30. September 2016
von Tom Levold
1 Kommentar
Oliver König
Heute wird Oliver König 65 Jahre alt, ein schöner Anlass, von dieser Stelle ganz herzliche zu gratulieren. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich als Soziologe, Therapeut, Supervisor, Autor und Publizist in ganz unterschiedlichen Feldern einen Namen gemacht und auch den systemischen Diskurs mit verschiedenen Beiträgen bereichert. Im Zentrum dieses Diskurses stand er dabei nicht, was natürlich keinen Nachteil bedeutet. Auch wenn man dann nicht unbedingt von allen wahrgenommen wird, bietet die Position am Rande von Diskursen doch Reflexionsgewinne, die im Zentrum so nicht zu haben sind, wo es doch häufiger auch um die Sicherung und Fixierung von einmal gefassten Erkenntnissen und Positionen geht. Oliver König hat aus dieser Positionierung an und in der Peripherie immer großartige Möglichkeiten der Reflexion und Erkenntnis schöpfen können. Was ihn ausmacht, ist seine denkerische und praktische Unabhängigkeit eher am Rande von Systemen – seine klugen Veröffentlichungen, die sich dieser Unabhängigkeit verdanken, künden davon. Der Wissenssoziologie Ronald Burt spricht von Prozessen der Schließung und der Vermittlung (Closure and Brokerage) in Systemen und Netzwerken, die die Dynamik von Systemen prägen und darüber entscheiden, ob und wie Neues entstehen kann. Aus dieser Perspektive lässt sich die Position von Oliver König als Broker beschreiben, der sich in Differenz zu den jeweiligen Konzepten und Modellen setzt und daraus Erkenntnisgewinne entwickelt, die allen Vertretern der jeweiligen mainstreams (also der Zentren) ans Herz gelegt werden können. Ein gutes Beispiel hierfür ist seine Kritik an der Praxis der Aufstellungsarbeit – obwohl und gerade weil er selbst Aufstellungen als Methode einsetzt. In der Einleitung zu seinem Text „Familienaufstellungen – Kurzzeittherapie in der Gruppe. Möglichkeiten und Grenzen eines Verfahrens“, das in dem von Bernhard Strauss & Michael Geyer bei Vandenhoeck & Ruprecht 2006 herausgegebenen Band „Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung“ erschienen ist, beschreibt er auf präzise Weise genau dieses Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie, das er zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen macht.
Hier schreibt er: „Als Sozialwissenschafter eine reflexive Haltung einzunehmen erfordert ein Wissen darum, ,dass das Besondere seines Standpunktes darin besteht, ein Standpunkt im Hinblick auf einen Standpunkt zu sein’ (Bourdieu 1997, 802). Die einzige Möglichkeit, die Einschränkungen der Standortgebundenheit unserer Wahrnehmungen und Analysen zu relativieren, besteht daher darin, die Perspektivität des eigenen Standpunktes auszuweisen. Dies ist um so notwendiger, wenn es um ein Thema geht, das so umstritten ist und innerhalb der psychosozialen und therapeutischen Profession derart skandalisiert wurde, wie dies für die Methode der Familienaufstellungen der Fall ist.
In meinem Fall ist dieser Standpunkt in mehrerer Hinsicht randständig. Ich arbeite in freier Praxis psychotherapeutisch mit Familienaufstellungen, bin aber in der Perspektive des ,Zentrums’ kein Psychotherapeut, sondern firmiere unter dem Begriff ,Heilpraktiker’. Mit ,Zentrum’ ist in diesem Fall jene hegemoniale Figuration von Institutionen und Personen gemeint, die in der Frage, was Psychotherapie und wer ein Psychotherapeut sei, die Definitionsmacht haben. Von dieser Position am Rande trete ich nicht nur als Vertreter der Arbeit mit Familienaufstellungen auf, sondern zugleich als ihr Kritiker. Da diese Kritik nicht von außen kommt, sondern von jemandem, der die Methode selber praktiziert, kann sie sich nie ganz von dem hegemonialen Beigeschmack befreien, ihrerseits definieren zu wollen, wie man diese Arbeit eigentlich machen müsse. Insofern führe ich vom Rande aus einen hegemonialen Diskurs gegenüber dem Rande. Dabei gerät aus dem Blick, dass die hegemoniale Definitionsmacht hinsichtlich des Feldes der Psychotherapie im Zentrum angesiedelt ist. Ein kritischer Blick auf die Arbeit mit Familienaufstellungen hat nur dann eine Chance, sich von dieser Einseitigkeit der Kritik zumindest partiell zu befreien, wenn sie die gegenseitige Bezogenheit von Rand und Zentrum im Auge behält.“
Auch wenn die Aufstellungsarbeit heute nicht mehr so im Zentrum der Kontroversen steht wie vor 10 Jahren, ist der Text nach wie vor hoch aktuell. Man kann das vollständige Manuskript hier lesen…
Lieber Oliver, zum 65. herzliche Glückwünsche und alles Gute – verbunden mit einem Dank für Deine vielfältigen, klugen und immer gleichermaßen engagierten wie distanzierten Gedanken zur Theorie und psychosozialen Praxis in den unterschiedlichsten Feldern!