systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

18. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 18. Thomas Lindner

Begegnungen mit meinem türkischen Feinkosthändler

­Seit fast vierzig Jahren sehen wir uns beinahe jede Woche. Unsere Namen kennen wir nicht. Für mich ist er mein meist gut gelaunter türkischer Feinkosthändler. Für ihn bin ich wahrscheinlich der treue Kunde, mit dem man gut über Fußball plaudern kann. Die Begegnungen mit meinem türkischen Feinkosthändler sind für mich oft überraschend. Ich lerne etwas über Mentalitätsunterschiede und das, was man landläufig „Integration“ nennt. Sein Vater betrieb eine kleine Imbissstube, in der die Kolleginnen meiner ersten Arbeitsstelle und ich gerne mittags ein Pide-Brötchen oder einen Salatteller holten. Nach der Arbeit konnte man noch ein Schälchen Oliven und den Brotaufstrich mit dem herrlichen Namen „Als die Schwiegermutter in Ohnmacht fiel“ mitnehmen. Der Sohn erweiterte den Betrieb und führt heute drei internationale Feinkost-Theken in verschiedenen lokalen Supermärkten. Wenn ich am Wochenende einkaufe, hat der „Chef“, so wird er von vielen genannt, kaum Zeit. Dann bedient er mit, füllt die Schalen großzügig bis zum Rand und fördert nebenbei augenzwinkernd die türkische Wirtschaft. Selbstverständlich sind die Marmara-Oliven die besten und den griechischen Kalamatas vorzuziehen. Aber natürlich verkauft er auch die. Denn „der Kunde hat immer recht“. So hat es ihn sein Vater gelehrt. Komme ich werktags am Vormittag, hat er mehr Zeit. Dann plaudern wir kurz. Meist über Fußball. Natürlich ist er Anhänger von Galatasaray Istanbul. Und hält die türkische Nationalmannschaft für den Geheim-Favoriten bei der Fußball-EM im nächsten Jahr. Ich verstehe nicht viel von Fußball. Aber es ist ein wunderbares Thema für den jahrelangen Minimal-Austausch.

Was überrascht mich nun an den kleinen Begegnungen? Und was lerne ich über Mentalitätsunterschiede und „Integration“. Beispiel eins: Er erzählt mir, das die Hälfte der türkischen Nationalmannschaft in Deutschland aufgewachsen und sich auf deutsch unterhält. Das wusste ich nicht. Deutschstämmige Türken, türkeistämmige Deutsche, anatolische Rheinländer – who is who und welche Begriffe machen welchen Unterschied?

Beispiel zwei: Vorsicht bei Erdoğan, dachte ich mir, als der türkische Präsident vor ein paar Wochen kurz nach Deutschland kam. Können wir darüber auch so munter plaudern? Immerhin haben 67 % der Deutschtürken bei der letzten Stichwahl für ihn gestimmt. Aber wir können. Der „Chef“ ist Kemalist und vertritt für sein Heimatland ein säkulares Staatsmodell. Aha, nicht alle Muslime wollen einen politischen Islam. Natürlich hat der „Chef“ auch die deutsche Staatsbürgerschaft und darf auch hier wählen. Freimütig erzählt er mir, dass er als Selbständiger immer die FDP gewählt hat. Von wegen der Steuer und der deutschen Bürokratie. Jedem Kunden müsse er auch beim Kleinsteinkauf einen Kassenbon anbieten. Dass sei doch nun wirklich der Gipfel der Papierverschwendung. Ich brauche auch keinen Kassenbeleg. Trotzdem muss ich als Grün-Bewegter etwas schlucken. Und bin für einen Moment froh, dass wir unsere Namen nicht kennen. Sonst könnte er mich noch auf eine mögliche Verwandtschaft mit dem amtierenden Finanzminister befragen. Nein, bin ich nicht, bereite ich mich schon innerlich vor. Aber ich lerne: es gibt nachvollziehbare Gründe, diese Partei zu wählen. Und nicht alle FDP-Wähler sind unsympathisch. 

Beispiel drei: Manchmal wird die gute Laune meines türkischen Feinkosthändlers arg strapaziert. Drei Filialen mit mehr fast 20 Mitarbeitenden zu steuern, ist wohl kein Ponyhof. Seinen Stress bringt er dann für mich etwas ungewöhnlich zum Ausdruck. „Wie geht es denn so?“ „Eigentlich gut – aber ich könnte jemanden gebrauchen, dem ich mal so richtig in die Fresse hauen kann. So wegen des seelischen Gleichgewichts“. Das gefällt mir. So einen suche ich auch manchmal. Den „Chef“ würde ich dann gerne mal umarmen. Aber wir kennen ja noch nicht einmal unsere Namen.

17. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 17. Matthias Ohler

Wozu man in der Lage ist

Im Jahr 1988 betrat ich im Rahmen einer Konzerttour nach Warschau, Krakau und Tschenstochau das Konzentrationslager Auschwitz das erste Mal. Dieser Besuch hatte „nur“ dem „Stammlager“ I gegolten. Allein der Schritt durch das Tor mit der Überschrift „Arbeit macht frei“ in den von Organisationsverantwortlichen als „Anus Mundi“ bezeichneten Komplexes verlangte alle Konzentration, – um nicht umzufallen angesichts des bedrängenden Wissens, wie viele hier nicht mehr rauskamen und man selber nun einfach hineinspaziert und sicher auch wieder raus.

1992 folgte eine zweite Konzerttour nach Polen. Wieder kam ich nach Auschwitz. Diesmal allerdings ins Lager Birkenau, das als das „Vernichtungslager“ bezeichnet wird.

Ich machte einen Versuch: Ich stellte mich an die Rampe. Hier hielten die Züge, aus denen die her gefahrenen Häftlinge herausgetrieben wurden, sich in Reihen aufzustellen hatten und dem Kommando vorgeführt wurden, das entschied, ob jemand als arbeitsfähig einzustufen sei oder gleich zum Gasmord geschickt wurde.

Ich versuchte, mir vorzustellen, was es gewesen sein musste, mit einem dieser Züge anzukommen. Welch eine Hybris, mag man denken. Welch eine Erfahrung, denke ich noch immer. Dann drängte es mich – zunächst gegen meinen erlebten Willen – mich umzudrehen und mir vorzustellen, was es gewesen sein musste, einer derer zu sein, die entscheiden. Die Erfahrung war eindeutig: Es war – wieder zunächst gegen meinen erlebten Willen – unwidersprechlich klar, dass ich auch auf dieser Seite hätte zu stehen kommen können, aus welchen Gründen, Umständen oder Ursachen auch immer.

Was macht hier einen Unterschied? Die Schlussfolgerung, die mir, vielleicht mehr als damals, nach wie vor einleuchtet, ist: Es geht zuerst nicht darum, schlicht die Geste des Verurteilens mitzutun. Es geht auch nicht darum, anzuklagen aus einer – eingebildeten – Position dessen, der kaum aushält, was er da zu sehen bekommt. Es geht auch nicht darum, zu rechtfertigen, was getan wurde, weil man selber es vielleicht hätte tun können. – Es geht darum, in Erfahrung zu bringen, klar zu benennen und sich nicht darüber zu täuschen, wozu man fähig ist, um dann alle Konzentration darauf zu richten, wie man dafür sorgt, es selbst nicht zu tun, obwohl man dazu in der Lage wäre, und dafür, dass es von niemandem anderen getan wird. Die Unterschiede sind fein, aber elementar, scheint mir.

Das hätte niemals geschehen dürfen, sagte Hannah Arendt. In ihrer nachdrücklich zur Lektüre empfohlenen Vorlesung Über das Böse, die sie an der New School für Social Research in New York 1965 hielt[1], kommt sie im Zusammenhang mit Immanuel Kants Hinweis auf den „’faulen Fleck’ in der menschlichen Natur“, nämlich das Vermögen zu lügen[2], auf Fjodor M. Dostojewskis Die Brüder Karamasow zu sprechen und auf eine noch grundlegendere Unterscheidung bzw. Differenzierung. Der Starez Sossima beantwortet Dimitri Karamasows Frage danach, was man tun könne, um erlöst zu werden, mit dem Hinweis: Vor allem belüge dich nicht selbst[3].

Hannah Arendts bekanntes Diktum „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ kann dann so gesehen werden: Zwei Sprachspiele, die wir für inkompatibel halten, werden in einen Zusammenhang gebracht, nämlich das Sprachspiel des Gehorchens, das scheinbar keiner Wahl Raum lässt, und das Sprachspiel der Inanspruchnahme eines Rechts, das Wahl bzw. Entscheidung erfasst. Danach erscheint zu gehorchen als die Inanspruchnahme eines Rechts und von daher als Entscheidung. Arendt spricht dann dem Sprachspiel des Gehorchens seine Rechtmäßigkeit ab. Gehorchen erscheint so als Wahl, als entschiedenes Handeln, und wird problematisierbar. Ein interessanter Spielzug. Was ist daran systemisch? Der Spielzug selbst, seine Transparenz, und seine Kontingenz. Wer widersprechen will, soll zumindest sagen müssen: Doch, ich habe das Recht zu gehorchen.

