systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

5. Januar 2008
von Tom Levold
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Haushaltsnöte gefährden Kindeswohl – das abschreckende Beispiel der Stadt Halle

Mit einer Dienstanweisung hatte das Jugendamt der Stadt Halle im vergangenen Jahr angeordnet, alle Kinder und Jugendlichen aus Heimen in ihre Familien zurückzuführen. So sollten im Etat der Jugendhilfe vier Millionen Euro in zwei Jahren eingespart werden. In der jüngsten Ausgabe von Kontext, der Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF), kommentiert Professor Wolf Ritscher die „skandalöse Dienstanweisung“ – im Heft komplett abgedruckt – und beleuchtet fachliche Hintergründe. Für die stellvertretende Vorsitzende der DGSF, Heliane Schnelle, ist der „Fall Halle“ nur die Spitze eines Eisbergs. Weil benachteiligte Familien insbesondere auf kommunaler Ebene keine Lobby hätten, seien die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren systematisch zurückgefahren worden. Für Maßnahmen im Vorfeld von einer Heimunterbringung – ambulante Betreuung durch Familienhelfer, „Clearingstellen“ oder aufsuchende Familientherapie – werde kaum noch Geld ausgegeben. „Mit diesen Einsparungen steigt das Risiko von familiärer Gewalt oder der Vernachlässigung von Kindern“, so Schnelle. Die Rückführung von Kindern und Jugendlichen in ihre Familien sei ein erstrebenswertes Ziel, dürfe aber nicht in jeder Situation erfolgen oder allein aus „Haushaltszwängen“. In klaren Fällen von Kindeswohlgefährdung bleibe ein Heimaufenthalt oder die Unterbringung in einer Pflegefamilie erforderlich. Schnelle, deren Fachverband mehr als 2700 Familientherapeuten oder Berater vertritt, betont: „Sowohl für eine Rückführung in die Familie als auch für eine begleitende Maßnahme parallel zu einer Heimunterbringung haben sich Familientherapie und besonders aufsuchende Familientherapie als Unterstützungsangebote sehr bewährt.“ Ambulante Betreuung könne zwar die Zahl von stationären Unterbringungen vermindern, koste aber zunächst einmal auch Geld zum Beispiel für die Qualifizierung der Helfer. Dass „Investitionen“ in die Jugendhilfe allerdings gut angelegtes Geld seien, zeigten etwa die Kosten-Nutzen-Rechnungen des Institutes für Kinder und Jugendhilfe (IKJ) in Mainz. Der Text von Wolf Ritscher„Organisierte Verantwortungslosigkeit in der Jugendhilfe: Das Beispiel Halle (Saale)“ aus dem Kontext 4/2007 (379–389) kann hier vollständig heruntergeladen werden. (Presseerklärung der DGSF)

4. Januar 2008
von Tom Levold
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And the Winner is…

Geht man auf die website der American Society for Cybernetics, hat es den Anschein, dass man es mit einem Verband mit einer ausgefeilten Verbandstruktur mit zahlreichen Gremien, Officers zu tun hat, der ständig irgendwelche Veranstaltungen organisiert. Im Jahre 2005 hat die Society Ernst von Glasersfeld die Norbert-Wiener-Medaille für Kybernetik verliehen, eine Art Life Time Award also. Michael Wald vom Blog Filtertraum hat ein bemerkenswertes Video bei youtube von der etwas frugalen Preisverleihungszeremonie ausfindig gemacht (auf welches übrigens auch auf Seiten der Gesellschaft hingewiesen wird), zu der sich jeder selbst ein Bild machen möge. In der Regel dient die Verleihung eines Preises ja nicht nur der Ehrung des Preisträgers, sondern soll gleichzeitig auch die Reputation des Preisverleihers bekräftigen. Diese Erwartung wird mit diesem Video allerdings grandios unterlaufen. And the winner is…?

