systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

14. August 2023
von Tom Levold
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Tom Levold wird 70

Foto (Julian Meusel)

Heute wird Tom Levold 70 Jahre alt. So oft hat er an dieser Stelle auf die Geburtstage von Kolleginnen und Kollegen hingewiesen, Sträuße gebunden und aus der Fülle seines Wissens und seiner Erfahrungen deren unverwechselbare Persönlichkeiten gewürdigt und gratuliert. Jetzt ist er selbst dran! Zu diesem Zweck haben wir für einen Tag das systemagazin gekapert, das Forum, das als eines der Geschenke Toms an die systemische Gemeinschaft gelten kann. Er hat dieses Online-Journal gegründet, seinen Weiterbestand gesichert, und dafür gesorgt, dass es seit bald 20 Jahren durchgängig die Entwicklungen im Feld des Systemischen dokumentiert und nicht selten befeuert hat. Seinem souveränen Umgang mit digitalen Medien ist unter anderem die „Geschichtswerkstatt“ zu verdanken. Als eine offen zugängliche Quelle liefert dieses Kompendium eine „nicht-lineare visuelle Darstellung der Geschichte des systemischen Ansatzes und seiner theoretischen und praktischen Vorläufer“. Nicht nur eine Chronik, sondern auch ein Vernetzungswunder. Eine wahre Fundgrube, die nicht genug empfohlen werden kann.

Das publizistische Engagement ist nicht Toms einziger Dienst für das Systemische im deutschsprachigen Raum. Seine unverwechselbare Präsenz und sein ebenso fundiertes wie unbestechliches Beisteuern zu Wachheit, Innovation, Klärung und auch Ermutigung systemischer Diskurse sind Legion. Davon wird heute sicher in vielfältiger Weise die Rede sein. Zu Recht! Und es wird vermutlich nur ein Ausschnitt sein aus dem Vielen, was da zu sagen wäre.

Nicht nur der publizistisch herausragende, in seiner Schreibe ungemein präzise und weiterführende Autor, der Mitherausgeber von Zeitschriften und eines großen Lehrbuchs der systemischen Therapie und Beratung, oder der Historiograph der bereits erwähnten Geschichtswerkstatt ist zu würdigen. Es gilt auch, den Autor herauszuheben, der dem systemischen Denken aus der Kognitionslastigkeit herausgeholfen hat, der dem Kognitiven das Affektive, das Nonverbale und Vorsprachliche wieder zur Seite gestellt hat, der mit dazu beigetragen hat, das Bewusstsein für die Körpergebundenheit jeder Bedeutung zu schärfen. Auf die Relevanz ‚affektiver Kommunikation‘ auch in der systemischen Praxis hat er immer wieder hingewiesen. Das Transdisziplinäre hat er als ein Basismerkmal systemischer Praxis und systemischen Denkens gegen jeden Versuch der Fraktionierung verteidigt.

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14. August 2023
von Tom Levold
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Kersten Reich wird 75!

Heute feiert Kersten Reich seinen 75. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Nach einem Studium der der Germanistik, Politologie und Kunsterziehung in Stuttgart und Berlin und Tätigkeiten an der TU Berlin arbeitete er seit 1979 als Universitätsprofessor für Allgemeine Pädagogik an der Universität zu Köln und ab 2007 als Professor für Internationale Lehr- und Lernforschung. Er entwickelte den Ansatz des „Interaktionistischen Konstruktivismus“, der einen kulturbezogenen Konstruktivismus begründet. Auf seiner Website heißt es: „Der Interaktionistische Konstruktivismus ist ein neuer konstruktivistischer Ansatz, der stärker als der subjektivistische Radikale Konstruktivismus und der eher sprachtheoretische Methodische Konstruktivismus die Bedeutung der kulturellen und lebensweltlichen Interaktionen bei der Re/De/Konstruktion von Wirklichkeiten beachtet und analysiert. Der Interaktionistische Konstruktivismus setzt sich umfassend mit anderen Ansätzen in der Geistes- und Kulturgeschichte auseinander und versucht so, den Konstruktivismus als Ausdruck einer Kulturentwicklung und kultureller Praktiken zu verstehen und zu verdeutlichen“. Dieses Konzept hat Kersten Reich in einer Vielzahl von Büchern und Zeitschriftenaufsätzen niedergelegt, die zum großen Teil auf seiner Website als PDF zum Download zur Verfügung stehen. 2017 wurde er emeritiert und berät seitdem die Schulentwicklung der „Helios-Schule – Inklusive Universitätsschule der Stadt Köln“, für die er von 2011 bis 2017 als Wissenschaftlicher Leiter der Gründung tätig war.

