). Metaphern seien besonders effektiv, wenn sie am Anfang einer Erzählung präsentiert würden, da sie nachfolgende Informationen organisierten und in eine Richtung orientierten. In der Folge würden sie dann unsere Schlussfolgerungen beeinflussen. Selbst kleine, aus einem Wort bestehende Metaphern können nach den AutorInnen das Nachdenken von Personen über wichtige Alltagsfragen verändern.

Angesichts solcher Forschungsergebnisse ist unseres Erachtens zu hinterfragen, welche Implikationen die psychiatrisch-psychologische Sprache des Westens mit ihren nominalistischen diagnostischen Zuschreibungen für die Möglichkeiten des Selbsterlebens offeriert. Was bedeutet es, eine Depression oder eine paranoide Persönlichkeitsstörung „zu haben“, welche Folgen haben solche Eigenschafts(selbst-)zuschreibungen für unsere weitere Lebensführung? Wie sehr kann ein solches Eigenschaftsdenken unsere Entwicklungsmöglichkeiten beeinflussen? In dem Dokumentarfilm Someone beside you (Regie: Edgar Hagen, CH 2006) stellt der Psychiater Dr. Edward Podvoll die Frage, ob die durch die Begriffe „TherapeutIn“ und „PatientIn“ gezogene Grenzlinie zur Konsequenz hat, dass wir TherapeutInnen einen guten Teil unserer Humanität verlieren.

Improvisation

Ich glaube, dass es im Jazz, von seinen ersten
Anfängen an, eigentlich immer um die
Erweiterung der Freiheit ging.
Steve Lacy – [23]

 

Was könnte uns die Idee der Improvisation in posttherapeutischer Hinsicht Interessantes bieten? In der Tradition des Improvisationstheaters trifft man auf ein Schauspielern ohne Skript. Denkt man in der Musik an das Begriffspaar Komposition und Improvisation, so steht die Komposition für das Vorgefertigte, das von seinen InterpretInnen mehr oder weniger werkgetreu aufgeführt wird. Die aufgeschriebenen Noten sind das Eigentliche. Nach Kurt gilt in der klassischen europäischen Musik „das Konzept der Komposition als Kulturideal“[24] (Kurt, 2008, S.27) Die Improvisation hingegen geschieht aus dem Augenblick, aus der Situation heraus und basiert nicht auf dem Abspielen vom Blatt. Produktion und Performanz geschehen bei der Improvisation – im Gegensatz zur Komposition – gleichzeitig (vgl. Kurt, 2008). (Gleichwohl basiert auch die Improvisation auf einem musikalischen Vorwissen und hat zumindest in dieser Hinsicht eine Gemeinsamkeit mit der Komposition.)

Zieht man – durchaus polemisch – einen Vergleich zur Psychotherapie könnte man sich heutzutage fragen, inwieweit das psychotherapeutische Handeln in einer vorwiegend kompositorischen Haltung erstarrt/verhaftet ist, in der das werkgetreue Abspielen von Methoden und Vokabularen – am besten manualgetreu – das non plus ultra der psychotherapeutischen Kunst ist. Wie ein solches Vokabellernen – aus TherapeutInnenhand weitergereicht an die KlientInnen – ausgeht, können wir dann in einer Stromberg-Folge bei Berthold (Ernie) Heisterkamp nach dem Besuch seiner Therapeutin hören:

„Jahrelang war ich ein Mozzarella, so `n blasser, formloser Klumpen – und alleine will den ja keiner – nur wenn da `ne Tomate mit dabei ist – oder, oder `ne Pizza. Dann, dann geht`s.

Ja, und früher war die Mama meine Tomate – oder mein Möhrchen, die war auch mal so `ne Tomate, also die Vanessa, die ich mal – meine Freundin, die ich hatte – kurz.

Also, ja, aber seitdem die alle nicht mehr da sind, also da hab ich gedacht pfff – aber die Frau Lipke hat gesagt, dass das nicht stimmt. Ich bin auch für mich alleine wertvoll nämlich – und einzigartig. Ja, und das stimmt ja auch, weil, ja, so einen wie mich kenn ich nämlich wirklich nicht nochmal.“

(>>Stromberg<< (2009), Staffel 4, Folge 8, „Die Rückkehr“; Herv. d. Verf.)