4. Januar 2008
von Tom Levold
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Kult oder Kultur? Was geschieht im Coaching

In einem Beitrag für die Systemische Bibliothek macht sich Bernd Schmid Gedanken über die Coaching-Kultur. Was geschieht im Coaching?„Ohne Zweifel: Qualitätssicherung im Coaching ist wichtig, sonst werden der Beliebigkeit und der Scharlatanerie Tür und Tor geöffnet. Daher achten wir im Coaching und in der Weiterbildung zum Coach sowie in der Verbandsarbeit im Bereich Coaching darauf, dass Professionelle über einen soliden Fundus von Konzepten und Vorgehensweisen verfügen und dass sie lernen, Coachingprozesse bewusst zu gestalten. Doch dürfen Zielorientierung und die Kontrollierbarkeit der Prozesse vorrangige Gütekriterien für Coaching werden? Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse formulierte schon Mitte des letzten Jahrhunderts sinngemäß: Wissenschaftliche Methoden, die mehr Sicherheit bieten und Intuition, die mehr Möglichkeiten eröffnet, sind gemeinsam Grundlage kreativen Handelns“
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3. Januar 2008
von Tom Levold
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Ressourcenorientierte Erziehung

Vor kurzem wurde an dieser Stelle das Buch zur„Ressourcenorientierten Diagnostik und Intervention“ von Bodo Klemenz vorgestellt. Die Rezensentin Cornelia Tsirigotis hat auch sein aktuelles Buch„Ressourcenorientierte Erziehung besprochen und fasst zusammen:„Klemenz gelingt wirklich konsequent und einheitlich von Ressourcen auszugehen und in der Arbeit mit Familien darauf abzuzielen. Da schleichen sich weder heimliche Umkehrung einer Defizit- oder Störungsperspektive und noch erhobener Zeigefinger ein. Damit ist das Buch eine Grundlage und stützende Säule sowohl in der Theorielandschaft (in der ich die Tendenz bedaure, wieder zunehmend auf Störungs- und Defizitbeseitigung zu fokussieren) wie in der vielfältigen und herausfordernden Erziehungslandschaft. Das Buch sei allen Professionellen in diesem Bereich ans Herz gelegt“
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2. Januar 2008
von Tom Levold
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Interkulturelle Kommunikation

Barbara Zielke, Jana Grothe und Cornelia Fischer haben als Gastherausgeber das Heft 2/2007 von„Psychotherapie & Sozialwissenschaft“ gestaltet. Thema ist »Interkulturelle Kommunikation in Psychotherapie und psychosozialer Beratung«. Aus dem Editorial:„Wielant Machleidt veranschaulicht in seinem Beitrag, wie die Migration als eine der Adoleszenz analoge dritte Individuationsleistung verstanden werden kann. (…) Yesim Erim und Wolfang Senf berichten von der Arbeit in der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Essen, wo seit 1995 eine Spezialsprechstunde und vielfältige Angebote für (vor allem) türkischsprachige Migranten angeboten werden. Sie schildern hier den therapeutischen Einsatz eines türkischen Märchens. (…) Heidrun Schulze geht in ihrem Beitrag auf die Interdependenz zwischen Leben, Erzählen und Institution ein, indem sie anhand eines Fallbeispiels die spezifische Art des Erzählens als Produkt lebensgeschichtlicher und damit familial interaktiver Erfahrung herausarbeitet. Die Auswertung eines biographisch-narrativen Interviews mit einem Mann aus der Türkei soll zeigen, wie institutionalisierte interkulturelle Begegnungen durch die biographischen Konstruktionen der Adressatinnen und die professionellen Konstruktionen der Experten über »Krankheiten von Migranten« das Erzählen in spezifisch gerahmten Situationen wechselseitig beeinflussen. Ulrich Reitemeier führte Interaktionsanalysen von Beratungsgesprächen mit Aussiedlern durch. In seinem Artikel verdeutlicht er mit Hilfe illustrativer Fallbeispiele die kommunikativen Praktiken, die die Selbstpräsentation russlanddeutscher Aussiedler und die Zuschreibung von Fremdheit in den an sie adressierten Formulierungen charakterisieren (…). Ernestine Wohlfart und Ulrike Kluge weisen auf einen Paradigmenwechsel in Theorie und Praxis hin, der als Resultat der zunehmenden Diversität von Behandlern und Patienten in psychotherapeutischen Behandlungssituationen spezifiziert wird. Das von den Autorinnen vertretene Verständnis von Transkulturalität ist dann realisiert, wenn sowohl die Patienten als auch die Behandler das jeweils Eigene und Fremde im transkulturellen therapeutischen Setting reflektieren. (…) Manfred Zaumseil plädiert für den Einsatz kontextsensitiver Verfahren der qualitativen Sozialforschung in der noch jungen Disziplin der Klinischen Kulturpsychologie, der es um die kulturellen Bedingungen von psychischer Gesundheit geht. (…) Der Beitrag Rainer Kokemohrs diskutiert anhand von Beispielen, die aus einem lokalen kulturellen Kontext in Kamerun stammen, die Rationalität von Glaubensvorstellungen. Vor dem theoretischen Hintergrund der Ausführungen des Ethnologen und Anthropologen Dan Sperber werden zwei Konflikte analysiert, die im Rahmen der Arbeit des Autors an einer Reformschule in Kamerun ausgelöst wurden“
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1. Januar 2008
von Tom Levold
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Ich bedanke mich an dieser Stelle für Eure und Ihre zahlreichen Rückmeldungen und freue mich, mit dem systemagazin in den 4. Jahrgang starten zu können!