Was tun? Kommunizieren und verstören. Unterschiede machen.


[1] Arendt, Hannah, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. München: Piper, 2007

[2] Ebenda, S. 28

[3] Ebenda, S. 29

16. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 16. Regina Riedel

Zeit für Stille

Schon einige Jahre beschäftigt mich im Zusammenhang mit therapeutischer Tätigkeit und der Weitervermittlung therapeutischer Haltung in der Lehre das Thema Zu-hören. So selbstverständlich Zuhören für therapeutische Tätigkeit erscheint – so „nachrangig“ wird es doch meist betrachtet. 

Lernen können wir hier aus der Musik. Was wäre ein Musikstück ohne Pause? Die Unterbrechung gibt einem  Stück erst seinen Charakter. In der Stille entfaltet sich auch beim Zuhörenden eine Verbindung zwischen dem Eigenen und dem Anderen – was löst die Musik bei mir aus und was erwarte ich, wie es weitergeht? 

Die Pause in einem therapeutischen Gesprächs gestaltet sowohl die Dimension des  Gehörten als auch die Entscheidung, was als Nächstes gesagt wird. Sie gibt uns die Möglichkeit, aus dem Fluss des Erwartbaren auszutreten. In der Methode des Dialogs nach David Bohm nennt man dies „Sublimieren“ – in der Schwebe halten – sich selbst beobachten, was beim Zuhören geschieht – bevor wir reagieren. Dann erst entsteht ein generatives Zuhören, in dem Neues entstehen kann.

Martin Buber hätte dies wohl als den Moment beschrieben, in dem das Ich zum Du wird und eine wirkliche Verbindung entsteht.

Insofern entsteht in der Stille eines Gesprächs der Unterschied, der einen Unterschied macht und das Aushalten und Wahrnehmen dieser „Pause“ ist zentrales Moment der Veränderung.

Nicht nur im therapeutischen Gespräch

15. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin 2023 – 15. Steffi Lange

Ilja, ein kleiner Junge aus Odessa, der im März 2022 an unsere Schule kam, hat bis in den Oktober 2023 kaum gesprochen, nicht einmal die einfachsten Worte lernen können, hat keinen Kontakt gefunden und er kam viele Tage nicht in die Schule. 

Im Oktober 2023 kam er in eine neue 1. Klasse. Hier wurde er offen aufgenommen und bekommt die Sicherheit und Konstanz, die in den letzten Monaten nicht möglich war. Nun kommt er morgens ganz früh und ruft uns laut über den Schulhof ein fröhliches „Guten Morgen“ zu. Welch ein Unterschied!

14. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 14. Katrin Bärhold

Schmetterlingseffekt

Wenn ich mit Menschen arbeite, vergesse ich manchmal, dass es die kleinen und ganz kleinen Dinge sind, die den Unterschied ausmachen, anstoßen oder vervollständigen. Ein anders atmen, ein Hmm, ein Blick oder eine andere innere Haltung, die gespürt wird. Konkret in ein winzige paar Zeilen.

ein Schmetterling kam herangeschmettert
knallte bunt an ein Vogelei
flappte davon und hinterließ

zweierlei

einen Schreck im Innern
einen Pick nach vorn

und es ward

ein neues Huhn geborn

13. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 13. Bernd Schmid

Ja, wir unterscheiden uns so gerne. Man will ja wissen, wer man ist. Und wie soll das gehen, ohne zu sagen: Ich bin anders als Du! Und gestehen wir es uns ruhig ein, wir wollen eben auch möglichst besser sein als andere. Es wurde uns eingeimpft, dass wir uns herausheben müssen, um wer zu sein, nicht wie beim kleinen Prinzen, wo viele Rosen gleich sein dürfen und Unterschiede mehr in der Vertrautheit liegen. 

Das treibt dann leider auch in unserem Feld unwürdige Stilblüten. Wir erheben irgendetwas, was es längst gibt, zum wichtigen Alleinstellungsmerkmal oder versuchen zumindest durch neue Namen diesen Eindruck zu erwecken. Mein Gegenbild: In meinem Blumenstrauß ist wohl kaum eine Blüte, die es nicht auch anderswo gibt. Besonders ist nur meine Zusammenstellung.