11. August 2023
von Tom Levold
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„Kinder schützen heißt Vertrauen wahren!“

Aus Sorge um eine Verschlechterung des Kinderschutzes und die Aussetzung fundamentaler Prinzipien für eine vertrauensvolle Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern haben sich auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF e.V.) und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren (BAG KIZ) 12 Fachverbände, Organisationen und Expert*innen auf ein gemeinsames Positionspapier verständigt.

Ziel des Positionspapieres ist, die Fachöffentlichkeit für die möglichen Folgen der Regelung des § 4, Absatz 6 KKG zu sensibilisieren und eine Debatte über Rahmenbedingungen gelingender Kooperation zwischen Jugendhilfe, Medizin und Psychotherapie anzustoßen. Denn: Zentrale Grundprinzipien eines wirksamen und demokratisch begründeten Kinderschutzes wie das Vertrauen in die Hilfebeziehung und die Beteiligung an der Einschätzung von Gefahren stehen zur Disposition zugunsten einer scheinbaren Rechtssicherheit der professionellen Akteure in der Medizin, ohne dass dabei Effekte im Sinne eines verbesserten Schutzes von Kindern erwartbar wären.

Die BAG KIZ und die DGSF planen dazu voraussichtlich im Herbst auch ein Fachforum „Kooperativer Kinderschutz“. Den vollständigen Text des Positionspapiers können Sie hier lesen…

2. August 2023
von Tom Levold
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Kristina-Hahn-Preis 2023 für die Arbeit mit geflüchteten Menschen

Die Systemische Gesellschaft e.V. hat in diesem Jahr in Erinnerung an ihr ehemaliges Vorstandsmitglied und langjährigesMitglied Kristina Hahn erstmalig den Kristina-Hahn-Preis ausgeschrieben. In ihrer Information über die Preisverleihung schreibt die SG in einem Newsletter: „Kristina Hahn († 2020), die vielen nicht nur eine wunderbare Freundin und geschätzte Kollegin, sondern auch eine überzeugte und leidenschaftliche Systemikerin war,  hat von 2003 bis 2011 mit ihrem Engagement den Vorstand bereichert. Zunächst als Beisitzerin für die Einzelmitglieder, dann für die Institute und ab 2009 als Schatzmeisterin im geschäftsführenden Vorstand. Es war der Wunsch von Kristina Hahn, ein der SG zugeteiltes Erbe unter anderem für einen Förderpreis auszuschreiben. Dieses ist nun erstmals geschehen. Der Kristina-Hahn-Preis wurde mit 9.000 Euro dotiert und verstand sich als eine Auszeichnung und Anerkennung der in den jeweiligen Projekten aktiven Menschen. Wir richteten uns mit dem Preis an soziale Unternehmen zur Umsetzung innovativer Projekte in der sozialen Arbeit. Der Schwerpunkt in diesem Jahr lag auf Projekten in der Arbeit mit geflüchteten Menschen. Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen der Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft im Mai 2023 in Tübingen. In diesem Jahr haben wir das Preisgeld auf zwei Projekte aufgeteilt. Insgesamt gab es 9 Projekteinreichungen, die uns alle begeisterten. Nachfolgend möchten wir Ihnen die beiden Projekte vorstellen, die der Vorstand für den Preis ausgewählt hat, sowie zwei der weiteren Einreichungen.

Preisträger: Leipzig: Ali Schwartz für POLYRHYTHMS GbR: „POLYRHYTHMS – systemische Rhythmustherapie für queere Geflüchtete und Allies“; Köln: Marcus Böhmer, Hannah Plum und Wiltrud Brächter für Caritas Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht
„Sandspieltherapie-Gruppen mit Flüchtlingskindern – Aufsuchende Arbeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete“.

