systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

24. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Für eine großzügige Aufnahme und Integration von Einwanderern und Flüchtlingen in Deutschland

dgsf-logo-lang-officeStellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF)

Die DGSF ist ein Fachverband mit mehr als 6.000 systemischen Therapeutinnen und Therapeuten, Beraterinnen und Beratern und Familientherapeuten in Deutschland. Aufbauend auf der psychosozialen Expertise ihrer Mitglieder tritt sie in ihren Grundwerten* ein für ein hohes Maß an Gewaltfreiheit, persönlicher Freiheit, sozialer Gerechtigkeit, Solidarität, Teilhabe, ökosozialem Ausgleich und informationeller Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft.

Viele DGSF-Mitglieder sind professionell oder ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit aktiv. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und Diskussionen zur Flüchtlingsarbeit erfolgt diese Stellungnahme.

Für eine großzügige Aufnahme und Integration von Einwanderern und Flüchtlingen in Deutschland sprechen aus Sicht der DGSF zahlreiche Gründe:

  1. Sie ist unvermeidlich. Mit der Globalisierung von Waren- und Touristenströmen wird die Einwanderung von Menschen auch aus wirtschaftlich armen Ländern sowie Krisen- und Kriegsgebieten in reiche Länder nicht aufzuhalten sein, unabhängig davon, welche Barrieren errichtet werden. Einwanderung aus Notlagen kann nicht dauerhaft verhindert, sondern nur human oder inhuman gestaltet werden.
  2. Sie ist humanitär. Deutschland kann einen seiner Wirtschaftsleistung entsprechenden Anteil von Flüchtlingen aufnehmen und integrieren. Deutschland hat seit dem 2. Weltkrieg in mehreren Wellen Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen (mehr als 12 Millionen 1945), Gastarbeitern (rund 3 Millionen bis zum Anwerbestopp 1973) und Aussiedlern (über 2 Millionen 1990 bis 1999) aufgenommen und langfristig integriert. Das ist auch jetzt wieder möglich. Vorstellbar scheint uns – verteilt über die nächsten Jahre – die Aufnahme von insgesamt mindestens fünf Prozent der jetzigen weltweiten Flüchtlingszahl von rund 60 Millionen, also von etwa 3 Millionen Flüchtlingen.
  3. Sie ist gerecht. Deutschland profitiert als exportstarkes Land wirtschaftlich stärker als die meisten anderen Länder dieser Welt von offenen Grenzen. Es fließt weit mehr Geld (Reichtum) aus der Welt nach Deutschland, als aus Deutschland in die Welt. Deshalb ist die Einwanderung aus ärmeren in reichere Länder Folge und zugleich Ausgleich dieser wirtschaftlichen Ungleichgewichte.
  4. Sie ist wirtschaftlich sinnvoll angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland. Ohne Zuwanderung wird die Bevölkerung Deutschlands bis 2050 voraussichtlich um rund 20 Prozent schrumpfen, mit mehr alten und weniger jungen Einwohnern als heute. Deshalb ist es sinnvoll, wenn vorwiegend jüngere Immigranten diese Lücke füllen und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands auch zukünftig sicherstellen.
  5. Sie ist machbar. Deutschland hat die Produktions-, Verwaltungs-, Dienstleistungs- und Bildungspotentiale bzw. kann diese mit vertretbarem Aufwand mittelfristig aufbauen, um mehrere Millionen Neubürger erfolgreich aufzunehmen und zu integrieren. Dies zeigt auch das umfangreiche, kompetente, anfangs spontan improvisierte und dann professionalisierte Engagement vieler professioneller und ehrenamtlicher Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer.

In dieser Ressourcenlage ist die Integration vieler Einwanderer und Flüchtlinge wesentlich zunächst eine Willensfrage, dann eine Frage kluger Organisation. Über ihr Gelingen bestimmen die Köpfe, Herzen und Entscheidungen der Beteiligten. Das Boot ist nicht „voll“. Es bedarf aber einer entsprechenden Ressourcenausstattung (vor allem der Kommunen), um diese Möglichkeiten und Potenziale nutzbar zu machen.