Euch und Ihnen Alles Gute und herzliche Grüße

Tom Levold

29. Dezember 2007
von Tom Levold
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Borderline-Störungen

Das letzte Heft des Jahrgangs 2007 von„Psychotherapie im Dialog“ befasst sich mit Borderline-Störungen. Dies ist das erste Mal, so vermerken die Herausgeber Henning Schauenburg und Michael Broda, dass sich ein Thema seit dem Bestehen der Zeitschrift wiederholt:„Zum einen wollten wir wissen, was aus den bereits im ersten Heft zu Borderline-Störungen breit dargestellten therapeutischen Konzepten der verschiedenen Schulen inzwischen geworden ist. Wie sie sich entwickelt haben, wie sie modifiziert wurden, welche Ausweitungen der Indikation stattgefunden haben und nicht zuletzt welche Studien inzwischen durchgeführt wurden, die auch „evidenz-basierte” Aussagen zur Wirksamkeit erlauben. Wir wollten neu entwickelte Verfahren darstellen und zuletzt das Augenmerk darauf legen, wo es Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zwischen ihnen gibt, die evtl. Anlass sein können, in der Zukunft differenzielle Indikationsstellungen für unsere PatientInnen zu finden. Wir wollten, wie erwähnt, Langzeitverläufe betrachten, die uns vielleicht auch in unserer therapeutischen Tätigkeit eine Hilfe sein können, insofern sie unseren, manchmal durch die Heftigkeit der Krisen unserer PatientInnen, nahe gelegten Pessimismus zu relativieren bzw. uns klar zu machen, dass es jederzeit berechtigt ist, Hoffnung zu haben, dass unsere PatientInnen zu einem eigenständigeren und weniger belasteten Leben finden können. Wir wollten sehen, welche Anwendung die therapeutischen Verfahren im psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsnetz finden. Uns haben die neuen Befunde aus der Neurobiologie interessiert, aber auch der „zukunftsträchtige” Aspekt der Mutterschaft bei erkrankten Patientinnen“
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28. Dezember 2007
von Tom Levold
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The Delicate Scientist Practitioner

In einem schönen Aufsatz von Nick Drury, der im Heft 4/2006 des„Australian & New Zealand Journal of Family Therapy“ erschien, geht es um ein Verhältnis von Wissenschaft und Praxis, in dem das klinische know-how bzw. ein„withness-knowledge“ (schönes Wort) mehr zählt als das know-that bzw.„aboutness-knowledge“ der sogenannten evidence-based-Psychotherapie. Im abstract heißt es:„This article offers an alternative understanding of the ‘scientist-practitioner’ in clinical practice. The ‘dodo bird’ hypothesis or ‘common factors’ findings suggest that the specific technique of a particular treatment protocol, whether supported or not by empirical validation, are not as important as feedback to the clinician as to whether this particular treatment is working or not. A new philosophy of science and cognition suggests that ‘know-how’ and ‘withness-knowledge’ is of more importance than any ‘know-that’ or ‘aboutness’ knowledge. Two hundred years ago Goethe suggested a method of science that was more focused on performativity than representationalism, which is being discovered again by postmodern science and philosophy. This model of science, combined with Levinas’ call for an ethics first approach, can provide an alternative to the move towards treatment manuals“
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27. Dezember 2007
von Tom Levold
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Die neue Sklaverei im 21. Jahrhundert