Oder wir machen aus Unterschieden Polaritäten und polemisieren damit gegen andere. Dass wir uns selbst dabei auf polare Stilisierungen reduzieren und Extremismus schüren, fällt vielleicht nicht auf.  Missbräuchliche Abgrenzung von anderen öffnet Ausgrenzung und Ausbeutung Tür und Tor. Alles auch als kulturelle Erfahrung uralt, aber wieder sehr im Schwange. 

An nichts gewöhnt sich der Mensch so schnell wie an Privilegien“ Die daraus erwachsenden Ungerechtigkeiten wollen wir nicht wahrhaben. Wir verklären Unterschiede, etwa in Einkommen, Vermögen, Bildung und Status als unsere persönlichen Verdienste. Kann ja auch was dran sein, aber vielleicht nur zu einem kleinen Prozentsatz. Insoweit sollten wir uns die Früchte gönnen. Der Rest: Herkunft und Milieu, Chancen bezüglich Absicherung, Bildung, Finanzausstattung, Rechtsstaat und Infrastruktur, also geschenkte Privilegien aller Art. Da müsste man vielleicht ernsthaft über aktiven Verzicht auf Bevorzugung und übers Teilen nachdenken. Aber wollen wir von uns denken, dass unser eigenes Verdienst vielleicht bescheiden ist, wir aber halt zufällig zur rechten Zeit am rechten Platz waren?

Wir leben in einer zentrifugalen Welt, die uns um die Ohren zu fliegen droht. Ohne aktives Engagement für Integration, also für ein verträgliches Nebeneinander und besser noch ein stärkendes Miteinander ist dem nicht entgegenzuwirken. Durch Schönreden und Freikaufen allein ist das nicht zu erreichen. Hier sind aktives Engagement, unternehmerische und politische Verantwortung gefragt. Und eben nicht nur, wenn die Unterschiede komfortabel sind. Die Toleranz fängt dort an, wo Unterschiede schwer zu ertragen sind, wir aber zusammenwirken müssen. Wir müssen streiten, gerne heftig, aber respektvoll und fair. Und dort, wo alles am Entgleisen ist, dürfen wir kein Öl ins Feuer gießen. Und manchmal sollten wir den Ball flach halten und freundlich sein. „Freundlichkeit ist die kleine Schwester der Liebe.“[1]


[1] (B. Schmid Originalton)

12. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 12. Rudolf Klein & Barbara Schmidt-Keller

In unserer Welt gibt es eine Vielzahl von Unterschieden – sei es in unseren Meinungen, unseren Erfahrungen oder unseren Persönlichkeiten. Diese Unterschiede sind es, die uns einzigartig machen und unsere Welt so vielfältig gestalten. Doch nicht alle Unterschiede sind gleich. Manche Unterschiede sind oberflächlich und haben nur geringen Einfluss auf unser Leben, während andere einen bedeutenden Unterschied machen können.

Gregory Bateson erinnert uns daran, dass es wichtig ist, Unterschiede zu schätzen, die wirklich einen Unterschied machen. Es geht darum, diejenigen Unterschiede zu erkennen und anzuerkennen, die tiefgreifende Auswirkungen haben können – sei es in unseren Beziehungen, unserer Kreativität oder unserer Art, die Welt zu sehen.

Indem wir uns bewusst für Unterschiede öffnen, die einen Unterschied machen, öffnen wir uns auch für neue Perspektiven und Möglichkeiten. Wir können von anderen lernen, uns weiterentwickeln und unsere eigene Sichtweise erweitern. Es ist eine Einladung, die Vielfalt zu umarmen und die Kraft der Unterschiede zu nutzen, um positive Veränderungen in unserem Leben und in der Welt um uns herum zu bewirken.

Also lasst uns Unterschiede machen, die einen Unterschied machen! Lasst uns die Vielfalt feiern und die Chancen nutzen, die uns durch unterschiedliche Perspektiven und Ideen geboten werden. Denn nur so können wir gemeinsam eine bessere und vielfältigere Welt schaffen.

Hätten Sie gedacht, liebe Leserinnen und Leser, dass ich meinen  diesjährigen Adventskalenderbeitrag durch „chat gpt“ habe schreiben lassen? Ich hoffe: ja. Zumindest hatte meine Frau den Eindruck, ich hätte einen langweiligen Text im Stile eines simplen Referats fabriziert. Immerhin schien sie zu denken, dass ich es auch anders (besser?) kann. Andererseits schien sie mir diese Art von Text glatt zuzutrauen. Mmh?!