Deshalb spricht sich die DGSF für eine offensiv propagierte, langfristig und vorausschauend geplante, umfangreich und engagiert durchgeführte Aufnahme- und Integrationspolitik für Kriegs-, Folter-, Klimawandel- und Armutsflüchtlinge aus. Sie kann und wird als psychosozialer Fachverband dazu beitragen

    • Fachkräfte und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsberatung zu qualifizieren und zu unterstützen durch Weiterbildung, Supervision und Fachberatung,
    • Fachleute zu finden, die in lokalen und regionalen Konfliktfeldern der Flüchtlingsaufnahme und -integration vorbeugend und vermittelnd mitwirken.

Die DGSF empfiehlt ihren Mitgliedern eine Unterstützung dieser Position in den Diskussionen an ihren Wohn- und Arbeitsorten.

Wir sind nicht naiv. DGSF-Mitglieder wissen aus ihrer professionellen Arbeit um die Ängste vieler Menschen vor zu viel Fremdem und Unbekanntem, vor Besitzstandsverlusten, vor kulturellem Wandel. Sie wissen um die Konflikte und Umstellungsprobleme sowohl der Flüchtlinge wie der Einheimischen, und sie respektieren die damit verbundenen Sorgen vieler Menschen. Sie wissen auch um Beispiele misslungener Integration in den vergangenen Jahrzehnten. Aber sie wissen, dass in einer global vernetzten Welt in Krisenzeiten massenhafte Bevölkerungswanderungen nicht verhindert, sondern nur human oder inhuman gestaltet werden können. Die DGSF tritt dafür ein, dass sie human gestaltet werden.

Dr. Björn Enno Hermans, Vorsitzender
Prof. Dr. Jochen Schweitzer, Gesellschaftspolitischer Sprecher im Mai 2016

* Grundwertepapier der DGSF, verabschiedet von der Mitgliederversammlung 2015:

DGSF e. V.
Jakordenstraße 23 | 50668 Köln www.dgsf.org

22. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Fremdplatzierung und Bindungstheorie

schleiffer_fremdplatzierung

Wolfgang Loth (Bergisch Gladbach):

Roland Schleiffer hat sich einen Namen gemacht mit seinen Publikationen zu einer systemtheoretischen Entwicklungspsychopathologie und zur funktionalen Analyse von Verhaltensauffälligkeiten. Vor kurzem hat er seine Arbeiten dazu in zwei bemerkenswerten Bänden aktualisiert und gebündelt (1). Mit dem nun vorliegenden Buch „Fremdplatzierung und Bindungstheorie“ geht er einem Themenbereich nach, der mit den vorher genannten korrespondiert, jedoch ein eigenes Profil gewinnt. Mit der Bindungstheorie wählt er einen zentralen entwicklungspsychologischen Bezugsrahmen und mit Fremdplatzierung denjenigen Bereich der Jugendhilfe, der zu den bindungstheoretischen Assoziationen am stärksten kontrastiert und darüber hinaus den höchsten Aufwand erfordert. Dies schließt ein, dass sich damit die am weitesten gehenden Anforderungen an alle Beteiligten verknüpfen. Das Thema ist also wichtig. Orientierung tut not, weit über alle rechtlichen und verfahrenstechnischen Vorgaben hinaus.

Der Autor geht sein Thema mit geradezu akribischer Sorgfalt an, diskutiert entwicklungspsychologische, sozialpädagogische, juristische und gesellschaftliche Aspekte und streut dabei immer wieder systemtheoretische Querverbindungen Luhmannscher Provenienz ein. Das Material gliedert Schleiffer in sechs inhaltlichen Kapiteln.

In den beiden ersten legt er die bindungstheoretischen Grundlagen dar und setzt sie in Beziehung zur Situation und zur Vielfalt der heutigen Familien. Auch wenn die Form des vorliegenden Buches letztlich nur eine Skizzierung dieser Thematik erlaubt, so wirkt diese Skizze doch wie aus einem Guss und überzeugt sowohl durch Differenziertheit als auch durch die Souveränität ihrer Darstellung. Die Entwicklungslinie von den biologischen Grundlagen des Bindungsverhaltenssystems hin zur kommunikativ und lebensweltlich moderierten Ausprägung wird deutlich, ebenso Formen intergenerationaler Weitergabe und beziehungsspezifischer Konstellationen (Peers, Freundschaften, Liebesbeziehungen). Weiterlesen →

19. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

systeme 2015

systeme 2015Bevor das erste Heft der Zeitschrift „Systeme“ des Jahrgangs 2016 an den Start geht, möchte ich noch auf die ertragreichen beiden Hefte des vergangenen Jahrgangs hinweisen. In Heft 1 fragt Hans Lieb „Was muss eine Systemtherapie im Gesundheitswesen bewältigen, um eine Systemtherapie im Gesundheitswesen zu bleiben?“, eine Frage, die die Systemische Therapie in den kommenden Jahren noch verstärkt umtreiben wird. Ein weiterer Text von Sybille Vosberg befasst sich mit dem „weitgehend unbestellten Feld“ der systemisch-lösungsorientierten Begutachtung in familiengerichtlichen Verfahren. Ein ziemlich gewagter Artikel von Simon Springmann versucht, „mögliche Anknüpfungspunkte zwischen Nietzsches perspektivischem Denken und dem systemlschen Ansatz“ zu finden. In Heft 2 fordert Klaus Ottomeyer, angesichts der kapitalistischen Krise in Zeiten des Neoliberalismus Individuen als „Arbeitende, als Liebende und als Kämpfende eine je spezifische soziale Anerkennung“ zuteil werden zu lassen. Ulrike Borst macht einem sehr verbreitenswerten Text über „Ethik in der Psychotherapie aus systemischer Perspektive“ klar, das „Nicht alles geht“! Zwei weitere Texte beziehen sich auf die Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen aus entwicklungspsychologischer Sicht (Fabienne Becker-Stoll) und auf Kriegsenkel in Therapie und Beratung (Ingrid Meyer-Legrand). Schließlich ist noch ein Tagungsbericht zur SG-Jahrestagung 2015 in München zu erwähnen (Florian Wiedemann), die ganz dem Change-Management-Ansatz von Otto Scharmer („Theorie U“) gewidmet war. Als schöner Kontrast schließt das aktuelle Heft mit einer sehr lesenswerten Kritik der Theorie U ab, die Stefan Kühl auf der Tagung vortrug und die erfreulicherweise mit diesem Heft auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird. Darüber hinaus enthält der Jahrgang auch wieder zahlreiche gehaltvolle Rezensionen (die meisten vom Rezensionsaltmeister und systeme-Spiritus Rector Wolfgang Loth) und leistet damit auch wieder einen wunderbaren Beitrag gegen den Niedergang der Rezensionskultur in unseren Breitengraden.

Zu den vollständigen bibliografischen Angaben und abstracts geht es hier …

17. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Irritationen, Brüche, Katastrophen – Über soziale Praktiken des Umgangs mit „Störungen“ in der Interaktion

Jörg Bergmann (Foto: www.uni-bielefeld.de)

Jörg Bergmann ist emeritierter Professor für Qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Bielefeld, wo er von 2001 bis 2012 gearbeitet hat. Vorher arbeitete er schon über 10 Jahre als Professor für Mikrosoziologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Nach seinem Studium der Psychologie, Soziologie, Philosophie und Sprachwissenschaft war er von 1978-1986 wiss. Mitarbeiter und Hochschulassistent an der Universität Konstanz am Lehrstuhl von Thomas Luckmann (der übrigens vergangene Woche – am 10.5. – im Alter von 88 Jahren verstorben ist). Sein Forschungsinteresse galt und gilt der Ethnomethodologie und der Konversationsanalyse, er trug mit zahlreichen empirischen Analysen (z.B. über „Klatsch“,  Moral, Feuerwehrnotrufen, Psychotherapiesitzungen usw.) zu ihrer Bekanntheit im deutschsprachigen Raum maßgeblich bei. 2012 hielt er seine Abschiedsvorlesung in Bielefeld mit dem Thema „Irritationen, Brüche, Katastrophen. Über soziale Praktiken des Umgangs mit ‚Störungen‘ in der Interaktion“, der auch online zu lesen ist und sich mit dem Thema beschäftigt, wann und wie eine Irritation in sozialen Interaktionen überhaupt zur „Störung“ wird. Seine Frage lautet: „Irgendetwas kann die Handelnden irritieren und den weiteren Gang der Interaktion in eine andere Richtung lenken. Kontingente Ereignisse dieser Art bilden zwar Störungen der Interaktion, doch nicht alles, was eine Störung ist bzw. von den Handelnden selbst als Störung wahrgenommen wird, führt von selbst dazu, dass die Interaktion ins Stocken gerät. Es liegt an den Interaktionsteilnehmern zu entscheiden, ob es infolge einer Störung zu einer Unterbrechung kommt und so aus einer Störung eine Interaktionsstörung wird. Aber wonach entscheidet sich, ob aus einer potentiellen eine reale Störung, aus einer Irri-tation eine ,Inter-ruption’ wird?“

