Jürgen Kriz, Osnabrück:
Bei dem von Tom Levold für den „Adventskalender“ dankenswerterweise vorgeschlagenen Fokus darauf, was im systemischen Ansatz zu kurz kommt, möchte ich zunächst nochmals die Stärken resümieren. Nicht aus Freundlichkeit oder Höflichkeit, sondern aus der Einsicht, dass die Begeisterung für die „Stärken“ nicht selten adaptive Weiterentwicklungen behindert. Entsprechend einem Adventskalender kann ich hier nur jeweils kleine Fenster (meiner Sicht) öffnen:
- Als zentrale Stärke sehe ich, dass der systemische Ansatz in seinen rund 70 Jahren eine blühende und facettenreiche Praxeologie hervorgebracht hat. In Therapie, Beratung und (später auch) Coaching wurde die weitgehend individuumszentrierte Sicht auf Symptome und Probleme durch die Frage nach stabilisierenden und ggf. verändernden Mustern in den sozialen Interaktionen erweitert.
- Positiv verzeichne ich auch die zumindest bedingte Offenheit und das Interesse an konzeptionell-theoretischen Grundlagen. Diese führten dazu, dass z.B. „Familie“ nicht als biologische Entitäten im physikalischen Raum (wie noch in den 1980er) sondern als narrativ-kognitive Struktur verstanden wurde. Der daraus folgende Fokus auf die Dekonstruktion von entwicklungs-hinderlichen Beschreibungen war fraglos ein entscheidender Fortschritt.
- Mit (1) und (2) ist verbunden die Absage an allzu einfache Ursache-Wirkungsmodelle (wie sie z.B. der RCT-Forschung zugrunde liegen) und die Einsicht, dass faktisch alle Entwicklungsprozesse nicht-linear verlaufen. Linearer Interventionismus mit Bezug auf Verursachungs- und Wirk-Faktoren wurde somit um kontext-sensible Förderung von Selbstregulationsprozessen und stark ressourcenorientiertes Arbeiten bereichert.