Die Projekteinreichungen werden im Newsletter einzeln vorgestellt.

23. Juli 2023
von Tom Levold
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Systemische Sozialarbeit: Haltungen und Handeln in der Praxis

Für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung hat Cornelia Tsirigotis das im vergangenen Jahr bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienene Buch von Johannes Herwig-Lempp, Professor für Systemische Sozialarbeit/ Sozialarbeitswissenschaften an der Hochschule Merseburg, rezensiert und sieht darin eine Pflichtlektüre für Sozialarbeiter*innen und alle darüber hinaus in psychosozialen Arbeitsfeldern, sehr empfehlenswert für alle Einsteiger*innen in das systemische Arbeiten und diejenigen, die sich mit ihrer Haltung auseinandersetzen möchten oder an Haltung gewinnen möchten“. Mit freundlicher Genehmigung können Sie ihre Besprechung auch hier lesen:

Cornelia Tsirigotis, Aachen:

„Systemisch“ bedeutet für mich unter anderem,
dass ich mich immer mal wieder daran erinnern
kann, dass es unendlich viele Perspektiven gibt –

und nicht nur (m)eine, mir vertraute und
„natürlich“ erscheinende. Jeder Mensch
sieht etwas anderes – und jeder von uns
verändert ständig seinen Standpunkt –
und damit seine Ansichten. (S. 388)

Johannes Herwig-Lempp legt hier ein Buch zur systemischen Sozialarbeit vor, das sich als Lehr- und Arbeitsbuch hervorragend eignet, um sich in systemisches Arbeiten, seine Möglichkeiten, Voraussetzungen und vor allem in systemische Haltungen einzuarbeiten. In acht Hauptkapiteln beschreibt er Grundlagen (des?) seines systemischen Ansatzes, für die Arbeit im psychosozialen Hilfeangeboten aufbereitet und die Wirksamkeit in der Sozialarbeit im Fokus. Dazu stellt er auf weiteren 60 Seiten seine Arbeitsmaterialien zur Verfügung.

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21. Juli 2023
von Tom Levold
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Jay Haley (19.7.1923 – 13.2.2007): Wie man Paartherapeut sein kann, ohne wirklich irgendetwas zu wissen.

Vorgestern wäre Jay Haley, ein wichtiger Pionier der Familientherapie, der zu den Mitbegründern des Mental Research Instituts in Palo Alto gehörte, 100 Jahre alt geworden. Umzugs- und ferienhalber kann ich erst heute darauf aufmerksam machen. Neben seinen vielen konzeptuellen Veröffentlichungen war er auch für seine ironischen und manchmal sarkastischen Texte über die damals vorherrschenden Therapierichtungen bekannt. So veröffentlichte er im Oktober 1980 im Journal of Marital and Family Therapy einen unterhaltsamen Artikel, wie man Paartherapeut (damals noch Ehetherapeut) sein kann, ohne wirklich etwas zu wissen. Im Abstrakt heißt es: „Therapeuten in der Ausbildung zum Ehe- und Familientherapeuten lernen oft keine Techniken, um Veränderungen herbeizuführen. Sie lernen auch nicht, wie sie vor Kollegen und Klienten die Tatsache verbergen können, dass sie nicht wissen, wie sie die Probleme von Paaren in Schwierigkeiten lösen können. Es werden sowohl allgemeine als auch spezielle Techniken besprochen, um Unwissenheit zu verbergen, und es werden Wege aufgezeigt, wie man sich für ein Scheitern korrekt entschuldigt. Der Vortrag richtet sich an Therapeuten, die nicht wissen, was sie in einem bestimmten Fall mit einem Paar tun sollen, und an Therapeuten, die nicht wissen, was sie in einem Fall tun sollen. (Übers. TL.)