Der vollständige Text kann hier gelesen werden…

13. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

»Im Kern gesund.« Subjektive Krankheitstheorien und ihre Darstellung

Die Ausgabe 2/2015 des (Online-)Journals für Psychologie nimmt eine Standortbestimmung der Qualitativen Psychotherapieforschung vor. Matthias Lutz-Kopp, Soziologe mit den Arbeitsschwerpunkten Qualitative Sozialforschung und Biografieanalyse (Foto: www.kh-mz.de) untersucht anhand zweier Fallbeispiele, wie Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose ihre Situation beschreiben und zu den Diagnosen in Beziehung setzen. Im abstract heißt es: „Die soziologische Forschung zu psychischen Krankheiten bewegt sich oftmals in einem ambivalenten Verhältnis zwischen medizinischen bzw. psychotherapeutischen Diskursen, in dem sie kritisiert oder Anschlussfähigkeit sucht. Beide Zugänge werden dem Phänomen als soziologischem Gegenstand jedoch nicht gerecht. Ein Vorteil soziologischer Grundlagenforschung besteht in der Möglichkeit der Handlungsentlastung. Aus soziologischer Sicht ist die erzählte Biografie nicht zwingend Ausdruck eines Krankheitsbildes; sie kann vielmehr als Lösung eines spezifischen Darstellungsproblems gesehen werden: nämlich einem bestimmten Lebensverlauf Sinn zu geben. Aus einer solchen Binnenperspektive lässt sich erahnen, wie Betroffene ihre Krankheit erleben und welche biografischen Prozesse damit verbunden sind. Die Analyse der narrativen Interviews zeigt, wie einerseits professionelle Krankheitszuschreibungen zurückgewiesen werden und andererseits dargestellt wird, dass der Lebensverlauf nicht an »normalen« Standards gemessen werden kann. In den lebensgeschichtlichen Erzählungen kann der Kern der Person gesund bleiben, ohne den gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen an »normale« Gesunde genügen zu müssen.“

Der vollständige Text kann hier gelesen werden…

12. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Systemischer Forschungspreis 2017

logo_sgDie Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) und die Systemische Gesellschaft (SG) vergeben erstmals gemeinsam einen systemischen Forschungspreis. Der mit 3000 Euro dotierte Preis wird auf einer internationalen systemischen Forschungstagung im März 2017 verliehen. Bewerbungen sind ab sofort möglich.

Mit ihrem wissenschaftlichen Forschungspreis verfolgen die systemischen Verbände das Ziel, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, die Weiterentwicklung der Forschungs- und Praxismethoden im Kontext des systemischen Denkens anzuregen und die Bedeutung des systemischen Ansatzes für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen.

dgsf-logo-lang-officeDer Preis ist als Förderpreis konzipiert. Angenommen werden Masterarbeiten, Dissertationen, Habilitationen oder Forschungsarbeiten aus einem Projekt, das in oder auch außerhalb der Hochschule durchgeführt wurde. Erwünscht sind aktuelle Forschungsarbeiten, die nicht oder bei Einreichung nicht länger als ein Jahr veröffentlicht sind.

Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert.

Mit dem Preis soll eine Arbeit ausgezeichnet werden, die einen innovativen Beitrag zur Weiterentwicklung systemischer Forschung leistet. Dies ist möglich durch
– ein neuartiges/kreatives methodisches Design,
– eine innovative Verknüpfung von systemischer Theorie und Methode,
– anregende Theoriebildung und -entwicklung,
– überzeugende Impulse für die systemische Praxis,
– Impact auch jenseits des engeren systemischen Kontexts.

Die Forschungsarbeiten können sich auf alle Felder systemischen Arbeitens beziehen und Fragen zu Therapie, Beratung, Supervision, Mediation, Coaching oder Organisationsberatung, aber auch weitere systemisch relevante Themenstellungen bearbeiten.