KönnerInnen unseres Fachs sind wir, wenn uns das fehlerfreie Aufsagen der Wunderfrage, das Herunterbeten des Kontingenzmodells, das Paraphrasieren der Patientenäußerungen oder das Buchstabieren des ICD (um nur wenige zu nennen) ohne Haspeln über die Lippen kommt – so wie es uns antrainiert wurde. Gelingt es uns, die KlientInnen zur Selbstaufführung der „psychologischen Noten“ zu bringen, wähnen wir uns am Ziel.

Die improvisatorische Haltung (im Jazz) hingegen ist bemüht, die Reproduktion vorgestanzter Floskeln zu vermeiden, eingeübte Klischees zu überwinden.[25] Die Improvisation will Altes hinter sich lassen und Neues entdecken. „Das Paradox der freien Improvisation besteht darin, das sie, wie jedes Musizieren, einerseits auf Schemata beruht, andererseits aber versucht, diese Schemata zu vernichten.“ (Kurt, ebenda S. 28) Dies geht einher damit, sich auf Unbestimmheit, Unkategorisierbarkeit und Ziellosigkeit einzulassen. In der (von vielen Improvisationsmusikern geschätzten) kollektiven Improvisation entsteht das Neue gerade im Zusammentreffen der >>Sprach<<eigenheiten ihrer MitspielerInnen in der jeweiligen Situation ihres gemeinsamen Musizierens. Dabei schöpfen die einzelnen Beteiligten aus einem persönlichen musikalischen Fundus, den sie situationsbezogen aus dem Stegreif variieren, kombinieren und modifizieren. Diese Haltung speist sich einerseits aus Bekanntem und versucht gleichzeitig das Gewohnte hinter sich zu lassen.

Um nicht missverstanden zu werden, diese gedankliche Anleihe bei der Improvisation soll nicht den herkömmlichen Eklektizismus „erfahrener“ PsychotherapeutInnen feiern, die sich aus den verschiedenen Therapieschulen bedienen. Denn letztlich ist diese Art von Eklektizismus immer noch zu sehr traditionell psychologisierenden Denkmustern verpflichtet. In posttherapeutischer Wendung wäre zu fragen, in welchen Klischees – oder gemäß David Foster Wallace: welchen Standardeinstellungen (s.o.) – wir inzwischen gefangen sind und wie wir sie gemäß einer improvisatorischen Haltung gemeinsam mit den Hilfesuchenden immer wieder überwinden können. Hierzu bedarf es unseres Erachtens nicht allein des traditionellen psychologischen Wissens, sondern eines viel breiteren Wissens, dass sich aus vielen Disziplinen, Lebens- und Kulturbereichen nährt.

Kurt sieht in der Idee des situativ handelnden Menschen eine Parallele zwischen der Improvisation im Jazz und dem Pragmatismus. Der amerikanische Pragmatismus zeigt uns die endlose Vielfalt an verfügbaren Möglichkeiten unsere Welten zu beschreiben.

Hiervon ausgehend wollen wir uns im nächsten Abschnitt abschließend fragen, was der Pragmatismus für eine posttherapeutische Perspektive hergibt.

Richard Rortys Pragmatismus

Philosophy makes progress not by becoming more
rigorous but by becoming more imaginative.
Richard Rorty –[26]