Im Internet findet sich eine Kopie dieses amüsant zu lesenden Artikels hier…

28. Juni 2023
von Tom Levold
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3,8 % weniger Ehescheidungen im Jahr 2022

WIESBADEN – Im Jahr 2022 wurden in Deutschland durch richterlichen Beschluss rund 137 400 Ehen geschieden. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, sank die Zahl der Scheidungen gegenüber dem Vorjahr um knapp 5 400 oder 3,8 %, nachdem sie im Vorjahr um 0,7 % zurückgegangen war. Damit ist die Zahl der Scheidungen mit Ausnahme des Jahres 2019 seit 2012 kontinuierlich gesunken. „Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zahl der Scheidungen sind auch im Jahr 2022 weiterhin nicht erkennbar“, sagt Bettina Sommer, Expertin für Demografie beim Statistischen Bundesamt. Allerdings stieg die Zahl der Eheschließungen im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr um rund 33 000 oder 9,2 % auf rund 391 000, nachdem sie im Jahr 2021 auf einen Tiefststand gefallen war. „Bei der Zahl der Eheschließungen ist von einer Normalisierung nach den coronabedingten Einschränkungen in den beiden Vorjahren und zum Teil auch von einem Nachholeffekt auszugehen. Eine Reihe heiratswilliger Paare dürfte ihre Hochzeit auf die Zeit nach der Pandemie verschoben haben“, so Sommer weiter.

115 800 Kinder aus geschiedenen Ehen im Jahr 2022

Etwas mehr als die Hälfte (50,7 % bzw. rund 69 600) der im Jahr 2022 geschiedenen Ehepaare hatte minderjährige Kinder. Von diesen hatten wiederum 49,1 % ein Kind, 39,7 % zwei und 11,2 % drei oder mehr Kinder. Insgesamt waren im Jahr 2022 mehr als 115 800 Minderjährige von der Scheidung ihrer Eltern betroffen.

Die meisten der geschiedenen Ehen (80,1 %) wurden nach einer vorherigen Trennungszeit von einem Jahr geschieden. Scheidungen nach dreijähriger Trennung machten einen Anteil von 18,9 % aus. In diesen Fällen wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist. In 1,0 % der Fälle waren die Regelungen zur Scheidung vor einjähriger Trennung oder Scheidungen nach ausländischem Recht maßgebend.

Mehr geschiedene Langzeitehen als noch vor 25 Jahren

Etwa 24 300 oder 17,7 % aller geschiedenen Paare waren bereits mindestens im 25. Jahr verheiratet. Im Durchschnitt waren die im Jahr 2022 geschiedenen Ehepaare 15 Jahre und einen Monat verheiratet. Im Jahr 1997, also 25 Jahre zuvor, waren Ehen bereits nach durchschnittlich zwölf Jahren und vier Monaten geschieden worden. Mitverantwortlich hierfür war der vergleichsweise niedrige Anteil geschiedener Langzeitehen: 1997 wurden nur 19 100 oder 10,2 % der geschiedenen Paare im Jahr ihrer Silberhochzeit oder danach geschieden.

Bei 89,5 % der Ehescheidungen wurde der Scheidungsantrag mit Zustimmung des Ehegatten oder der Ehegattin gestellt. Bei 6,6 % wurde der Antrag von beiden Ehepartnern zusammen eingereicht. Bei den anderen 3,9 % stimmten der Ehegatte oder die Ehegattin dem gestellten Antrag nicht zu.

Im Jahr 2022 ließen sich rund 1 100 gleichgeschlechtliche Paare scheiden. Dies waren etwa 100 oder 10 % gleichgeschlechtliche Paare mehr als im Jahr 2021. Die „Ehe für alle“ war in Deutschland im Oktober 2017 eingeführt worden. Gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, können diese nicht durch Scheidung, sondern durch Aufhebung beenden. Seit Oktober 2017 können keine Lebenspartnerschaften mehr eingetragen werden. 2022 wurden mit rund 800 Aufhebungen von Lebenspartnerschaften etwa 200 oder 22,0 % weniger erfasst als im Vorjahr. Damit ist die Zahl das dritte Jahr in Folge gesunken. Hier findet zunehmend eine Verschiebung von den Aufhebungen zu den Scheidungen statt.

