systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

30. Januar 2008
von Tom Levold
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Backpfeife für wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie

Am 15. Januar 2008 hat das OVG Nordrhein-Westfalen mit einstimmigem Beschluss ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln verworfen, mit dem die Eignung der Gesprächspsychotherapie für die staatliche Ausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit dem Hinweis auf eine fehlende positive Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie bestritten worden war. Wie in einer aktuellen Mitteilung der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GWG) deutlich wurde, ist dieses Urteil aber darüber hinaus von größter Bedeutung für die gesamte Diskussion um die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung von Psychotherapieverfahren und wirft auch noch einmal ein neues Licht auf die Anstrengungen zur Anerkennung der Systemischen Therapie durch den Wissenschaftlichen Beirat:„Die bisher erfolgreich scheinende Versuch der Protagonisten im Wissenschaftlichen Beirat, sich als Wissenschaftsgericht mit dem alleinigen Besitz der Wahrheit über Wissenschaftlichkeit auszugestalten, ist damit wohl beendet“
In dem Urteil heißt es unter anderem:„Der … zentrale Begriff der ‚wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren’ wird im Psychotherapeutengesetz nicht definiert. Ebenso wenig enthält das Gesetz konkretisierende und der Präzisierung dieses Begriffs dienende Elemente bezüglich der Anforderungen für die wissenschaftliche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren. Der Begriff bedarf deshalb der Auslegung. Dabei liegen Schwierigkeit und zugleich Dilemma darin, dass bestimmte Abläufe und Ergebnisse in der Wissenschaft kontrovers bewertet und beurteilt werden mit der Folge, dass sich wegen dieser Unsicherheit häufig kein einheitliches Bild und keine übereinstimmende Bewertung für eine wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens oder einer Methode ergibt. Dies gilt in besonderem Maße gerade auch für die Psychotherapie, bei der dementsprechend der Konsens unter den Psychotherapeuten über die Wertung und Anerkennung psychotherapeutischer Methoden nur sehr gering ist. (…) Vor dem dargelegten Gesetzeshintergrund erscheint es dem Senat deshalb nicht geboten, die Anerkennung eines psychotherapeutischen Verfahrens (ausschließlich) von einem durch Studien belegten und nachgewiesenen Wirksamkeitsnachweis abhängig zu machen. Ein entsprechender Wirksamkeitsnachweis ist zwar ein nicht unerhebliches Indiz für die Anerkennung und Anerkanntheit eines Verfahrens, kann angesichts der Gesetzesintention, dass einerseits die Qualität der Ausbildung als Psychotherapeut gesichert werden soll und andererseits bei der Ausübung von Psychotherapie die Missbrauchsgrenze relevant ist, aber nicht als allein entscheidendes Kriterium angesehen werden. (…) Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 11 PsychThG, wonach über die wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens die zuständige Landesbehörde entscheidet und sie ihre Entscheidung in Zweifelsfällen auf der Grundlage eines Gutachtens des wissenschaftlichen Beirats treffen soll, steht allein der zuständigen Landesbehörde […] die Entscheidungskompetenz zu, während dem wissenschaftlichen Beirat mit der Aufgabe der Erstellung eines Gutachtens in Zweifelsfällen als Grundlage für die behördliche Entscheidung lediglich eine Beratungsfunktion, nicht aber eine Entscheidungsbefugnis zugewiesen wird. […] Diese gesetzlich vorgesehene Zuteilung von Entscheidungs- und Beratungskompetenzen hat die Beklagte bei der den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Entscheidung verkannt, weil sie sich […] ausschließlich auf die Bewertung und Einschätzung des wissenschaftlichen Beirats zur Eignung der Gesprächspsychotherapie als Ausbildung für die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen bezogen hat, ohne eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Den Stellungnahmen des wissenschaftlichen Beirats kommt auch im Übrigen keine Verbindlichkeit in dem Sinne zu, dass darauf die Ablehnung des klägerischen Begehrens gestützt werden kann“
Die vollständige Presseerklärung der GWG sowie ein Kurzkommentar von Wolf Waniger findet sich hier. Den vollständigen Text des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichtes NRW ist hier nachzulesen…