Für den amerikanischen neo-pragmatistischen Philosophen Richard Rorty sind die Arten, die wir wählen, um uns selbst zu beschreiben, eng verknüpft mit den philosophischen (und tatsächlich auch politischen) Entscheidungen, die wir bezüglich unserer Vorstellungen von Objektivät und Solidarität treffen. Rorty zufolge können wir diese Entscheidungen nicht treffen “by looking more deeply into the nature of knowledge, or of man, or of nature” (Rorty, 2010/1984, p.230). Denn dies würde einen Essentialismus solcher Konstrukte voraussetzen, dem der Pragmatiker nur mit großer Skepsis begegnen kann. Der Pragmatiker sieht Konzepte wie “Wahrheit” oder “Wissen” als vorübergehend erzielte Vereinbarungen, kontingent zur jeweiligen Zeit und Kultur, Vokabeln gewissermaßen, die unseren jeweiligen Anliegen und Absichten entsprechen, ohne dass sie einer weiteren Beschreibung oder Ausarbeitung bedürfen. Oder, wie Rorty schreibt “ ‘knowledge’ is, like ‘truth’, simply a compliment paid to beliefs which we think so well justified that, for the moment, further justification is not needed” (a.a.O.).

Rortys Pragmatismus legt nahe, dass PsychotherapeutInnen ihre Suche nach und ihre Vorliebe für den vermeintlich objektiven Gehalt von Begriffen wie Wissen und Wahrheit aufgeben sollten, da es keine natürlichen Rechtfertigungen oder Grundlagen gibt, an denen wir unsere Überzeugungen und Wünsche festmachen können. Vertreter einer pragmatischen Perspektive gehen vielmehr davon aus, dass es so etwas wie “inneres Selbst”, “Persönlichkeit” oder “Charakter” nicht gibt, ebenso wenig wie eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen sogenannten “Klienten/Patienten” und “TherapeutInnen”, außer eben jene, die wir durch die Benutzung solcher Begriffe konstruiert haben. So gibt es für den Pragmatiker einfach nur eine Vielzahl von unterschiedlichen Wortschätzen, aus denen wir wählen können, Sprechweisen die, im Guten wie im Schlechten, den jeweiligen temporären und lokalen Bedürfnissen dienen.

So zu denken wie ein Pragmatist im Rortyschen Sinne würde die PsychotherapeutInnen und die Psychotherapie befreien von den Einschränkungen eines engen, sozusagen einsilbigen Vokabulars. Stattdessen könnten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Potentiale von neuen, alternativen Beschreibungsmöglichkeiten richten, und auf die damit verbundenen Aussichten auf neue, andersartige Erzählungen und Beschreibungsformen für den Umgang mit den vorhandenen Lebensproblemen. Rortys Pragmatismus ermutigt uns, “to appreciate the power of redescribing, the power of language to make new and different things possible and important – an appreciation which becomes possible only when one’s aim becomes an expanding repertoire of alternative descriptions rather than The One Right Description” (1989, S. 39–40).

Durch die Einnahme einer pragmatischen Perspektive könnten wir zum Beispiel den Nutzen von pathologischen Begriffen und diagnostischen Etiketten erneut in Frage stellen. Denn, wie Rorty (1999, S. xxiii) es ausdrückte, “to see the employment of words as the use of tools to deal with the environment, rather than as an attempt to represent the intrinsic nature of that environment, is to repudiate the question of whether human minds are in touch with reality… No organism, human or non-human, is ever more or less in touch with reality than any other organism.”

Stattdessen steht uns eine Vielfalt von Beschreibungsmöglichkeiten zur Verfügung, um unsere Erfahrungen zu sortieren, die jeweils mehr oder weniger nützlich sind für die jeweiligen Zwecke und Absichten, die wir uns vorstellen können und die wir verfolgen wollen. Demzufolge ließe sich bspw. fragen, wozu es gut ist, ob man die emotionalen Mühen mit dem Scheitern, die ein Kind in der Schule oder ein Erwachsener am Arbeitsplatz erlebt als subjektive Insuffizienz oder als negative Folgen des gesellschaftlichen Wettbewerbdenkens erzählt. Letzteres könnte eine externale Attribution nach sich ziehen und darüber hinaus die politische Frage aufwerfen, ob wir mit der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit des Konkurrenzdenkens “tatsächlich” gut leben (s. hierzu auch Nnimmo Bassey von `Friends of the Earth International´ in dem Dokumentarfilm Revolution von Stewart & Van Sant, 2012).