Weitere Informationen:

Basisdaten und Zeitreihen zu rechtskräftigen Ehescheidungen sind über die Tabellen 12631 in der Datenbank GENESIS-Online abrufbar. Daten und Zeitreihen zu Eheschließungen bieten die Tabellen 12611. (Quelle: Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 252 vom 28. Juni 2023)

22. Juni 2023
von Tom Levold
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Narrative Praxis

Im vergangenen Jahr ist ein umfangreiches, fast 500 Seiten starkes „Handbuch für Beratung, Therapie und Coaching“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen, das sich mit der Nutzbarmachung des Narrativen Ansatzes in diesen Handlungsfeldern theoretisch und praxisbezogen auseinandersetzt. Wolfgang Loth, dem systemagazin heute zum 72. Geburtstag gratuliert, hat sich in einer ebenfalls umfangreichen Rezension diesen Band vorgenommen und spricht folgende Empfehlung aus: „Insgesamt kann ich die Lektüre dieses Buches nur wärmstens empfehlen. Die hier versammelten Beiträge vermitteln eindrücklich und glaubwürdig, wie Narrative Praxis wohltuend wirken kann. Insbesondere die Beiträge, die sich Zeit und Raum dafür nahmen, diesem Geschehen konkret nachzuspüren, machen das deutlich. Aber auch die eher theoretisch gehaltenen Beiträge lassen überwiegend diesen Spirit erkennen. Ich wünsche diesem Buch, dass es aufmerksam gelesen wird und dass die Leserinnen und Leser es als ein reichhaltiges Vademecum nutzen können. Und dass sie die Ermutigungen, die dieses Buch mit auf den Weg gibt, in ihrer Wirksamkeit erfahren können. Mein Eindruck ist: Das trägt“.

Wolfgang Loth, Niederzissen:

Das sagt sich so leicht: narrativ. Und der Gebrauch dieses Wortes nimmt seit einigen Jahren deutlich zu, wie das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds) anzeigt.[1] Zu seiner Bedeutung heißt es da: »erzählend, von einem Erzähler nach bestimmten Regeln mündlich oder schriftlich vermittelt; etw. in erzählerischer Weise, in Form einer Geschichte darstellend, präsentierend«. Vermutlich bleibt davon erst einmal das Erzählen hängen, das Darbieten einer Geschichte. Doch dürfte es banal sein, das dann mit irgendeiner Form professioneller Praxis in Verbindung zu bringen. In jeder Praxis wird geredet, ob mit Worten oder schweigend. Das kann es also nicht sein. Daher halte ich in diesem Fall das eingeschobene »nach bestimmten Regeln« für maßgeblich. Erst sie sorgen dafür, dass der Begriff »Narrative Praxis« zu einem unterscheidbaren Handlungszusammenhang wird, zu einer spezifischen Form von Kommunikation. Davon handelt das hier vorgestellte Buch. Gleich wird davon genauer die Rede sein.

Vielleicht ist es noch interessant, der Entstehungsgeschichte des Wortes narrativ nachzuspüren. In der Regel bleibt es beim Verweis auf das lateinische narrare. Das bliebe mit »erzählen« übersetzt womöglich an der Oberfläche eines »aufzählenden« Vorgangs.[2]Spannender wird es nachzuvollziehen, dass narrare »von dem Adjektiv *gnāro- (lateinisch gnarus …) ›wissend‹ abgeleitet ist«,[3] was wieder eine Verbindung zu »ignorieren« andeutet, »abgeleitet von lateinisch: ignorare … = »nicht wissen«, »nicht wollen«; zu: ignarus … = unerfahren, unwissend«, was wiederum das Gegenteil aufscheinen lässt: »gnarus … = kundig; zu: noscere … = erkennen«.[4] Was als Futter für spleenige Sprachfreaks erscheinen könnte, führt, wie ich es sehe, mitten hinein in das Herz dessen, was Narrative Praxis ausmacht. Das Herzstück: Eine Praxis, in der die Beteiligten (alle der Beteiligten, Ratsuchende und Professionelle) erfahren wollen, wie sie sich mithilfe ihrer ihnen zur Verfügung stehenden Geschichten kundig machen über sich, über sich in der Welt, in der Beziehung zu sich und zu den anderen, wie sie sich vergewissern, dass sie sind. Und das ist erst einmal noch unbestimmt. Denn das bisherige »Wissen« dazu, kann sowohl einen optimistischen, sich etwas zutrauenden und handlungsfähigen Blick begründen, als auch das Gegenteil, in dem Niederlagen, Ungerechtigkeiten, Machtlosigkeit und ähnliche Erfahrungen dominieren. Hier könnte dann die Idee der »bestimmten Regeln« weiterhelfen (s. o.), die das Nachspüren, Aufsteigenlassen, Formulieren und Mitteilen von wohltuenderen Wendungen unterstützen. Ein Gespür kann entstehen für neue Mitwirklichkeiten, die mehr bedeuten als das Übernehmen von Zuschreibungen. Mitwirklichkeiten beinhalten das selbst-bewusste Teilhaben am Gestalten von lebensfreundlichen Kontexten.