Die Entscheidung über die Preisvergabe trifft unter Ausschluss des Rechtsweges ein Gremium, in dem Gutachterinnen und Gutachter mehrerer Disziplinen vertreten sind. Die Preisvergabe erfolgt im Rahmen der „International Systemic Research Conference“ in Heidelberg 2017 (8. bis 11. März 2017).
Die Preisvergabe erfolgt im Rahmen der „International Systemic Research Conference“ in Heidelberg vom 8. bis 11. März 2017, die von DGSF und SG sowie weiteren Verbänden und Instituten unterstützt wird. Informationen zur Bewerbung unter www.systemisch-forschen.de sowie auf den Internetseiten der Verbände dgsf.org und systemische-gesellschaft.de.

4. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

The Open Dialogue Approach to Acute Psychosis: Its Poetics and Micropolitics

Jaakko Seikkula

Jaakko Seikkula aus Finnland (Foto: Taos-Institut) ist mit anderen Kollegen für einen radikal anderen Ansatz in der Versorgung von Menschen mit einer Psychose-Diagnose weltberühmt geworden. Dieser netzwerkbasierte sprachlich-therapeutische Ansatz ist unter dem Label »Offener Dialog« bekannt und bezieht sich sowohl auf Bachtins dialogische Prinzipien als auch die epistemologische  Tradition von Gregory Bateson. In einem Artikel für die Family Process aus dem Jahre 2003, den Seikkula mit Mary E. Olson von der Smith College School for Social Work in Lilly Hall (Northampton, MA)  verfasst hat, untersuchen die beiden die „Poetik und Mikropolitik“  des Open Dialogue-Ansatzes. Die Poetik umfasst drei Prinzipien: »Toleranz von Ungewissheit«, »Dialogismus« und »Polyphonie in sozialen Netzwerken«. Die Wiedergabe eines Behandlungstreffens zeigt, wie diese poetischen Elemente bei der Schaffung eines therapeutischen Dialogs wirksam werden. Die Mikropolitik gehört zu der weiteren institutionellen Praxis, die diese Arbeit unterstützt, und ist Teil des finnischen Konzeptes der bedürfnis-angepassten Behandlung. Neuere Forschung spricht dafür, dass der Offene Dialog bei einer Vielfalt von akuten und schweren psychiatrischen Krisen die Ergebnisse für junge Menschen im Vergleich mit den üblichen Settings verbessert hat, z.B. bei Psychosen. Im abstract heißt es: „In Finland, a network-based, language approach to psychiatric care has emerged, called »Open Dialogue.« It draws on Bakhtin’s dialogical principles (Bakhtin, 1984) and is rooted in a Batesonian tradition. Two levels of analysis, the poetics and the micropolitics, are presented. The poetics include three principles: »tolerance of uncertainly,««Dialogism,« and »polyphony in social networks.« A treatment meeting shows how these poetics operate to generate a therapeutic a therapeutic dialogue. The micropolitics are the larger institutional practices that support this way of working and are part of Finnish Need-Adapted Treatment, Recent research suggests that Open Dialogue has improved outcomes for young people in a variety of acute, severe psychiatric crises, such as psychosis, as compared to treatment as-usual settings. In a nonrandomized, 2-year follow up of first-episode schizophrenia, hospitalization decreased to approximately 19 days; neuroleptic medication was needed in 35% of cases; 82% had no, or only mild psychotic symptoms remaining; and only 23% were on disability allowance.“