Der Pragmatiker versteht, dass es keine endgültige, unabhängige und universelle Schiedsinstanz geben kann um zu entscheiden, welche Beschreibungen zu bevorzugen sind, welche Narrationen Gehör finden sollten. Vielmehr sind unsere Entwicklungsmöglichkeiten allein begrenzt durch das Ausmaß, in dem wir in der Lage sind, uns neue Erzählungen vorzustellen und zu erfinden.

“Preguntando Caminamos”[28]

Jeder Denker bringt einen Teil der scheinbar
festgefügten Welt in Gefahr, und niemand kann
voraussagen, was an dessen Stelle treten wird.
John Dewey[27]

Die Aktivitäten mit Blick auf die Reformierung des Psychotherapeutengesetzes geschehen aus unserer Sicht sehr im Geiste berufsständischer Besitzstandswahrung und -erweiterung. Die Orientierung an der Medizinausbildung scheint hierbei politisch favorisiert zu sein und wird berufsständisch bedient (Richter & Munz, 2014). Ein Denken jenseits dieses Sprachspiels scheint in dieser Diskussion nicht von Bedeutung zu sein. Aber sind es nicht gerade Utopien, die Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Gesellschaften sind? “Ich lege den stärksten Wert darauf, Utopist zu sein. Denn das heißt, Zielen nachstreben, die im Gegenwärtigen noch keine Wurzeln haben, heißt also, Wurzeln legen für etwas anderes, Höheres, Besseres, als wir haben. Ich bin kein >Realpolitiker<, will keiner sein und rede nicht zu solchen, die es sind. Realpolitik treiben, heißt, an Bestehendes anbauen, heißt, Verzicht leisten auf Abbruch und Erneuerung, heißt, das Dach flicken, wo der Unterbau morsch ist.“ (Mühsam, 2014, S. 182) Braucht nicht auch die Evolution der „Psychotherapie“ heutzutage wieder Visionen jenseits des Gewohnten?

Welche Möglichkeiten könnten in diesem Sinne in der intensiveren Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen liegen? Nehmen wir bspw. die Kunst. Sie ist immer auch auf der Suche nach noch nicht Gedachtem, noch nicht Gesehenem, noch nicht Gehörtem … . Sie hinterfragt zudem die gesellschaftliche Entwicklung, sie mischt sich ein, sie ist politisch.

Und ist die politische Dimension nicht gerade auch eine, die wieder stärker im Zusammenhang mit der Rolle der Psychotherapie in unserer Gesellschaft und dem psychotherapeutischen Selbstverständnis einbezogen werden sollte? Und zwar nicht zuletzt, weil wir in einer Epoche leben, in der die Ökonomie als gesellschaftliche Leittheorie gilt und Wohl und Wehe auf individueller und sozialer Ebene erheblich beeinflusst. Ist es nicht an der Zeit, der Ökonomie nicht mehr allein das politische Feld zu überlassen?

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Anmerkungen:

[1] Dieser Artikel entstand in Anlehnung an die Präsentation von Epstein, Wiesner & Duda „SPRACHEMACHTSINN“ im Rahmen des Symposions „Positive Konstruktionen einer `Posttherapeutischen Welt´: Stranger than Fiction“ auf dem 28. DGVT Kongress in Berlin 2014.

[2] Aus der Komödie „Knock oder Der Triumph der Medizin“ von Jules Romains (1924/1997), Dritter Akt, Neunte Szene (S. 87-88)

[3] Karl Kraus, 1909 (1986)

[4] Das Papier des Länderrates und des Vorstandes der BPtK (Bundespsychotherapeutenkammer) diente als Entwurf zu den Kompetenzen der PsychotherapeutInnen von morgen, der auf dem Deutschen Psychotherapeutentag (DPT) vorgestellt wurde. Selbiger forderte Ende 2014 die Politik zur Reform des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) auf.