29. Januar 2008
von Tom Levold
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„Lehrbuch-Debatte“: Jürgen Hargens antwortet auf Schweitzer/von Schlippe

Nach der Erwiderung von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe auf die Kritiken an ihrem„Lehrbuch“ über störungsspezifisches Wissen der systemischen Therapie, die in der letzten Woche im systemagazin veröffentlicht wurde, wird die Diskussion heute von Jürgen Hargens fortgeführt, der auf die Argumentation der beiden Autoren kritisch eingeht. Sein Beitrag kann nicht nur hier online verfolgt werden, sondern auch im Zusammenhang mit den Kritiken auf der Seite der Buchbesprechungen.

Jürgen Hargens: Im Gespräch bleiben oder: Entscheidungen/Konstruktionen können auch unbeabsichtigte Konsequenzen haben

„Ich freue mich, dass Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe sich zu den Reaktionen auf das Lehrbuch II geäußert haben, denn das ist für mich ein Teil der systemischen Idee „im Gespräch zu bleiben.” Und ein zweites ist für mich mit der Idee „im Gespräch bleiben” verbunden – Systemisches betont Vielfältigkeit, würdigt Unterschiede und verzichtet darauf, immer und in jedem Fall einen Konsens herstellen zu müssen.
Insofern greife ich das auf, wo ich Unterschiede festmache, von denen ich denke, dass es bedeutsam sein könnte, solche Unterschiede nicht zu verwischen. Ich werde so vorgehen, dass ich (1) zunächst noch einmal meine grundsätzliche Position skizziere und dann (2) einige Passagen der Erwiderung aufgreife (kursiv gesetzt) und meine Ideen dazu offen lege.…

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27. Januar 2008
von Tom Levold
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Familiendynamik Heft 1/2008

Mit dem neuen Jahr hat sich auch die Herausgeberriege bei„Familiendynamik“ verändert. Ulrich Clement hat sich verabschiedet und ab dem laufenden Jahrgang wird die Zeitschrift von Hans Rudi Fischer, Ulrike Borst und Arist von Schlippe herausgegeben. Das erste Heft ist dem Schwerpunktthema Angst gewidmet. Neben einem Aufsatz des Neurobiologen Gerald Hüther finden sich zwei therapeutische Arbeiten zur Behandlung von Angstörungen von Bernd Schumacher (dessen Text über„Systemische Angsttherapie – in einer Sitzung“ in Heft 2/08 fortgesetzt werden wird) und Hans Rudi Fischer („Lohn der Angst?“). Harry Friebel, Soziologe aus Hamburg, stellt eine empirische Untersuchung vor, in der danach gefragt wird, wie Paare aus der Generation der„Kinder der Bildungsexpansion“ die anfallende Hausarbeit miteinander aufteilen, und kommt – wie schon andere vor ihm – auf das desillusionierende Ergebnis einer„erheblichen Diskrepanz zwischen allgemeinen Idealbildern und realen, alltäglichen geschlechtsspezifischen Diskriminierungen und Hierarchisierungen (…) Traditionelle Rollenbilder entwickeln und halten sich wohl am Stärksten im alltäglichen Umgang. Die Gleichheitsforderung spielt in den geschützten »eigenen« Wänden kaum eine Rolle“. Lothar Eder, der kürzlich mit seinem Buch über Systemische Psychosomatik breite Aufmerksamkeit erhalten hat, startet mit einem zweiteiligen Aufsatz zum Thema und den Abschluss bilden Betrachtungen der HerausgeberInnen Fischer und Borst über Langeweile und Therapie, auch dies ein Zweiteiler. Erster Teil: Die Langeweile des Therapeuten.

systemagazin wünscht den neuen Herausgebern viel Erfolg, eine gute Hand und viele interessante Beiträge, die ihnen und den Lesern auch zukünftig jede Langeweile ersparen können.
Zu den vollständigen abstracts…