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15. Juni 2023
von Tom Levold
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Corina Ahlers wird 65!

Heute feiert Corina Ahlers ihren 65. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Gebürtig in Tenerife, studierte, lebt und arbeitet sie seit 1976 in Wien. Als Lehrende für systemische Familientherapie war sie MItbegründerin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie und Studien (ÖAS), die sie auch im europäischen Familientherapieverband (EFTA) und im österreichischen Psychotherapiebeirat vertreten hat. Von 1986 – 2005 war sie als Systemische Familientherapeutin am Institut für Ehe- und Familientherapie tätig, von 2003 – 2006 als 1. Vorsitzende der ÖAS. So vielfältig wie ihre berufliche Laufbahn sind ihre inhaltlichen Interessen und ihre zahlreichen Veröffentlichungen zu Themen der systemischen Theorie und Praxis, mit denen sie das systemische Feld nachhaltig erweitert hat. Sie könnten hier nicht erschöpfend vorgestellt werden. Besonders erwähnen möchte ich daher ihre Beiträge zur Didaktik der Ausbildung von TherapeutInnen, die allzu oft unterreflektiert bleibt. So hat sie über den Einsatz des Rollenspiels in Ausbildungskontext ein sehr lesenswertes Buch geschrieben.

Ein aktueller Text von ihr befasst sich mit der Nutzbarmachung von Transkripten psychotherapeutischer Sitzungen für die Ausbildung von TherapeutInnen, der an dieser Stelle sehr empfohlen werden kann. Im Einleitungstext heißt es: “Die Analyse von vollständigen Transkripten psychotherapeutischer Sitzungen durch auszubildende und angehende systemische Psychotherapeut*innen erfolgt selten und ist wenig erprobt. Ausbildner*innen arbeiten heute vor allem mit Videos oder Audios oder in der Anwesenheit von Klient*innen, Studierende und Lehrende verfolgen im Nebenraum über Einwegspiegel oder an Monitoren den Verlauf der Sitzungen. Bücher und Fachartikel bringen Fallvignetten, um die psychotherapeutische Methode am Fall zu explizieren oder theoretische Sichtweisen (Paradigmen) fallempirisch zu unterstützen. Unbeachtet bleiben in den Fallvignetten hingegen Sequenzen, die als unbedeutend oder besonders schwierig gelten. Dies ist insofern nicht einfach hinzunehmen, als es bei den Studierenden den Eindruck erwecken kann, dass psychotherapeutische Sitzungen immer ereignisreich verlaufen und stets kathartische Höhepunkte oder heilende Momente oder Konklusionen hervorbringen, was der langjährigen psychotherapeutischen Erfahrung nicht entspricht. Therapiesitzungen können zuweilen auch scheinbar „ereignislos“ bisweilen sogar als „unangenehm“ empfunden werden. Dass „Ereignisse“ und „Prozesse“ zwar präsent, aber oft verborgen sind und dies mittels einer von Zeitdruck befreiten tiefenhermeneutischen Textanalyse an exemplarischen Fällen gelernt werden kann, ist ein Lehr- und Lernziel der Arbeit an Transkripten. Ein didaktischer Schritt in diesem Lernprozess ist es, „Schlüsselszenen“ an ihrem metaphorischen Reichtum oder an der Verbalisierung einer signifikanten Veränderung in Wahrnehmung und Erleben von Klientinnen bzw. Therapeutinnen zu erkennen. Dies ist in der von Handlungs- und Zeitdruck befreiten Arbeit am Transkript eher möglich als in der Beobachtung der laufenden psychotherapeutischen Sitzung“. Der vollständige Text ist als open-source-Artikel hier frei zu lesen.