[5] Nur zur Erinnerung: Die dem medizinischen Modell zu Grunde liegende Ansicht lässt sich in diesem Dreiersprung zusammenfassen: Individualisierung einer ‹Störung› (Die Ursache einer ‹Störung› kann nur in der Person selbst liegen), Pathologisierung einer ‹Störung› (Die ‹gestörte› Person muss krank sein), Isolierung der ‹gestörten› Person (Die ‹gestörte› Person wird isoliert ‹therapiert›). Nach der Behandlung im medizinischen Modell wird die Person dann wieder in den sozialen Raum zurück geschickt, in dem sie ‹gestört› wurde. Ad libitum. (Anm. d. Verf.: Wir danken Dr. Artus P. Feldmann von der BOAG für diese pointierte Erläuterung).

[6] Der deutsche Psychiater Dieter Lehmkuhl schreibt in einem unveröffentlichten Arbeitspapier (2014): „Der Einfluss der Industrie auf die Psychiatrie ist enorm und führt zu einer diagnostischen Inflation, künstlichen Epidemien und polemisch gesagt zu einer Umwandlung von einer Gesellschaft von Gesunden in eine von psychisch Kranken bzw. besorgt Gesunden (Medikalisierung).“

[7] S. auch Schweitzer & von Schlippe 2006.

[8] Manifest von PsychotherapeutInnen in Ausbildung, ZEIT ONLINE 13.11.2014, s. insbes. 6. http://www.zeit.de/2014/46/forderungen-psychotherapeuten-ausbildung-arbeitsbedingungen-berufsverband

[9] Zur Rolle der Kritik im sozialen Leben s. Luc Boltanski 2010

[10] Detaillierter s. auch Epstein, Wiesner & Duda 2013a, Wiesner & Epstein 2013, Epstein, Wiesner & Duda 2013b

[11] De Montaigne, Michel, 1998

[12] gehalten anlässlich des internationalen Kongresses „Beyond the Therapeutic State: Collaborative Practices for Individual and Social Change“ in Norwegen im Juni 2014 (http://www.madinamerica.com/2014/07/thinking-beyond-therapeutic-state/). Siehe auch Timimi, McCabe & Gardner, 2010.

[13] „Lars and the real girl“, 2007, Regie Craig Gillespie

[14] Fuchs, Peter 2011, S. 31.

[15] „Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, bevor ich nicht die Antwort des anderen darauf gehört habe.“ Norbert Wiener, Mathematiker 1894-1964 (zit. n. Bernhard von Mutius 2004, S. 159.)

[16] Vgl. auch Vogd, 2015 im Druck – in diesem Heft.

[17] Foster Wallace, David 2012, S.29.

[18] Vgl. Karl Jaspers: „Wahrheit ist, was uns verbindet“. (Schulz, Bonanni & Bormuth,2009)