25. Januar 2008
von Tom Levold
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Losing Faith in Therapy?

Scott D. Miller, bekannter Psychotherapieforscher, Leiter des Institute for the Study of Therapeutic Change und früherer Mitarbeiter am BFTC in Milwaukee, dessen gemeinsame Bücher mit Barry L. Duncan und Mark A. Hubble auch in Deutschland breit rezipiert wurden, hat 2004 für das australische Magazin„Psychotherapy in Australia“ einen sehr persönlichen und recht pessimistischen Aufsatz über die Wirksamkeit von Therapie unter dem Titel„Losing Faith: Arguing for a New Way to Think About Therapy“ verfasst. Sein Schlusswort:„At length, I’ve come to accept that I cannot know ahead of time whether my interaction with a particular person on a given day in my office will result in a good outcome. Neither is all my knowhow, years of training and experience any guarantee. Our grand theories, clever techniques, even our best efforts to relate to and connect with others are empty – full of potential, yes, but devoid of any power or significance save that given to them by the person or people sitting opposite us in the consulting room. Thinking otherwise is not a demonstration of our faith, but actually conceit. The promises and potential notwithstanding, we simply have to start meeting and then ask, can they relate to us, to what we’re doing together at the moment? I know they will tell us. I now also have faith that, no matter the answer, the facts will always be friendly“ Allen Lesern empfiehlt er jedoch, vor der Lektüre dieses Artikels den an gleicher Stelle erschienenen und gemeinsam mit Duncan und Hubble verfassten Aufsatz„Beyond Integration: the Triumph of Outcome Over Process in Clinical Practice“ zu lesen.

24. Januar 2008
von Tom Levold
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Machtmissbrauch durch Gemeinsamen Bundesausschuss

Köln (GWG): In einem offenen Brief vom 22. Januar 2008 wendet sich der Wissenschaftliche Beirat der„Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie“ (GwG) an die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel. Vertreten durch ihren Sprecher, Prof. Dr. Jürgen Kriz, fordern die 19 Wissenschaftler des Beirats, dass dem„angeblichen Bewertungsverfahren zur Gesprächspsychotherapie“ seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)„endlich ein Ende gesetzt wird“. Dem G-BA werfen die Wissenschaftler vor, dass er das Verfahren zu einer„Farce verkommen“ ließe und„Machtmissbrauch“ mit seiner„Lobby-Politik“ betreibe. Der G-BA hatte am 20. Dezember 07 nicht – wie allgemein erwartet worden war – die Gesprächspsychotherapie nach über 20 Jahren Annerkennungsprozedere endlich als Kassenleistung für die Patienten zugelassen, sondern die Entscheidung wieder vertagt und die Psychotherapie-Richtlinien geändert.

Gemeinsamer Bundesausschuss ignoriert Wissenschaft

Dem war vorausgegangen, dass der G-BA im November 2006 beschlossen hatte, der Gesprächspsychotherapie die Kassenzulassung zu verweigern. Als Begründung stellte der G-BA die Behauptung auf, dass von den 424 geprüften wissenschaftlichen Wirksamkeitsstudien nur eine einzige seine Kriterien an Studienqualität erfülle. Diese Entscheidung und ihre Begründung hatten national wie international für Aufsehen gesorgt, da die 423 vom G-BA verworfenen Studien von diversen Wissenschaftlergremien positiv bewertet worden waren. Nachdem das Bundesministerium für Gesundheit den G-BA-Beschluss beanstandet hatte, setzte die Bundespsychotherapeutenkammer nochmals ein Gutachterteam an die Beurteilung der Studien. Auch diese Wissenschaftler kamen im November 2007 zu dem Ergebnis, dass„die Gesprächspsychotherapie alle Voraussetzungen gemäß Psychotherapie-Richtlinien (erfüllt), um als neues Psychotherapieverfahren zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen zu werden“. Doch der G-BA, in dem maßgebliche Vertreter jener Verfahren sitzen, die mit der Gesprächspsychotherapie konkurrieren, änderte daraufhin nicht seinen Beschluss, sondern er änderte die Psychotherapie-Richtlinien.„Wir sehen in der Missachtung sachlich gerechtfertigter zugunsten willkürlich zurechtgelegter Gründe einen interessengeleiteten Machtmissbrauch“, lautet daher der Vorwurf an den G-BA in dem Schreiben. Verwiesen wird u. a. auf Studien, die belegen, dass auch solchen Patienten mit Gesprächspsychotherapie geholfen werden konnte, bei denen die derzeitig anerkannten Verfahren versagten.