Liebe Corina, auf dass wir auch in Zukunft von deine vielen klugen Ideen profitieren und lernen können. Ad multos Annos!

24. Mai 2023
von Tom Levold
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Die dunkle Seite von New Work

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift OSC – Organisationsberatung, Supervision, Coaching ist dem Thema New Work gewidmet. Herausgeber Thomas Bachmann hat für das Editorial ChatGPT nach den Herausforderungen und Risiken von New Work befragt und einige Antworten bekommen. Hierzu schreibt er: „Versteht man ChatGPT als ein Phänomen unserer Zeit, an dem sich ausdrückt, welche rasanten Veränderungen gerade im Gange sind, welche extremen Widersprüche und Ungleichheiten erzeugt werden und wie ausgeliefert Politik und Institutionen demgegenüber scheinen, lässt sich auch das Phänomen „Neue Arbeit“ anders einordnen. Dabei erscheint die New Work-Bewegung in diesem Zusammenhang als geradezu harmloses Phänomen. Sieht man jedoch genauer hin, zeigt sich, dass all diese Veränderungen und Umbrüche miteinander in Zusammenhang stehen und als Manifestationen von globalen gesellschaftlichen Grundströmungen verstanden werden können, denen sich niemand entziehen kann. Das Zukunftsinstitut benennt zwölf Megatrends (Konnektivität, Globalisierung, Gesundheit, New Work, Silver Society, Sicherheit, Mobilität, Gender Shift, Individualisierung, Neo-Ökologie, Urbanisierung und Wissenskultur), die auf unsere Gesellschaften wirken (Zukunftsinstitut 2023). Die Neue Arbeit wird darin als einer von zwölf Trends definiert. Wie bei allen Entwicklungen und den damit verbundenen Veränderungen entstehen neben Chancen natürlich auch Risiken. Empowerment, Ganzheitlichkeit, Selbstbestimmtheit, Sinn usw. sind wohltuende Vokabeln und wecken Hoffnung auf eine bessere Arbeitswelt und lassen oft übersehen, dass es natürlich auch eine dunkle Seite dieser Entwicklungen gibt: Entgrenzung, Erschöpfung, Geschwindigkeit, Hyperformalisierung, Ungleichheit, Übergriffigkeit, Oberflächlichkeit seien als Schlagworte genannt, die in den folgenden Artikeln genauer unter die Lupe genommen werden. In diesem Heft wollen wir daher New Work kritisch beleuchten – und zwar theoretisch und praktisch – sowie ein paar überfällige Einordnungen in diesem Feld unternehmen“.

Die bibliografischen Angaben und abstracts finden Sie hier – ebenso wie die Inhaltsangaben von Heft 1/23, das sich mit der Digitalisierung in der Beratung, also mit online- und KI-unterstützen Beratungsformaten auseinandersetzt. Auch der Jahrgang 2022 ist vollständig erfasst. Da ein großer Teil der Texte mittlerweile als Open Access-Texte zugänglich sind, sind alle entsprechenden Artikel verlinkt, so dass Sie gleich auf das Original zugreifen können.

26. April 2023
von Tom Levold
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Dialog in Differenz

Evelyn Niel-Dolzer

Evelyn Niel-Dolzer (Foto: la:st) ist Lehrtherapeutin an der Lehranstalt für Systemische Familientherapie in Wien, die dieser Tage ihr 40-jähriges Jubiläum mit einer spannenden Tagung zum Thema Wozu haben Psychotherapeut*innen Gefühle? gefeiert hat (herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle zum Jubiläum!). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Phänomenologie und Systemtheorie, Intersubjektivität und der Dialog zwischen gegenwärtigen psychoanalytischen und systemtherapeutischen Schulen. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift der Lehranstalt, den Systemischen Notizen (2023/01: S. 62-71), präsentiert sie ihre lesens- und nachdenkenswerten Gedanken zu diesen Themenkomplexen. systemagazin freut sich, diesen Text mit freundlicher Genehmigung der Systemischen Notizen und der Autorin seinen Leserinnen und Lesern nahe bringen zu können.