Die amerikanische Corrections Corporation of America, größter Privatbetreiber von Gefängnissen in den USA, hat im Jahre 2004 über 1,15 Mrd. Dollar Gewinn gemacht – mit Häftlingen, die für einen Dollar Tageslohn arbeiten. Entsprechend sind die Zuwachsraten im Gefängnisgeschäft. Waren bis zu den 70er-Jahren in den USA durchschnittlich immer ca. 200.000 Personen Insassen von Haftanstalten, sind es heute 2,2 Millionen, Tendenz steigend – ganz abgesehen von weitern fast sieben Millionen Menschen, die der staatlichen Vormundschaft durch Bewährungsstrafe, Freigang oder auferlegte Arbeitsleistungen unterliegen. Damit schlagen die USA die Konkurrenz Russland, China, Iran oder Nordkorea um Längen. Zum Gruseln? Allerdings. Wer sich nicht ohne genauere Informationen gruseln will, sollte den informativen Beitrag von Hermann Ploppa im Telepolis-Online-Magazin von heute lesen.

26. Dezember 2007
von Tom Levold
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OSC 4/07: Familienunternehmen an Wendepunkten

Das letzte Heft des Jahrganges von„Organisationsberatung, Supervision, Coaching“ widmet sich (übrigens mit neuen Layout und auf schönerem Papier) dem Thema„Beratung von Familienunternehmen an Wendepunkten“. Die Überschneidung der Bereiche Familie, Unternehmen und Eigentum in Familienunternehmen und die hiermit verbundenen Konflikte und Paradoxien machen Familienunternehmen für kompleexe systemische Theoriekonzepte interessant. Die Herausgeber Arist von Schlippe und Tom Rüsen, wie viele der Beitragenden am„Wittener Institut für Familienunternehmen“ tätig, wollen„für die unglaublich schwierige Aufgabe sensibilisieren, die Unternehmerfamilien zu bewältigen haben: Paradoxien zu balancieren, nicht der Versuchung zu erliegen, durch vorschnelle Entparadoxierung, durch„Es-gibt-kein-Problem-Basta!‘-Lösungen die Dinge zu verschärfen, mit manchmal bereits kurz-, oft aber sehr langfristig negativen bis dramatischen Konsequenzen“.
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25. Dezember 2007
von Tom Levold
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systemagazin wünscht frohes Fest!

Die Adventszeit ist nun vorbei und ich möchte mich ganz herzlich bei allen AutorInnen bedanken, die mit ihren Kongressgeschichten zum diesjährigen Adventskalender beigetragen haben! Heute gibt es zum Abschluss noch einen kleinen Nachzügler von Cornelia Hennecke, dann ist der Kalender für dieses Jahr geschlossen. Ihnen allen ein schönes und entspanntes Fest, mit oder ohne vollständigen Sündenablass :-).
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24. Dezember 2007
von Tom Levold
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Erstes Woytila-Wunder: Blair wird Katholik

Pünktlich zu Weihnachten hat der ehemalige Papst Johannes Paul der zwote ein Wunder bewirkt und damit seinen Anspruch auf vorzeitige Seligsprechung nachdrücklich bekräftigt. Wie bekannt wurde, ist Toni Blair zum katholischen Glauben konvertiert. Der Vatikan dankte Karol Woytila für dieses schöne Wunder und nahm Tony Blair sogleich die Beichte ab. Anschließend verkündete Papst Benedikt einen vollständigen Sündenablass für Tony Blair, in den nicht nur seine Beteiligung am Irak-Krieg eingeschlossen ist, sondern auch seine Aktivitäten zur Unterbindung der Ermittlung
von Korruptionvorwürfen gegen das Rüstungsunternehmen BAE Systems, um die Waffenexporte und Schmiergeldzahlungen nach Saudi-Arabien nicht zu gefährden. Im Gegenzug verpflichtete sich Blair, noch bis Ostern nach Lourdes zu pilgern.„Ich bin der katholischen Kirche zutiefst zum Dank für meine Erlösung verpflichtet. Außerdem hätte ich nicht mehr damit gerechnet, noch einmal so schön in die Schlagzeilen zu gelangen“, äußerte sich der britische Expremier und räumte damit alle Gerüchte aus der Welt, er spiele mit dem Gedanken, zum Islam überzutreten,„um auch mal die andere Seite kennenzulernen“. Kann Weihnachten schöner sein?