Zugegeben, der Text ist vielleicht etwas langweilig, emotionslos und schlicht. Ganz daneben ist er aber nicht. Und vielleicht wäre er sogar besser, wenn ich den Auftrag geschickter formuliert hätte. 

Und während ich so darüber nachdenke und vor mich hinschreiben, frage ich mich, ob Sie den Eindruck haben, der jetzt gerade zu lesende Text sei von mir, einem (noch) lebenden Menschen, oder von chat gpt, einem (noch) bewusstseinsfreien Medium geschrieben. 

Und? War das jetzt ein künstlicher Text oder ein Text von mir? Oder eine Mischung aus Beidem?

Unterschiede, die Unterschiede machen. Gar nicht so leicht. Und so richtig lustig ist es auch nicht. 

Rudolf Klein

Foto: Barbara Schmidt-Keller

Als Ergänzung möchte ich ein Foto beisteuern. Aufgenommen im August 23 vor der Tribüne auf dem Vorplatz der Notre Dame. 

Ein Performancekünstler tanzt. Ein kleines Mädchen aus dem Zuschauerkreis, das neben seiner Mutter sitzt, steht auf und tanzt spontan neben ihm mit. Eine Sequenz von Unverfügbarkeit (Hartmut Rosa). Resonanz entsteht zwischen den beiden, die Bewegungen stimmen sich aufeinander ab, die gemeinsame Freude ist unübersehbar. Der Tänzer ist genauso bezaubert wie das Publikum. Ein Unterschied, der einen Unterschied macht.

Barbara Schmidt-Keller

11. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 11. Susanne Quistorp

Durch unser Wissen unterscheiden wir uns nur wenig, in unserer grenzenlosen Unwissenheit aber sind wir alle gleich (Karl Raimund Popper)

Diese These Karl Raimund Poppers lädt uns ein, Unterschiede aus neuen ‚Flughöhen‘ zu betrachten  und sie damit in unserer Bedeutungszuschreibung zu relativieren: für mich ein starkes Plädoyer für einen demütigeren Umgang mit Unterscheidungen.

10. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 10. Clemens Lücke

„Es lebe der Unterschied!“ – Dies ist mein Leitsatz, seitdem ich systemisch denken kann (habe ich bei Haja Molter und Gisela Osterhold ab 1990 gelernt).

Im Beruf als Berater, Therapeut, Supervisor und Coach öffnet der Satz vom Unterschied die Tür zu einer Welt der Kreativität und Möglichkeiten. 

Zurücklassen können wir die Welt der gefundenen und auch verkündeten Wahrheit. 

Im Unterschied liegen die Farben und Formen. 

Zurück bleibt das Starre. 

Der Unterschied macht klar, dass jeder von uns Einzigartig ist. Allein diese Tatsache hilft, immer weiter nach Lösungen zu suchen und diese auch zu finden.

Aktuell in unsere Zeit gedacht: Unterschiede betonen und die anderen achten, könnte den Frieden bringen.

(Foto: C. Lücke: gesehen auf dem Kristberg im Montafon)

9. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 09. Sabine Klar

Wir müssen uns unterscheiden, um nicht der Angst zu erliegen

Wie Menschen zum Leben, zur Welt, zu anderen, zu sich selbst stehen, ist geprägt von ihren Erwartungen und Vorstellungen. Die Identifikation mit bestimmten Gedanken und Erzählungen erzeugt einen Verstehens- und Bewertungsrahmen für Urteile und erschafft eine geistige Welt, die etwas schützen und erhalten will. Immer wieder behindern diese Interpretationsweisen die eigene Entwicklung oder das Erreichen selbstgewählter Ziele. Sie sind mit wichtigen Bezugspersonen inkompatibel und bestärken Wahrnehmungen, Gefühle und Beschreibungen, die Probleme schaffen. Dann kann es wichtig sein, sie zu verändern. 

Unsere Zeit ist bestimmt von angstmachenden Diskursen – wir erfahren von lokalen und globalen Bedrohungen, hören überall Stimmen, die von dräuenden Gefahren berichten. Die in der Gegenwart empfundene Angst wird damit begründet und ergänzt durch diverse schreckliche Zukunftsperspektiven. Solche Sorgegeschichten werden in bestimmten sozialen Kontexten geteilt – um sich zugehörig und damit sicherer zu fühlen und sich von anderen sozialen Kontexten absetzen zu können. All das dient auch der Vereinnahmung für bestimmte politische Zwecke und dem Machterhalt gesellschaftlicher Gruppierungen und Strukturen, die Interesse an den Angstdynamiken von Menschen haben.

Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Klarheit im Denken etwas Wichtiges ist, weil es die Auseinandersetzungen auf das Wesentliche konzentriert, einen Fokus für das Wollen und Handeln schafft und zu einem besseren Selbstverhältnis beiträgt. Gerade in angst-erregenden Lebenslagen scheint vernünftiges Denken und Sprechen hilfreich zu sein. Dann können diffuse Emotionen und Empfindungen mit neuen Bildern und Texten versehen werden – man kann der Angst einen Namen geben, ein Gesicht. Man kann mit ihr in Kontakt treten. Man kann Körperempfindungen und Gefühle von mitredenden Gedanken und den Stimmen der Umgebung unterscheiden. Dadurch werden Emotionen bewusster und distanzierter erlebt. Wenn etwas begriffen wurde, ermöglicht das Orientierung und befreit aus dem Teufelskreis der Gedankenschleifen, Lügengeschichten, falschen Hoffnungen und Manipulationen. Es kann dabei helfen, Erwartungen und Hoffnungen auf Erreichbares zu richten, Berichte über Tatsachen von solchen über Unwahrheiten zu unterscheiden und daraus Selbstpositionierung bzw. Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit zu gewinnen. Dann ist es trotz allem Beängstigenden noch möglich, der Mensch zu sein, der man sein möchte.

Wenn ich mich als menschliches Lebewesen trotz aller sozialen Einbindung und relational entwickelten Identiät eigenständig erleben und positionieren möchte, muss ich mich von dem diversen inneren und äußeren Gerede unterscheiden, von dem ich beeinflusst werde. Ich möchte nicht alles als akzeptables Konstrukt betrachten, über das mir berichtet wird. Ich möchte mich dem, was über mich erzählt wird, auch widersetzen können. Und dazu brauche ich mich selbst als Individuum bzw. als Person – auch wenn diese Idee bloß ein Konstrukt sein sollte.

8. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 08. Margret Omlin


Worte machen den Unterschied. Auch einzelne Buchstaben, Silben: Glück/Unglück. –  Meint tiefe Empathie viel oder wenig? Und wenn wir bei viel sind: macht jemand etwas mit viel Herzblut…. Oder einfach mit Herzblut?
Nun zu SEIN und SCHEIN: Realität oder Illusion? Wahrheit oder Trugbild? Es kann wunderbar sein, dem Sein – Werten, Idealen, Ideen – eine Gestalt zu geben. Sichtbarkeit erinnert uns im Alltag. 

Was passiert, wenn Substanz und Inszenierung auseinanderfallen, haben wir in den vergangenen Monaten erlebt. Wer nur am Image feilt, muss scheitern.

Advent ist ein Anfang fürs Sein, die Kerze das Symbol, der Schein. Allen Kulturchristen und der Kirche beste Wünsche für den Jahresausklang.

7. Dezember 2023
von Tom Levold
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Der Adventskalender ist gefüllt!

Liebes systemagazin-Publikum!

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für die große Resonanz bedanken, die das diesjährige Kalenderthema hervorgerufen hat. Schon bis heute sind genug Beiträge eingetroffen, um den Kalender zu füllen. Dafür ganz herzlichen Dank! Ich wünsche Ihnen allen viel Freude beim lesen und eine hoffentlich friedliche und entspannte Vorweihnachtszeit.

Herzliche Grüße

Tom Levold

Herausgeber systemagazin

7. Dezember 2023
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender 2023 – 07. Dennis Gildehaus

Als ich den Aufruf zum diesjährigen Adventskalender las, habe ich mich wieder sofort angesprochen gefühlt und bekam einen Impuls, meinen kleinen Beitrag zu leisten, der ein wenig aufmuntern soll. Er stellt einen Unterschied dar in Anbetracht zu den Grausamkeiten, die momentan allgegenwärtig und sehr präsent sind.

Ich transkribiere meine erste „Klientin-Therapeuten-Begegnung“ vor fast genau 18 Jahren, als ich vom Angestelltenverhältnis in die Selbständigkeit wechselte. 

Ich nenne die Begegnung – „Der Kochtopf“ 

Damals kam ich von einem Fortbildungskurs in „Impact-Techniken für die Psychotherapie nach Dani Beaulieu und wollte diese Methode auch in die Erstsitzung implementieren.