Schaden für Patienten verhindern
Von der Patientenbeauftragten der Bundesregierung fordern die Wissenschaftler daher, dass sie auf das Ministerium einwirke, die Gesprächspsychotherapie in Ersatzvornahme zuzulassen, damit der„Schaden, den die bisherige Blockierung durch den G-BA für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten in Deutschland verursacht, nicht weiter vergrößert“ werde.
Zum vollständigen Text des offenen Briefes…

23. Januar 2008
von Tom Levold
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Bye Bye Trauma?

40 % der US-amerikanischen Soldaten, ein Drittel der Marine sowie die Hälfte der Mitglieder der Nationalgarde weisen Symptome schwerwiegender psychischer Störungen auf. Nun denkt die amerikanische Regierung darüber nach, schon präventiv an die Soldaten im Einsatz Psychopharmaka zu verabreichen, die ihre Traumatisierung (der Soldaten) durch ihre Tätigkeit verhindern oder einschränken sollen. Im amerikanischen Online-Magazin AlterNet ist ein kritischer Artikel von Penny Coleman zum Thema zu finden, den ich zur Lektüre empfehle:„I cannot imagine what aspects of selfhood will have to be excised or paralyzed so soldiers will no longer be troubled by what they, not to mention we, would otherwise consider morally repugnant. A soldier who has lost an arm can be welcomed home because he or she still shares fundamental societal values. But the soldier who sees her friend emulsified by a bomb, or who is ordered to run over children in the road rather than slow down the convoy, or who realizes too late that the woman was carrying a baby, not a bomb — if that soldier’s ability to feel terror and horror has been amputated, if he or she can no longer be appalled or haunted, something far more precious has been lost. I am afraid that the training or conditioning or drug that will be developed to protect soldiers from such injuries will leave an indifference to violence that will make them unrecognizable to themselves and to those who love them. They will be alienated and isolated, and finally unable to come home“
Zum vollständigen Artikel…

23. Januar 2008
von Tom Levold
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Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie

Unter diesem Titel hat der Körperpsychotherapeut Peter Geißler die Beiträge des 4. Wiener Symposiums „Psychoanalyse und Körper“ im Psychosozial-Verlag herausgegegeben, erweitert um verschiedene Beiträge, die nicht auf der Tagung präsentiert wurden. Auch wenn sich das Buch, wie der Titel schon nahe legt, zunächst an eine psychoanalytisch orientierte Leserschaft richtet, lässt es sich mit Gewinn für alle lesen, die sich mit dem Thema nonverbaler therapeutischer Interaktion befassen. Der Rezensent Gerald Poscheschnik fasst zusammen:„ Mein Fazit lautet, dass es sich beim besprochenen Buch um ein lehrreiches Konvolut handelt, von dessen Lektüre man eigentlich nur profitieren kann. Die eingehende Beschäftigung mit dem Sujet kann Psychoanalytikern wie Psychotherapeuten helfen, den Blick für die nonverbale Komponente des therapeutischen Prozesses zu schärfen, die man sonst vielleicht unter dem Eindruck der Flut von Worten untergehen lässt. Positiv hervorzuheben ist für mich noch, dass das Buch auch repräsentativ für eine moderne und offene Psychoanalyse ist, die weder den interdisziplinären Dialog noch die empirische Forschung scheut“
Zur vollständigen Rezension…

21. Januar 2008
von Tom Levold
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Call for Papers: „The Pressure of Change“. Zum problematischen Verhältnis von Veränderung und Organisation