Den vollen Text können Sie hier lesen…

2. Mai 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Tom Andersen (2.5.1936-15.5.2007)

Tom Andersen

Heute würde Tom Andersen (Foto: psicoterapiaintegrativa.com) seinen 80. Geburtstag feiern. 2007 ist er wenige Tage nach seinem 71. Geburtstag auf einem Spaziergang nahe bei seiner Hütte am Meer tödlich verunglückt. In systemischen Feld ist sein Name auf immer mit der Entwicklung des „Reflecting Team“ verbunden. Es kann aber nicht oft genug betont werden, dass sich das reflektierende Team nicht in einer Methode erschöpft, sondern Ausdruck einer ganz besonderen ethischen Haltung Klienten gegenüber ist. Mit der Idee des reflecting Team hat Andersen das klassische familientherapeutisches Setting, bei dem die Familie und der Therapeut durch eine Einwegscheibe beobachtet wurden (und die Familie oft mit einem autoritativ vorgetragenen Abschlusskommentar aus dem Beobachtungsraum entlassen wurde), aus der Asymmetrie herausgeholt und Therapeuten ebenso wie die Mitglieder des Klientensystems zu gleichberechtigten Beobachtern des therapeutischen Geschehens gemacht. Das Reflecting Team ist aber nicht nur eine wirkungsvolle Vorgehensweise in Therapie und Beratung, sondern kann auch in anderen klinischen und nicht-klinischen Kontexten gewinnbringend eingesetzt werden. David A. Paré von der Universität von Calgary hat 1999 im Canadian Journal of Counseling einen Text veröffentlicht, in dem es um den Einsatz des reflektierenden Teams in klinischen Trainingssituationen geht. In seinem abstract heißt es: „The reflecting team offers a useful process for giving counsellors in training the opportunity to try out the ideas and practices they are learning, as well as providing potentially therapeutic input to clients. This paper recounts a brief history of the reflecting team’s development, followed by an examination of the social constructionist underpinnings of reflecting team work. The author suggests a range of guidelines for using reflecting teams in clinical training, followed by a clinical illustration of the process in action.“ Der vollständige Text ist hier zu lesen…

30. April 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Normen im Konflikt

Bildschirmfoto 2016-04-30 um 15.41.22

Das aktuelle Heft der Konfliktdynamik ist dem Thema „Normen im Konflikt“ gewidmet. Die Herausgeber Markus Troja, Alexander Redlich und Renate Dendorfer-Ditges schreiben dazu in ihrem Editorial: „In Anlehnung an Habermas’ Theorie kommunikativen Handelns kann man Mediation als Versuch sehen, durch verständigungsorientiertes Handeln die zunehmende Unterwerfung der »Lebenswelt« unter Recht- und Geld-gesteuerte »Systeme« einzudämmen. Das Mediationsgesetz liefert (paradoxerweise?) den Rahmen dazu und benennt wichtige und richtige Grundsätze und qualitätssichernde Beschränkungen für Mediationen. Lars Kirchhoff und Anne Isabel Kraus nehmen mit dem Titel »Von Zauberhänden und Verregelungsskepsis: Normen im Konflikt« die schwer fassbare Thematik der Normen in den Fokus. Normen bezeichnen in mehr oder weniger abstrakter Form gegenseitige Erwartungen, mit denen kollektives Verhalten gesteuert und in angemessener Weise vereinheitlicht werden. Im Themenschwerpunkt dieses Heftes geht es um Fragen wie: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Normen, Konflikten und (der Ethik) ihrer Behandlung? Wie geht man damit um, wenn Normen kollidieren, einander wi- dersprechen, in Konkurrenz stehen? Wie weit darf professionelle Konfliktvermittlung frei und kreativ sein und muss zugleich professionell und qualitätssichernd eingeengt werden?“. Neben dem erwähnten Text sind zu diesem Schwerpunkt auch noch Beiträge von Jürgen Klowait, Michael Reiss, Birgit Gantz-Rathmann, Christoph Möllers, u.a. zu finden. Alle bibliografischen Angaben mit abstracts finden Sie hier…

 

26. April 2016
von Tom Levold
1 Kommentar

Systemische Pädagogik in der Grundschule

gollor-hier-fuehle-ich-mich-wohlErika Gollor, erfahrene Lehrerin an einer Montessori-Grundschule, und NLP-Practitioner mit einer Ausbildung in Systemischer Pädagogik, hat 2015 im Carl-Auer-Verlag ein Buch über Systemische Pädagogik in der Grundschule mit dem Titel „Hier fühle ich mich wohl“ veröffentlicht. Susanne Steinebrunner aus Köln hat es gelesen und empfiehlt es als „ein Buch aus der Praxis für die Praxis!“. Aber lesen Sie selbst…

Susanne Steinebrunner (Köln):