Aus der Anmelde-E-Mail der Klienten ging hervor, dass sie unter extrem Druck stehen würde und sich ein Ventil erhoffe, damit dieser Druck nachlässt. Dieses Thema wollte ich in die Sitzung einfließen lassen. Aber es kam ganz anders…

…es begann an der Praxistür

Ich höre die Klingel der Praxis und gehe sehr motiviert und leicht aufgeregt zur Tür, sehe die Klienten (vom Alter her hätte sie meine Großmutter sein können) und öffne die Tür…

Klientin:      Hallo, ich wollte zu Herrn Gildehaus.

D.G.:          (Völlig verwirrt) Oh, okay… Haben Sie mit Herrn Gildehaus heute einen Termin vereinbart?

Klientin:      Ja, ganz sicher! Ich kann Ihnen die E-Mail zeigen, da wurde mir der Termin von ihrem Vater mitgeteilt.

D.G.:          Ähm, dass ist ja seltsam. Kommen Sie erstmal rein. Ich bringe Sie schon einmal ins Zimmer und schaue dann, wo mein Vater sich aufhält.

Klientin:      (Folgt mir ohne Worte ins Zimmer.)

D.G.:          Nehmen Sie doch schon einmal Platz. Wollen Sie etwas zu trinken? Wasser oder Tee? Kaffee? 

Klientin:      (freundlich) Nein danke, ich habe meine eigene Wasserflasche dabei.

D.G.:          Okay, super. Dann schaue ich mal nach, wo sich mein Dad aufhält. 

Klientin:      Alles klar.

D.G.:          (total unsicher aber irgendwie auch kindlich motiviert rufend) Papa? Hallo? Bist du hier? Komisch, vorhin habe ich ihn doch gesehen. 

                  (wieder auf dem Weg ins Therapiezimmer) Haben Sie denn heute wirklich einen Termin mit meinem Vater?

Klientin:      Ja, definitiv! (leicht aufgebracht)

D.G.:          Das ist wirklich seltsam und ich glaube, dass ist noch nie vorgekommen. Zumindest hoffe ich, dass es noch nie vorgekommen ist (verzweifelnd schauend).

Klientin:      Was machen wir denn jetzt?

D.G.:          Wissen Sie was, ich habe eine Idee. Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch Erbanlagen meines Vaters inne habe… darüber hinaus habe ich viel von ihm gelernt, weil er mir viel erzählt hat in all den Jahren. Was halten Sie davon, wenn ich ausnahmsweise die heutige Erststunde führe? Im Anschluss werde ich meinem Vater alle Details mitgeben und ihn natürlich rügen, dass er den Termin mit Ihnen scheinbar verpennt hat.

Klientin:      (lachend) Okay, können Sie mich denn wirklich behandeln?

D.G.:          Naja, Sie können natürlich auch wieder gehen und vereinbaren einen neuen Termin. Es hat für mich aber einen faden Beigeschmack, wenn ich Ihnen nicht das Angebot unterbreiten würde, in den Genuss des Juniors zu kommen. (lächelnd)

Klientin:      (lächelnd) Das ist total witzig… aber in Ordnung, dann machen wir es so.

D.G.:          Gut, danke für Ihr Vertrauen. Was halten Sie davon, wenn wir ein kleines Experiment machen (lächelnd)?

Klientin:      Kommt drauf an (leicht irritiert).

D.G.:          Wir beide tauschen jetzt einfach mal die Plätze und somit auch die Rollen, okay? 

Klientin:      Wie jetzt? (irritiert)

D.G.:          Naja, Sie setzen sich auf dem Platz meines Vaters und ich setze mich auf Ihren Platz. Dann tun wir beide so, als seien Sie mein Vater und ich tue so, als sei ich Sie, okay?

Klientin:      Na gut, wenn Sie meinen (lachend).

D.G.           Ja, lassen Sie es uns versuchen. 

Klientin:      (setzt sich auf meinen Platz)

D.G.:          Ich setze mich auf den Platz der Klientin und warte kurz ab.

Klientin:      Und jetzt? (leicht unsicher)

D.G.           Jetzt würde ich einfach mal anfangen, okay?

Klientin:      Ich bin gespannt.

D.G.:          Hallo Herr Gildehaus, ich glaube, dass ich Ihnen eine E-Mail zukommen lassen habe mit meinen Beweggründen, Sie aufzusuchen. Haben Sie die E-Mail erhalten?