Am 27./28.03.2008 findet in Stuttgart eine Tagung in Kooperation der Berner Fachhochschule (CH), der TU Chemnitz (D), der Universität Hohenheim (D) und der Universität Halle-Wittenberg (D) zu diesem Thema statt. Keynotes halten Prof. Dr. Peter Fuchs, Hochschule Neubrandenburg (Hierarchien unter Druck: Ein Blick auf ihre Funktionen und ihren Wandel), Prof. Dr. Christof Baitsch, Organisationsberatung Zürich (Heimliche Agenden in der Beratung. Enttäuschte Erwartungen der Unternehmen und was sich daraus entwickeln kann), Prof. Dr. Ralf Wetzel, Berner Fachhochschule & Dr. Jens Aderhold von der Universität Halle-Wittenberg (Unsicherheitsabsorption revisited – Das Management in der Klemme).
Hintergrund: Einerseits operiert man seit einiger Zeit in merkwürdigen Konstellationen: Das Management von Organisationen scheitert gesellschaftsweit munter in Reorganisations- und Implementationsverfahren vor sich hin. Unabhängig davon, ob es sich um Unternehmen, Sozialeinrichtungen, Schulen, Universitäten oder Kirchen handelt – man schimpft über permanente Wandelzumutungen und gleichzeitig über mehr oder wenige mißlingende Reform- oder Veränderungsprojekte. Gelegen kommen in diesen Momenten Experten und Berater. Fast unbekümmert sucht man das nächste Erfolg verheißende Konzept. Aber auch die Beratung selbst bekommt verstärkt Prügel wegen ihres vermeintlichen Budenzaubers. Von substanziell abgesackter Nachfrage jedoch keine Spur, von systematischer De-Standardisierung ihrer Produkte auch. Die Wissenschaft wiederum erfindet sich und ihr ‚Fahrrad’ seit mindestens 30 Jahren fröhlich neu und verkauft es (Weber und Taylor, Pawlow, Lewin, mittlerweile auch Vester, von Foerster und zuweilen Luhmann) ein weiteres Mal als ironisch distanzierte ‚Irritation’ oder als praxisnah gewünschte ‚angewandte Forschung’. Es herrscht zuweilen eine etwas heitere, nicht minder aber auch merkwürdig ‚autistische’ Stimmung an allen drei Fronten. Und keiner wundert sich.
Die Tagung fragt: Wofür steht Organisation heute eigentlich? • Wohin ‚driftet’ die Evolution der Organisation, in welcher Hinsicht verändert sie sich? • Welchen Umständen verdankt sich ihre aktuell prekäre Lage? • Welche Konsequenzen für ihre Funktionserfüllung hat das? • Sind Management, Beratung und Wissenschaft eigentlich noch reflexions-, handlungs- und entscheidungsfähig? • Wohin müssten sie sich verändern, wenn sich die Kontur der Organisation tatsächlich wandelt? • Welche Grundunterscheidungen, Methodologien und Methoden müssten sie lernen (und welche möglichst schnell vergessen), um diese Veränderungen erfassen, bewerten und letztlich gestalten zu können?
Tagungskosten: 70,- €

Einreichungen von abstracts sind bis zum 25.2. erbeten an die Veranstalter:
ralf.wetzel@bfh.ch,
rueckert@uni-hohenheim.de oder
jens.aderhold@soziologie.uni-halle.de

Die ausführliche Version des Call for Papers findet sich hier

20. Januar 2008
von Tom Levold
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Empire strikes back: Schweitzer und Schlippe zur Lehrbuch-Debatte

Kann es etwas Schöneres für ein Buch (und seine Autoren) geben, als dass es diskutiert wird? Seit fast einem Jahr ist eine Debatte um das sogenannte Lehrbuch II zum störungsspezifischen Wissen von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe entbrannt, die es in einer solchen Lebendigkeit in der systemischen Szene schon länger nicht mehr gegeben hat. Ein guter Teil dieser Diskussion ist übrigens im systemagazin geführt worden. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, heute eine ausführliche Erwiderung der Autoren auf die Kritik an ihrem Buch präsentieren zu können:„…Um es deutlich zu sagen: Wir denken nicht, dass systemische Therapie künftig primär störungsspezifisch arbeiten soll und wird. Der größere Teil aller Entscheidungen, die Therapeuten zu treffen haben, hängt mehr von den aktuellen Lebensumständen und Beziehungsmustern, sowohl des Klientensystems, als auch des zwischen diesem und den TherapeutInnen gebildeten Therapiesystems zusammen. Aber: die systemische Therapie hat auch zahlreiche störungsspezifische Kompetenzen, Wir haben uns in unserem Buch daher für den Fokus auf das störungsspezifische Wissen entschieden, weil uns hiermit ein bedeutsamerer Unterschied zu bisherigen Publikationstraditionen möglich scheint…“
Um die Erwiderung im Zusammenhang mit den Kritiken lesen zu können, findet sie sich sowohl auf der Seite der Buchbesprechungen als auch in der Systemischen Bibliothek. Eine Weiterführung der Diskussion wäre wünschenswert, auf der Jahrestagung der SG im April in Berlin wird sie einen wichtigen Platz einnehmen.