[19] So gibt es im Vietnamesischen keinen Allgemeinbegriff für >>Ich<<. Die Selbstbenennung richtet sich vielmehr nach der jeweiligen Rollensituation in der sich der Sprecher mit Blick auf sein Gegenüber gerade befindet. Das männliche „Ich“ ist dann entweder „Herr (Großvater), kleiner oder großer Bruder, Onkel, Meister, Sklave“ (Wulff, 1978, S. 164-165). Wulff schlussfolgert hieraus: „Die Notwendigkeit zu einem häufigen Rollenwechsel, der einen Wechsel der Selbstdefinition und -benennung und damit, im westlichen Verstande, auch der eigenen >>Identität<< einschließt, ergibt sich also bereits aus der Struktur der vietnamesischen Sprache; und er wird von den Kindern, indem sie >>anständig<< sprechen lernen, bereits praktiziert“ (ebd., S. 165). Typisch für die personale Ich-Entwicklung sei in Vietnam die Herausbildung eines „Gruppen-Ego“. Im Indogermanischen typische Sprachelemente wie besitzanzeigende Fürwörter oder die dort übliche Subjektpräponderanz prägen (neben anderen nicht-sprachlichen Faktoren wie ökonomischen Produktionsverhältnissen in einer Kultur) im Gegensatz hierzu ein individualistisches Ich. Für Wulff ergeben sich hieraus Konsequenzen für die Diagnostik abweichenden Verhaltens; so erklärt sich Wulff, sogn. Ich-Störungen in Vietnam vor dem Hintergrund einer Sozialisation, die nicht auf den Aufbau eines Individual-Ichs abziele, in Vietnam kaum beobachtet zu haben (ebd. 170 ff). „Wo hingegen Sozialisationsinstanzen und -praktiken als sozialtypische psychische Struktur ein >>Gruppen-Ego<< hervorbringen, für das die Gedanken-, Gefühls- und Körperwelt des Einzelnen nicht als geschützter, ver- und geborgener Innenraum einer individuellen >>Meinigkeit<< scharf abgegrenzt ist, sondern bereits normalerweise in den Einfluß- und Zuständigkeitsbereich der erweiterten Innengruppe der Sippen- und Dorfgemeinschaft sowie der diesen zugehörig gedachten >>übersinnlichen<< Kräfte gehört, und für sie alle offen zugänglich daliegt, dort wird ein Eindringen in eine solche unversperrte und nur wenig individualisierte Gefühls-, Gedanken- und Körperwelt des einzelnen auch nicht als die personenvernichtende Katastrophe erfahren werden, nicht als der vergewaltigende Einbruch und Aufbruch, den die meisten westeuropäischen und amerikanischen Kranken dabei empfinden.“ (ebd. S. 178) Gleichwohl Wulff seinerzeit noch einem klassischen Diagnosebegriff verhaftet war, vermögen seine Schilderungen und Reflektionen die Bedeutung kultureller Aspekte für die Beschreibung „abweichenden Verhaltens“ eindrücklich zu illustrieren. Mit Blick auf die deutschen Wurzeln der heutigen westlichen Psychiatrie kritisiert Wulff: „Die wissenschaftlichen Begriffe der deutschen psychopathologischen Klinik, die in der Welt Schule gemacht haben, vor allem die Begriffe KRAEPELINS, BLEULERS und der Heidelberger Schule (von JASPERS und GRUHLE bis zu K. SCHNEIDER), sind samt und sonders als Abweichungen von den Kultur- und Sozialnormen des Bürgertums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts definiert worden, ohne daß die aus dieser Tatsache sich ergebende Einschränkung ihrer Gültigkeit ihren Schöpfern je zum Bewußtsein gekommen wäre. Kommt man in ein Land wie Vietnam, so muß man erkennen, dass die meisten von ihnen selbst für praktisch-diagnostische Zwecke unbrauchbar sind.“ (ebd. S. 158)

[20] Orheim, 2008, S. 3.

[21] Siehe in dieser Hinsicht auch die sprachphilosophischen Untersuchungen von Rolf Elberfeld (2012)

[22] Vgl. auch Paul Valérys (2011, S. 141-165) Ausführungen zur Sprache: „Die Rückwirkung der Sprache auf das Denken wurde bisher weit weniger bedacht als die Wirkung des mit Sprache vermengten Denkens. Ich meine, und habe das auch vorgetragen, daß in der Mehrzahl der Fälle die Präexistenz der Wörter und Formen einer gegebenen Sprache, die wir von klein auf so innig in uns aufgenommen haben, daß wir sie von unserem organisierten Denken nicht unterscheiden – eben weil sie, sobald das Denken sich organisiert, schon mit im Spiele ist, schon im Keim unsere mentale Produktion einengt, sie auf Begrifflichkeiten einstellt, die uns in der Illusion wiegen, wir seien überaus klar oder überaus stark – dieses Denken mehr gestaltet, als daß sie es ausdrückt – und es sogar in eine andere Richtung entwickelt als die, die es zu Beginn eigentlich nehmen wollte.“ (ebd. S. 146)

[23] Lacy, Steve nach Bailey 1987, S. 96.

[24] In der klassischen indischen Musik gilt nach Kurt (s.o.) die Improvisation als Kulturideal.

[25] Vgl. auch Wilson 1999.

[26] Rorty, 1998, S. 8.

[27] http://www.zitate.eu/de/zitat/31742/john-dewey (10.01.2015)

[28] „Fragend schreiten wir voran“, Motto der Zapatistas

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