Klientin:      (leicht irritiert) Ja, ich habe sie bekommen.

D.G.:          Super! Dann wissen Sie ja, dass ich momentan total überfordert bin mit meiner Rolle als Mutter, Ehefrau, Angestellte und Hausfrau, oder?

Klientin:      Ja, das haben Sie mir geschrieben. (selbstsicher)

D.G.:          Und ich habe Ihnen geschrieben, dass ich unter extremen Druck stehe und dass sich unbedingt etwas ändern muss, stimmt´s?

Klientin:      Ja, genau! So haben Sie mir Ihre Situation beschrieben.

D.G.:          Dann bin ich ja beruhigt, dass alles angekommen ist und Sie mich verstehen. Da Sie ja der Fachmann sind, brauche ich jetzt auch dringend (mit den Händen fuchtelnd) Ihre Hilfe. Ich fühle mich wirklich so, als wäre ich ein Kochtopf, der voll unter Druck steht. Das ist wirklich nicht mehr witzig und ich halte es auch nicht mehr lange aus! (ich schaue die Klientin verzweifelt an) Was soll ich denn jetzt nur machen? (verzweifelte Blicke)

Klientin:      Hören Sie mal, wie wäre es, wenn Sie den Personen, die die Schalter des Herdes betätigen und hochdrehen, mal gehörig auf die Flossen hauen!?

D.G.:          (völlig irritiert) Wie bitte?

Klientin:      Hören Sie endlich auf, sich alles gefallen zu lassen! (voller Überzeugung)

D.G.:          Okay, okay! Wahnsinn! Aber wie mache ich es denn genau?

Klientin:      Es ist doch ganz einfach! Sie fangen langsam an, den Mund aufzumachen und den Leuten auf die Finger zu hauen, okay?

D.G.:          Von Gewalt halte ich eigentlich nichts. (leicht verunsichert schauend)

Klientin:      Es geht doch nicht darum, dass Sie den Leuten wirklich auf die Finger hauen…Sie sollen einfach anfangen, Ihre Meinung kundzutun.

D.G.:          Wow, so habe ich das noch nie gesehen! (voller Freude)

Klientin:      Sag ich doch. (voller Freude)

D.G.:          Gut, ich werde es versuchen.

Klientin:      Sie machen Sich mal Gedanken dazu, wie Sie es schaffen können und dann sprechen wir nächstes Mal wieder, in Ordnung?

D.G.:          Ja klar, aber nächstes Mal wird Sie mein Vater behandeln und ich denke, wir sollten die Rollen jetzt wieder wechseln, okay?

Klientin:      Mh, ich fand es eigentlich richtig klasse, ich glaube, ich habe den falschen Job! (lachend) Das war wirklich richtig cool! (Freude)

D.G.:          Darf ich Sie noch zur Tür begleiten?

Klientin:      Natürlich dürfen Sie.

D.G.:          Okay, mein Vater wird sich schnellstmöglich bei Ihnen melden und einen neuen Termin mit Ihnen vereinbaren, okay?

Klientin:      Gerne! (lächelnd)

D.G.:          Ich bin ja mal gespannt, wie mein Vater reagieren wird, wenn ich ihm berichte, dass ich das Erstgespräch geführt habe. Er wird sicherlich aus allen Wolken fallen.

Klientin:      Grüßen Sie ihn mal von mir. (lachend) Sie haben das wirklich gut gemacht! Vielleicht sollten Sie auch Psychotherapeut werden? (lachend)

D.G.:          (lachend) Mal schauen, was die Zukunft bringt.

Noch am selben Abend bekam ich eine Nachricht der Klientin via E-Mail, dass  sie im Internet recherchiert habe und dann erst verstanden hat, worum ging.  Sie war total beeindruckt, dass ich „Das Experiment“ mit ihre gemacht habe und nicht von meinem Standpunkt weggerückt sei, dass ich der Junior sei. Am besten empfand sie aber die Idee mit dem Kochtopf und sie würde jetzt beginnen, nicht mehr alles in sich hineinzufressen. Stattdessen würde sie jetzt ihre Meinung sagen und diese auch verteidigen – ohne WENN und ABER!

Zum Schluss ergänzte sie noch: „Hätten Sie diesen Einstieg nicht gewählt, kann ich Ihnen versichern, dass ich wieder gegangen wäre. Ich empfand Sie wirklich als zu jung. Aber jetzt ist alles gut. Bitte schicken Sie mir Terminvorschläge.“