Evelyn Niel-Dolzer: Dialog in Differenz. (Der Lehranstalt zum 40. Geburtstag)

Am Ende des Flußarms ist die Hand aus Sand,
die alles, was durch den Fluß geht, aufschreibt.
René Char

„Ist 40 Jahre sehr alt?“, fragte mich mein Sohn vor sechzehn Jahren – da war er sechs und wir feierten meinen vierzigsten Geburtstag.
„Kommt ganz drauf an …“, habe ich ihm geantwortet.
Und weil sechsjährige Kinder originell denken und sich im Dialog überwiegend noch außerhalb konventioneller Sprachspiele und frei vom etablierten Jargon bewegen, sagte er daraufhin nicht „Stimmt, es kommt darauf an, wie alt man sich fühlt“, sondern kombinierte nachdenklich, „… stimmt! Es kommt darauf an, ob man schon bis vierzig zählen kann!“
„Ja genau!“, habe nun ich mich wiederum auf seine so verblüffende wie scharfsinnige Argumentation eingelassen und mich mit ihm an einer in diesem Moment zwischen uns aufkommenden Erfahrung gefreut: Einer stillen gemeinsamen Einsicht, in der wir intuitiv begriffen, wie untrennbar Logik und Erkenntnisgewinn in der subjektiven Lebens- und Erfahrungswelt ihrer Urheber*innen verankert sind. Und wie neue Zusammenhänge entstehen, wenn Antworten aufeinander nicht stereotyp aufgerufen, sondern in einem Gespräch spontan gegeben werden, in einem sich einstellenden Augenblick tiefer Verbundenheit und wechselseitiger emotionaler Zugewandtheit.

Genau diese Faszination – das Erahnen eines Zaubers, der im Miteinander-Sprechen möglich werden kann – war es auch, die mich vor nunmehr über dreißig Jahren in die Welt der Systemtheorie geführt hat: Ausgangspunkt meiner Reise waren damals, in den späten 1980er-Jahren, die konstruktivistische Erkenntnistheorie, die sehr persönliche Suche nach Antworten auf die Frage, ob ungedeihlichen Lebensumständen lebensfrohe und lebensbejahende Entwicklungen und Beziehungen entspringen können, und ein gewisser Widerspruchsgeist gegen den reduktionistischen Diskurs der akademisch-behavioristischen Lehre von der Psyche des Menschen.[1]

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4. April 2023
von Tom Levold
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Deconstruction and Therapy (Michael White – 1948 – 2008)

Michael White

Heute vor 15 Jahren ist Michael White, einer der wichtigen Wegbereitern des Narrativen Ansatzes in der Psychotherapie, im Alter von 59 Jahren gestorben. 1991 veröffentlichte er den Artikel „Deconstruction and therapy“ im Dulwich Centre Newsletter (Vol.3. pg. 21-40), der Gedanken enthielt, die White im April 1991 auf dem Heidelberger Kongress „Das Ende der großen Entwürfe“ sowie auf der Generating Possiblilities Through Therapeutic Conversations Conference in Tulsa, Oklahoma in Juni 1991 vorgestellt hatte. In einer schönen Vorbemerkung schreibt er: „Um einige Leser nicht zu enttäuschen, sollte ich, bevor ich mit meiner Diskussion über Dekonstruktion und Therapie fortfahre, darauf hinweisen, dass es in diesem Aufsatz nicht um die Dekonstruktion des Wissens und der Praktiken spezifischer und etablierter Therapiemodelle oder um die Dekonstruktion einer bestimmten Therapie-„Bewegung“ geht. Vielmehr habe ich mich dafür entschieden, bestimmte Therapiepraktiken in den von der Dekonstruktion vorgegebenen Rahmen zu stellen. Da ich mich in meinem Berufsleben in erster Linie mit dem beschäftige, was im therapeutischen Kontext geschieht, werde ich zu Beginn dieses Beitrags einige Therapiegeschichten vorstellen. Ich möchte betonen, dass diese Geschichten aus Platzgründen geschönt sind. Sie stellen den ungeordneten Prozess der Therapie – das Auf und Ab jenes Abenteuers, das wir als Therapie bezeichnen – nur unzureichend dar. Daher spiegelt sich in diesen Berichten eine Einfachheit wider, die in der Arbeit selbst nicht zu finden ist“ (Übers. mit Deepl).

Der vollständige Text ist hier zu lesen…