19. Januar 2008
von Tom Levold
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Psychosoziale Prävention: Wie schafft man Vertrauen und Hilfe? Durch Kontrolle?

heute ist das systemagazin Forum für einen aktuellen Diskussionsbeitrag von Michael Schlicksbier-Hepp aus Wilhelmshaven, der sich als Kinder- und Jugendpsychiater kritisch mit dem aktuellen Kinderschutz-Diskurs auseinandersetzt. Die Leserinnen und Leser sind zu Kommentaren und Erwiderungen ausdrücklich eingeladen!

Es ist ein gutes Jahr her – Anlass war der unselige „Fall Kevin“ in Bremen, als ich Folgendes als Antwort auf das große Rumoren in der Politik mit der populistischen Forderung schrieb, dem Verbrechen an Kindern und der Vernachlässigung von Schutzbefohlenen mit noch mehr Kontrolle beizukommen:
„Ich misstraue aus Erfahrung auch den gut gemeinten Verordnungen zur Kontrolle und zum Zwang auf dem sozialen und medizinischen Sektor und glaube, dass solcher Art Problemlösungen viele neue Probleme aufwerfen. Zwang und Kontrolle sind letzte Mittel, die ausgerechnet bei den skandalösen Tragödien trotz vorheriger Hinweise grotesk versagen. Man sollte daher sehr viel mehr Geld und Ressourcen in Förderung und sozialmedizinische und -psychologische Angebote ohne Zwang mit niedrigen Zugangsschwellen stecken und die allgemein zunehmende Kinderarmut zum Thema eines gesellschaftlichen Umdenkens machen, in dem wir alle unsere Verantwortung an diesen Zuständen erkennen, statt empört aber doch skandallüsternd mit Schuldvorwürfen auf exemplarisches Versagen hinzuweisen, um gleichzeitig von unserer Mitverantwortung abzulenken“

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18. Januar 2008
von Tom Levold
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Zweite Karriere für Roland Koch?

Deutschland wählt mal wieder: den Superstar. Aber nicht nur in Hessen, sondern auch im Fernsehen. Heute wurde überraschend bekannt, dass Roland Koch, noch amtierender Ministerpräsident von Hessen, sich vorsorglich bei der 5. Staffel von„Deutschland sucht den Superstar“ für den Fall beworben hat, dass er die Landtagswahlen am 27.1. verlieren wird:„Wenn mir Hessen trotz meiner Ausländerkampagne von der Fahne geht, bleibt mir nur noch RTL“, bekannte der ehemalige Schüler-Union-Vorsitzende von Sulzbach in einem Backstage-Interview,„aber spätestens dann wird deutlich werden, wer in Deutschland der wirkliche Superstar ist“. Gut informierten Kreisen zufolge will Koch in diesem Fall eine Karriere als Gangstar-Rapper beginnen. Es soll aber bei den ersten Proben bereits zu Spannungen zwischen Dieter Bohlen und Roland Koch gekommen sein, als Bohlen dem Ministerpräsidenten empfohlen haben soll, sein uncooles outfit aufzugeben und sich klamottenmäßig an den Leuten zu orientieren, die Koch eigentlich gerne in Erziehungscamps stecken würde. Bohlen wörtlich:„Mensch Rolli, Du singst nicht nur, wie Du aussiehst, sonder Du siehst auch noch so scheiße aus, dass Dich nicht einmal die Ausländer zum Superstar wählen“. Offenbar hat Koch aber diese brutalstmögliche Ansage schließlich doch noch konstruktiv aufgefasst. Bislang geheime Fotos zeigen, dass er bereits an einem chilligen update seines outfits arbeitet. Super, Rolli!!! Und Angie aus Berlin meint:„Echt krass, wie Dein Style jetzt rüberkommt“.