Die Autorin Erika Gollor weist langjährige Erfahrungen als Lehrerin jener Schülform auf, in welcher Schulkinder prägende Erfahrungen für ihre weitere Schullaufbahn machen. In den ersten Kapiteln gibt die Autorin einen kurzen Einblick in die „Systemische Pädagogik“, die sie als Anwendung systemischer Sichtweisen in der pädagogischen Praxis beschreibt. Dass die Grundsätze sich aus der Familientherapie ableiten, wird ebenso erwähnt wie die Abgrenzung Systemischer Pädagogik von Systemischer Therapie. Schön, wie sie prägnant auf den häufig verwendeten Vergleich eines Systems mit einem Mobile verweist. Dieser eröffnet der Leserschaft einen Zugang zur systemischen Sichtweise, welche das Beziehungsge flecht eines Systems in den Fokus nimmt. Gerät ein Teil des Mobiles in Bewegung, bewegen sich alle anderen auch. Da die Folgebewegungen quasi nicht vorhersehbar sind, es also immer vielfältige Bewegungsmöglichkeiten im Mobile gibt, wird deutlich gemacht, dass auch pädagogische Systeme nicht nach Einbahnstraßenregeln funktionieren. Der weite systemische Blick auf das Kind lässt Optionen im pädagogischen Prozess erahnen, die in der Betriebsamkeit der Alltagsroutine häufig vermisst werden. Aus Gollors Darstellung wesentlicher Grundsätze der systemischen Herangehensweise werden der „Vorrang der Gruppe“, der „Blick auf die Lösung“, „Stärken erkennen, Ressourcen nutzen“ sowie die „Wertschätzung und Achtung der Eltern“ herausgegriffen. Deren Kenntnis und Berücksichtigung wirken sich im pädagogischen Alltag erleichternd aus und bewirken positive Veränderungen. Weiterlesen →

22. April 2016
von Tom Levold
Keine Kommentare

Online-Supervision

Im Zeitraum von Januar 2015 bis Januar 2016 führte ein Team am Institut für E-Beratung an der Technischen Hochschule Nürnberg (Prof. Dr. Richard Reindl, Emily Engelhardt und Sigrid Zauter) eine Studie über Online-Supervision durch, die auch von der Deutschen Gesellschaft für systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) gefördert wurde. Der Abschlussbericht nimmt auf zwölf Seiten eine „Systematische Bestandsaufnahme eines neuen Arbeitsfeldes“ vor, die sich auf die Interviews mit Experten, eine Literaturrecherche  sowie auf eine quantitative Online-Befragung von SupervisorInnen stützt, die evtl. Online-Medien in ihren Supervisionsprozessen einsetzen. In der Studie wird auf die Verbreitung von Online-Supervision eingegangen, auf die Nutzung unterschiedlicher Kommunikationskanäle, auf Formen und Instrumente der Online-Supervision sowie auf Fragen der Qualifizierung in Online-Supervision. Da die Rücklaufquote bei der Befragung von SupervisorInnen sehr gering war, müssen deren Ergebnisse mit Vorsicht behandelt werden. Die Autoren schreiben: „Entgegen der Annahme von einer bereits stattgefundenen Etablierung unterschiedlicher (Teil-)Formen von Online-Supervision, zeigt der sehr geringe Rücklauf bei der Onlinebefragung unter den Mitgliedern der DGSF, dass Online-Supervision kaum eine Rolle spielt. Einzig ein Teil der Supervision von Onlineberatungspersonen geschieht online (…). Ob nun – wie von manchen SupervisorInnen berichtet – zwischen einzelnen Supervisionsterminen themenorientierte Kontakte per E-Mail stattfinden, lässt sich anhand der Online-Befragung nicht eruieren. Dazu ist die Rücklaufquote zu gering. Ein Indiz dafür könnte jedoch sein, dass selbst diejenigen, die ihr Supervisionsangebot als Online-Supervision kennzeichnen, weithin noch mit ungesicherten E-Mails arbeiten.“

Offenbar scheint auch eine „Auslastung der im Präsenzmodus angebotenen Supervision“ dazu beizutragen, dass es „kaum eine Notwendigkeit zu geben [scheint], sich mit der Thematik Online-Supervision auseinanderzusetzen bzw. Angebote zu generieren“.

Der Text schließt mit Empfehlungen für die Entwicklung einer zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit, von Fort- und Weiterbildung, weitere Entwicklung methodischer Ansätze wie auch verstärkte Theoriebildung usw.

Der vollständige Text kann hier gelesen werden…