17. Januar 2008
von Tom Levold
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DGSF: Jugendhilfe stärken ist besser als Boot-Camps planen



In einer heute herausgegebenen Pressemitteilung der DGSF heißt es:„Familienberater und Familientherapeuten helfen täglich ,schwierigen‘ oder straffällig gewordenen Jugendlichen erfolgreich – jenseits von ,Bootcamp oder Knast‘. ,Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts zur Bekämpfung von Jugendgewalt und Jugendkriminalität ist aus fachlicher Sicht der falsche Weg‘, betont Professor Dr. Jochen Schweitzer, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF). So verständlich das Entsetzen über die jüngsten Gewalttaten sei, bloßes ,Wegsperren‘ nütze wenig, denn schließlich müsse man die Täter irgendwann wieder in die Gesellschaft entlassen. ,Systemische Ansätze und Methoden in der Jugendhilfe können hingegen erfolgreich zur Integration von Jugendlichen in die Gesellschaft beitragen‘, so Schweitzer.
Psychologie-Professor Schweitzer weist darauf hin, dass es notwendig ist, das Umfeld der Jugendlichen zu berücksichtigen: ,Wir müssen Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe stärken, Schulen qualifizieren und wieder mehr Jugendarbeit fördern und Jugendhilfe anbieten.‘ Gerade in der Kinder- und Jugendhilfe seien aber in den zurückliegenden Jahren systematisch Gelder gestrichen worden. Das gleiche gelte für Justizverwaltungen oder Polizei, so dass jugendliche Straftäter zu lange auf ihren Prozess warten.
Für straffällig gewordene Jugendliche hätten Jugendhilfe und Justiz eine Vielfalt von wirksamen Projekten und Programmen entwickelt: Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisungen, Formen aufsuchender Familientherapie, Denk-Zeit-Trainings, erlebnispädagogische Projekte oder etwa Anti-Aggressions-Trainings. Dabei nutzten die Fachkräfte häufig Ansätze und Methoden, die in systemischer Beratung und Therapie entwickelt worden seien, erläutert der Vorsitzende des Fachverbandes mit mehr als 2700 Beratern, Supervisoren und Familientherapeuten. ,Systemiker‘ hätten auch Methoden, die gerade bei besonders schwierigen Jugendlichen zum Erfolg führten: Zum Beispiel das systemische Elterncoaching, bei dem es um stärkere ,elterliche Präsenz‘ und damit neue Handlungsmöglichkeiten für hilflose Eltern geht, oder die Multifamilientherapie, bei der gleichzeitig mit mehreren Familien gearbeitet werde und bei der so Selbsthilfekräfte gestärkt würden. In Deutschland noch wenig bekannt ist die in den USA für delinquente Kinder und Jugendliche entwickelte Multisystemische Therapie. Multisystemische Therapie geht davon aus, dass neben der Familie besonders die Schule, der Freundes- und Bekanntenkreis und die Nachbarschaft gleich starke Einflüsse auf das Verhalten der Jugendlichen ausüben. Schweitzer: ,Multisystemische Therapie findet also an den verschiedensten ,Tatorten‘ parallel oder nacheinander statt: im Wohnzimmer der Familie, im Klassenzimmer, im Sportverein oder auf dem Spielplatz.‘ Zur Multisystemischen Therapie liegen sehr gute Wirksamkeitsstudien mit ermutigenden Ergebnissen vor.
Die DGSF begrüßt und unterstützt die von fast 1000 Hochschullehrern und Praktikern der Jugendstrafrechtspflege unterstützte Resolution gegen die Verschärfung des Jugendstrafrechts sowie die gemeinsame Verbandserklärung ,Hände weg vom Jugendstrafrecht’“